Mittwoch, 16. März 2022

Freedom Day im Netz: Hass endlich wieder hoffähig

Jahrelang verboten und mit Millionenaufwand bekämpft, ist der Hass seit dem Ausbruch des Krieges wieder ein gefragtes und sogar erlaubtes Gefühl.

Dass das Ende des Unternehmens Doppeleinhorn nicht ohne Folgen für die fragile Zivilgesellschaft bleiben würde, lag auf der Hand. Ein Jahr lang hatte der Twitteraccount im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Förderung und Rechts beim amerikanischen Kurznachrichtendienst gegen Nazis, Rechte und Hass gekämpft - 313 Gefolgsleute waren dabei, die zuschauten, wie das Doppeleinhorn "junge Menschen vor Hass und Hetze im Netz" schützte, indem Mitarbeiter des "Mediennetzwerk SaarLorLux" unter dem Symbol der hässlichen Mischung aus Schwein und Stier 60.000 Euro aus dem Bundesprogramm "Stärkung der digitalen Zivilgesellschaft und der Demokratie" verbrieten.

Ein leerer Geldtopf

Kleingeld, denn der Geldtopf enthielt seinerzeit auch schon 100 Millionen Euro. Die aber waren gut angelegt, denn so lange das Doppeleinhorn und die unzähligen anderen Kämpfenden für gegen rechts auf ihren Posten waren, gelang es doch nach und nach, die Diskurshoheit im deutschen Internet zu erobern. Hetzer, Hasser und Zweifler konnten zurückgedrängt werden, Pöbler sahen sich mit neuen Gesetzesvorhaben konfrontiert, die ihr nicht strafbares, aber widerrechtliches Tun hart zu sanktionieren versprachen. Neue Spezialstaatsanwaltschaften nahmen die Arbeit am Abweichler auf, Polizeieinheiten gingen personell gestärkt auf verdachtsunabhängige Patrouille im Netz, um Falschmeiner, Widersprecher und Querdenker auf frischer Meinungstat zu ertappen.

Selbst die großen amerikanischen Profitzentralen der Netzwelt mussten bald einlenken. Nachdem auch die EU das Thema Meinungsfreiheitsschutz als Regulierungsfeld entdeckt hatte, gaben die Internetriesen aus Furcht um ihre Profite im größten Wirtschaftsraum der Welt reihenweise nach: Mit viel Geld für Faktenfüchse, Löschteams und freiwillige Faktenchecker kauften sich die Unternehmen von der Pflicht frei, den Hass proaktiv schon in der Entstehung als unerlaubtes Gefühl zu behandeln und Hasser als Verbreiter unzulässiger Auffassungen zu verfolgen und zu sperren, um die Meinungsfreiheit zu schützen.

Zeichen gegen Hetze und Hass

Bis zum Beginn der Zeitenwende fuhr Deutschland damit gut. Schon im Sommer vor fünf Jahren waren genug "Zeichen gegen Hass und Hetze im Netz" (Doppeleinhorn) gesetzt, so dass die eigens für das Nahgefecht mit dem Faschismus eingerichtete Seite doppeleinhorn.org abgeschaltet und zur Nachnutzung freigegeben werden konnte. Zwar war die absolute Meinungsfreiheit noch nicht restlos durchgesetzt, aber der Kampf schien doch weitgehend fertiggefochten - bis Putin kam und auch dieses absoluten Werte des Westens infragestellte.

Denn nun wird Hass wieder zu einer volkswirtschaftliche Ressource. Wer richtig hasst, der fürchtet nicht den Feind, der friert aber auch nicht so schnell und vor allem macht er nicht irgendwen für Krieg, Tod und Elend verantwortlich, sondern den, der ihm als Täter präsentiert wird. Ein schöner gesellschaftlicher Zug, den selbstverständlich auch die sozialen Netzwerke umgehend bestiegen haben: Bei Facebook ist der Hass nun wieder hoffähig, so lange er sich auf den gemeinsamen Endgegner bezieht, bei Twitter sind Wünsche wie "Tod den russischen Eindringlingen" erlaubt, so lange sie "keine glaubwürdigen Aufrufe zur Gewalt gegen russische Zivilisten" beinhalteten.

Die dumpfe, dumme, bedrohlich brodelnde Hassrede, die über Jahre hinweg als gefährliches gesellschaftliches Gift galt, sie hat sich über Nacht in die "politische Ausdrucksform" (BR) einer gesamtgesellschaftlichen Stimmung verwandelt, die ein Bekenntnis verlangt und keine lauen Zwischentöne. Dafür oder dagegen, anderes gibt es nicht, liebe deinen Nächsten, vor allem aber hasse, wer dich hasst. Der Druck muss raus, der Feind steht nicht im eigenen Land und wenn doch, dann gehört er bestraft und abgeurteilt.

Für Hetzer, Hasser und Zweifler ist es der langersehnte Freedom Day, jener mystische Tag, an dem jede Person das Recht hat, ihre Meinung frei zu äußern, wie auch immer sie lautet, so lange sie keine strafbaren Inhalte verbreitet. Wenn das möglich ist, dann ist noch viel mehr denkbar. Womöglich sogar eine Rückkehr zum verfassungsmäßigen Recht einer Meinungsfreiheit, die die Freiheit einschließt, "Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen". Es wäre ein ungeheuerlicher Rückfall in Zeiten wahrer Informationsanarchie ohne saubere Suchmaschinen und behördlich gekämmte Trefferlisten. Spätestens dann würde es wieder Zeit für einen Einsatz des Doppeleinhorns.




2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

`-._,-'"`-._,-'Was Sie noch nicht über Facebook wussten`-._,-'"`-._,-'"`-._,-'"`-._,-'

Diese Formulierung sagt eigentlich auch schon alles über das Politik-Verständnis des Konzerns, der Donald Trump via Cambridge Analytica zur Präsidentschaft verhalf

So einfach ist die Welt in Bayern.

https://www.br.de/kultur/facebook-erlaubt-hassrede-gegen-russland-100.html

Die Anmerkung hat gesagt…

Dor Boris ist augenscheinlich doch so doof, wie es kürzlich noch landesweit über ihn behauptet wurde.
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https://rtde.site/europa/133910-boris-johnson-fordert-chelsea-fans/

Premier Johnson fordert Chelsea-Fans auf, Abramowitschs Namen nicht zu skandieren

Der britische Premierminister hat das Verhalten der Chelsea-Fans kritisiert, die während des Spiels der Mannschaft den Namen des russischen Oligarchen und Chelsea-Besitzers Roman Abramowitsch skandierten. Er sagte, das Verhalten der Fans sei im Moment völlig unangemessen.

Beim letzten Spiel gegen Newcastle United am 13. März zeigten die Chelsea-Fans Transparente zur Unterstützung von Abramowitsch. Darüber hinaus appellierten die Chelsea-Fans, die Mannschaft aus der Politik und der Situation in der Ukraine herauszuhalten. Außerdem beklebten Chelsea-Fans, die in Trikots der Mannschaft zum Spiel kamen, das Bild des Londoner Titelsponsors Three mit Klebeband, der zuvor angekündigt hatte, seinen Vertrag mit Chelsea aufgrund von Sanktionen auszusetzen.