Montag, 26. September 2022

Umgang mit Krisen: "Wenigstens Schönreden muss man es!"

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Bei der EU-Kommission in Brüssel arbeitet bereits seit Jahren ein Heer von Beamten daran, die Welt der Europäer als wahres Paradies darzustellen.

Elisabeth Schmeling wurde geboren und aufgezogen in der DDR, sie ist dem Augenschein nach eine Weiße deutsche Kulturwissenschaftlerin und transkulturelle Trainerin für Intersektionalität, Diversitätsinklusion, Rassismus- und Klimakritik sowie für kritische Weißseinsreflexion in Wissenschaft, Gesellschaft, Kultur, Kunst, Sport und Politik. Schmelings Arbeitsschwerpunkte liegen zudem in den Verschränkungen von Diaspora, Beitrittsängsten und globaler Translokalität, bei der Performativität von Anpassungskultur (Spatiality and Coloniality of Memories, Postkoloniales Erinnern) sowie in postkommunistischen Erziehungstraumata, Feminist Future Studies und Critical Race sowie Whiteness Studies.  

Seit 1990 ist sie Bundesbürgerin und Teil der feministischen Bewegung in Deutschland. Als  Politökonomin, Expertin für Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung ist Schmeling auch  international aktiv, etwa in der losen Facebook-Gruppe Frauen* bei Facebook. Um mit der Kriegs-, Klima- und Energiekrise zu leben, müsse die Gesellschaft lernen, Dinge zu nehmen, wie sie sind, ohne dabei immer nur auf steigende Kosten, sinkenden Wohlstand und Verelendung zu starren, sagt Schmeling und empfiehlt der Gesellschaft einen entspannten Umgang mit wachsender Armut, winterlicher Kälte und depressiver Stimmung. 

Das alles sei schlimm und manchmal noch schlimmer und für bestimmte vulnerable Gruppen sogar sehr. "Aber wenigstens schönreden muss man es", ist sie überzeugt.

Moralpsychologin Elisabethn Schmeling
Elisabeth Schmeling im Garten.

PPQ: Frau Schmeling, wenn man wie Sie Jahre seit dem Erscheinen des prophetischen Weltbestsellers "Die Grenzen des Wachstums" Revue passieren lässt, sind Sie dann heute mehr oder weniger überzeugt, dass die Welt untergeht?

Schmeling: Gar nicht. Aus der deutschen  Perspektive sieht es zweifelsfrei so aus, als gingen die Dinge unaufhaltsam ihrem Ende zu. Auch meine Alltagspraxis ist so: Der Bäcker hat zugemacht, der Supermarkt erinnert mich an den Intershop, von dem alte DDR-Bürgerinnen mit leuchtenden Augen erzählen. Ich kann mich noch erinnern, dass wir als Kinder früher versucht haben, unsere Eltern dahingehend zu instrumentalisieren, dass sie uns Süßigkeiten kauften, die die Verkaufspsychologen der weltumspannenden Konsumkonzerne an den Kassen platzierten, damit wir dort regelrecht quengelten. Heute erscheint mir manchmal das ganze Leben wie eine Quengelkasse - dies geht nicht mehr, das ist unmöglich. Wer atmet, bringt den Planeten um, wer heizt, mordet den Wald, wer warm duscht, hilft Putin. Ich mahne mich dann immer, in der Krisenaufnahme nicht zu übertreiben. Es ist fürchterlich, aber es konnte doch alles noch viel schrecklicher sein.

PPQ: Menschen wissen nicht, wie sie durch den Winter kommen sollen, Unternehmen schließen, die Natur geht vor Hunde, die Pariser Klimaziele sind schon gar kein Thema mehr und die Bundesregierung mutet an wie ein Gebetskreis. Was soll da Hoffnung machen?

Schmeling: Wenn Sie wie ich mit Tschernobyl aufgewachsen sind, mit der Mauer, Stacheldraht, der gegenseitigen Atombedrohung, Chemiewaffen, Waldsterben, Ozonloch, Soweto, der Schande von Gijon, dann haben Sie im Leben so viele Schreckmomente absolviert, dass Ihnen das unheimlich hilft, sich resilient zu verhalten. Dass da draußen immer wieder Gefahren auftauchen, der islamische Terrorismus, der IS, China, Corona, Krieg vor der Haustür, ist für mich zunächst mal nur faszinierend, weil sich im Grunde genommen nie vorhersehen lässt, aus welcher Richtung der nächste Einschlag kommen wird. Deshalb denke ich auch eher über die größeren Zusammenhänge nach. 

PPQ: Inwiefern hilft das? Inwiefern kann es uns allen helfen?

Schmeling: Sehen Sie, dieser Bericht des Club of Rome, der seinerzeit so viel Furore gemacht hat, weil er den Untergang der Welt nicht nur vorhergesagt, sondern in genau datiert hat, der ist im Lauf der Zeit aus der Wahrnehmung verschwunden. Dafür kam erst dies, dann das, dann etwas anderes. Und nun haben wir den Klimawandel, die globale Seuche und einen Energieausstieg, der zu aller Überraschung mit astronomischen Preissteigerungen für die Nutzung der letzten paar Energieerzeuger einhergeht. Hätte man das wissen können? Sicherlich. Haben wir es wissen wollen? Sicherlich nicht. Und das ist sehr gut so.

PPQ: Wieso gut? Dadurch sind wir doch erst in Putins Falle gegangen?

Schmeling: Das mag so sein. Aber haben wir nicht in all den Jahren wenigstens noch sehr gut gelebt? Was wäre dann anders gekommen, hätte man sich vor 20, 10 oder fünf Jahren entschlossen, auf russisches Gas zu verzichten, während man gleichzeitig aus Kernkraft, Kohle und Öl aussteigt? Die Preise wären dann damals so in die Höhe geschossen, der Wohlstand wäre damals schon abgebaut worden und der Mittelstand zurückgefallen in die Unterschicht. Ich sage deshalb, wir sollten dankbar sein für die gute Zeit, die wir hatten. Besser sie war lang als kurz, auch wenn das Ende uns nun grausam vorkommt.

PPQ: Sie sind bereit, das einfach so zu akzeptieren? Regt sich da nicht auch in Ihnen Widerstand?

Schmeling: Reflexhaft schon, ich habe schließlich auch mal gegen die Haltungen meiner Eltern rebelliert und zeitweise  Öko-Magazine ausgetragen, Secondhand-Klamotten getragen und sogar mal einen Monat lang versucht, nur von Laub zu leben (lacht). Aber leben heißt lernen und erwachsen werden heißt, Realitäten akzeptieren. Mitte der 80er Jahre haben wir Tschernobyl und sauren Regen, Helmut Kohl als Kanzler, den Nato-Nachrüstungsbeschluss, 10 Prozent Zinsen und Verbrüderungsgespräche zwischen SPD und SED für völlig normal gehalten, das war alles einfach Teil unseres Lebensalltags. Heute stehen wir nun vor der Aufgabe, diese neue Welt von Transformation, Zeitenwende und Wohlstandsabbau als normal zu erlernen. Das erscheint vielleicht hart, für jemanden aus Generationen, die noch mit Rauchen, Alkoholtrinken, Party, Bratwurst und eigenem Auto aufgewachsen ist. Es ist aber unerlässlich.

PPQ: Es gibt kein Zurück? Keine Hoffnung darauf, dass wir mit Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Energiesparsamkeit und smarten Prozessen eines Tages wieder leben können werden dürfen wie früher?

Schmeling: Keine Chance. Natürlich wird es weiterhin Klimagipfel voll ehrgeiziger Abkommen geben, parallel zu weiterhin steigenden Emissionen. Doch werden Menschen deshalb aufhören, Nahrung zu sich zu nehmen? Werden sie aufhören, dabei nach möglichst schmackhaften Speisen zu möglichst niedrigen Preisen zu suchen? Sie müssen nicht antworten, ich sage es Ihnen: Eher wird die Bundesliga aufhören, Fußball zu spielen und dafür nachhaltig ganz normale Würfel zum Ausspielen der Ergebnisse nutzen als dass das geschieht.

PPQ: Was können wir denn aber aus Ihrer Sicht überhaupt noch tun? Ist denn alles verloren?

Schmeling: Ich finde schon die Frage nicht allzu hilfreich. Im Prinzip ist es zwar richtig, eine eigene Mitwirkung an der Gestaltung des eigenen Lebens anzustreben. Aber wir haben es hier mit wissenschaftlich fundierten Klimaziele zu tun, mit einem Energieweltmarkt, mit Putin und seiner undurchschaubaren Strategie und mit der EU, die die Überschreitung unserer CO2-Budgets stillschweigend hinnimmt, weil alles andere gravierende Konsequenzen nach sich ziehen würde, die dann sicherlich die gesamte europäische Gemeinschaft sprengen würden. Das würde nicht nur sehr teuer werden, sondern noch viel teurer als jetzt. Nein, das ist kein Ausweg.

PPQ: Der liegt aus Ihrer Sicht wo?

Schmeling: Akzeptanz, Anpassung und das Ganze flankiert mit einem Narrativ unablässiger Werbebotschaften. Dass Konsumismus Wohlstand mehrt, ist doch kein Naturzustand, sondern eine Einflüsterung renditegieriger Konzerne. Das brauchen wir alles nicht, wir können auch karg leben. Wer bettelarm ist, ist glücklich, denn er hat nichts mehr zu verlieren. Meine Botschaft lautet also? Weder wie ein Reh im Scheinwerferkegel aufs herannahende Temperaturziel zu starren noch wie ein Faultier irgendwann vom brennenden Baum zu plumpsen, sondern sich klarzumachen: Wir brauchen jetzt Geduld, uns an die neue Lage zu gewöhnen, an verzehnfachte Energiepreise, an leere Regale, an einen Abschied vom 1,5 Grad-Ziel, an die Aufgabe des Traums vom eigenen Auto und vom eigenen Häuschen. An Wärmestuben, an ein Zusammenrücken mit Wildfremden. Aus krisenkommunikativer Sicht ist es umso wichtiger, das alles wenigstens Schönzureden, um das Mindset der Menschen so zu beeinflussen, dass sie die Veränderung stillschweigend hinnehmen. 

PPQ: Dazu bräuchten wir Argumente, die den Wohlstandsabbau als Preis für etwas Erstrebenswertes erscheinen lässt. 

Schmeling: Das ist richtig. Wir brauchen deshalb quantifizierbare Zielgrößen, einen sozialistischen Wettbewerb mit vielen kleinen Zwischenzielen, die den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, dass wir auf Kurs sind. Dass wir unbequemer leben, aber dennoch mehr Emissionen als zuvor auszustoßen, darf dabei keine Rolle spielen. Denn je weniger der Kurs als solcher infrage gestellt wird, umso konsequenter ist die Lenkungswirkung von politischen Mitteln wie Verboten, Geboten, Regeln und anweisenden Bitten. Bewegt sich etwas, bewegt sich alles und dadurch werden dann auch die Aufmerksamkeit und die Alltagspraxis der Menschen verändert. 

PPQ: Wie kann jeder für sich dabei helfen? 

Schmeling: Ja, kann er. Voraussetzung ist, dass wir die Menschheit nicht mehr unbedingt als lernbereite, anpassungsfähige und kreative Spezies wahrzunehmen versuchen, die hunderttausende Jahre Geschichte überlebt hat und ihre Zukunft selbst gestalten kann, sondern als ferngelenkte, von fremden Mächten und Großkonzernen einem Konsum-, Bequemlichkeits- und Anspruchsnarrativ unterworfene tumbe Masse, die mit Appellen an Vernunft und Eigenverantwortung nicht erreichbar ist. Lösungen für das restliche  21. Jahrhundert müssen deshalb so kommuniziert werden, dass jene, die überzeugt werden sollen, sich  überzeugen lassen müssen - sei es durch das Schüren von Ängsten, sei es durch klare Schranken für die Weiterführung eines ressourcenintensiven Lebens. Die Corona-Maßnahmen haben gezeigt, dass alle bereit sind, alles mitzumachen, wenn alle mitmachen müssen. Die meisten sind nicht bereit, ihr Verhalten zu verändern, ehe nicht alle dazu gezwungen werden. Dann aber sind sie erfahrungsgemäß mit Feuereifer dabei.


6 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Den ersten Abstaz versteh ich nicht. Einige Wörter kenn ich, kann das im Satzzusammenhang nirgendwo einsortieren.

Früher hätte man nutzloser Mitesser zu so einer völlig unwichtigen Aufschneiderin gesagt. Aber was ist schon früher im Vergleich mit dem Heute.

ppq hat gesagt…

ich finde ihre kruden thesen hilfreich

Anonym hat gesagt…

Svrnja Prantl hat nun also eine Kollegin, sehr gut. Die Titten sind ein wenig kleiner, aber gut, man kann nicht alles haben.

Anonym hat gesagt…

Sie wirkt auch etwas zugeknöpft.

Der lachende Mann hat gesagt…

Svenja Prantl ist nicht so zugeknöpft.

Anonym hat gesagt…

Spaßkreisbremse : vielleicht nicht