Freitag, 31. Oktober 2025

Startschuss für Großspeicher: Die Billionen-Batterie

Batteriespeicher schlagen nicht nur in die Kasse, sie bringen auch einiges auf die Waage.

Wer mit prächtigen Zahlen, dem schönen Schein und positiven Nachrichten lügen will, und wer will das nicht in diesen Zeiten der schlechten Laune, der hat zwingend einige grundsätzliche Regeln zu beachten, um nicht sofort als Schönfärber aufzufliegen. 

Wichtig ist es, die jeweilige Nachricht so zuzuschneiden, dass die gewünschte Botschaft eineindeutig übermittelt wird. Statt mit allzu vielen Fakten, Zahlen und einordnenden Erklärungen eine Relativierung zu riskieren, hilft es häufig, es bei einem ungefähren Eindruck zu belassen. Gutes wird häufig besser, wenn es als grobe Handreichung erteilt wird. Draußen im Land an den Empfängern sitzen ohnehin nur selten Menschen, die es genau wissen wollen.  

Gefühlte Wahrheit 

Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder  ist einer, der das Geschäft mit der gefühlten Wahrheit von Grund auf gelernt hat. Und mit dem treuen bayrischen Rundfunk weiß der CSU-Politiker einen Sender hinter sich, der so wenig auf die Idee käme, eine von Söder als grandiose News gedachte Mitteilung zu hinterfragen, wie das ZDF und ARD im Allgemeinen nicht mit den Pressemitteilungen aus dem Kanzleramt tun. 

Als Söder jetzt nach Gundremmingen eilte, um auf den noch rauchenden Trümmern des gesprengten Atomkraftwerkes mit eigener Hand den ersten Spatenstich für "einen riesigen Batteriespeicher" zu setzen, plante der ewige Kanzler im Wartestand ein Zeichen: Die mythische Energiewende hat ein Zuhause in Bayern! Und was für eins. Nur wenige Tage nach der Sprengung der Kühltürme eines Kraftwerkes, das einst eine elektrische Bruttoleistung von 1.344 Gigawatt hatte, feierte Söder den Start des Ersatzbaus. Laut Betreiber der "größte Energiespeicher Deutschlands", in jedem Fall aber groß genug, dass selbst die "Tagesschau" nicht um das Großereignis herumkam. 

Söder in der "Tagesschau" 

Söder schaffte es ins Überregionale - und wie. Gezeigt wurde er beim Spatenstechen, erzählt wurde dazu, dass RWE die geplante Batterie zur größten in der Bundesrepublik erklärt hat.  Das fertige Containerdorf werde eine "Leistung von 400 Megawatt und eine Kapazität von 700 Megawattstunden" zur Verfügung stellen, schrieb Söder später selbst auf X, stolz auf das bereits Erreichte.  RWE-Chef Markus Krebber assistierte mit einem weiteren Superlativ: "Das reicht, um mit einem Elektroauto 3,9 Millionen Kilometer weit zu fahren", versicherte er. Wie man's nimmt: Richtig wäre auch gewesen, dass die in alle in Deutschland zugelassenen E-Autos mit dem Strom aus der künftigen Gundmemminger Batterie jeweils zwei Kilometer weit kämen.

Aber niemand will etwas kaputtrecherchieren an so einem schönen Tag. Bayerns Ministerpräsident sprach von einem Termin nationaler Tragweite. "Ein Hochindustrieland wie Deutschland kann sich Probleme im Stromnetz nicht leisten. Wirtschaft und Energie haben Priorität", sagte er. Die "Tagesschau" erging sich in länglichen Beschreibungen der langen Containerreihen. Der Bayerische Haussender Söders teilte Neugierigen erstaunliches Hintergrundwissen unter der Schlagzeile "So funktionieren Batteriespeicher" mit: "Die Anlagen speichern elektrische Energie und geben sie bei Bedarf wieder ab."

Megawatt und Megawattstunden 

Wie hoch der Bedarf ist, wie viel elektrische Energie in den Gundmemminger "400 Megawatt und  700 Megawattstunden" steckt und wie lange die umliegenden Erneuerbaren Energieanlagen brauchen, die größte deutsche Großbatterie mit Solarenergie und Windkraft wieder aufzuladen, tat nichts zur Sache. Die Baukosten in Höhe von 230 Millionen auch nicht. 

Die allerdings lieferte Söder später selbst nach - ein Kardinalfehler, denn wer solche Daten preisgibt, provoziert den Dreisatz: Wie lange reicht die Kapazität der größten Großbatterie auf deutschen Boden, um Bayern zu versorgen? Wie lange könnte sie Deutschland vor dem Blackout bewahren? Wie groß müsste eine Batterie sein, die Bayern einen Tag und wie groß eine sein Deutschland eine halbe Woche Saft liefern kann, wenn die böse Dunkelflaute kommt? Was, schließlich, würde das alles kosten?

Bedarf einer Winterwoche 

Die Kapazität des Gundmemminger Batteriespeicher würde beim aktuellen bayrischen Strombedarf von 233 Gigawattstunden etwa 1,75 Stunden reichen. Um über einen Tag zu kommen, bräuchte Bayern 332 weitere in derselben Dimension. Wenn es mal länger dunkel und windstill bleibt, müssten es schon 1.000 oder besser - eine Winterwoche geht schnell rum - über 2.000 sein. Sehr selten nur wird der Fall sein, dass ein Monat ganz ohne Sonne und Wind vergeht. Aber weil weder Söder noch RWE, die "Tagesschau" oder der BR die Ladezeit des Speicherriesen erwähnt haben, muss vorgesorgt werden. Für einen Monat bräuchte Bayern unter Last bräuchte es rund 10.000 Großspeicher von der Größe Gundmemmingen.

Gratis gibt es das alles natürlich nicht, obwohl Batterien immer, immer günstiger werden.  Der Tagesspeicher für Bayern schlüge mit 76 Milliarden Euro zu Buche. Ein Klacks für ein Bundesland, das zuletzt auf ein Bruttoinlandsprodukt von 634 Milliarden Euro kam. Das würde, die meisten anderen störenden Ausgaben zugunsten der Investition zurückgestellt, auch noch für den Wochenspeicher reichen, in den etwas über 500 Milliarden Euro investiert werden müssten. 

Der Wind schickt keine Mahnung 

Die Sonne schickt keine Rechnung, der Wind keine Mahnung. Aber bei dem ganz großen Großspeicher, der Bayerns Stromversorgung auch mal über einen Zeitraum von 14 Tagen oder drei Wochen sicherstellt, müsste schon Geld in Summen in die Hand genommen werden, die heute noch erschreckend hoch klingen: 2,3 Billionen Euro wären nötig.

Im ersten Moment klingt das nach viel, aber anders ging  es den Leuten 2020 auch nicht, als die üblichen Rettungsmillionen wegen der Pandemie erstmals durch Rettungsmilliarden abgelöst wurden. Im Bereich der Laderiesen  wird die Gewöhnung ebenso schnell gehen, denn Bayern ist nicht ganz Deutschland und wenn die Elektrifizierung umfassend sein soll, dann muss der große Batteriespeicherboom deutschlandweit ausgerollt werden. 

Tag für Tag das Verlangen nach Strom 

Auch wenn die Zahlen wegen des immer noch hohen Stromverbrauchs in Deutschland nicht leichter zu fassen sind. Der liegt bei 464 TWh (464.000 GWh) im Jahr, ob Sonnentage im Hochsommer oder trüber Wintertag ohne Sonne - Tag für Tag verlangt das Land nach 1.271 GWh Strom. Selbst der Schwung von mehr als 1.000 Gundmemmingenspeichern, den sich Bayern eines Tages vielleicht für drei, vier oder fünf Dunkelflaute zugelegt hat, liefern ganz Deutschland gerade mal genug Energie, um einen Tag über die Runden zu kommen. #

Das Land braucht mehr Batteriespeicher, mehr und größere, viel größere. Um die 12.000 sollten es sein, damit das System so widerstandsfähig wird, dass es drei oder auch fünf Tage ohne frisch erzeugten Strom übersteht. Und für ein paar Tage mehr, vielleicht auch mal zwei Wochen, würden 30.000 plus gebraucht. Über die Kosten der Anschaffung haben Söder, die "Tagesschau" und der BR sicher nicht aus Versehen den Schleier gnädige Schweigens gebreitet: Der Wochenspeicher käme drei Billionen Euro, der etwas größere ganz große um die zehn Billionen.

Schwergewichtige Versorgung 

Jedoch bekäme der Kunde dafür auch etwas. Allein die mittlere Lösung für Dunkelflauten von fünf bis zehn Tagen schlägt nicht nur in die Kasse, sie bringt auch einiges auf die Waage. 24 Millionen Tonnen  Lithium, Kobalt, Nickel, Mangan und Grafit würde die kleine Lösung wiegen, 48 Millionen Tonnen die große. 

Das entspricht dem Gewicht von 800.000 Leopard-2 A7V-Panzern und könnte dazu frühen ,dass Deutschland das Gegenteil dessen geschieht, was Südafrika passiert: Das Land  am südliche Ende des ehemals als "schwarz" bezeichneten Kontinent steigt durch die anhaltende Klimadürre immer weiter aus dem Meer auf. Deutschland dagegen könnte in die ohnehin steigenden Meeresfluten hineingedrückt werden. Bei den Batteriespeichern würde das zu erhöhter Kurzschlussgefahr führen - ein Problem, das seit dem Startschuss von Gundmemmingen mitbedacht werden muss.

Merz und der Mikroelektronikplan: Der Ritt auf dem Papiertiger

Chips Act: Der elektrische Papiertiger
Der Chips Act ist die Gründungsurkunde der Technologiehochburg Europa.

In Berlin geht es jetzt um Kopf und Kragen. Nachdem der Bundeskanzler die Stimmungswende auf den Sommer kommendes Jahres und den Herbst der Reformen auf den Herbst danach verschieben musste, sind die Möglichkeiten beschränkt, bis Weihnachten  Geschenke an Bürgerinnen und Bürger zu verteilen. 

Die Senkung der Stromsteuer, die das abgesagte Klimageld ersetzen sollte, musste ausfallen. Die Senkung der Netzentgelte beim Strom wird durch die Erhöhung der Netzentgelte beim Erdgas aufgehoben. Die Kassenbeiträge, die Preise, die Steuern und die kommunalen Abgaben klettern ungebremst. Die Menschen weigern sich inzwischen störrisch, ihr Konsumverhalten an die Erfordernisse anzupassen und wie früher  auszugehen, einzukaufen  und Geld auszugeben, das sie nicht haben.  

Eine verfahrene Situation 

Selbst dem mächtigsten Regierungschef Europas bleibt da nicht mehr viel Entscheidungsspielraum. Friedrich Merz hat ihn genutzt, um bei den Klassiker nachzuschauen, was in einer solch verfahrenen Situation zu tun übrig bleibt. Etwas brauchen die Leute da draußen, das weiß der kantige Populist Merz ganz genau. Mit einem Stadtbild allein sind die Landtagswahlen im Osten im kommenden Jahr  keinesfalls zu gewinnen. Gehen sie aber verloren, dann könnte nach der sozialdemratischen Ära, die 2021 begann und 2024 endete, auch die Ära des anständigen Progressivkonservatismus  mit grüner Kappe vorzeitig auslaufen.

Pünktlich zwie Jahre nach der Verabscheidung des als "Chips Act" weltwit bewunderten europäischen Chip-Gesetz hat  Friedrich Merz deshalb jetzt nach kurzer Beratung die "Hightech-Agenda der Bundesregierung" vorgestellt. In gleich sechs High-Tech-Bereichen, in denen Deutschland bisher keinerlei globale Bedeutung hat, soll der frühere Exportweltmeister zum "führenden Standort für neue Technologien" werden. Gedacht ist an Künstliche Intelligenz, an Quantentechnologien, an Mikroelektronik, Biotechnologie, Kernfusion und - eine kleine Verneigung vor Nostalgikern - auch an "klimaneutrale Energieerzeugung" und "Technologien für klimaneutrale Mobilität". 

Ein Trainer am Tabellenende 

Dass es um Dinge geht, die sehr gut klingen, ist kein Wunder. Friedrich Merz steht bereits nach einem halben Jahr im Amt vor einem Scherbenhaufen an zerschlagenen Erwartungen. Wie ein Fußballtrainer, der um die Meisterschaft spielen wollte und nun am Tabellenende steht, muss der 69-Jährige mit Plänen für einen kurz bevorstehendenGewinn der Champions League vom eigenen Versagen ablenken. Die geschichte lehrt: Nichts eignet sich dazu besser als haltlose Versprechen, mit denen ein großer Sprung zur Weltspitze oder ein schneller Sprint vorbei an allen derzeit führenden Nationen angekündigt wird.  

Die neue "Hightech-Agenda" der Bundesregierung ist eine Blaupause der großen Mikroelektronikstrategie, mit der die Führung der DDR ihre nicht mehr konkurenzfähige Wirtschaft in ab Ende der 70er Jahren hatte auf Augenhöhe mit Hightech-Nationen wie Japan, der USA und der Bundesrepublik bringen wollen. Wie damals umfasst die Strategie auch heute die gesamte Wertschöpfungskette der Mikroelektronik: Von der Forschung und Entwicklung über die Produktion von Halbleitern und integrierten Schaltkreisen bis hin zur Integration in Rechentechnik, Automatisierung und Exportprodukte.
 
Alles kann, alles muss, alles wird. Zumindest wenn die Wirtschaft auf den Kanzler hört und zu "mehr Kooperation mit der Wissenschaft" bereit ist, "um Innovationen im Land zu fördern". Nur dann könne man nämlich "eine Gestaltungsmacht sein", sagte Merz. 

"Standort stärken" 

Die kargen 45 Zeilen, mit denen die Bundesregierung ihre "Agenda" offiziell ankündigt, sollen offenbar noch nicht zu viel über die Einzelheiten verraten. Feind hört mit! Die Überschrift "Standort für Mikroelektronik stärken" verspricht jedoch einen ähnlich erfolgreichen Siegeszug wie damals, als Erich Honecker als Reaktion auf den globalen Boom der Halbleitertechnologie daranging, den technologischen Rückstand zum Westen aufzuholen. 
 
Die DDR pfiff auf dem letzten Loch. Die Infrastruktur verfiel, die Straßen bestanden aus Löchern, das Stadtbild erinnerte vielerorts an die unmittelbare Nachkriegszeit. Dennoch mobilisierte Honecker 100 Milliarden Mark, die er nicht hatte - eine Summe, die gemesssen am Bundeshaushalt heute rund 150 Milliarden Euro entsprechen würde - um Chipsfabriken zu bauen, Prozessoren und Logikschaltkreise zu etnwickeln und eine Computerfabrikation anzuschieben. 

Höchste Priorität

40 Jahre später hat "Innovationspolitik" wieder "die höchste Priorität!" und diesmal ist es ein Bundeskanzler, der mit seiner Entdeckung der Hochtechnologien die "Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz Europas in puncto Halbleitertechnologien und -anwendungen stärken und so zur Verwirklichung des digitalen und ökologischen Wandels beitragen" will. 
 
Es hat etwas gedauert bis zu dieser Erkenntnis, denn seit die als  "Chips Act" bekanntgewordene EU-Verordnung 2023/1781 am 21. September 2023 in Kraft trat, ist europaweit gar nichts passiert. Alle Neubauprojekte - etwa von TSMC und Infineon in Dresden - gab es vorher schon. Alle Hoffnungen, allein eine ausgerufene Initiative  namens "Chips für Europa" werde "den groß angelegten Aufbau technologischer Kapazitäten und Innovationen unterstützen", wurden enttäuscht.  

Europas technologische Führungsrolle 

Essig war es mit dem Vorhaben, "Europas technologische Führungsrolle in diesem Bereich auszubauen" (Ursula von der Leyen), doch das war keine Überraschung, denn eine solche "Führungsrolle" existiert nicht. Kaum verwunderlich, dass alle 27 Mitgliedsstaaten schon zum zweiten Geburtstag des Papiertigers "Chips Act" forderten, ihre ausgerufenen Ziele an die Realität anzupassen. Mit 43 Milliarden Euro an Investitionen wird aus der europäischen Halbleiterindustrie kein Gigant werden, wenn in China und den USA zugleich Billionen investiert werden. 
 
Die erklärte Absicht der europäischen Staatengemeinschaft, den EU-Marktanteil an der globalen Chip-Produktion bis 2030 von 10 auf 20 Prozent zu verdoppeln, hat genauso große Erfolgsaussichten wie Honeckers Traum, mit seiner DDR die Überlegenheit der sozialistischen Planwirtschaft zu zeigen und den corporate Kapitalismus der Großkonzerne mit seinen Halbleiterkombinaten zu überholen.

Weit entfernt von der Wirklichkeit

Die Größenordnungen, die Gemeinsinnsender und die übrigen angeschlossenen Abspielstationen der Regierungspropaganda wohlweislich nie erwähnen, zeigen, wie weit weg Merz' Parolen von der Wirklichkeit entfernt sind. So hat die Bundesregierung als Ziel ausgerufen, dass Staat und Wirtschaft bis 2030 "mindestens 3,5 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aufwenden" sollen. Bis 2030. Und für Forschung und Entwicklung in allen sechs High-Tech-Bereichen, die die Agenda als entscheidend benennt. 
 
Die mobilisierte Summe, käme sie denn zusammen, entspräche etwa 160 Milliarden Euro. Allein die drei Hightech-Riesen Alphabet, Microsoft und Meta planen für kommendes Jahr Investitionen in Höhe von 230 Milliarden Euro nur für neue Rechenzentren. Halbleiterhersteller investierten zwischen 2022 und Frühjahr 2024 rund 450 Milliarden US-Dollar in Neu- und Ausbau von Chipfabriken in den USA.  Die EU plant ihre Aufholjagd mit einem Zehntel.

Kleingeld für Wachstum 

Friedrich Merz Vorhersage, dass "die Mikroelektronik der Schlüssel für eine gute Zukunft unseres Landes" sein werde, weil nur sie "Freiheit und Wohlstand" sichern könne, sollte lieber falsch sein. Denn "die Wachstumschancen, die unsere Industrie dadurch hat" (Merz), hat sie nicht, weil sämtliche Umfeldbedingungen nicht stimmen. Energie ist zu teuer, die Steuern sind zu hoch und die Genehmigungsverfahren dauern zu lange. 
 
Selbst Karl Lauterbach, derzeit anschlussverwendet als Chef des Bundestagsausschusses für Weltraumfahrt und Hightech Made in Germany, beklagt sich inzwischen über "fehlendes Risikokapital". In der Parallelwirklichkeit des Sozialdemokraten ist Deutschland mit dem Roboter "Toro" des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt "bei dieser Technik führend". Doch Lauterbachs Hoffnung, das ungeschlachte Einzelstück in Gestalt des Eisernen Holzfällers aus "Der Zauberer von Oz"  könnte "einen großen Markt erschließen", trifft auf eine Realität, in der Lauterbachs Partei gemeinsam mit CDU, CSU, FDP, Grünen und EU aus ganz Europa eine perfekte Todeszone für Geldanleger gemacht haben.  

Unmoralische Investitionen

Hohe Steuern sorgen dafür, dass den Deutschen wenig zum Anlegen übrig bleibt. Sozialistischen Wanderprediger beschwören nachhaltig Unmoral und Unsicherheit nahezu jeder Investition. Gewinne werden mit fast einem Viertel besteuert. Freibeträge sind seit 20 Jahren nicht erhöht worden. Statt eines einfachen und teuerbegünstigten Anlagesystems, wie es die USA mit dem 401(k)-Plan haben, experimentieren Bundesregierungen seit Jahrzehnten mit trickreichen und teuren "Riesterrenten" und "vermögenswirksamen Leistungen", deren Erträge fleißigen Sparern im hohen Alter helfen, zwei, drei Monate Pflegeheim zu bezahlen.
 
⁩Karl Lauterbach ist überzeugt, dass Deutschlands Holzfäller-Nachbau den Weltmarkt erobern wird. "KI wird Roboter massiv in die Industrie drücken", sagt der frühere Gesundheitsminister. Friedrich Merz glaubt, dass das Dresdner Halbleiterunternehmen GlobalFoundries, eine Firma im Besitz der Advanced Technology Investment Company (ATIC), dem Staatsfonds von Abu Dhabi, "Schlüsseltechnologie für Wohlstand, Freiheit und Sicherheit" liefere. Kerntechnologie des Unternehmens ist der 22FDX-Prozess, der Experten zufolge "eine kostengünstige Alternative zu komplexeren Designs" darstellt. Ausweis des Erfolges der Firma ist der Aktienkurs, der sich seit 2022 halbiert hat.
 
So führt Deutschland: Eine USA-Firma in arabischem Besitz, die hinter den Giganten der Branche zurückgeblieben ist wie das Silicon Saxony hinter Taiwan und seiner Taiwan Semiconductor Manufacturing Company.  Der Siegeszug der KI hat gerade begonnen, schon aber hat Europa mit seinem weltweit einmalige "KI Act" eine Anwendungsbremse eingeführt. Über eigene große Sprachmodelle verfügt der gesamte Kontinent nicht und es wird sie auch nie haben. Im Wettlauf mit den US-Riesen setzt die EU auf sechs "Gigafabriken", in die sie in den kommenden Jahren "mehr als 500 Millionen Euro" stecken will. 
 
Das sind 0,2 Prozent der Summe, die allein Meta, Alphabet und Microsoft im kommenden Jahr investieren.

Donnerstag, 30. Oktober 2025

Energiewende unter Druck: Die große Luftnummer

Druckluftspeicher Urbanisator Zugang Rauchverbot
Der Zugang zum Sercvicebereich des Druckluftspeichers. mit dem Jens Urban im Fläming die Funktionsweise seines Urbanisator bewiesen hat - ignoriert von der Politik

Keine alten Kernkraftwerke, keine neuen Atomkraftwerke, keine teuren Batteriespeicher, kein schädliches Biogas und keine speichernden Netze, in denen nachhaltig hergestellter Wasserstoff aus dem Sudan wartet, bis es eng wird mit der Energieversorgung. Stattdessen die Umsetzung einer Entwicklung des Erfinders und Innovators Jens Urban, der sich der Achillessehne der Klimawende bereits vor drei Jahren angenommen hatte: Wie lässt sich der Überfluss an Energie, den Wind und Sonne liefern, ohne eine Rechnung zu schreiben, für die Gelegenheiten aufbewahren, in denen sie wirklich noch gebraucht wird?  

Atommüll-Ofen und Solarlaser-Heizung 

Natürlich, Urban, der schon als junger Bastler großes Aufsehen mit der Entwicklung eines  Atommüll-Ofens und einer Solarlaser-Heizung für afrikanische Entwicklungsstaaten erregt hatte, wusste, dass er in einen Überflussbereich hineinentwickelt. Mit den zunehmenden Erfolgen des Rückbaus der Wirtschaft sinkt Deutschland Energiehunger. Planmäßig sparen die Bürgerinnen und Bürger so über Jahrzehnte mehrere Milliarden Euro, etwas durch den bald möglichen Verkauf der Gas-Großspeicher. 

Für den Innovator aus Ostdeutschland steht allerdings nie die Vermarktung einer Idee im Mittelpunkt. Ganz in deutscher Tradition geht es Urban um Grundlagenforschung und technologische Befriedigung durch die Lösung scheinbar unlösbarer Aufgaben. Eine davon beschäftigte ihn über Jahre, ehe sie schließlich zur wegweisenden Erfindung eines neuartigen Druckluftspeichers führte, den Jens Urban auf den Namen "Urbanisator" getauft hat.

Ein kleiner Schritt für einen Ostdeutschen 

Ein kleiner Schritt für einen Jungen aus Ostdeutschland, gelernter Fahrradmechaniker, aber geborener Visionär. Ein großer Schritt für Deutschlands ins Stocken geratene Energiewende. So zumindest dachte der Self-Made-Innovator sich die Umsetzung, die direkt dort ansetzt, wo die vielbeschworene Windwende noch Kinderkrankheiten hat. Immer, wenn kein Wind weht, fehlt es an Stromproduktion - genau da setzten Urbans Doppelrotoren an. Sie nutzen das aus der Natur bekannte Wind-zu-Wind-Verfahren, um beständig Windstrom zu produzieren: Ein Urbanisator dient als lokal vorgehaltener Speicher, in den ein Kompressor in Stromüberschusszeiten Druckluft presst, der bei Windmangel genutzt wird, um die heute so oft lahmliegenden Rotoren anzutreiben.

Simpel, günstig und trotzdem: Weder das Klimawirtschaftsministerium von Robert Habeck noch das Wirtschaftsministerium seiner Nachfolgerin Katharina Reiche förderten die Realisierung einer  Pilotanlage. Dazu musste Urban nach China gehen, wo ihn der chinesische Innovationshub 节约风能 (Jiéyuē fēngnéng), ins Deutsche übersetzt so viel wie "Ökonomischer Wind" mit offenen Armen empfing. Die Idee, Windanlagen bei gleicher Standzeit mit nahezu doppelter Laufzeit betreiben zu können, überzeugte die hochrangigen Gastgeber sofort", berichtete Jens Urban nach dem Vertragsabschluss. 

Die Bitternis sitzt tief 

Doch Bitternis war weiter zu spüren, das verbarg der Erfinder und Entwickler gar nicht. In der chinesischen Hauptstadt hätten die Beamten des Klimawirtschaftsministeriums und der chinesischen Volksarmee-Division für ökologische Kriegsführung sofort verstanden, wie vielversprechend seien Urbanisatoren seien. "Wenn lokal wegen besserer Wetterbedingungen ein Energieüberschuss entsteht, der nicht ins Netz gespeist werden kann, wird einfach Luft verdichtet", reißt Urban das Prinzip. Fehle es später an Wind, blase diese Luft aus dem Speicher das Windrad an. "Wir brauchen für eine fast verdoppelte Effizienz keine Kabel, Leitungen und Netze, sondern nur einen Druckluftbehälter".

Es kam den überzeugten Deutschen schwer an, dass er daheim als "Spinner" und Taschenspieler beschimpft, weitgehend aber sogar ignoriert wurde. Erst jetzt, mehr als ein Jahr nach dem Anfahren des   "Nengchu-1" ("Es Kann") genannten erste Druckluftspeicherkraftwerk im chinesischen Yingcheng, meldeten sich erstmals deutsche Interessenten, die in Sachen regenerativer Energie "mit Riesenschritten voranschreiten" wollen, wie das Online-Magazin Insalzach.de berichtet.

Mühlheim, ein Flecken zwischen Eggenfelden und Erding, startet in die Druckluftrevolution: Eine sogenannte reversible Druckluftanlage soll als kostengünstige und effiziente Alternative zur Batteriespeicherung getestet werden. Zuerst einmal mit einer Machbarkeitsstudie, die Aufschluss darüber geben wird, ob es sinnvoll ist, Energie auf diese völlig neue Art zu speichern. 

Ein kleiner Flecken will es versuchen 

Für Jens Urban ist es ein kleiner Triumph. Obwohl noch nicht feststeht, ob seine Erfindung nach China nun auch die Gemeinde bei Rosenheim erobern wird, fühlt sich der Ingenieur und Tüftler aus dem ostdeutschen Dessau bestätigt. "Mein Urbanisator kann die Energiewelt auf den Kopf stellen", ist er sich sicher. Zwischen ihm und einem weltweiten Siegsszuges ständen ausschließlich die "Kräfte der Beharrung sowohl im fossilen als auch im erneuerbaren Bereich", glaubt er.

Am liebsten wäre es sowohl Windwirtschaft als auch Politik gewesen, seine Entwicklung totzuschweigen. "Das ist mir klipp und klar so bedeutet worden." Niemand habe wirklich Interesse an Windstrom, der jederzeit verfügbar ist. "Die Anlagenbetreiber leben vom Mangel, der hohe Preise erzeugt, und die Politik hat sich auf die milliardenteure Umsetzung von gigantischen Batteriespeichern festgelegt." Ein Neuerer wie er, Einzelkämpfer,ostdeutsch, ohne universitären Hintergrund und politische Netzwerke, störe da nur. "Erst als der Urbanisator in China auf fruchtbaren Boden fiel, begannen hier einige, sich zu fragen, ob das wirklich alles Quatsch ist."

Das "Wind-zu-Wind"-Verfahren 

Natürlich nicht. Urbans "Wind-zu-Wind"-Verfahren beruht auf dem Fahrradreifenprinzip. Überschüssiger Strom aus Windrädern treibt einen Kompressor an, der Luft auf bis zu 100 bar verdichtet und in robusten Stahlbehältern direkt am Fuße der Windkraftanlage speichert. Bei Flaute wird diese Druckluft freigesetzt, um die Rotoren über vorgelagerte Düsen künstlich anzublasen – die gleichen Anlagen erzeugen dann wieder Strom, diesmal aus Überschussluft. 

Keine teuren Batterien, keine Elektrolyseure, keine Wasserstofftanks. Das Verfahren ist nutzbar in gigantischen Maßstäben, jede einzelne der 30.000 deutschen Windkraftanlagen könnte einen Urbanisator bekommen und damit fast doppelt so viel Energie erzeugen wie bisher. Jens Urban erklärt das Problem: "Eine durschnittliche Windkraftanlage in Deutschland läuft etwa 1.700 bis 2.100 Volllaststunden, fast 500 Stunden hingegen muss sie wegen eines Überangebotes an elektrischer Nennleistung abgeregelt werden." Dann wehe der Wind, die Windräder aber stünden still. "Das sind die Stunden, in denen mit Hilfe des Überwindes Druckluft für windarme Zeiten erzeugt und im Urbanisator gespeichert wird."

Im Austausch mit Experten 

Mühlheim will es ausprobieren. Die Gemeinde Schönberg ist bereits seit einigen Wochen im Austausch mit Experten, um auszuloten, ob diese neue Form der Energiespeicherung auch für die Gemeinde Schönberg infrage käme. Bürgermeister Alfred Lantenhammer ist überzeugt vom größten Vorteil gegenüber herkömmlicher Batteriespeicherung, dass Luft als Speichermedium kostengünstiger zu betreiben wäre. Endlich also kehrt die deutsche Technologie zurück in die Heimat und Urbans Erfindung bekommt die Chance, in die hiesige Energielandschaft integriert zu werden.

Der Vater der Urbanisatoren ist überzeugt, dass der Durchbruch nun nur noch eine Frage der Zeit sein wird. "Unsere Umwandlungsverluste sind minimal und es entsteht beim Anblasen sogar nutzbare Abwärme für Heizsysteme, die nur noch in die Haushalte geleitet werden müsste."

Dass er in Deutschland belächelt wurde  und die Behörden sogar seine Testanlage im Fläming ignorierten, mit der bewies, dass dezentrale Speicher Windparks deutlich länger laufen lassen können, will der Visionär nicht an die große Glocke hängen. "Deutschland und Europa sind traditionell nicht offen für neue Ideen, das weiß man doch", sagt er. Monate- und jahrelanges Pilgern von Pontius zu Pilatus, Betteln bei EU-Kommissaren und Kniefälle vor regionalen Politikern gehörten zum Job, sagt er. "Keiner von uns macht das, weil er glaubt, man rollt ihm den roten Teppich aus."

Der Zufall führt nach China 

Typisch für Jens Urbans Geschichte ist auch die Genese seines Erfolges in China. Über einen Schulfreund in Shanghai, der dort am Hafen das "Hot Bird", ein Schnellrestaurant für Singvogel-Spezialitäten betreibt, kam Kontakt zu "Jiéyuē fēngnéng" zustande. Wenige Videotelefonate später stand Urban auf dem Platz desd Himmlischen Friedens, umworben vom dortigen Klimawirtschaftsministeriums. Wie immer im bevölkerungsreichsten Land der Erde ging dann alles ganz schnell: Das "Nengchu-1"-Kraftwerk in Yingcheng, Provinz Hubei, ging Anfang 2024 ans Netz und läuft seit Januar 2025 kommerziell. Mit 300 MW Leistung und 1.500 MWh Kapazität ist es Weltrekordhalter unter den Urbanisatoren. 

Das liege daran, dass die chinesischen Lizenznehmer sein Konzept angepasst und zentralisiert hätten, sagt Jens Urban. Statt kleiner Stahlkessel nutzen sie unterirdische Salzkavernen in 600 Metern Tiefe – Volumen: 1,9 Milliarden Kubikmeter Luft pro Jahr. Ergebnis: 500 Millionen Kilowattstunden Strom jährlich, Einsparung von 159.000 Tonnen Kohle und 411.000 Tonnen CO2-Reduktion.

Angeblasene Rotoren 

Die Druckluft zum Anblasen der Rotoren bei Flaute gelangt über lange Edelstahlrohrleitungen zu den Windkraftanlagen. Man spare so die Druckluftbehälter vor Ort, lobt Urban. Trotz der Notwendigkeit, Druckluftleitungen zu verlegen, sei die Materialeinsparung enorm. "Man sieht, dass China heute nicht mehr nur kopiert, sondern die Kopien sogar besser macht." Ihm sei das recht. "Für mich steht der Erfolg der Energiewende im Mittelpunkt." 

Und der scheint durch die Urbanisation, wie sie Urban nennt, einen Schub zu bekommen. In Jintan entsteht eine 700-MW-Anlage mit 2.800 MWh, die sogar den riesigen Gobi-Windpark "trocken" betreiben soll. Auch hier ersetzen gigantische Hohlräume als Speicher die zahlreichen dezentralen Stahlbehälter. "The sky is the limit", lächelt Urban, der auf chinesische Forschungsanstrengungen verweist. Allein am Institut für Ingenieurthermophysik in Chengchung arbeiten 600 Experten an der Verbesserung seines Konzept. 

Der Sprung nach Bayern 

Der Sprung nach Bayern kommt so nicht unerwartet und dem Pilotprojekt im lokalen Gewerbegebiet schaut Urban nicht einmal llzu gespannt entgegen. Der unerschrockene Pionier der Erneuerbaren ist sich des Erfolges sicher. Der erste deutsche Groß-Urbanisator mit 100 kW Leistung werde ab 2027 überschüssigen Strom aus lokalen Windrädern als Druckluft speichern und bei Bedarf abgeben. Das dürfte der Durchbruch der neuen Technologie sein. "Wir kombinieren deutsche Innovation mit chinesischer Skalierung", sagt Urban. Das Ganze sei "leiser als ein Staubsauger" und effizienter als eine Tesla-Batterie. Urban setzt auf den Nachahmereffekt: Ist Mühlheim erst erfolgreich, würden Bayern und Deutschland folgen.

Doomsday: So lange braucht es noch bis zum Untergang

Statt die Leistung des Staates zu würdigen, der den wirtschaftlichen Verfall in Grenzen hält, werden seine Bemühungen geringgeschätzt.

Eine Grafik macht die Runde, mit der bestimmte Kreise belegen wollen, wie schlimm es um Deutschland steht. Nicht nur, dass das Land seit fast sechs Jahren in einer Rezession gefangen ist, die absehbar kein Ende zu finden scheint. Nein, die Abbildung, die Staatskonsum, private Investitionen und das als flache Todeslinie dahin dahindümpelnde Bruttoinlandsprodukt zeigt, belegt scheinbar auch, wie viel schrecklicher die tatsächliche Realität hinter den Parolen von der angeblich immer nur vorübergehend "schwächelnden Wirtschaft" ist.  

Der Staat als Retter 

Hätte der Staat seine Ausgaben nicht stärker in die Höhe gefahren als jemals zuvor, zeigte sich das Bruttoinlandsprodukt heute nicht einmal mehr wie festgeklebt auf dem Stand von 2019. Sondern tief, tief unten bei 2015 oder 2010. Ein verlorenes Jahrzehnt mindestens, so jammert es dazu von interessierter Seite. Die Merkel-, Scholz- und Merzfeinde, oft verliebt in den argentinischen Staatsfeind Javier Milei und seinen US-Paten Donald Trump, nutzen die Gelegenheit, ihrem seit der großen amerikanischen Finanzkrise festsitzenden Hass auf die Verhältnisse in Deutschland und der EU freien Lauf zu lassen. 

Wäre der Staat nicht, sähe es übel aus.
Angeführt werden die Heckenschützen, die nichts Geringeres als den modernen Zukunftsstaat im Visier haben, von Leuten wie dem Italiener Mario Draghi. Der hatte den Gegnern der Wohlstandsgemeinschaft Europa mit seinem Bericht zum Zustand der Wettbewerbsfähigkeit der EU willkommenes Futter geliefert. Nicht zufällig auf Verlangen von EU-Chefin Ursula von der Leyen, die neuerdings von Entbürokratisierung und schlanken Strukturen schwurbelt und sich von Draghis Handreichung Argumente erhoffte, das funktionierende System der zahllosen Entscheidungsebene vom kleinen Dorf in Sachsen bis in die verwirrende Vielfalt der Formsachen des traditionellen Trilogs zwischen Rat, Parlament und Kommission abschleifen zu können.

Jede schlechte Nachricht ist gut 

Es ist immer Doomsday bei den Untergangsinteressierten, denen nichts zu rechts kommt wie neuen Daten über Altbekanntes. Europa wächst nicht mehr. Europa ist so hoch verschuldet, dass die Maastricht-Verträge inzwischen weder in Brüssel noch in Straßburg noch erwähnt werden dürfen. Die Nachricht, dass es seit einem halben Jahrzehnt nur noch Vater Staat ist, der den Deutschen zumindest das Gefühl vermittelt, es gehe ihnen zwar nicht besonders gut, aber auch noch nicht ganz schlecht, kommt denen recht, für die jede schlechte Nachricht eine gute ist. 

"Woher sollen denn neue Arbeitsplätze kommen, wenn kaum mehr jemand investiert", fragen sie demonstrativ, obwohl sie genau wissen, was Bundeskanzler Friedrich Merz schon Anfang Oktober bekanntgegeben hatte. Bei ihm im Kanzleramt, einem der schönsten Werke deutscher Logistik- und Lagerhausarchitektur, stapeln sich die Bitten, Milliarden und Abermilliarden in deutsche Scholle und deutsche Schaffenskraft stecken zu dürfen. Nicht nur aus dem Inland kommen dingende Anfragen, dies und jenes und das auch noch bauen zu dürfen. Nein, auch Legionen von Ausländern stehen Schlange. 

Alle wollen nach Deutschland 

Sie wollen grünen Stahl schmelzen, riesige Wasserstofffabriken errichten und beweisen, dass der teuerste Strom der Welt genau der richtige ist, um den Energiehunger gewaltiger neuer KI-Megagigadenkmaschinen zu stillen. Die Angebote stapeln sich, stündlich fast kommen neue hereingeflattert. "Wir werden das jetzt ordnen", hatte Merz am Republikgeburtstag angekündigt, wenige Tage, nachdem er den Ex-Commerzbank-Chef Marin Blessing zu Deutschlands erstem "Chief Investment Officer" ernannt hatte. 

Deutschlandtempo 2.0! Seit vier Wochen ordnet Blessing nun schon emsig. Der Versuch des "Pioneer" herauszubekommen, wie das genau aussieht und mit wie vielen Milliarden in Kürze gerechnet werden muss, scheiterte tragisch. "Was macht eigentlich Martin Blessing" führt ins Leere. 

Womöglich aufgrund eines unerwarteten und unglücklichen Missverständnisses zwischen CEO Merz und CIO Blessing. Ersterer hatte Letzteren "dazu auserkoren Geld aus dem Ausland zu akquirieren", "potenzielle Investoren gezielt anzusprechen und die Stärken des Investitionsstandorts Deutschland bestmöglich zu vermitteln", wie die "Tagesschau" den neuen Job des "Persönlichen Beauftragten für Investitionen des Bundeskanzlers" (PBIBK) beschrieb. Letzterer war aber wohl eingestiegen, um die Angebote zu sichten, die sich im Kanzleramt stapeln.

Der unsichtbare Sichtbarmacher 

So geht es zum Wohlgefallen aller nicht voran. Die Grünen schimpfen über Lähmung, die Blauen über Unfähigkeit, die Roten wollen allesamt, dass erst mehr ausgegeben wird, ehe über irgendetwas sonst geredet werden darf. Martin Blessing, legendär, seit ihm seine Bank damals nach der Rettung durch die Bundesregierung statt der erlaubten halben mehr als eine Million Euro Gehalt zahlte, hatte "mit seinen ausgezeichneten Kontakten in die internationale Wirtschafts- und Finanzwelt und seinem hervorragenden Ruf für neue Investitionskraft sorgen"  und "die Sichtbarkeit Deutschlands im globalen Standortwettbewerb erhöhen" sollen. Jetzt ist der CIO schon nach vier Wochen unsichtbarer als sein Chef, der wiederum mit dem Ordnen der Investitionsangebote nicht weiterkommt.

Und das ist auch gut so. Selten nur in der Geschichte hat überhastetes Handeln Vorteile gebracht. Als Gerhard Schröder damals nach Moskau reiste, um die ersten großen Lieferverträge für russisches Erdgas zu unterschreiben, saß sein grüner Außenminister nicht mit ihm Flug, protestiert hat Joschka Fischer auch erst später, als es alle besser wussten. 

Nicht handeln ist besser 

Robert Habeck machte die Erfahrung, dass nicht zu handeln immer besser ist als zu handeln, gleich mehrfach. Als er Deutschland vor der Gaskrise rettete, indem er in Katar einen Diener vor einem Scheich machte, wusste er nicht, dass Katar noch gar kein Gas hat, sondern alles aus Amerika heranschaffen wird. Ebenso ging es ihm mit Intel, dem großen, steifen alten Chipriesen, dem er zehn Milliarden anbot, damit die Amerikaner sich darauf einlassen, "die Stärken des Investitionsstandorts Deutschland" (Tagesschau) selbst auszuprobieren. Hätte Habeck von KI gewusst und davon, dass Chips nicht Chips sind und Intel kaum mehr Hightech-Hersteller als die Kaffeeautomatenschmiede WMF, wäre er gleich nach Thüringen gereist, um die 1-Megabit-Chip-Fabrik auf DDR-Zeiten wieder anzufahren.

Die, von fortschrittlichen Menschen  mit positivem Zukunftsbild lange und von einige bis heute als das bessere Deutschland geschätzt, liefert aber auch ohne eine Wiederbelebung ihres großen Mikroelektronikprogramms - in der EU jetzt als "Chips Act"  eine gesetzliche Vorgabe - die Blaupause für den Fortschritt. "Die Mikroelektronik ist der Schlüssel für eine gute Zukunft unseres Landes", hat Friedrich Merz seinen Teilvorgänger Honecker eben erst zitiert. Sie sichere Freiheit und Wohlstand. "Die Wachstumschancen, die unsere Industrie dadurch hat, wollen wir besser ausschöpfen. Denn: Technologische Souveränität und wirtschaftliche Stärke gehören zusammen."

Merz ohne Schlüssel 

Sätze wie aus verschiedenen Büchern zusammengestoppelt. Der Regierungschef eines Lands ohne Mikroelektronik nennt sie einen "guten Schlüssel für die Zukunft", weil sie, die es nicht gibt, "Freiheit und Wohlstand" sichere. Er hält dann kurz inne und sprich anschließend von "Wachstumschancen, die unsere Industrie dadurch hat", verwunderlicherweise, denn wirkliche High-Tech-Chipfabriken hat Deutschland eben nicht. Und die will er "besser ausschöpfen", weil "technologische Souveränität und wirtschaftliche Stärke" zusammengehören - fehlt eins, fehlt das andere. Gut beschrieben, Herr Bundeskanzler. 

Mitten im Quengeln über die hohe Staatsquote, die explodierende Verschuldung, den Verfall der Kaufkraft und die grassierenden Wohlstandverluste steht der so oft verlachte kleine Staat mit seiner 40-jährigen Geschichte Modell für die Möglichkeit, mit einer Staatsquote von 50 bis 80 Prozent noch geraume Zeit ganz kommod weiterexistieren zu können.

Es ist noch Zeit und Platz 

Die Deutsche Demokratische Republik lag kaum jemals unter 50 Prozent, allein schon wegen ihrer angeblich volkseigenen Staatsbetriebe. Ab 1972 aber, als die  letzten privaten Unternehmen verstaatlicht (sic!) wurden, kletterte der Staatskonsum so hoch, dass vier von fünf Mark direkt von einer Hosentasche in die andere wanderten. Die Bundesrepublik steht mittlerweile bei einer Staatsquote, die sich stabil über 50 hält - doch um den Beinbruch, der das aus Sicht von Liberalen, Libertären und den Starken Schultern ist, die nicht teilen wollen, ist das keineswegs. Bis zu den 80 Prozent ist noch viel, viel Platz. Und sind sie erst erreicht, blieben noch fast zwei Jahrzehnte, ehe wirklich abgepfiffen wird.

Mittwoch, 29. Oktober 2025

Zitate zur Zeit: Furchtbar enttäuscht

Für den Wertgehalt des Euro garantiert Christine Lagarde persönlich.

Ich habe immer gesagt, dass Krypto-Assets hochspekulative, sehr riskante Vermögenswerte sind. Ich mache mir Sorgen um diejenigen, die davon ausgehen, dass es sich um eine Chance handelt, die die Risiken nicht verstehen, die alles verlieren werden und die furchtbar enttäuscht sein werden.

Christine Lagarde warnte bereits 2022 vor Krypto-Assets. Bitcoin-Kurs in Euro damals: 20.000

Stadtbildschwur: Frühsport statt Mord

Haus- und Hofgemeinschaften besseres Stadtbild
Haus- und Hofgemeinschaften könnten die Kietze künftig sicher und lebenswert machen.

Früher war es der Benzin-Gipfel, der Euro-Gipfel, der Auto- und der Migrationsgipfel oder der wöchentliche Krisengipfel wegen des Corona-Virus. Zuletzt machten dann Stahl-, Energie- und Chemiegipfel Eindruck auf die Wählerinnen und Wähler, denn sie zeigten: Auch wenn die Regierung nichts tut, sie ist sich der unlösbaren Probleme durchaus bewusst und sie scheut sich nicht, das auch ganz offen zu zeigen.  

Die Geschichte lehrt, dass vieles sich von selbst klärt, wenn es gelingt, Zeit ausreichend verstreichen zu lassen - und sei es mit Hilfe eines Gipfels, dessen äußerte Konsequenz von vornherein im Raum steht. Ein Zehn-Punkte-Papier, das nach neuerer Rechtssprechung auch zwölf, 15 oder 44 Punkte haben darf. Anstriche, die eine beruhigende Medienwirkung erzeugen. Es fahren schwarze Limousinen durch die "Tagesschau", hinter dem Ansager vorbei. Es wird sich gekümmert, droben im Kanzleramt. Manchmal erscheinen die Gipfel sogar auf dem Balkon.

Große rote Gipfelerfahrung


Auch die SPD hat große Gipfelerfahrung. Kein Spitzentreffen weit nach Mitternacht, an dem in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht einige Genossen teilgenommen haben, um sich neoliberalistischen, umweltschädlichen und unsozialen Lösungen in den Weg zu stellen. Parteiintern ist der Gipfel stets der Moment, an dem sich die Grundgesamtheit der Sozialdemokraten auf die Essenz dessen einigt, was den Traum vom Sozialismus am Leben hält: Der Klassenkampf unten gegen oben, das Stellungnehmen für die Ärmeren und das Wegnehmen von den Reichen. 

Dass Friedrich Merz von der von ihm selbst eingeleiteten Stadtbild-Diskussion nicht profitiert hat, heißt für die deutsche Sozialdemokratie nicht, dass sie selbst es nicht doch noch könnte. Bei den aktuellen Umfragedaten ist jedes Mittel recht, auch das verzweifelte. Die Aussichten mögen nicht rosig sein. Aber wer nichts macht, macht nichts verkehrt. 

Verständnis für krude Thesen 

Bis in die Arbeiterklasse hinein hat Merz Verständnis für seine kruden Thesen gefunden. Viele Bürgerinnen und Bürger lehnen die Verelendung der Innenstädte ab. Sie fühlen sich nicht wohl in vermüllten Parkanlagen und ihre Sympathien für Männergruppen, die eben noch friedlich rauchend vor einer Shisha-Bar stehen und am nächsten Tag schon als blutige Polizeimeldung im Lokalblatt, hält sich in Grenzen.

Sogar nach einer umfassenden Medien-Kampagne, die nahelegte, dass es entweder nirgendwo gar kein Stadtbild gibt oder eins, das nie anders aussah oder aber kaum jemals hübscher als heute, spüren die Genossen an der Basis ein gewisses Fremdeln der Bevölkerung mit denen, die sagen, das sei alles gut so. Warum also nicht einen Stadtbild-Gipfel? Jetzt, wo alle anderen großen Probleme gerade schon gelöst sind oder aber in Kommissionen verschoben, die frühestens im Januar mit wegweisenden Beschlüssen aus dem Hinterzimmer zurückkehren werden?

Kleingeister sind beunruhigt 

Mag auch eine schwere Strukturkrise der deutschen Industrie die Kleingeister beunruhigen, die Industrieproduktion schon im fünften Jahr schrumpfen und mögen die Unternehmen schneller Arbeitsplätze abbauen als der Staat neue schaffen kann. Das Stadtbild, das ist en vogue. Beim Stadtbild weiß niemand, das haben  viele Spitzenpolitiker, aber auch wichtige Kommentäter bestätigt, was gemeint ist. Aber so weiß auch keiner, wovon die Rede sein könnte.

Das sind weit bessere Voraussetzungen für eine fruchtbringende Versammlung als bei Stahl- und Chemiegipfel. "Die Debatte um Sicherheit im öffentlichen Raum muss versachlicht werden", sagen zehn SPD-Abgeordnete, die mit einem Acht-Punkte-Papier in die langsam auslaufende Debatte um das Für und Wider von Stadtbildern eingestiegen sind. Alle sollen sie kommen, die Vertreter von Großstädten, kommunalen Verbänden und Fraktionen, die fern des Alltags der normalen Leute lebenden Gelehrten aus den Bionadevierteln, die Politiker aller Farben diesseits der Brandmauer und die Sicherheitsbehörden, von denen man sich Expertise erhofft.

Kanzleramt ist viel zu klein 

Das Kanzleramt ist natürlich viel zu klein für eine solche Vollversammlung aller Verantwortlichen. Das Treffen muss in einer Halle stattfinden, besser noch in einem Stadion, denn der sozialdemokratische Plan "für ein soziales, sicheres und solidarisches Stadtbild" enthält zahlreiche grundstürzende Transformationsvorschläge für ein sicheres Stadtbilderlebnis in Deutschland.

So haben die Initiatoren erstmals grundlegend herausgearbeitet, woran Medien und Oppositionsparteien bei der Entschlüsselung von Merz`Stadtbildbehauptungen bisher scheiterten. Ja, heißt es da, es gebe "Schwierigkeiten im Stadtbild". Und die hätten "vielfältige Ursachen". Unumwunden räumen die Autorend es acht-Punkte-Planes "soziale Missstände, Wohnungsnot, Verwahrlosung öffentlicher Räume, fehlende soziale Infrastruktur und unzureichende Prävention" ein. Bezahlbares Wohnen, stabile Renten und sichere Arbeit, die drei großen Versprechen der SPD im Jahr 2021, sie sind offenbar uneingelöst geblieben.

Verengte Debatte 

Asyl, Flucht und Migration, die Punkte, die bisher aus dem Begriff "Stadtbild" herausgelesen worden waren, kommen nicht vor. Wer sie nenne und die Debatte damit "verenge", verhindere Lösungen, schreibt die Gruppe der Initiatoren. Was es brauche, sei "Klarheit" darüber, wovon in diesem Zusammenhang geredet werden solle und worüber nicht: Man müsse sichere Wegekonzepte für Innenstädte schaffen, eine insgesamt bessere Beleuchtung in ganz Deutschland, in dem ja zusehends das Licht ausgehe. Auch die Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten komme infrage. Denn was es brauche, seien "lebenswerte Innenstädte mit Zukunft". 

Die Vorstellungend er SPD-Arbeitsgruppe sind recht konkret. Das Stadtbild der Partei sei "Sozial. Sicher. Solidarisch." und begreife "unsere Innenstädte als das Herz unserer Gesellschaft". Dort, wo sich abends vielerorts niemand mehr hintraue, seien die Lebensräume, die als "Orte des Zusammenhalts, der 
Begegnung und der demokratischen Teilhabe" darüber entscheiden, "ob Menschen sich sicher fühlen, 
Gemeinschaft entsteht und Kultur, Arbeit und Wohnen zusammenfinden". Eine Herausforderung zweifellos – "aber Friedrich Merz benennt das falsche Problem". 

Verbalkampf auf höchstem Niveau 

Politischer Verbalkampf auf höchstem Niveau. Geschickt deuten die Verfasser des dreiseiten Stadtbild-Programms hier an, dass der Bundeskanzler durchaus ein Problem berührt habe. Nur eben eins, das besser unerwähnt bleiben sollte, weil es sich "nicht durch Ausgrenzung, sondern durch soziale Politik 
bewältigen" lässt. Ehe wegen des falschen Problems noch ein falscher Verdacht aufkommt, wird klargestellt: "Als Sozialdemokrat:innen bekennen wir uns zu Deutschland als Einwanderungsland." Staatsbürgerschaft sei nichts Sichtbares und jeder, der "in unseren Städten lebt, sich einbringt und engagiert ist Teil unseres gemeinsames Stadtbildes". 

Klare Kante. Landbewohner, die nur zu Besuch sind, Touristen, aber auch Stubenhocker und Egozentriker gehören nicht dazu. Damit ist die "Debatte über Stadtbilder" endlich bei einer "Präzision in der Analyse und Klarheit in den Antworten" angelangt, die es den Stadtbildsozialdemokraten möglich macht, "eine gemeinsame Position der Regierungskoalition zur "Zukunftsstrategie Innenstadt 2030+" zu fordern. Die sieht vor, Innenstädte zu betreiben, "die halten, was sie versprechen", in denen Leben pulsiert und Begegnung wie Gemeinschaft der Alltag sind. 

Ein wegweisender Acht-Punkte-Plan 

Um dahin zu kommen, schlägt der "Acht-Punkte-Plan für ein soziales, sicheres und solidarisches Stadtbild" ganz konkrete Schritte vor. Sicherheit müsse man "breiter denken", denn sichere Innenstädte bedeuteten "Freiheit innerhalb verlässlicher Strukturen – besonders für Frauen, Mädchen sowie Seniorinnen und Senioren". Großstadtjungs können oft schon früh auf sich selbst aufpassen, Kranke und andere Angehörige von vulnerablen Gruppen lernen meist schnell, das "echte Sicherheit durch Respekt und soziale Verantwortung" entsteht, nicht durch Angst oder Abschottung oder dadurch, dass junge Leute in der Bahn aufstehen.

Die SPD setzt eindeutig auf Prävention statt Ausgrenzung. Mehr aufsuchende Sozialarbeit, stationäre und mobile Beratungs- und Gesundheitsdienste, Antidiskriminierungsarbeit und Programme gegen rassistische Gewalt, um die marodierenden Nazi-Gruppen von den Straßen zu bekommen, das ist ein Teil der neuen Stadtbildstrategie. Der andere sieht nachhaltige Unterstützung für Drogensüchtige vor, mit niedrigschwelligen Hilfsangeboten, Drogenkonsumräumen, mobilen Gesundheitsdiensten und intensiver Sozialarbeit. Flankierden sollen neben Lampen und Notrufsystemen auch Bundes- und Landespolizei, kommunale Ordnungsdienste, Bahn-Sicherheitskräfte und Streetworker eingesetzt werden. Gebildet sollen zudem "Haus- und Hofgemeinschaften", die gemeinsam für ein besseres Stadtbild einstehen.

Kanten gegen Kriminalität 

Klare Kante gegen die, die es nicht verstehen wollen: "Gegen Kriminalität muss effektiv und im rechtsstaatlichen Rahmen vorgegangen werden", lässt die SPD keine Zweifel an ihrer Entschlossenheit zu, "Angsträume durch gepflegte, einsehbare und belebte Orte" zu ersetzen. Eine solche gesellschaftliche Präsenz schaffe Kontrolle - gewährleistet werden könnte etwa durch ein abendliche Ausgehpflicht für alle, organisiert als Gegenteil der in der Pandemiezeit exekutierten Ausgangssperren. 

Je nach Anfangsbuchstaben des Nachnamens wären Bürgerinnen und Bürger einmal wöchentlich and er Reihe, draußen vor der Tür nach den Rechten zu sehen und auf sogenanntes Catcalling zu achten. Um die Wege für die Spaziergangsstreifen kurz zu halten, plant die SPS das Wohnen und Arbeiten in der Innenstadt bezahlbarer zu machen. Dadurch könnten mehr Menschen direkt in der City wohnen, es kehre wieder Leben in die Zentren ein und kurze Wegen zwischen Arbeit, Freizeit und Alltag sorgten für soziale Vielfalt als "Grundlage für Sicherheit, Zusammenhalt und Lebensqualität".

Parks, Bäume und Frühsport 

Ohne Parks, Bäume und Grünflächen als "sichere Orte des Miteinanders" ist das alles kaum denkbar. Die deutsche Sozialdemokratie will deshalb künftig nicht nur KI-Gigafabriken, Chipkonzerne, nachhaltige Energieerzeugung und Energieverbrauch durch E-Autos fördern, sondern auch Grünflächen, Wasserstellen, Sitzgelegenheiten, Märkte, Kultur- und Sportangebote im öffentlichen Raum. Anwohner, die freiwillig beim Frühsport vor dem Haus mitmachen, könnten prämiert werden. Der Staat würde dafür Sorge tragen, dass sie stets Wasser und eine Stuhl finden, wenn sie im großstädtischen Dschungel unterwegs sind, um den "stationären Handel" als "sozialen Treffpunkt und Versorgungsanker" zu erleben.

Das alles wird sehr sauber sein, denn auch ein "gepflegtes Stadtbild steht für Respekt". Erstmals regt die SPD-Arbeitsgruppe vor diesem Hintergrund "klare Regeln gegen Vermüllung, Pfandsysteme in der 
Außengastronomie und Programme für Stadtsauberkeit" an. Aus einem neuen Bundesprogramm, das sich an Maos 00-Blumen-Bewegung orientiert, sollen "fünf Millionen Stadtbäume für 
Deutschland" finanziert werden, die "Städte widerstandsfähig und lebenswert machen". 

Zwischen den Stämmen wird entsiegelt, das Schwammstadtprinzip durchgesetzt und mit Hitzeschutzmaßnahmen, Dach- und Fassadenbegrünung ein kühleres, lebenswertes Stadtklima geschaffen. damit das nicht von Vermietern missbraucht wird, die für ihre Gewerbeimmobilien keine Nutzer mehr finden, wird das Mietrecht so geändert, dass Eigentümer verpflichtet sind, Leerstand zu vermeiden. 

Mit digitalen Werkzeugen 

So könnten Handel, Gastronomie, Kultur und Handwerk dann gemeinsam darangehen, die Innenstädte beleben - auch mit "digitalen Werkzeugen", die kein Selbstzweck sein werden. Nein "digitale Stadtplattformen, Smart-City-Konzepte und lokale Innovationsnetzwerke" werden bundesweit 
ausgerollt. Anschließend sorgt ein "regelmäßiges Stadtbild-Monitoring" transparent dafür, dass der  Zustand und die Entwicklung der Innenstädte stets im Blick bleibt. Bis zum Jahresende soll sich die Regierungskoalition einheitlich zu diesem gemeinsamen Verständnis von "Stadtbilds" bekennen, das dann entweder durch einen parlamentarischen Beschluss im Bundestag oder durch einen feierlichen Stadtbildschwur auf einem "Stadt der Zukunft"-Gipfel im Berliner Olympiastadion beeidet wird.


Dienstag, 28. Oktober 2025

Trumps Vorbild: Ballsaal Berlin

Ein Blick auf Washington von oben: Das berühmte Weiße Haus ist kaum mehr zu erahnen, dafür dominiert der neue Ballsaal (rechts) das Stadtbild.

Satellitenbilder zeigen ein längliches Loch, das tief ins Schwemmland an der Spree reicht. Doch hier direkt vor dem Eingangsportal des Reichstages in Berlin sucht die deutsche Politik nicht nach Lithium, Seltenen Erden oder einheimischem Erdgas, um es nach einem aufwendigen Genehmigungsprozess in der Erde zu belassen. Nein, hier wird seit einem halben Jahrzehnt an Deutschlands Sicherheitsarchitektur gebaut: Ein Aha-Graben, offiziell "Antifaschistischer Schutzwall" genannt, soll künftig verhindern, dass Heilpraktiker*nnen, Schwurbler und Impfleugner erneut versuchen, das Hohe Haus zu stürmen.  

Getarnte Befestigungsanlagen 

Auch an die Tarnung der neuen Befestigungsanlagen ist gedacht worden. Offizielle geht es bei den Bauarbeiten darum, den Deutschen Bundestag als "ein gastfreundliches und ein gern besuchtes Haus" noch attraktiver zu machen. Der frühere Reichstag soll "ein einladendes, sich offen präsentierendes und barrierefrei gestaltetes Gebäude" werden, "das sich denkmalverträglich in den Großen Tiergarten einfügt", beschloss der Bundestag bereits 2019

Jährlich strömen zwei bis drei Millionen Menschen aus aller Welt in das nach zehn Jahren Bauzeit 1894 fertiggestellte Reichstagsgebäude – nicht nur, um den schönen Ausblick von der gläsernen Kuppel zu genießen, sondern auch, um von der Dachterrasse ganz oben auf die Baustelle des Burggrabens zu schauen, der später von unten erst zu sehen sein soll, wenn etwa russische Truppen unmittelbar bis zum Grabenrand vorgestoßen sind. 

Deshalb auch der Name Aha-Graben: Die Bezeichnung stammt aus der klassischen Gartenarchitektur und spielt auf den Umstand an, dass es sich um einen optisch unsichtbaren Graben handelt, der den Blick auf das von Paul Wallot im Stil der Neorenaissance mit barocken und klassizistischen Elementen entworfene Gebäude nicht stört. 

Überraschende Negativmauer

Der Name leitet sich von der Überraschung ab, die der zehn Meter breite und 2,50 Meter tiefe Graben beim Näherkommen auslöst – ein spontaner Ausruf wie "Aha!". A steht dabei für Abstand, H für Halt, nicht weitergehen! und das zweite A für Außengrenze. Beim Blick von der Dachterrasse des Bundestages auf das moderne Berlin der demokratischen Mitte entfährt vielen Besuchern der Ruf zum zweiten Mal. Von hier oben wird das ganze Ausmaß der Bauarbeiten klar, die weit über eine Mauer mit negativer Bauhöhe hinausgehen. 

Dit is Berlin und hier in Mitte, dem Stadtbezirk, der nach dem zentralen Ideal unserer Demokratie benannt wurde, baut das neue Deutschland an einer nachhaltigen, gerechten, vielfältigen und grünen Version jenes "Germania", das frühere Kanzler und Parteiführer in den märkischen Sand hatten betonieren wollen.

Peinliche Infrastruktur 

Es wird "nicht gekleckert, sondern geklotzt" (Heinz Guderian). Auch wenn die Infrastruktur nach Jahrzehnten mit schwarzen und roten Regierungen deutschlandweit  nur noch "peinlich" ist, wie der aktuelle SPD-Chef drastisch formuliert hat,  zeigt die Großbaustelle im Herzen der Hauptstadt, was möglich ist. Im "Band des Bundes", einer modernen Stadt inmitten des zuletzt vielkritisierten Stadtbildes des traditionellen Berlins mit seinem Müll, seinen Drogenhändlern, beschmierten Fassaden und hohen Mieten entstehen neue Gebäudegruppen am Spreebogenpark und prächtige Erweiterungsbauten für Heerscharen neuer Mitarbeiter des Kanzleramtes. 

Der neue "Campus im Kanzlerpark" ist ein Hingucker: Es handelt sich um ein Ensemble aus einem halbrunden Gebäude mit sechs lichten und transparenten Stockwerken und zwei eingeschossigen Bauten, in denen Serviceeinrichtungen für die inzwischen auf 750 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsene Belegschaft des Bundeskanzleramts untergebracht werden. Dazu gehören auch eine Kantine und ein "Veranstaltungsbereich" genannter Ballsaal, an den sich ein eigenes Brief- und Logistikzentrum mit Hubschrauberlandeplattform anschließt, das auch E-Mails empfangen können soll. 

Globaler Führungsanspruch 

Dieses Regierungsviertel meldet unübersehbar Ansprüche an. Für nur knapp zwei Milliarden Euro Baukosten katapultiert es Deutschland vom Fleck weg an die Weltspitze. Mit künftig 50.000 Quadratmetern Grundfläche vollzieht der Regierungssitz nach, was das deutsche Parlament schon hinter sich hat: Der Bundestag ist auch nach der zuletzt verordneten Schrumpfkur weiterhin die größte demokratisch gewählte Volksvertretung weltweit. 

Das Kanzleramt wird demnächst 16 Mal größer sein als das amerikanische Weiße Haus und 20 Mal größer als die berühmte "Number 10" Downing Street der britischen Europa-Abtrünnigen. Dabei sind die neuen Festungen von  Bundesnachrichtendienstes, Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz noch nicht berücksichtigt, die sich wie schützende Arme um die empfindliche Herzkammer legen.

Von Treptow über die Chausseestraße zieht sich ein sogenanntes "Sicherheitsband" aus zehntausenden Tonnen Stahl, hunderttausenden Kubikmetern Beton und zehntausenden Kilometern Kabel, das von 2.000 Firmen vor Ort erschaffen wurde. Allein im repräsentativen neuen Berliner Betonbunker des Bundesnachrichtendienstes, errichtet nach einem Masterplan von Kleihues + Kleihues, werden 4.000 Mitarbeiter*nnen unterkommen, beim BKA sind es 500. Die Zahlen des Verfassungsschutzes sind streng geheim.

Ein selbstbewusstes Statement 

Doch das selbstbewusste Statement der größten Demokratie in Europa wirkt. Noch sind die Trümmer des alten Berlin, das aus einem und auf einem Sumpf entstand, nicht komplett beiseitegeräumt und die  gigantischen neuen Verwaltungsgebäude in der geplanten mehrdimensionalen Installation "Band des Bundes"nicht fertig, schon aber zeigt sich auf der anderen Seite des Atlantik, dass das deutliche Signal aus Deutschland verstanden wurde.

Hektisch und ohne Baugenehmigung versucht US-Präsident Donald Trump, mit den deutschen Bauarbeiten Schritt zu halten. Der "Demolition Man" (FAZ) ließ den Ostflügel im Weißen Haus abreißen, um seinem "pseudo-monarchischem Gehabe" durch den Bau eines vergoldeten Ballsaales Ausdruck zu verleihen. 

Alles ist falsch 

Alles daran ist falsch, von der Zerstörung des Jacqueline-Kennedy-Gartens (Der Spiegel) über das opulente Gold im Oval Office bis zum Abriss des 1942 auf Anweisung von Theodore Roosevelt errichteten Gebäudeteils. Trumps Emissäre waren in Berlin, um sich auf der Baustelle in Mitte Anregungen für gerade Linien, klassische Bögen und gestalterische Wucht durch weitläufige Klimaglasflächen zu holen. 

Doch statt der von der gläsernen Reichstagskuppel symbolisierten Transparenz deutschen Regierungshandelns, umgeben von viel moderner Kunst und etlichen Mahnmalen, die auch als Bürgerforen dienen, setzt Trump auf elitären und exquisiten State Ballroom im klassizistischen Stil, zu dem am Ende nur etwa 1.000 der mehr als 340 Millionen US-Amerikaner Zugang erhalten werden.

300 Millionen Dollar will der Autokrat sich den Bau kosten lassen - das sind 37.500 Dollar pro Quadratmeter. Eine exorbitant hohe Summe, vergleicht man sie mit wichtigen Infrastrukturbauten in der EU. So baut Europas Grenzschutzagentur Frontex sich in Warschau derzeit für nur 250 Millionen Euro ein neues Hauptquartier mit 70.000 Quadratmetern Nutzfläche für ein Zehntel der Baukosten. Auch der geplante kleine Kindergarten im "Band des Bundes" - gedacht für den Nachwuchs von Bundestagsabgeordneten, 15 Plätze, Baukosten 2,8 Millionen Euro - kommt mit 18.500 Euro deutlich billiger. 

Trumps verzweifelter Bauwahn 

Trumps verzweifelter Bauwahn, mit dem er die neue Berliner Mitte zu überstrahlen versucht, ist beinahe so teuer wie die 180 Meter lange Fahrradbrücke über die Chemnitzer Kalkstraße. Dieser Premiumradweg aus 284 Tonnen Stahl und 840 Quadratmetern Carbonbeton, der in nur 15 Monaten für acht Millionen Euro errichtet wurde, gilt derzeit als Goldstandard für öffentliche Bauten. Der Quadratmeterpreis lag hier bei etwa 48.000 Euro, doch 90 Prozent der Bausumme übernahm der Bund, das Geld fehlt also niemandem.

Der Radweg ist fertig, aber noch nicht komplett. Aus den 180 Metern sollen in den kommenden Jahren mehr als 13 Kilometer werden, der Rest der geplanten Strecke werde aber deutlich günstiger, so dass der Bau insgesamt keine 500 Millionen Euro kosten werde, heißt es in Sachsen. Auch beim Bundestag ist der Tag der endgültigen Fertigstellung noch nicht absehbar. Die "Unbilden des Baugeschehens", hat der frühere Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse einmal philosophisch zusammengefasst, seien "eine eigene große Welt". 

Golden-Gate-Phänomen 

Es ist das sogenannte "Golden-Gate"-Phänomen, das jede Planung zunichte macht. Zwar wurde der Reichstag innerhalb von nur zehn Jahren errichtet. Doch weil Sanierungs- und Ausbauarbeiten stets deutlich länger dauern als anfangs gedacht, geschieht, was bei der berühmten Brücke in San Francisco Tagesgeschäft ist: Sobald die Malermannschaft, die das Bauwerk streicht, an einem Ende angekommen ist, muss am anderen wieder angefangen werden, weil Wind und Wetter der Farbe zugesetzt haben. 

Da der Bundestag zwingend "ein würdiges Empfangsgebäude mit der Möglichkeit, sich auf den Besuch im Bundestag inhaltlich vorzubereiten" benötigt, muss die Öffentlichkeit noch Geduld haben. Bis 2030 investiert der Bund knapp 200 Millionen Euro, um ein würdiges Empfangsgebäude in klassischer Lagerhallenarchitektur, zwei Tunnel und den Sicherheitsgraben "in bemerkenswerter Ausführung" realisieren zu lassen. 

Doch es geht voran: Seit die Kommission des Ältestenrates des Bundestages für Bau- und Raumangelegenheiten 2018 einstimmig beschloss, mit den "Planungen zur Realisierung der in der Beratungsunterlage des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung dargestellten Variante 1 (trockener Graben) fortzuführen", sind erst sieben Jahre vergangen. Und doch zeigen Satellitenbilder eben schon, dass der Graben zwischen Regierenden und Regierten beständig wächst.


Mileis bedrohlicher Wahlsieg: Angst vor Ansteckung

Milei Argentinien Zeit Faschismus
Wenn einer von der "Zeit" erst einmal "Faschist" genannt worden ist, ist ihm der Wahlsieg nicht mehr zu nehmen. 

Sie waren gewarnt worden. Argentiniens Präsident Javier Milei wollte einen Kapitalismus ohne Demokratie, er orientierte sich am Nazijuristen Carl Schmitt und nach seinem Wahlsieg führte er sein Heimatland "auf den Weg zum Marktfaschismus" (Die Zeit). So ging er, der "Faschismus", für den nicht nur Milei stand, sondern auch Trump, Putin und Meloni. Eine einzige braune Soße, deren Kettensägenkapitalismus die, die es genau wussten, rundheraus ablehnen mussten. 

Sozialstaat pulverisieren 

Der Ökonomieprofessor war dabei, den Sozialstaat zu "pulverisieren". Er machte nicht Neues, denn in einmal mehr ging es "Wirklichkeit um die gewaltsame Aneignung von Ressourcen der Arbeiterklasse". Vor die warfen sich nicht nur deutsche Medien, sondern auch der deutsche Kanzler in spe: „Was dieser Präsident dort macht", sagte Friedrich Merz, ohne den Namen des Betreffenden in den Mund zu nehmen, "ruiniert das Land, tritt die Menschen mit Füßen."

Der CDU-Vorsitzende hatte seine Ausgabe der Hamburger Wochenschrift "Die Zeit" gründlich gelesen. Er wusste, was Sache ist. Auch für den Chef der deutschen ehemals konservativen war Argentiniens neuer Präsident "El Loco", ein Quartalsirrer mit wildem Haarschopf und noch wilderen Vorstellungen davon, wie eine Gesellschaft funktionieren sollte. Weniger Staat, die Kettensäge für die Bürokratie, Luft für die brandigen Wunden, die die endlose Herrschaft der Sozialisten dem ehemals wohlhabendsten Land Lateinamerikas zugefügt hatte.

Die argentinische Krankheit 

Hohe Inflation und noch höhere Staatsquote, eine Wirtschaft, die nur noch aus Behördenbeamten und Schwarzarbeitern bestand. Armut. Fehlende Investitionen und Innovationen. Sie nannten es die "argentinische Krankheit" und wer wollte, konnte die Parallelen erkennen: Die Symptome Argentiniens sind die gleichen wie die, die dem deutschen Patienten mindestens einmal in der Woche attestiert werden. Nur dass die Krise dort viel weiter fortgeschritten war als hier.

Die Ähnlichkeiten fielen überall auf, am meisten dem ums Überleben kämpfenden damaligen Chef der FDP. Auf den letzten Metern seiner letztlich glücklos verlaufenen politischen Laufbahn war es Christian Lindner, dem in den Sinn kam, Deutschland müsse mehr Musk und Milei wagen, um wieder vorwärts zu kommen. Vorsichtig aber nahm der wahlkämpfende Liberale seine Ankündigung gleich wieder zurück. Mehr als die Schließung des Umweltbundesamtes fiel ihm für sei "wirtschaftspolitisches Reformprogramm, das den Staat schrumpfen" solle, nicht ein.

Nicht mal eine Nagelschere 

Auch die Nagelschere blieb schließlich im Etui. Die FDP verschwand aus dem politischen Raum. Friedrich Merz hingegen war mit dem Einzug ins Kanzleramt am Ziel aller seiner Wünsche. Vom Versprechen, gegen "immer mehr Regulierung, erdrückende Bürokratie, marode Infrastruktur, eine teure Energieversorgung und vergleichsweise hohe Steuern und Abgaben" vorzugehen, blieb ein Bittbrief an  EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die möge doch ein "zügiges Handeln beim Rückbau der Bürokratie" einleiten.

Mileis Argentinien galt deutschen Medien und der deutschen Politik als abschreckendes Beispiel. Die Erfolge, die der 55-Jährige beim Zurückschneiden des Staatsapparates, beim Kampf gegen die Inflation und beim Einschwenken auf einen Wachstumskurs feierte, wurden kaum beachtet. Wenn der argentinische Präsident auftauchte, dann als Rechtspopulist oder "Ultrarechter", gern auch als "Ultraliberaler" oder "Faschist". Immer aber als "Gefahr für die Demokratie", ein Mann, der mit einem desaströsen Politikstil Menschenrechte verletzte, die Armen noch ärmer machte und mutige Journalisten verbal angriff. NOGs auf der Suche nach neuen Feinden forderten die EU und die Bundesregierung zwischendurch sogar einmal auf, Handelsgespräche mit Argentinien auszusetzen. Bis das Land auf den Pfad der Tugend zurückgekehrt sei.

Durchwachsene Bilanz 

Milei ist auf Kurs geblieben. Statt wie die neue Bundesregierung darauf zu vertrauen, dass sich der Niedergang der größten europäischen Industriennation problemlos noch zwei, drei oder vier Jahre weiterverwalten lassen wird, tut er, was er angekündigt hatte.

Dass ein solcher Mann eine Wahl gewinnt, war aus deutschen Medienbunkern gesehen mindestens so unwahrscheinlich wie die beiden Wahlsiege Donald Trumps in den USA. Seine Bilanz nach zwei Jahren war nur "durchwachsen" wie die Deutsche Welle über den "ultrarechten Systemsprenger" urteilte, der "sich mit Opportunisten, Jasagern und Schmeichlern umgeben" habe. Die Frankfurter Rundschau hoffte angesichts von Umfragenwerten, dass es "knapp für Trumps Kumpel Milei" werden würde. Das "Handelsblatt" sah "Mileis liberale Partei zwar noch vor den oppositionellen Peronisten". Aber die Trauer angesichts dieser Tatsache ist nicht zu verkennen. 

Verglichen mit dem, "was die Bundesregierung bisher geschafft hat" (Tagesschau), kann Milei so gut wie nichts vorweisen. Der Bundeskanzler hat eine Billion neuer Schulden organisiert, das Bürgergeld umbenannt und fast unfallfrei nicht einen, nicht zwei, sondern drei neue Verfassungsrichter wählen lassen. Zudem werden die neue E-Auto-Prämie, der "Investitionsbooster" mit deutlich schnelleren Abschreibungsmöglichkeiten und die Senkung der Körperschaftssteuer - ab 2028 in fünf Schritten jedes Jahr um ein Prozent bis 2032 - die Wirtschaft in Kürze wieder in Schwung bringen.

Ein mieses Zwischenzeugnis 

Wie traurig liest sich dagegen Mileis Zwischenzeugnis, wenn es deutsche Blätter ausstellen. Der Haushalt weist zum ersten Mal seit 14 Jahren einen Überschuss auf. Aus einer Rezession mit minus zwei Prozent ist ein Wachstum von fünf Prozent geworden. Die Armutsquote von einem Höchstwert von rund 53 Prozent auf etwa um die 30 Prozent gesunken. Obwohl die Staatsausgaben um ein Drittel zusammengestrichen wurden. Milei trete die Menschen in seinem Land "mit Füßen", hat sich Friedrich Merz gerade noch rechtzeitig vom Argentinier distanziert, ehe der Argentinier auf diese Weise "ruinieren" (Merz) konnte.

Es hätte noch alles gut werden können. Hätten die Argentinier nach Jahren mit galoppierender Inflation, wirtschaftlicher Depression und Dauerkrise auf die deutschen Warnungen vor dem "ziemlich hohen Preis" des radikalen Umbaus gehört und Mileis sozialistischer Konkurrenz ihre Stimmen gegeben.  "Konsequenter Klassenkampf", wie er von der SPD gefordert wird, hätte gegen den Mann helfen können, der "Argentinien zum teuersten Land Südamerikas" gemacht hat, indem er "die Finanzierung öffentlicher Ausgaben mit der Notenpresse" beendete (Spiegel). 

Viele Argentinier, hatte die "Tagesschau" noch kurz vor der Wahl auf der Suche nach einem Hoffnungssignal für das andere Argentinien ermittelt, "sind wütend. Viele kommen kaum über die Runden." Der deutsche Blick auf Argentinien ist von der Sorge um das eigene Sozialstaatsmodell geprägt. Sollte der Libertäre Erfolg haben, was alle Götter des Sozialismus verhüten mögen!, wird sich die Frage sehr laut stellen, wie viel Milei und wie viel Kettensäge Deutschland braucht. Selbst ob die Drohung dann noch zieht, die demokratischen Grundwerte erforderten es aber, weiterzumachen wie bisher, so lange es irgend geht, ist nicht ausgemacht.

Berlin und die Begleitkapellen 

Nach der Logik des politischen Berlin und seiner Begleitkapellen dürfte ein solcher Politiker nicht die geringste Chance haben, auch nur eine Wählerstimme einzufahren. Und so sitzt die Enttäuschung tief, dass es doch so gekommen ist: Deutlich angewidert meldet die "Tagesschau" den Sieg seiner Partei La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) mit "Mileis Partei gewinnt wohl deutlich". Für die Hamburger Redaktion unverständlich, denn "zwar ist es ihm gelungen, den Haushalt auszugleichen und die Inflation zu senken". Doch der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung bleibe bisher aus und "auch Mileis Popularität war zuletzt wegen seiner Ausgabenkürzungen und des Korruptionsskandals gesunken".

Das Beten hat nicht geholfen. Das Beschwören von der üblen Folgen von Mileis Politik hielt fast 41 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht davon ab, der rechten "Perücke" (Der Spiegel) zu einer noch stärkeren Präsenz im Parlament zu verhelfen. Javier Milei "spalte das Land", betreibe "autoritäre Politik" und er habe einen "radikalen Kurs der sozialen Kahlschlagpolitik" eingeschlagen, um seine "libertäre Revolution" auf Kosten der Menschen durchzuziehen - es ist der Sound, der schon bei Trump so schrill klang und bei Meloni ebenso.

"Trotz aller Selbstbeweihräucherung ist die Lage in Argentinien prekär", heißt es beim früheren Nachrichtensender ntv erleichtert. Noch ist Hoffnung, dass alles in die Binsen geht beim "libertären Experiment des Anarchokapitalisten" Von zehn Wählern seien drei trotz geltender Wahlpflicht zu Hause geblieben. "Und von den übrigen sieben gaben nur drei Milei ihre Stimme." Das ist fast wie in Ludwigshafen. 

Ob Mileis Erfolg in Deutschland so lange abschreckend wenigstens so wirken wird, dass die demokratische Mitte sich auch noch über die nächste Runde nach 2029 schleppen kann, ist nicht ausgemacht.

Montag, 27. Oktober 2025

Reste von Rechtsstaat: Ende der Unschuld

Klingbeil Dobrindt Einnahmen
Die Große Koalition macht Druck: Zwei Minister, zwei innovative Ideen. 

Erst war es ein bedauerlicher Einzelfall, im Übereifer des Gefechts um die Wahrung der Meinungsfreiheit passiert. Polizeibeamten besuchten den früheren Universitätsprofessor Norbert Bolz, um Beweismittel in einem Fall von mutmaßlicher Volksverhetzung sicherzustellen. Wissentlich, aber Bolz eigener Aussage nach in Unkenntnis der Tragweite, hatte der 72-Jährige eine verbotene Nazi-Parole in Umlauf gebracht.

Zur geplanten Durchsuchung der Wohnung des Publizisten kam es nicht, weil Bolz seine Urheberschaft am Zitat aus einem Tucholsky-Gedicht einräumte. Die Polizisten führen daraufhin noch eine kurze Gefährderansprache vor, erledigt. Doch keine 72 Stunden später erwischte es den nächsten namhaften Onliner.  

Zweiter prominenter Fall 

Auch Ruprecht Polenz, ehemals Generalsekretär der CDU und aus dem Ruhestand heraus bekanntester Influencer der Grünen bei Elon Musks Plattform X, wurde wegen des gleichlautenden Zitats bei der Aufsichtsbehörde Hessenhetzt angezeigt. Obschon zwei Jahre alt, gilt der Kommentar des 79-jährigen Meinungsführers des Klimaflügels der Union als nicht verjährt. 

Wegen der Verwendung einer nationalsozialistischen Parole, die gegen das Verbot, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu verwenden, verstößt (§ 86a StGB), droht dem ehemaligen Politiker eine Verurteilung. Eine Haftstrafe muss Polenz allerdings wohl nicht fürchten. Für die Höhe der Strafe dürfte die Geldstrafe von 13.000 Euro beispielgebend sein, die im vergangenen Jahr gegen den AfD-Politiker Björn Höcke verhängt worden war. 

Gelöschter Tucholsky 

Die Signalwirkung wäre auch damit gegeben. Direkt nach den ersten Nachrichten über das entschlossene Vorgehen der Behörden gegen Norbert Bolz reagierten Internetaktivisten, indem sie Tucholskys Gedicht beim Online-Lexikon Wikipedia löschten. Eine andere Seite zeigt derzeit noch eine ganze Reihe von verbotenen Parolen. Doch mittlerweile spricht sich herum, dass die frühere Faustregel, nach der ein "Hl Htlr" oder "Sg Hl" etwa ein Monatsgehalt kostet, hinfällig ist.

In München, ehemals die "Stadt der Bewegung" hatten Staatsanwaltschaft und Gericht neue Saiten aufgezogen: "Um jeden Anschein einer Wiederbelebung derartiger verfassungswidriger Bestrebungen in Deutschland zu vermeiden", erhöhten sie die Strafe für einen angetrunkenen Rufer auf zwei Monatsgehälter.

Es tut sich was im Kampf gegen den Eindruck, der Staat schaue zu oft nur zu, weil es ihm an Entschlossenheit mangele, der Anfänge zu wehren. Das demonstrative Vorgehen gegen Bolz und Polenz ist dabei nur ein kleiner Teil einer strengeren Strategie bei der Verfolgung von Hetzer, Wiederbelebern, Steuerhinterziehern und Überbesitzenden. 

Handlanger von Betrügern 

Finanzminister Lars Klingbeil etwa preschte beim Kongress der Chemie-Gewerkschaft IGBCE mit einer Attacke gegen die steuerberatenden Berufe vor, denen er vorwarf, einer bestimmten Klientel als Komplizen bei deren Versuchen zu dienen, den Staat um seinen Anteil an der Wertschöpfung zu bringen. "Da gibt es genug oder einige, die den Staat auch in der Lage sind systematisch zu betrügen, weil sie sich die teuersten Berater leisten können und Steuersparnisse erkaufen oder nie Steuern bezahlen", warf der SPD-Chef Steuerberatern, Steuerkanzleien und Lohnsteuerhilfevereinen den Fehdehandschuh hin. 

Einen Unterschied zwischen legaler Steuervermeidung durch Nutzung der - wenigen - noch verbliebenen Anrechnungsmöglichkeiten von Aufwendungen und Steuerhinterziehung kann Lars Klingbeil nicht mehr machen. Zu groß sind die Löcher im Haushalt, zu erschreckend die Aussichten für die nächsten Jahre. Selbst einem studierten Politologen, der noch nie im Leben ein Ministerium geleitet hat, schwant angesichts der wirtschaftlichen Perspektiven, dass neue Einnahmequellen erschlossen werden müssen, um wenigstens den starken Staat vital zu halten.

Neue Einnahmen durch umgekehrte Beweislast 

Populistische Parolen gegen Helfershelfer von legalen Steuersparern können dabei helfen, zumindest so lange sich Bundeskanzler Friedrich Merz den Forderungen der SPD verschließt, mit höheren Steuern auf die wachsenden Herausforderungen zu reagieren. Doch auch Alexander Dobrindt, Klingbeils Kollege im Innenressort, hat entsprechende Ideen präsentiert. "Ich arbeite an einem Gesetz, das eine Beweislastumkehr vorsieht", erklärte der Minister den Sendern RTL und ntv. Wer die legale Herkunft seiner Rücklagen nicht nachweisen könne, dem drohe künftig eine "vereinfachte Einziehung". 

Vorbild ist hier der § 73 StGB, der bisher im Falle von Straftaten greift: Haben Täter Vermögenswerte durch eine rechtswidrige Tat etwas "erlangt", heißt es im Gesetz, "ordnet das Gericht dessen Einziehung an". Voraussetzung ist bislang, dass eine Anklage erfolgt und ein Urteil fällt, nachdem bewiesen worden ist, dass eine Schuld vorliegt.  Nach Dobrindts Beweislast-Plan soll das bald nicht mehr nötig sein. Dank der neuen, von Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbarten Beweislastumkehr würde der Verdacht einer  "unklaren Herkunft" von Vermögen ausreichen. Besitzer wären dann verpflichtet, einen schlüssigen Nachweis vorzulegen, dass ihr Erspartes legal erworben wurde. Anderenfalls fiele es an die Staatskasse.

Abschaffung der Unschuldsvermutung 

Diese Abschaffung der Unschuldsvermutung, die bisher noch als eines der Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens gilt, wird im politischen Berlin als innovativer Schritt heraus aus der staatlichen Lähmung gesehen. Der Verdacht "illegal erlangten Reichtums", hat Sachsens CDU-Finanzminister Christian Piwarz vorgeschlagen, würde reichen, um Besitzer unter Rechtfertigungsdruck zu setzen. Gelingt ihnen der Nachweis eines legalen Erwerbs nicht, käme das Vermögen ohne weitere Umstände der Allgemeinheit zugute. 

Dafür ein zentrales Stück Erbe der europäischen Rechtsphilosophie zu opfern, das seit der Aufklärung als unerlässlicher Bestandteil des modernen Rechtsstaates eingeschätzt wurde, ist kein zu hoher Preis, weil die Koalition eine grundrechtewahrende Neuregelung plant. Nach Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, an der sich die Väter - und Mütter des Grundgesetzes orientierten, ist "jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist." 

Dabei, dass der Beschuldigte nicht seine Unschuld, sondern die Strafverfolgungsbehörde seine Schuld beweisen muss, bleibe es künftig. Allerdings nicht im sogenannten Besitzbereich, den weder die Vereinten Nationen noch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) oder das Grundgesetz eigens erwähnen. Weil der eben, so heißt es im politischen Berlin, eben nie mitgemeint gewesen sei.