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Viele ältere Männer im Osten Deutschland wären durchaus noch in der Lage, den Russen einige Stunden an der Oder aufzuhalten. |
Sie sind wehrunwürdig, sie stehen im Verdacht, mit dem Kreml und seinem völkerrechtswidrigen Angriff auf die verbündete Ukraine zu sympathisieren. Zudem sind sie alt, häufig krank und an Waffen ausgebildet, die das deutsche Verteidigungsministerium direkt nach dem Anschluss der verbliebenen deutschen Ostgebiete an kriegführende Entwicklungsländer wie die Türkei verkauft hat.
Soldaten und Offiziere, die ihren Dienst oder Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee der DDR oder in deren menschenverachtenden Grenztruppen absolviert haben, wurde mit dem Einigungsvertrag von der Ehre ausgeschlossen. Das neue, wiedervereinigte Deutschland mit der Waffe in der Hand gegen anstürmende Feinde verteidigen darf nur, wer nicht schon den Uniformrock des anderen Deutschland getragen hat. Mit gutem Grund: Das DDR-Offizierskorps bestand zu 80 Prozent aus Mitgliedern der SED, die sich der deutschen Einheit - inzwischen umbenannt in PDS - bis zum letzten Augenblick gemeinsam mit den Grünen entgegenstellte.
Deutschland hatte zu viele Soldaten
Auch die von der Staatspartei mit Drohungen und Druck zum sogenannten Ehrendienst gepressten Wehrdienstpflichtigen erschienen dem damaligen Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg nicht als willkommene Verstärkung seiner Truppen. Der CDU-Politiker stand viel mehr vor der Aufgabe, die Gesamtstärke von Heer, Marine und Luftwaffe schleunigst abzuschmelzen.
Von 500.000 Soldaten, so hatten es die Deutschen der Sowjetunion im Zwei-plus-Vier-Vertrag völkerrechtlich verbindlich zugesichert, würden künftig nur noch 370.000 Mann verbleiben. Die Friedensdividende aus eingesparten Mannschaften und Material setzte Deutschland gewinnbringend ein: Seit Anfang der 90er Jahre stiegen die Ausgaben für Sozialleistungen von 400 Milliarden Euro auf mehr als 1,3 Billionen Euro. Die Bundeswehr wurde in diesen Jahrzehnten nicht besser, nur kleiner. Verteidigungsminister waren mit Abrissarbeiten beschäftigt, sie wollen Deutschland am Hindukusch verteidigen oder sie konzentrierten sich ganz auf den Kampf gegen den inneren Feind.
Das Warten auf höfliche Fragen
Ganz ohne Gefechte blutete das Land aus. Seit dem Aussetzen der Wehrpflicht ist eine Generation herangewachsen, die fest davon überzeugt ist, dass sie im Ernstfall höflich gefragt würden, ob sie nicht Lust verspüren, an der Front ein wenig auf den Feind zu schießen. Ein deutliches Nein, glauben sie, würde die Häscher der Bundeswehr ganz schnell davon überzeugen, sie mit ihrem Cafè Latte Haselnut im Straßencafé sitzen und weiter friedlich pazifizieren zu lassen.
Die letzte Rettung des Vaterlandes, so hat es der aus Ostdeutschland stammende CDU-Vize Sepp Müller jetzt deutlich gemacht, sind die kriegstüchtigen Senioren, die das blutige Soldatenhandwerk noch unter den alten Haudegen Keßler und Hoffmann gelernt haben. Diese Generation der Kalter-Kriegsrentner will Müller, 1989 geboren, als rüstige Reservisten für die Bundeswehr gewinnen. Der Unionspolitiker greift damit eine Idee des Altlinken Dietmar Bartsch auf, der von 1976 bis 1978 selbst noch freiwillig drei Jahre Ehrendienst im einzigen Fallschirmjägerbataillon 40 der Nationalen Volksarmee abgeleistet hatte.
Zurück zum Friedensdienst
Eine Zeitenwende, die gänzlich unerwartet kommt. Noch vor vier Monaten war das Heer der drei bis vier Millionen Männer, die in der DDR zum "Friedensdienst" mit der Waffe gezwungen worden waren, als weiterhin so unsichere Kantonisten eingeschätzt worden, dass ihnen die Teilnahme am neugeschaffenen "Veteranentag" der Streitkräfte hatte versagt werden müssen.
Die bei weitem größte Opfergruppe, die das SED-Regime hinterlassen hat, fand nicht nur weiterhin keine Lobby, die sich für ihren guten Ruf einsetzte. Sondern sie fand eine, die mit ihrem demonstrativen Ausschluss vom "1. Nationale Veteranentag unter dem Motto Vielfalt. Menschlichkeit. Zusammenhalt" (Bundeswehr) keinen Zweifel daran ließ, dass es sich bei den Betreffenden um nach wie vor um Angehörige "fremder Streitkräfte" (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages).
Fleischpolster für das Stachelschwein
Sepp Müller will das Potenzial an Kanonenfutter jetzt aber doch ebnen. Da die Bundeswehr derzeit weder über ausreichend Personal noch über Panzer, Jagdflieger oder gar Drohnen verfügt, um einen durch Polen gebrochenen Gegner aufzuhalten, lockt die schiere Menge an ehemals zumindest rudimentär an russischen Waffen ausgebildeten Männern, die Ursula von der Leyen geplantes das "stählernes Stachelschwein" von außen mit Fleisch polstern könnten. Müller will die infrage kommenden 53- bis 99-Jährigen "zum Heimatschützer" ausbilden, einer Art Blitzkrieger 2.0, der schnellbesohlt wird, aber aufgrund früher gemachter leidvoller Erfahrungen an der Front vermutlich länger durchhält als die jüngere Sofakriegergeneration oder spätberufene Kostümoffiziere.
Die Männer, die schon die friedliche Revolution, den Rückbau der selbsternannten zehntgrößten Industrienation der Welt und die Transformation Ostdeutschlands zu einer national befreiten Zone betrieben haben, wären als Teil der Bundeswehr ein probates Mittel gegen die grassierende Personalnot bei der Truppe.
Als "Reservisten bei der Landesverteidigung" (Sepp Müller) träten sie in die großen Fußstapfen des früheren Volkssturms und der Kampfgruppen der Arbeiterklasse in der DDR. Im Gegensatz zu Marcel Fratzscher, der die Mittfünfziger, Endsechziger und hohen 70er zu einem Zwangsdienst verpflichten will, setzt Müller "auf die Soldatinnen und Soldaten der NVA, die sich freiwillig zum Schutz unserer Freiheit melden".
Ein greises Ersatzheer
Müller selbst kommt für das greise Ersatzheer nicht in Betracht, nicht wegen seines Alters, sondern weil er keinen Wehrdienst geleistet hat. Er wünsche sich "Extrakurse für eine Ausbildung zum Heimatschützer", umreist der gebürtige Wittenberger seine Überlegungen, Lehrgänge anzubieten, die berücksichtigen, "dass die Ex-NVA-Leute bereits wehrpflichtig gewesen" seien. Um ihre Treue zu versichern, müssten die Anwärter auf eine Heimatschützeruniform abschließend ein "Gelöbnis auf das Grundgesetz" sprechen.
Das dient dann vorbeugend auch dazu, den Bannfluch des ehemals geleisteten Eids auf die Deutsche Demokratische Republik, "mein Vaterland" zu brechen und das Versprechen des "allzeit treuen" Dienstes und des Gehorsams den Befehlen der Arbeiter-und-Bauern-Regierung gegenüber aufzuheben.
Dass der Osten rechts ist und seine Männer je älter desto schlimmer, kann im Augenblick höchster Bedrohung keine Rolle mehr spielen. Der Generalverdacht gegen ehemalige NVA-Angehörige, sie könnten im ersten Gefecht ihre Gewehre und Kanonen herumdrehen und an der Seite der Russen Richtung Paris marschieren, ist nicht mehr wichtig angesichts der Aussichten, dass der Russe auch allein bis dahin rollt. Noch können Gediente aus fremden Heeren nicht als Reservisten herangezogen werden, wenn sie nicht zu den 18.000 vielfach überprüften NVA-Offizieren gehören, die von der Bundeswehr übernommen wurden.
Zurück zum Friedensdienst
Da die Bundeswehr im Verteidigungsfall 200.000 Reservisten benötigt, aber nur 50.000 Reservisten hat, würden mehrere hunderttausend noch feldmarschfähige Ost-Offiziere und -Mannschaften den Mangel schlagartig beheben. Eine Anerkennung der ehemals vom SED-Regime verliehenen militärischen Ränge ermöglichte es zudem, sofort einsatzbereite Heimatschutzregimenter aufzustellen. Alt, aber entschlossen. Rostig, aber rüstig. Die NVA als Volkssturm, zurück im Friedensdienst mit der Waffe.