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| In vielen Familien und unter den meisten jungen Menschen ist der Glaube groß, dass der Staat im Ernstfall Bittbriefe schicken würde, um sie an die Front zu flehen. |
Im Grundsatz ist es jetzt entschieden, endlich. Nach nahezu endlosem Streit hat das Bundeskabinett mit der großen Geschlechterfrage kurzen Prozess gemacht. Überraschung! Ja, es sind doch nur zwei. Die Frage, die in den Wochen der leidenschaftlichen Diskussion um das "Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag" (SBGG) zu gesellschaftlichem Zwist, Zerwürfnissen zwischen Demokraten und harten Bestrafungen geführt hatte, wurde mit dem Beschluss über das geplante Gesetz für den neuen Wehrdienst nebenbei mitgelöst.
Doch nur zwei Geschlechter
Zwar sollen in Zukunft alle 18-Jährigen Fragebögen zugeschickt bekommen, um Auskunft darüber zu geben, ob sie Lust und Zeit haben, einen Wehrdienst anzutreten und ob sie sich selbst auch dafür für geeignet sehen. Für alle Männer, die ab dem 1. Januar 2008 geboren worden sind, werden das Ausfüllen und die anschließende Musterung Pflicht. Frauen hingegen können sich der entwürdigenden Begutachtungsprozedur freiwillig unterziehen. Von Amts wegen vorgeladen aber werden sie nicht.
So schnell und einfach geht das, wenn alle mitziehen und niemand querschießt. Keine Frage mehr, wer sich wie definiert. Keine Zweifel mehr daran, wie viele Geschlechter eigentlich existieren. Eine Regelung für Transpersonen hat das Bundeskabinett gar nicht erst getroffen. Der Gesetzgeber geht zuversichtlich davon aus, dass unter den künftigen Musterungskandidaten ausschließlich Männer und Frauen zu finden sein werden. Kritik an dieser transfeindlichen Einheitspolitik ist nirgendwo aufgekommen. Medien überschlagen sich vielmehr in ihren Lobeshymnen für den "Kompromiss".
Auslosung über die Auslosung erst später
Der hatte die zwischen SPD, CDU und CSU strittige Frage der Auslosung der Wehrfähigen, die im Ernstfall wirklich werden dienen müssen, auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Statt eines sofortigen Beschlusses hat die Koalition einen "Monitoringprozess" vorgeschaltet. Fortlaufend soll geprüft werden, wie es um die Wehrwilligkeit der Zielgruppe steht.
Die soll befördert werden durch ein höheres Grundgehalt für Grundwehrdienstleistende. Bis zu 2.600 Euro brutto, netto etwa 2.000 Euro, will Verteidigungsminister Boris Pistorius einfachen Rekruten künftig zahlen. Wer sich davon nicht überzeugen lässt, bekommt für seine Bereitschaft, für Vaterland zu sterben, nach dem Vorbild der DDR eine kostenlose Führerscheinausbildung spendiert.
Sie möchten gern gefragt werden
Pistorius ist optimistisch, dass diese Argumente auch in einer Generation ziehen, die bisher nie damit rechnen musste, zu irgendetwas herangezogen zu werden. Allerdings trifft der 65-jährige Sozialdemokrat mit seinen Anwerbeversuchen auf eine Jugend, deren Kampfbereitschaft deutlich geringer ausgeprägt ist als ihre Überzeugung, dass sie im Ernstfall natürlich gefragt werden würden, ob, wo und unter welchen Voraussetzungen sie denn bereit wären, Deutschland, die europäische Friedensgemeinschaft und den Westen samt seiner Werte gegen die entmenschten Schlächterhorden des Kremlherren Wladimir Putin zu verteidigen.
Unter der Schlagzeile "fragt uns nicht, ob wir für Euch kämpfen würden" fasst die Hamburger Wochenschrift "Die Zeit" das Dilemma einer Altersgruppe zusammen, die ihre Leben lang gepredigt bekommen hat, wie wichtig und bedeutsam jeder einzelne ist, der ihr angehört. Die freie Entscheidung liege immer beim Individuum, haben ihnen ihre Lehrer erzählt. "Malte, wenn Du das nicht willst, dann sag einfach ab", haben Mutter und Vater sie im Glauben bestärkt, letztlich ginge es nach ihnen. Herausgekommen ist eine Generation, die an allem zweifelt, aber nicht an sich selbst. "Ich sehe es nicht ein, für dieses Land zu sterben", sagt einer in der "Zeit"-Tochter "Tagesspiegel", bei "Bild" lässt sich ein anderer so weit herab, dass er großzügig zugesteht: "Ich würde mir den Musterungsbrief mal anschauen".
Wenn die Summe gut ist
Es könnte gut ausgehen für Boris Piostorius, der schon 2029 mit einem Angriff der Russen rechnet und die Bundeswehr deshalb schon bis 2035 auf volle Kampfstärke bringen will. Mancher unter den jungen Leuten "will kein Kanonenfutter werden", andere halten es für "eine Überlegung wert", ob sie sich den Panzer- und Drohnenarmeen der Russen entgegenstellen würden. Schön sei ja an dem Angebot, "dass die jüngeren Leute dadurch auch etwas fitter werden und mehr Disziplin bekommen". Ob er selbst dann aber dabeisein werde, sagt ein 17-jähriger Realschüler skeptisch, hänge "davon ab, was bezahlt wird - wenn die Summe gut ist, wäre ich dabei."
So sprechen Bürger, die es durchaus zu schätzen wissen, im "reichsten Land der Welt" (ZDF, 2018) aufgewachsen zu sein. Jetzt aber ein wenig enttäuscht sind, dass auch die Heerführer Unsererdemokratie sich bei der Vorbereitung eines Waffengangs nicht anders verhalten als die Gesetzgeber im Kaiserreich, unter Hitler und in der DDR: Wieder werden die Betroffenen, die das Ehrenkleid anziehen und das Land verteidigen sollen, nicht gefragt, ob sie darauf eigentlich Lust haben, wie sie sich einen gelingenden Wehrdienst vorstellen und warum sich die Bundesregierung noch vor dem ersten Schuss "stärker ihrer mentalen Gesundheit widmen" müsste.
Die Pazifisten-Generation
Dieser Weg, so viel lässt sich heute schon sagen, wird kein leichter sein, nicht für den Verteidigungsminister, aber auch nicht für seine künftigen Soldaten. Boris Pistorius bekommt es mit Rekruten zu tun, deren Eltern die wahrscheinlich pazifistischste Generation stellen, die jemals auf deutschem Boden gelebt hat.
Die Mütter und Väter der demnächst Musterungspflichtigen sind um das Jahr 1990 herum geboren. Sie wurden damals ins Ende der Geschichte (Francis Fukuyama) hineingeboren. Für sie war "Schwerter zu Pflugscharen" kein Wagnis mehr und gegen Waffen zu sein, war ein Gebot des gesunden Menschenverstandes. So lange sie zur Schule gingen, wurde ringsum abgerüstet. Der Wolf legte sich zum Schaf. Die Nato war "tot" und das war gut so. Niemand würde mehr jemanden angreifen. "Uneingeschränkte Solidarität" (Gerhard Schröder) ließ sich auch mit Geld und guten Worten unter Beweis stellen. Kämpfen ließ man besser die anderen. Die waren es auch zufrieden, denn, das hatte sich herumgesprochen, wer mit die Deutschen an seiner Seite hat, gewinnt ohnehin nie.
Überforderte Friedenskinder
Die aktuelle Situation überfordert die Friedenskinder, die heute sicher sind: "Nie im Leben werden unsere Söhne zum Militär gehen". Nicht weniger als ihre Sprösslinge glauben sie fest daran, dass im Falle des schlimmsten Falles Bittbriefe aus Berlin eingehen werden, in denen Pistorius höflich fragen wird, ob nicht vielleicht jemand Lust und Laune habe, mit der Bundeswehr, dieser insgesamt überbeleumdeten Trachtentruppe, an die Ostfront zu ziehen.
Wer nicht will, der wird nicht müssen, diese Überzeugung einst Väter und Mütter und Söhne. Aus ihrer Sicht, geprägt von der Erfahrung eines Lebens in "75 Jahren Frieden", ist ausschlaggebend, ob junge Leute "nicht in den Krieg ziehen wollen", wie Quentin Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz der Frankfurter Rundschau gesagt hat. Sehen sie "die Notwendigkeit nicht" (Gärtner), gibt es keinen Krieg, weil es keine Soldaten gibt.
Mag die Wahl nach der Wiedereinführung des Wehrdienstes, die nach den ursprünglichen Plänen eine Automatismus hätte sein sollen, im Ernstfall dann aber eine Formsache sein wird, die der Bundestag im Vorübergehend durchwinkt, auch wegfallen - heute schon gibt es eine "Handreichung fürs Ausmustern", mit der die ersten Medien versuchen, Russlands Chancen auf einen erneute Sieg über Deutschland zu mehren.
Unter den "Tipps und Tricks, wie man ausgemustert wird" (Taz) finden sich das Simulieren psychischer Labilität, ein offenes Bekenntnis, unverbesserlicher Nazi-Anhänger zu sein, oder sich freiwillig ein Bein abnehmen zu lassen. Die sicherste, bequemste und von einer Vielzahl junger Menschen ohnehin bereits angewandte Methode wird nicht erwähnt: Frühestmöglich ein Leben voller Genuss zu führen, unter Vermeidung von Sport und Bewegung überhaupt, getreu dem Rat von Winston Churchill: "Sport ist Mord".
Für seine Truppe will Boris Pistorius nur die "fittesten, geeignetsten und motiviertesten" Männer, knackige, kernige Kerle, die endlos marschieren, in Gräben leben und die im Kriegsfall mutmaßlich wie immer etwa 4.000 Kilometer lange Ostfront aufopferungsvoll verteidigen. Fehlende Fitness erspart den Heldentod: 60, 70 Kilo Speck auf den Hüften, Herzprobleme und Muskelschwund durch Bewegungsmangel sind gesünder als das Leben unterm Feuer der 2S35 Koalizija-SW und 2S3 Akazija.
Nie wieder ist jetzt
So einfach ist das. Und so schwer wird es werden, wenn es ernst wird. Natürlich betonen derzeit noch alle Experten, dass auch weiterhin "grundsätzlich alle den Kriegsdienst verweigern" könnten. Denn schließlich dürfe "niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Aber wie lange Grundsätze halten, hat die Geschichte immer wieder gezeigt: Zehn Jahre nur dauerte es vom "Nie wieder" nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg bis zur Wiederbewaffnung. Auch nur etwas mehr als 83, bis das andere "Nie wieder" von demonstrierenden Antisemiten auf deutschen Straßen ad absurdum geführt wurde. Und zwischen den letzten Strafen für die Behauptung, es gebe nur zwei Geschlechter, und dem Kabinettsbeschluss, dass es denn doch nur genau diese zwei sind, waren es nicht einmal zwei.


1 Kommentar:
Warum haben unsere Regierigen die Beschaffung von Rekruten nicht dem BAAINBw überlassen? Wenn der Russ jemanden zum erschießen haben will, muss er ihn halt in Koblenz bestellen.
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