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| Bei Whitley Strieber ist es immer für alles zu spät. Ohne Depopulation hat seine Menschheit keine Zukunft. |
Es war eines dieser am Ende enttäuschenden Jahre. Das Schmunzeln in vielen Gesichtern verschwand. Die Mundwinkel gingen wieder nach unten. 1985 hatte viel versprochen, im 40. Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges schien sich die Welt endlich zum Besseren zu verändern.
In den Moskauer Kreml war Michail Gorbatschows eingezogen, der die alte, überdehnte und überanstrengte Sowjetunion wieder fit machen wollte für die Klassenauseinandersetzung mit dem Kapitalismus. In Wimbledon siegte der erst 17-jährige Boris Becker beim traditionellen Tennisturnier und er machte den elitären Sport der Überreichen damit zeitweise zur Nummer eins vor dem Fußball. Künstlerinnen und Künstler engagierten sich für das Gute. Bei Bob Geldofs Benefizkonzert Live Aid sollte Geld für die Hungernden in Äthiopien gesammelt werden. In Westdeutschland gab es jetzt Privatfernsehen. Im Osten Jeans.
Ausbrütungen am Atommeiler
Doch all das war nur Täuschung, wirre Hoffungsspieleren und "eitler Tand", wie der Maler Franz West eine seiner sogenannten "Ausbrütungen" überschrieben hat. Schon 1986 wich das Gefühl von Zukunft. Der Atommeiler von Tschernobyl explodierte. Auch Gorbatschow log. Die Milch der frommen Denkungsart, sie war radioaktiv.
In Bonn reagierte die Politik mit einer Maßnahme, wie sie auch heute noch wirken würde: Gegen den giftigen Staub aus der Sowjetunion wurde ein Umweltministerium gegründet. Dann fiel das Space Shuttle "Challenger" vom Himmel. Der schwedische Ministerpräsident Olof Palme wurde ermordet. In Wackersdorf demonstrieren Zehntausende gegen den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage für radioaktive Brennstäbe. Es ist die Geburtsstunde des deutschen Atomausstieges.
Vorstufe des Verhängnisses
Whitley Strieber, damals genauso alt wie der Frieden, hat dem Braten nie getraut. Fortschritt, das war für den Verfasser der erfolgreichen Horrorromane "Wolfsbrut" und "Der Kuss des Todes" die Vorstufe des nächsten Verhängnisses. Strieber hatte zusammen mit dem ebenso von Katastrophen faszinierten James Kunetka schon den Roman "Warday" verfasst und darin liebevoll und detailverliebt die Folgen eines Atomkrieges zwischen den USA und der Sowjetunion beschrieben. Mit dem Nachfolger "Nature's End" wollten die beiden Texaner nun zeigen, dass auch Frieden letztlich nichts nützen wird.
Die Natur wird in "Schwarzer Horizont", wie "Nature's End" auf Deutsch überschrieben wurde, mit Volldampf zerstört. Der Himmel ist schwarz, die Luft so dick, dass die Menschen auf den Straßen umkippen. Nur ganz wenige dürfen noch fliegen, Flugzeuge heben aber nur ab, wenn ihre Auslastung hoch genug ist. Wer auf die Wissenschaft hört, der weiß, dass das Sterben nicht schnell genug geht.
Zu viele Menschen
Zu viele Menschen, dieser ewig jungen Theorie hängen auch die beiden Autoren an, verbrauchen zu viele Ressourcen. Zu viel Wachstum sprengt die planetaren Grenzen. "Wir können kein weiteres Wachstum dulden", wird der in Deutschland höchst populäre Philosoph Kohei Saito den an Selbstgeißelung interessierten Eliten im Westen viele Jahre später zur Abschaffung von Demokratie und Marktwirtschaft raten.
Das Gras des japanischen Kommunisten wächst auf Striebers Wiese, die direkt an dem Hang liegt, über den alles menschliche Leben in den Abgrund des Klimakollapses rutschen wird. 2025 und 1985 unterscheiden sich in den Diagnosen wenig. Es steht schlimmer als immer. Nur der Selbstmord bietet noch eine Alternative zum Tod. Der Freiwillen aber sind zu wenigen - für den Fronteinsatz, aber auch für das klimaverträgliche Aussterben daheim. Zwar ist das Bett gerichtet, in dem die "uns umgebende Wirklichkeit" (Robert Habeck) langsam genesen kann. Doch das Schrumpfen geht zu langsam. Kein Geburtenknick ist groß genug, als dass er rechtzeitig genug Wirkung entfalten könnte, um die strengen Klimaziele der Europäischen Union zu erreichen.
Striebers Weg
Die Verantwortlichen wissen das. Sie geben sich alle Mühe, zu tun, was immer möglich ist. Und das erntet Hochachtung, etwa von JPMorgan-Chef Jamie Dimon. Der bescheinigte der EU gerade erst, auf dem richtigen Weg zu sein. Vor einigen Jahren noch habe ihr Bruttoinlandsprodukt bei etwa 90 Prozent des amerikanischen gelegen. "Heute ist es auf 65 Prozent gesunken." Keine Folge von US-Zöllen oder bösartigen Präsidenten. "Das liegt an ihrer eigenen Bürokratie und ihren eigenen Kosten", lobte Dimon, der im Verzicht des alten Europa auf eine weitere Teilhabe an Fortschritt und Mehrung des Wohlstands eine Chance sieht. Es bleibt mehr für die anderen übrig.
Whitley Striebers düstere Prophezeiung aber wird damit unausweichlich Wirklichkeit. Eine übernutzte Welt mit endlichen Vorräten trifft auf eine anmaßende Spezies, die nach der Art der Ureinwohner der Osterinsel lebt und sich selbst verzehrt. Strieber und Kunetka nutzten ihre apokalyptische Vision einer heillos überbevölkerten Erde, auf der die Hungernden wie Heuschreckenschwärme nach Nahrung suchen, um die aus ihrer Sicht einzig mögliche Konsequenz in einem "Depopulationsmanifest" auszuführen. Die beiden Schriftsteller ahnten nicht, dass sie damit eine der haltbarsten Verschwörungstheorien aller Zeiten begründen würden, sie sahen aber selbst ein, dass es einen geschickten Kunstgriff bräuchte, um die Idee in die Welt zu entlassen.
Jeder dritte muss sterben
Im Buch kämpfen also mutige Partisanen gegen Gupta Singh, den Hohepriester der gezielten Entvölkerung, der im Gent des Jahr 2021 die Organisation "Depopulationismus International" ins Leben gerufen hat. "Leben ist Sein, dies ist das erste und letzte, das einzige, was wirklich zählt", behauptet die. Und um das erklärte moralische Ziel zu erreichen, Leben zu bewahren und den Fortbestand der Menschheit auf unbestimmte Zeit zu gewährleisten, müsse leider jeder dritte Mensch sterben, sofort.
Das Depopulationsmanifest stellt die menschliche Überbevölkerung infrage, weil sie vor 40 Jahren alles irdische Leben infrage zu stellen schien. Wie heute immer noch, konstatierten die Kämpfer um die Rettung der Welt auch damals: "Selbst größte Anstrengungen, das ökologische Gleichgewicht durch Wiederaufforstung der tropischen Regenwälder oder durch Veränderungen in der Sonnenreflexion der oberen Atmosphäre wiederherzustellen, können den Zerfall der Erdatmosphäre nicht aufhalten." Und sie stellten Fragen, die heute immer noch - etwa im "Stern" - Bedeutung haben: "Schadet atmen dem Klima"?
Zu viel Atemluft
Aber ja. "Schon die von Menschen benötigte Atemluft genügt, um den Kohlendioxidgehalt in den kommenden dreißig Jahren aus dem Gleichgewicht zu bringen", heißt es im Manifest. Berücksichtige man zusätzlich die Luftverunreinigung durch Industrie und Landwirtschaft, "dürfte im Jahr 2035 der fatale Kulminationspunkt dieses Ungleichgewichts erreicht sein". Unkontrollierte atmosphärische Zerstörung werde dann jegliches Leben auf dem Planeten auslöschen. Ein Zeitrahmen ist nicht genannt. Der inneren Logik des Buches zufolge leben 2021 immer noch viel zu viele Menschen.
Denn "selbst die zwangsweise eingeführte Geburtenregelung hat kaum Auswirkungen gezeigt", heißt es. Obwohl die Bevölkerungszahl der Erde derzeit relativ konstant sei, zeige sie - 1985 - nur eine leicht rückläufige Tendenz. "Doch eine Bevölkerung von über sieben Milliarden Menschen ist schlicht zu hoch, als dass sich die Situation in der verbleibenden kurzen Zeit durch natürliche Ausdünnung entschärfen könnte." Allein durch natürliches Sterben werde die notwendige Reduzierung der Weltbevölkerung um ein Drittel erst im Jahr 2077 erreicht – das sei "viel zu spät".
Auffällig sind die Jahreszahlen. 2035 will die EU den Verbrenner beerdigt haben. 2077, wenn alles nicht klappt, wäre beim derzeitigen Transmutationstempo der halbe Weg zum Austausch der Fahrzeugflotte auf E-Antrieb zurückgelegt.
Fortschritt schadet nur
Schon vor 40 Jahren stand die Grunderkenntnis fest. "Der überraschende technologische Fortschritt der letzten Jahrzehnte, der vielen Milliarden Menschen Gesundheit, Nahrung und Wohlstand gebracht hat, war nichts anderes als eine gut getarnte Zeitbombe", heißt es im Manifest. Alles, was sich positiv auf das Leben von Milliarden auswirkte, "führte zu einer derart grotesken Überbevölkerung, dass nicht einmal mehr die vielgerühmte Macht des menschlichen Geistes uns retten kann". Nur der Depopulationismus biete ein "humanes Programm zur Erhaltung aller bedrohten Spezies, die durch die übermäßige Ausbreitung des Menschen gefährdet sind".
Die Beteiligung am kollektiven Selbstmord der Menschen, die Chris Korda, Sohn des Schriftstellers Michael Korda, ehemals Musiker und später Gründer der Church of Euthanasia, als freiwillige Leistung predigt, haben Whitley Strieber und James Kunetka zu einem Programm gemacht, das "die gleichmäßige Beteiligung aller Nationen an der Reduzierung ihrer Bevölkerung auf eine Weise fordert, die keine Minderheit völlig auslöscht und der Wirtschaft keinen irreparablen Schaden zufügt".
Schonend und gerecht
Die Autoren sind sich gewiss: Es muss schonend und gerecht zugehen bei der geplanten größten Mordaktion der Menschheitsgeschichte. Die Reduzierung der Anzahl der Menschen müsse "wie ein global koordiniertes Kommando-Unternehmen durchgeführt werden, an dem alle lebenden Menschen teilnehmen". Zu einem festgelegten Zeitpunkt werde die gesamte Menschheit ein zuvor ausgegebenes Mittel einnehmen, das bei einem Drittel der Betroffenen den Tod zur Folge hat.
"Für die proportionale Verteilung innerhalb ihrer Staatsgrenzen sind die einzelnen Nationen verantwortlich", heißt es im Manifest. Das Programm sei "ohne lange Verzögerungen umzusetzen, die Identifizierung der Toten erfolgt durch die Überlebenden unmittelbar nach Beendigung der Aktion". Die nationalen Rotkreuz-Organisationen seien verantwortlich für die Betreuung der Sterbenden, die Identifizierung der Verstorbenen und ihre Beseitigung nach den jeweiligen örtlichen Gebräuchen.
Vorsorge gegen Verweigerer
Nicht jeder, das ahnten die Autoren, werde frohen Mutes und im sicheren Gefühl, sein Scherflein zur Rettung der Welt beizutragen, mitmachen. Durch eine international koordinierte Polizeiaktion müsse Sorge getragen werden, dass "Zögernde zwangsweise von einer Teilnahme" überzeugt und Leugner der Notwendigkeit einer Bevölkerungsreduzierung "kein Anlass zur Weigerung gegeben" werde.
Dass sich ganze Staaten nicht beteiligten wollen werden, weil sie aus Selbstsucht und Egoismus andere für sich sterben lassen wollen, haben die Macher des Depopulationsplanes ebenso vorhergesehen. Länder, die sich der globalen Aktion widersetzten, "werden wirtschaftlich boykottiert, bis sie einlenken – oder bis Hunger und Krankheiten den notwendigen Bevölkerungsrückgang herbeigeführt haben".


1 Kommentar:
Olof Palme wurde ermordet ...
Er wurde gerichtet. War aber leider schon zu spät.
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