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| Seit der Ausweisung der ersten Kritikverbotszonen sind Monate ins Land gegangen. Doch weil es an strengen Kontrollen fehlt, machen Fälle von Regierungskritik noch immer Schlagzeilen. |
Was soll das Geraune über Deutschlands Niedergang,
die Unfähigkeit der Regierung
und das Zugehen auf Rechtsextreme bringen?
Tim Bartz vom "Spiegel" setzt sich für strenge Kontrollen in den Kritikverbotszonen ein
Es reicht. Seit den offenbar von Russland koordinierten verbalen Angriffen auf Politikerinnen, Politiker, demokratische Institutionen und die letzte Bundestagswahl tobte die Diskussion um die Ausweisung bestimmter Kritikverbotszonen (KVZ) im politischen Berlin schon. Doch mit der Aufdeckung umfangreicher Kritiknetzwerke, die die Bundesregierung bislang daran hindern, die wirtschaftliche Stimmung in Deutschland zu drehen, hat das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" der Sicherheitsdebatte um die KVZ jetzt eine neue Dringlichkeit gegeben.
Maßlose Bosse
Erstmals konnte aufgedeckt werden, hinter der verbotenen Kritik an der Regierung" (Spiegel) häufig "die Maßlosigkeit der Bosse" steckt. Nur weil die Standortbedingungen in vielen Branchen keine rentierliche Wirtschaftstätigkeit mehr zulasse, analysiert Unternehmensberichterstatter Tim Bartz, schwängen sich "Manager und Wirtschaftsvertreter" zu überzogener Kritik an der Regierung aus. "Das beschädigt die Demokratie" folgert Bartz, der als Redakteur bei der deutschen Ausgabe der Financial Times selbst Erfahrungen mit einer Unternehmensschließung aus kurzsichtigen wirtschaftlichen Gründen sammeln konnte.
Der Effekt der bisher ausgewiesenen Kritikverbotszonen ist nach Angaben aus den einzelnen Bundesländern immer noch als eher gering einzuschätzen. Wo immer Spitzenpolitiker auftreten, um ein konsequentes Festhalten an Reformplänen und Klimazielen zu verkünden, die Einsetzung weiterer Kommissionen bekannt zu machen oder neue planwirtschaftliche Prämissen zu popularisieren, ernteten sie nach wie vor teils lauten Widerspruch.
Bas' krude Rententhesen
Die Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas, selbst Sozialdemokratin, war Unternehmern und Verbandsvertretern wegen einiger kruder Thesen zur Rentenfinanzierung ausgelacht worden. Wenig später führte eine ARD-Sendung Bundeskanzler Friedrich Merz zur besten Sendezeit als eine Art Deutschland-Narr mit schwarz-rot-goldener Rüschenkette vor. Ein Staatsmann wird lächerlich gemacht. Und das im Staatsfernsehen, das Kulturstaatsminister Wolfram Weimer eben erst in einer umständlichen Warnung einen "Echoraum der Beliebigkeit" mit einem "Filter für genehme Gesinnungen" genannt hatte.
Verständlich, dass das im Regierungsviertel Verdruss erzeugt. Inzwischen begegne die Wirtschaft "Bundeskanzler Friedrich Merz, seinen Ministern und dem gesamten politischen Betrieb mit einem Maß an Häme und Verachtung, das jedes Maß sprengt", hat der "Spiegel" herausgefunden. Nur weil die Bundesregierung auch nach einem halben Jahr im Amt keine greifbaren Fortschritte bewirkt habe, sei es unzulässig, ihr vorzuhalten, sie könne "nur die eigenen Finanzen sanieren" (Der Spiegel).
Übergriffige Ktitiker*innen
Negiert wird dabei, dass Merz der erste Kanzler war, der jemals in der deutschen Geschichte bis zum Sommer eine Stimmungswende versprochen hatte. Merz hatte die Grenzen schließen, die Atomkraftwerke wieder anfahren und die Strompreise senken wollen. Auch bei der Lieferung von "Taurus"-marschflugkörpern an die Ukraine steltle er sich entschlossen gegen den lauen, abwartenden Kurs seines Vorgängers Olaf Scholz. "Ohne Reichweitenbegrenzung" werde er liefern, hatte Merz zugesagt. Ein Mann, ein Wort. Er allein stellt sich in diesen Tagen den Warnungen entgegen, mit einer Beschlagnahme des russischen Vermögens in Belgien riskiere die EU einen Bruch des Völkerrechts. Und er ist es, der klargemacht hat, dass seine Regierung eines Tages liefern werde.
Statt ihm die Zeit zu geben, wenigstens so viel wie Angela Merkel über ihre vier Amtszeiten zugestanden wurde, kriechen die Meckerer, Zauderer und Zweifler aus den Löchern. "Wer dieser Tage zuhört, wenn Manager, Unternehmer, Banker oder Wirtschaftsanwälte über die Regierung und den Bundestag reden, bekommt den Eindruck, dass sie nicht nur konkrete politische Entscheidungen ablehnen, sondern die ganzen mühsamen Verfahren der parlamentarischen Demokratie", berichtet Tim Bartz aus den Salonetagen der vom Merz eingeleiteten "Wirtschaftswende".
Umbenennung von Bürgergeld und Heizungsgesetz
Nichts reicht ihnen. Nicht der erhöhte Mindestlohn. Nicht die Umbenennung von Bürgergeld und Heizungsgesetz. Unzufrieden geben sich die großen Firmen darüber, dass der Industriestrompreis nur sehr, sehr wenige Unternehmen zugutekommt, die dafür aber umfangreiche bürokratische Berichts- und Nachweispflichten erfüllen müssen. Gequengelt wird auch darüber, dass im gesamten Herbst der Reformen keinerlei Bürokratieabbau gelang. Und darüber, wie lange das Bundeskanzleramt braucht, aus den großen Stapeln von Investitionsangeboten ausländischer Großunternehmen handfeste Erfolgsmeldungen für den Standort zu machen.
Bereits Anfang Oktober, pünktlich zum Festtag der Deutschen Einheit, hatte Merz bekanntgegeben, dass die entsprechenden "Berge" von Investitionsanfragen "nur noch geordnet" werden müssten. Für viele Wirtschaftskapitäne zieht sich das aber nun wohl zu lange hin. Bei ihnen wächst "die Anziehungskraft autokratischer Systeme, die Grenze zwischen berechtigtem Frust über mangelndes Reformtempo und generellen Zweifeln am System wird löchrig", appelliert der "Spiegel" an ein höheres Maß innerer Stärke und mehr Zutrauen in die Gewissheit, dass am Ende alles gut werden wird.
Der "Spiegel" schwurbelt mit
Vom "Wachstum nur auf Mininiveau" schwurbeln die Gazetten und der "Spiegel" schwurbelt kräftig mit. Angeblich aus Gründen der Informationspflicht bieten selbst verantwortlich handelnde Redaktionen immer öfter denen eine Plattform, die trotz der längst beschlossenen Turboabschreibungen "fehlende Reformen" beklagen. Und das, obwohl Finanzminister Klingbeil bald positive Effekte erwartet.
Behauptungen, dass ein Reformstau das Wachstum der deutschen Wirtschaft bremse und eilfertige Zurücknahmen von Wachstumsprognosen sind kein Zeichen demokratischer Stärke, sondern eines für eine Glaubensschwäche. Deren Gründe liegen offen zutage: Obwohl seit der Verabschiedung des Sicherheitspakets im Bundestag und der Ausweisung erster Kritikverbotszonen bereits Monate vergangen sind, mangelt es laut Bundesinnenministerin an einer konsequenten Umsetzung des Kritikverbots.
Nur Toleranz für Kritziker
Nur rechtlich gesehen gelte "null Toleranz". Im Alltag aber fehle es Meinungsfreiheitsschützern, den von der EU mit der Führung von Verdächtigenlisten beauftragten Trusted Flaggern, Geheimdiensten und polizeilichem Staatsschutz an der Handhabe, anlasslos strenge Kontrollen durchführen zu können. Selbst weltweit bewunderte Sonderstaatsanwaltschaften wie die Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet könnten nur zu den alljährlichen "Aktionstagen zur Bekämpfung von Hasspostings" wirklich durchgreifen.
An den übrigen 364 Tagen ist die Lage kaum mehr zu beherrschen. So zitiert der "Spiegel" Thomas Schulz, den Chef des Industriedienstleisters Bilfinger, mit einem ungeheuerlichen Satz. "Die Politik ist schwach, wenn man über Sachen nur redet, aber nichts durchführt", habe der Manager ganz unbekümmert vor mehreren Zuhörern gesagt. Wer so handele, der sei "in der Industrie nicht lange CEO, da reden wir nicht über 100 Tage; da sind Sie schneller weg", habe er zudem nachgeschobe - offenbar sicher, nicht belangt werden zu könne.
Kenntnislose Dampfplauderei
Eine Satz, der eine Haltung verrät. Und ziegt, "wie in diesen Kreisen zuweilen gedacht wird", wie Tim Bartz im "Spiegel" zusammenfasst. Diese "kenntnislose Dampfplauderei" sei "kein Einzelfall", der Drang, sich negativ zu äußern, wird von keiner Strafandrohung wirksam eingedämmt. Einer, der alles schlechtredet, nur weil es schlecht aussieht, kommt zum anderen.
Die Lobby der Familienunternehmer und Großindustriellen wähnt den Wirtschaftsstandort Deutschland "im freien Fall", wie Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) behauptet. Und sie suhlt sich im Leiden an Standortbedingungen, die Bartz als die "wirtschaftspolitischen Trümmer der Ära Angela Merkel" bezeichnet, an denen gerade die AfD, mit der mancher Manager flirtet, eine große Aktie habe.
"Beschämend platt"
"Das ist falsch und beschämend platt", hat Tim Bartz das "Geplapper über einen unaufhaltsamen Niedergang Deutschlands" sachlich widerlegt. Auch die Merz-kritische ARD-Sendung "Die 100" hatte kürzlich bestätigt, dass "Deutschland immer noch die drittgrößte Industrienation" sei. Wer das nur wegen einem seit einem halben Jahrzehnt anhaltenden Abstieg leugen, "kreiert man eine Panikstimmung, auf die keine Regierung adäquat reagieren kann".
Das sind Zustände, wie sie in einem Land mit gepflegter Meinungslandschaft nicht hinnehmbar sind. Polizei und Behörden haben jetzt angekündigt, Kritikverbotszonen in Deutschland straffer durchzusetzen. Die Einhaltung der Kritikverbote werde "strikt kontrolliert werden", heißt es im politischen Berlin. Die grundgesetzliche gewährte Meinungsäußerung bleibe dabei "umfassend gewahrt" und Deutschland bei den Grundrechten auch in Zukunftein global wettbewerbsfähiger Freiheitsraum.
Es braucht härtree Kritikkontrollen
Die strafferen Zügel, mit denen die Einhaltung von lokalen und regionalen Kritikverboten überwacht werden sollen, diene nicht der Unterdrückung unerwünschter Äußerungen. Ins Visier sollen die zuständigen Organe ausschließlich die nehmen, die mit ihrem Gemaule einer Partei eine Bühne verschaffen, "die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Weltoffenheit und soziale Marktwirtschaft verachtet" (Bartz). In zweiter Linie sollen die Prüfer aber auch ein Auge haben auf Leute, die "hinter vorgehaltener Hand zugegeben" Sympathien fü einen Präsidenten zu haben, den die Europäische Union als Gegner begreift.
Gegen die Verführungskraft des Modells Trump, das nach Erkentnnissen des "Spiegel" gerade "unter den Führungsleuten der Wirtschaft Sympathie" genießt, weil die Spitzenmanager "zügige Wirtschaftspolitik per Dekret" gut fänden, kann eine in gegenseitiger Blockade gefangene Koalition wie die schwarz-rote in Berlin nur unzureichend glänzen.
Populistische Symbolpolitik
SPD, CDU und CSU versuchen, was sie können, etwa mit der Abschaffung des Klagerechts für Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe, die aus der gerichtliche betriebenen Blockade von Investitionen ein Geschäftsmodell gemacht haben. Doch solange selbst solche symbolischen Gesten straflos als unzureichend, ineffizient und als populistische Symbolpolitik verhöhnt werden dürfen, dringt auch die Argumentation nicht durch, dass Merz' Vorgängerin Anghela Merkel an allem schuld ist. Nur die rasche und harte Ausweitung und strenge Kontrolle der Kritikverbote kann hier Entlastung schaffen.


1 Kommentar:
FTD und Spiegel? Da werden Erinnerungen an Thomas Fricke wach, einen mindestens so zuverlässigen Kontraindikator wie Fratscher, Kempfert oder Stöcker.
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