Montag, 11. März 2013

Trittin-Rente: Trend zur Tüte


Zehn Jahre nach Einführung der Trittin-Rente planen die Grünen für den Fall eines Wahlsieges im September einen Ausbau des Erfolgsmodells einer Aktiv-Zusatzversorgung. Als neue sozialpolitische Maßnahme will Jürgen Trittin nach seiner Rückkehr ins Amt das Pfand auf Einwegflaschen, das heute Lebensgrundlage eines ganzen neuen Berufsstandes ist, auf sogenannte "umweltschädliche Plastiktüten" (Stern) ausweiten. Pro Tüte wird nach den Plänen der Grünen künftig eine Abgabe von 22 Cent erhoben. Damit solle einerseits die Verwendung erdölbasierter Kunststoffe eingeschränkt werden, andererseits gebe die neue Abgabe vielen Geringverdienern die Möglichkeit, einen Zusatzverdienst durch das Sammeln und Zurückbringen von benutzten Tüten zu erzielen.

"Deutschland könnte eine solche Abgabe sehr schnell einführen, wenn der politische Wille dazu da ist", sagte die umweltpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Dorothea Steiner. Wie beim Energieausstieg könne Deutschland dmit wieder "einer der Vorreiter in Europa sein." Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Rebecca Harms, ist von der Idee überzeugt: "Einweg-Plastiktüten, die zu Tausenden im Meer landen, bedrohen das Meeresleben immer mehr." Gerade in Deutschland, das zu großen Teilen aus Küstengebieten besteht, sei die Gefahr akut. Sie unterstütze deshalb Umweltabgaben, auch wenn diese nicht von der EU, sondern von den Mitgliedsstaaten eingeführt werden müssten."

zuvor hatte bereits EU-Umweltkommissar Janez Potocnik ein Diskussionspapier zur zusätzlichen Besteuerung von Plastiktüten vorgestellt. Allein 2010 seien EU-weit 95,5 Milliarden in Verkehr gebracht worden, berichtete der Tscheche. Nach den Plänen der Grünen ergäbe sich daraus für Gesamteuropa eine zusätzliche Steuerbelastung für die Bürger in Höhe von rund 21 Milliarden Euro. Bei einer Pfandlösung würde eine großer Teil dieser summe direkt in die Sozialsysteme fließen.

Soziale Lösung: Ein Land aus Pfand

In Scheißestürmen: Die Macht der Masse


Am Anfang glaubt jeder noch, er könne da durch, er müsse nur den Kopf einziehen, die Wahrheit werde siegen und alle an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfe würden sich in Luft auflösen. Christian Wulff hat so gedacht. Brigitte Schavan dachte so. Guttenberg glaubte es. Die Band Freiwild. Und der Versandkonzern Amazon.

Doch im Shitstorm, der aus dem Internet kommt, wo einige tausend anstrengungslos abgesetzte Klicks das Meinungsbild eines ganzen Volkes imitieren können, geht am Ende noch jeder unter, oder doch fast jeder. Rainer Brüderle, der anderthalb Wochen führende Sexist der Republik, überstand den nach einem Schulaufsatz einer Stern-Reporterin gegen ihn losgebrochenen Orkan schweigen. In der Hoffnung, ein neues Thema werde den Druck von ihm nehmen.

Das Thema kam, so wie diese Themen immer kommen. Pferdefleisch und Online-Handel, was für eine Aufregung! Und gegen den Auftritt der italienischen Band Freiwild auf einem Rockfestival musste auch noch protestiert werden – deutsch singende Ausländer auf unseren deutschen Open-Airs? Weg mit ihnen. "Dann wollen wir mal festhalten, was ab sofort alles nicht mehr gemacht wird, weil wir ja schließlich ordentlich konsequente Menschen sind", heißt es im Cicero), "keine Äußerungen mehr über Dirndl. Kein Billigfleisch mehr essen. Konto bei Amazon kündigen und dort nicht mehr einkaufen." Keine Apple-Produkte mehr und diverse Textilherstellern meiden. Und so weiter. Das sei "eine ganz beachtliche Liste, wenn man bedenkt, dass diese Zahl löblicher Vorhaben alleine in den ersten sechs Wochen des Jahres zustande gekommen ist". Rechne man die Aufreger-Quote hoch, komme man Ende 2013 auf ein rundes Dutzend allerbester Vorsätze. "Und am Neujahrstag 2014 ist die Welt eine bessere, Brüderle im Ruhestand, Amazon pleite und die Lasagne pferdelos lecker."

So wird es nicht kommen, denn keiner der Scheißestürme, die als Erregungsstampede über Land fegen, bewirkt mehr als eine zunehmende Verengung des Spektrum dessen, was erlaubterweise gedacht, gesagt und getan werden darf. In dieser Logik liegt, dass sich inzwischen schon entschuldigen mjuss, wer sein Gegenüber in der politischen Auseinandersetzung "Clown" nennt. "So funktioniert das inzwischen in diesem rasanten Wechselspiel zwischen Netz, analoger Öffentlichkeit und routiniertem Abwiegeln", analysiert "Cicero", "irgendwo bei Twitter geht´s los, erreicht das gemeine Fußvolk bei Facebook oder womöglich sogar „Spiegel Online“, das Donnergrollen wird lauter, führt zu routiniert-zerknirschten Reaktionen oder auch einfach nur Aussitzen, Amazon feuert den Sicherheitsdienst, Kubicki will nie wieder mit Journalistinnen schäkern, der Schlingel, und Brüderle sagt praktischerweise gar nix mehr."

Ein intellektuelles Rauchverbot, das nach Allgemeingültigkeit stinkt. Die Macht der Masse ist beängstigend. Bringt eine zur Not auch in ihr Gegenteil verdrehte Parole die Schwungmasse all der Facebooker, Twitterer und Petitionsunterzeichner erst einmal in Gang, hält niemand mehr die Stampede auf. Ein Toben und Brüllen im Virtuellen, vielmals gespiegelt von der ehemals vierten Gewalt, die den Aufregungsstürmen die Richtung vorgibt, um aus ihren Rückkopplungen anschließend richtungsweisende Fortsetzungen zu stricken. Die Empörung Kreis um sich selbst, der entschiedenste Widerstand ist nur einen Mausklick weit entfernt. Wie ein verstärker funktionieren die ums Überleben kämpfenden Zeitungen und Magazine, die in jeder Aufwallung einen "Protest" sehen, der sich in Aufmerksamkeit umsetzen lässt. Dabei versprechen "spektakuläre Netzzusammenrottungen mehr Klicks und Aufmerksamkeit als die Probleme eines Notrufs in der Oberpfalz", wie es in der FAZ heißt.

Es geht heute gegen die und morgen gegen das, es geht gegen Bahnhofsbau und GEZ, aber für die Bewahrung der ineffizienten und für den Verbraucher teuren Wasserversorgung in Deutschland, es geht gegen verlogene Politiker und gegen ausbeuterische Unternehmen, gegen Sexismus, Überwachung, Fleischverzehr und Fernsehmetereologen. Und vor allem geht es nie um irgendetwas von Belang. Kein Shitstorm bricht los, wenn Billionen verbraten werden, kein Klickfinger regt sich, wenn Grundsatzverträge gebrochen, Vermögen entwertet und Arbeitseinkommen enteignet werden.

Zu kompliziert die Umstände, zu widersprüchlich sind die Rollen besetzt. Ein Theaterstück braucht, soll es ankommen, einen klaren Plot: Hier Böse, dort Gut, hier dunkel, dort hell, hier nett, dort hässlich. Alle diese Rollenbesetzungen finden sich in den Empörungswellen der letzten Wochen und Monate, in denen die gruppenspezifische Diskriminierung fröhliche Urständ feiert. Was im Fall von Alten, Frauen, Ungebildeten, Linken, Farbigen, Behinderten, Migranten oder Andersliebenden als Todsünde gilt und von allen selbsternannten "zivilgesellschaftlichen Akteuren" (dpa) Tag und Nacht engagiert bekämpft wird, ersteht im Fall von Managern, Liberalen, Konservativen, Reichen, Bankern, Weißen und Gebildeten als Bürgertugend wieder auf: Steck sie alle in einen Sack und dann mit dem Gesetzesknüppel drauf.

Die Intoleranz der Toleranten nimmt Ausmaße an, die Angst machen. Getrieben versucht die Politik, den Sturmwind aus Anmaßung, Unkenntnis  und verweigertem Wissen in den Rücken zu bekommen. Die Medien folgen blutgeil, immer bereit, den "kruden Thesen" (Der Spiegel) des Täters eine Plattform zu geben und ihn hernach im selbsterteilten Auftrag der Menge zu hängen.

Die Masse aber ist nie zufrieden, immer unterwegs, einen neuen Orkan aus Klicks zu entfesseln, einen neuen #Aufschrei zu imaginieren, nach neuen Reizen zu gieren und neue Opfer zu stellen. Rainer Brüderle ist, soweit so weit darüber schon abschließend geurteilt werden kann, der einzige lebende Mensch, der einen Shitstorm wortlos überlebt hat.

Deutschland sucht den Supermoralisten

Sonntag, 10. März 2013

Zur Wiedergeburt gibts Fischkoppfilet


Das wars dann mit dem Abstieg. Eben noch steckte der Drittliga-Aufsteiger HFC knietief im Abstiegssumpf, nach vorn ungefährlich, hinten unsicher und auf der Bank zunehmend ratlos. Und nach nur 15 Minuten im Heimspiel gegen den alten DDR-Oberligarivalen Hansa Rostock ist das alles vorbei, erledigt und fast schon vergessen.

Denn da steht es 2:0 für den Gastgeber, der die Küstenkicker zum ersten Mal seit 22 Jahren wieder im heimischen Stadion begrüßen darf. Vor mehr als zwei Jahrzehnten hatten sich die Pfade der beiden traditionellen Mittelklassevereine der DDR getrennt: Hansa, einst als Empor Lauter im Erzgebirge erfolgreich, fand pünktlich mit der deutschen Fußballeinheit zurück zu alter Stärke und schaffte den Sprung in die 1. Bundesliga. Der HFC aber tauchte tief und tiefer in die Abgründe des Amateurfußballs und schaffte erst nach vielen dürren Jahren in der 5. Liga wieder den Sprung zurück ins Profilager.

Trotzdem ist die Begegnung der alten Bekannten kein Klassentreffen, sondern Klassenkampf. Hansa will wieder in die 2. Liga zurück, Halle nach einem trüben Herbst im Tabellenkeller nur irgendwie die erste Drittliga-Saison in der 3. Liga überstehen. Fünf neue Leute kamen im Winter, gegen Hansa stehen alle fünf von Beginn an auf dem Rasen - und diese fünf werden es nach 90 Minuten auch sein, die den Unterschied zu der Mannschaft gemacht haben, die vor allem mit einer apokalyptischen Heimbilanz sicher unterwegs schien, die Rückkehr in die Regionalliga klarzumachen.

Aber seit Januar ist alles anders. Traf die Elf von Trainer Sven Köhler bis Weihnachten nur durchschnittlich 0,82 Mal pro Spiel, stieg diese Quote hauptsächlich dank der Neuverpflichtung des finnischen Stürmers Timo "Fury" Furuholm auf 1,5 Tore pro Spiel. Zugleich sank die Quote der Gegentore, in der Hinrunde noch bei 1,455 Gegentore pro Spiel, mit den neuen Stammkräften Ziebig und Kojola auf nur noch 0,83 - fast schon logischerweise gelang es so, aus den letzten sechs Spielen 13 von möglichen 18 Punkten zu holen.

Auch gegen Hansa stottert der Motor der Rotweißen nur ein paar Minuten. Zweimal spielen die Norddeutschen gefährlich nach vorn, echte Torchancen aber ergeben sich nicht daraus. Ganz anders auf der Gegenseite: Schon die erste HFC-Ecke nach fünf Minuten segelt gefährlich aufs Tor von Brinkies. Nach nur zwölf Minuten darf die HFC-Kurve, die das Spiel mit einer Mundart-Choreografie unter dem Titel "Wir sind Halle, Aas" vorgeheizt hatte, zum ersten Mal jubeln. Nach einem tapferen Solo von Toni Lindenhahn flankt Neuzugang Daniel Ziebig auf Neuzugang Timo Furuholm. Der köpft und trifft.

Während Hansa noch in Schockstarre verharrt, ist der HFC schon wieder da. Diesmal lässt sich Dennis Mast auf Linksaußen foulen, der erstmals wieder aufgebotene Kapitän Maik Wagefeld zirkelt den Ball in den Fünfmeter-Raum. Und hier steht Marco Hartmann, der den von Brinkies' Körper abprallenden Ball aus einem Meter über die Linie drückt.

Noch ist keine Viertelstunde vergangen und die Kogge scheint wirklich schon versenkt. Ungerührt singen die mitgereisten 1.200 unter den insgesamt knapp 13.000 Zuschauern im ausverkauften früheren Kurt-Wabbel-Stadion ihre Mannen nach vorn, doch gefährlicher sind die Konter der Rotweißen, etwa als eine Flanke von Dennis Mast nur haarscharf nicht senkrecht ins Tor fällt, sondern von der Latte ins Aus springt.

Aber Hansa ist noch da, auf einmal wieder. In der 20. Minute gelingt den Rostockern ein Dribbling bis an die Grundlinie, Ruprecht kommt zu spät, um die Flanke abzuwehren, Kojola steht innen zudem zu weit weg von Plat und der netzt aus einem Meter ein.

An dieser Stelle spätestens hätte in der Hinrunde das große Bangen eingesetzt. Reicht der Vorsprung? Wenigstens für einen Punkt? Nicht so heute. Auch nach dem Anschlusstreffer macht der HFC nie den Eindruck, als fürchte er um den Sieg ganz im Gegenteil. Zwar brennen Ziegenbein und Co. kein Offensivfeuerwerk ab, aber sie behalten das spiel fest im Griff. Das wird belohnt. Nach einem Freistoß, diesmal auf der rechten Seite, ist es erneut Timo Furuholm, der den von Daniel Ziebig getretenen Ball aus nächster Nähe ins Tor köpfen kann. Als Hansa-Spieler Haas direkt im Anschluss daran auch noch Rot sieht, weil er Ziebig im Mittelfeld von der Seite umsenst, ist der Kuchen gegessen. Und zum Nachtisch gibt es heute Fischkoppfilet.

Auch wenn ein Hansa-Abwehrspieler Dennis Mast noch bei einem Abwehrversuch im eigenen Fünf-Meter-Raum die Nase bricht und der Elfmeterpfiff ausbleibt. Auch wenn Lindenhahn 4:1 wegen Abseits nicht anerkannt wird. Und auch wenn die Hansa-Fans kurz nach Wiederanpfiff noch mit Hilfe von Nebeltöpfen und bengalischen Feuern versuchen, einen Spielabbruch zu provozieren: Es reicht zum fünften Sieg im siebten Rückrundenspiel, zu Buche stehen jetzt 16 von 21 möglichen Punkte seit Rückrundenstart. So spielt kein Absteiger, so spielt genaugenommen ein Aufsteiger wie der Vergleich mit den Zahlen von Tabellenführer Karlsruhe zeigt. Über den gesamten Saisonverlauf holten die Badener zwei Punkte pro Spiel. Halle liegt im Spieljahr 2013 bei 2,28.

Etappensieg mit Fußballfön

Neue Steuer sprudelt negativ


Es war vielleicht die beste, auf jeden Fall aber die wirksamste Idee, die Frankreichs neuer François Hollande seit seinem Amtsantritt umgesetzt hat. Nur vier Monate nach der Übernahme des Präsidentenamtes löste der Sozialist das Wahlversprechen ein, bei Anlegern aller Art, die über die französische Börse französische Aktien erwerben, eine sogenannte Finanztransaktionssteuer zu kassieren. Besteuert wird dabei der Erwerb von Wertpapieren von börsennotierten Unternehmen, die ihren Hauptsitz in Frankreich haben, wenn das betroffene Unternehmen mehr als eine Milliarde Euro wert ist und die erworbene Aktie nicht vor Ende des Tages wieder verkauft wird.

Die verhassten Daytrader und Hochfrequenzhändler, denen auch die deutsche Politik gerade bühnenwirksam an die Gurgel zu gehen vorgibt, waren so nie betroffen. Dafür aber einfach Sparer, die in Niedrigzinszeiten glaubten, mit französischen Firmenpapieren für die Rente vorsorgen zu können. Zwar geht es bei der französischen Finanztransaktionssteuer ähnlich wie beim geplanten deutschen Pendant nur um eine vergleichsweise geringe Abgabe in Höhe von 0,2 Prozent des Kauf- bzw. Verkaufswertes. Doch auch diese 40 Euro bei einem Anlagevolumen von 10000 Euro scheint auszureichen, den Börsenhandel in Paris nachhaltig abtrocknen zu lassen.


Die Zahlen sind deutlich. Lag das durchschnittliche Handelsvolumen in Paris (Grafik oben) bis zum 1.August vergangenen Jahres noch bei rund 200 Millionen Aktien, sank es sofort nach Einführung der neuen Abgabe auf nur noch durchschnittlich 150 Millionen. Seit Jahresanfang zeigt die Grafik noch einmal eine neue Qualität: Das Handelsvolumen ist jetzt bei nur noch durchschnittlich 100 bis 120 Millionen angekommen.

Das Muster entspricht den Erfahrungen, die Schweden und Großbritannien mit der Finanztransaktionssteuer gemacht haben. Ein Teil des Handels wird an Handelsplätze verlagert, an denen diese Steuer nicht erhoben wird. Ein anderer Teil findet einfach nicht mehr statt. Kursausschläge nehmen durch den Wegfall des kursglättenden Arbitragehandels zu, ebenso die Spreads zwischen An- und Verkaufskursen. Das wiederum erschwert es Kleinanlegern, an der Börse einzukaufen, so dass der Handel weiter austrocknet.

Die erheblichen Steuereinnahmen, die sich François Hollande von der Einführung der Steuer versprochen hatte, dürften somit wie zuvor schon in Großbritannien und Schweden ausbleiben. Am 22. Januar 2013 beschlossen die EU-Finanzminister in Brüssel deshalb, dass Deutschland, Österreich, Estland, Italien, Spanien, Portugal, Slowakei und Slowenien auch eine Finanztransaktionssteuer einführen werden.


Das Spiel mit den Spielräumen

Samstag, 9. März 2013

Katzen vom Kachelmann

Politisch war er schon immer, der Kachelmann von Halle, der seit Jahren unterwegs ist, um die Innenstadt der Metropole an der Straße der Gewalt neu zu verfliesen. Doch so politisch wie auf einer Kachel, die Feldforschungsteams jetzt entdeckt haben, war der von seinen Bewunderern nur "Kachel Gott" genannte Fliesenkleber noch nie: "Kein Staat, kein Herr, kein Trockenfutter" hat der Fliesenphilosoph auf eine ganz im revolutionären Rot der Arbeiterklasse gehaltene Kachel geschrieben.

Ein Stilbruch geradezu, denn bislang hatte es der Feingeist stets dem Betrachter überlassen, was aus welchem seiner Werke herauszulesen sein sollte. Augenscheinlich aber hat ihn der stete Kampf gegen Widerstände aus der etablierten Kunst und der kachelfeindlichen Politik mürbe gemacht. Teilweise sogar mit Flächenabrissen hatte die Stadtverwaltung versucht, Großprojekte wie das im Internet vom Suchriesen Google und PPQ präsentierte offiziellen Gesamtwerkverzeichnis zu torpedieren. Selbst verbeamtete "Kunstfreunde" wie die Stiftung Moritzburg gingen rigoros gegen die populäre Kachel-Konkurrenz vor und zerstörten zahlreiche Pflänzchen einer neu erstehenden urbanen Großstadtkultur.

"Kein Staat, kein Herr, kein Trockenfutter" muss so verstanden werden als kategorische Absage an das Konzept der fütternden Hand. Kachelmann, in seinem Schaffen stets ein virtuoser Anarchist, der sogar zahlreiche Nachahmer inspirierte, plädiert in einer semantischen Volte für den schwachen Staat, gegen Trockenfutter aus dem Automaten, für Selbstbestimmung und Kunst. Ein beeindruckendes Statement.

Eigene Funde können wie stets direkt an politplatschquatsch@gmail.com geleitet werden, jeder Fund wird von uns auf Wunsch mit einem mundnachgemalten Kunstdruck der inzwischen von Kachel-Gegnern vernichteten Ur-Fliese prämiert.

Der Kampf um die Kachelkunst:
Leise flieseln im Schnee
Verehrte Winkel-Fliese
Kanonen auf Kacheln
Antifaschisten im Fliesen-Ferrari

Frei.Wild: Weltbild aus warmer Kotze


Beinahe wäre es dem Faschismus gelungen, sich den wichtigsten Preis für industriell hergestellte Großhallenmusik Deutschlands zu sichern. Dann aber die Überraschung: Ein Schulterschluss der demokratischen Rocker, eine Proklamation gegen Quertreiber, Hetzer gegen unsere Republik und Sänger, deren Lebenslauf von Jugendsünden nur so strotzt! Gelebte Toleranz, wie sie Mia, Kraftklub, Die Ärzte, Jennifer Rostock und die Toten Hosen predigen, hat ihre Grenzen - und die liegen da, wo andere anders denken.

"Wir finden deren Weltbild zum Kotzen", hat die als "Mieze Katz" bekanntgewordene Mia-Sängerin Maria Mummert als Begründung für ihren Aufruf angeführt, der italienischen Band Frei.Wild die Teilnahme an der diesjährigen "Echo"-Verleihung zu verbieten. Mia, eine selbst als deutschnational kritisierte Gruppe aus Berlin, bittet damit nach ihrem karrierestart mit einem "tabubrecherischen Deutschland-Hype" um Wiederaufnahme in die Reihen der fortschrittlichen Popmusik.

"Gut, dass die Deutsche Phono-Akademie die umstrittene Südtiroler Band Frei.Wild von der Liste der Nominierten für den deutschen Musikpreis Echo gestrichen hat", applaudiert die Frauenzeitschrift "Stern", die wie das gesamte deutsche Feuilleton "immer schon besser als alle anderen wusste, wie Vergangenheitsbewältigung auszuschauen hat", wie die Südtiroler Tageszeitung schreibt.

In Deutschland hingegen ist klar: Eine Musikgruppe, die auch nur im leisesten Verdacht stehe, rechtsextrem zu sein, habe das Recht auf die Unschuldsvermutung verwirkt und "auf einer Verleihung des wichtigsten deutschen Musikpreises nichts zu suchen" (Stern). Im Kampf gegen Rechts müssten "alle gesellschaftlichen Gruppen an einem Strang ziehen", eine Band, "die mit rechten Symbolen und Werten kokettiert und nichts gegen rechtsextreme Fans unternimmt, ist nicht preiswürdig", befindet "Stern"-Autor Carsten Heidböhmer, der sich kürzlich erst Verdienste um die Verteidigung der Millionengehälter von Fußballspielern erworben hatte.

Rudi Werion, der große demokratische Schlager-, Musical- und Filmkomponist, der der schwedischen Migrantin Nina Lizell bereits anno 1969 das Stück "Rauchen im Wald ist verboten" geliefert hatte, schloss sich an: "Seine Gedanken sind nicht die unsrigen, seine Welt ist nicht unsere Welt, und seine Lieder sind nicht unsere Lieder", sagte er. Da mögen sich die Frei-Wild-Mitglieder auch noch so sehr als Opfer gerieren, nur weil ihre Band inzwischen nicht mehr im Radio gespielt wird, Schwierigkeiten hat, Auftrittsmöglichkeiten zu finden, und nun auch noch bei öffentlichen Veranstaltungen ausgeladen wird. Sie sind keine Opfer, wie Konrad Wolf, der große ostdeutsche Filmemacher, vor Jahren schon bemerkte. Frei.Wild-Sänger Philipp Burger sei "nicht der unbequeme, manchmal zu weit gehende, aber zu Unrecht verdächtigte Liedermacher, sondern ein Mann, der einen anderen politischen Weg geht als wir", analysierte er.

Wer einen anderen Weg geht, ist aber ein Feind, ein Feind Europa, ein Feind des korrekten Rock'n'Roll. Überdeutlich denunziert Burger im Song „Land der Vollidioten“, der sich gegen die FDGO richtig, anständige Leute als „Gutmenschen und Moralapostel“. Frei.Wild-Texte "klingen nach wie vor wie Hymnen, pathetisch und aggressiv, gegen das korrupte System und verlogene Politiker", prangert die "Welt" an, was am Schaffen der Südtiroler nicht zu akzeptieren ist.

Max Oeser, Komplexbrigadier im Bau- und Montagekombinat Ingenieurhochbau Berlin, fasst zusammen, warum Philipp Burger zurecht von der "Echo"-Liste flog: Wir Arbeiter brauchen keinen „Dichter", der die werktätigen Menschen verleumdet und beleidigt..." Auch Helmut Sakowski, der 1942 der NSDAP beitrat und seit seit 1973 Mitglied im Zentralkomitee der SED war, stellt klar: "Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe, so sagt das Sprichwort." Frei.Wild hätte "kaum noch Lieder gemacht und gesungen für die Millionen Leute in diesem Land, denen meine Hochachtung gehört", weil sie sich der Politik der Staats- und Parteiführung verpflichtet fühlen.

Mia, die einst ein Gratiskonzert zum revolutionären 1. Mai auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin gaben, können mit ihren kritisch-optimistischen Kompositionen ein Lied davon singen, dass es auch anders geht. Getreu den neuen "Arbeitshinweisen für die politisch-operative Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion und Untergrundtätigkeit unter jugendlichen Personenkreisen", mit denen das Bundesblogampelamt im mecklenburgischen Warin ein Abgleiten Jugendlicher in Euroskeptizismus, geistiges Brandstiftertum und abweichende Weltbilder verhindern helfen will, prangern die jungen Musiker um Maria Mummert die Einmischung der Italiener in die deutsche Rockszene an. "Ich bin hier, weil ich hier hingehör'", halten sie den Zugereisten aus Tirol entgegen - die Botschaft ist deutlich: Du gehörst hier nicht hin, Philipp Burger!

Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, hat Rosa Luxemburg einst festgelegt, die Revolutionärin dachte allerdings natürlich nicht daran, dass Elemente wie Frei.Wild diese Genehmigung als Freibrief verstehen würden, menschenverachtende Zeilen wie "Ja unser Heimatland, es ist so wunderschön, das kann man auch an unsren Bergen sehn,
sie ragen stolz zum Himmel hinauf, schon unsere Ahnen waren mächtig stolz darauf" zu dichten oder dreist zu behaupten "Rot oder Braun, keinem darfst Du trau'n".

Theo Bälden, Fritz Cremer und Herbert Sandberg, drei anerkannte Künstler unserer Republik, reagieren prompt. Das Auftreten von Frei.Wild in der Bundesrepublik "kann nicht unsere Zustimmung finden". Auch Udo Schelle, ein kerniger
Arbeiter aus den Energiewerkstätten in Buna, ist für "klare Kante" (Peer Steinbrück): "Als Arbeiter unterstütze ich voll die Entscheidung unseres Staates - hier hat man mit der notwendigen Konsequenz gegen solche Staatsfeinde gehandelt."

Die Toten Hosen, in ihren Anfangsjahren lange selbst von den deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme boykottiert, haben nach ihrem Wechsel auf die Seite der Boykottierer nun einen provokanten Vorschlag gemacht, wie sich die drohende erneute Nominierung erfolgreicher umstrittener Bands in Zukunft für die Erreichung der Toleranz-Ziele unseres Gemeinwesens nutzen lassen könnte. Auf ihrer Homepage schlagen die Hosen die Einführung einer neuen Echo-Kategorie „Rechte gegen Nazis“" vor, in der "in Zukunft Bands und Interpreten unterbringen kann, die mal rechts waren, aber heute garantiert „unpolitisch“ sind". Voraussetzung für eine Verleihung müsse jedoch ein feierliches Abschwören von früheren Fehltritten, umstrittenen Vorwürfen und kruden Thesen sein, die in Form einer öffentlichen Zeremonie am Mahnmal "Wider den undeutschen Geist" am Berliner Bebelplatz stattfinden könne. Damit schlösse sich ein Kreis: August Bebel, der Namensgeber des Platzes, hatte sich einst aus Abenteuerlust als Freiwilliger bei den Tiroler Jägern gemeldet, um mit der legendären Truppe in den Sardinischen Krieg zu ziehen. Allerdings wurde der gebürtige Rheinländer damals abgewiesen, weil er kein Tiroler war.

Staatsfeindliches Frei.Wild-Video, ohne behördliche Genehmigung gedreht im Exil in Lönnewitz, Sachsen:



(Arbeiter- und Künstlerzitate nach Neues Deutschland, 1976, Stimmen zur Biermann-Ausbürgerung)

Freitag, 8. März 2013

Wahl nach Nase


Eben noch war Chancengleichheit nicht mehr als ein Designerbegriff aus der Buchstabenmühle der Bundesworthülsenfabrik, jetzt aber geht die deutsche Sozialdemokratie daran, die Kampfvokabel herüber ins richtige Leben zu holen. Angeführt von der früheren Bundesdienstwagenministerin Ulla Schmidt haben SPD-Abgeordnete im Innenausschuss des Bundestages einen Antrag eingebracht, der Leseunkundigen mehr demokratische Mitwirkungsrechte gewähren soll, indem bei der Bundestagswahl im Herbst auf den Stimmzetteln nicht nur Parteinamen und die Namen der Kandidaten, sondern auch bunte Parteisymbole, knackige Logos und Fotos der Kandidaten gedruckt werden.

Als Kennzeichen der Grünen  soll künftig das Piktogramm einer Sonnenblume abgebildet werden. Die Linke werde durch eine rote Socke dargestellt, CDU und CSU dürfen ein stilisiertes Merkel-Bild als Parteisignet zeigen und die SPD greift zurück auf die geballte Arbeiterfaust ihrer frühen Jahre. Widerstand gibt es noch in der FDP, die sich weigert, einen goldenen Mercedesstern aus zwölfkarätigen Diamanten als ihr Kennzeichen zu akzeptieren.

Ulla Schmidt ist von der gerechtigkeitsschaffenden Kraft ihrer Idee überzeugt. Menschen mit einem Handicap müsse endlich Erleichterung beim Wahlrecht verschafft werden. 7,5 Millionen Legastheniker und funktionale Analphabeten, die zum teil nicht einmal ihren Namen schreiben könnten, hätten so erstmals die Chance, gezielt von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Dazu kämen noch Millionen von Leuten, die zwar Lesen könnten, sich praktisch aber überhaupt nicht für Politik interessierten. Ihnen werde endlich eine Chance gegeben, nach Nase zu entscheiden. Um auch die mitzunehmen, die die farbigen Parteisymbole wegen ihrer Achromatopsie nicht erknennen können, empfahl Schmidt, neben die Parteinamen QR-Codes zu drucken, so dass Betroffene mit Hilfe ihres Smartphones abstimmen können.

Verbot der Woche: Kein Echo für Italiener


Am Ende hat sich das gesunde Volksempfinden, haben sich Facebook-Aufschrei und Pop-Musiker-Proteste gegen musikalische Konkurrenten doch durchgesetzt. In einem einmaligen Akt hat die Deutsche Phono-Akademie die Rockband Frei.Wild von der Nominierungsliste für den Medienpreis "Echo" gestrichen. Damit wolle man verhindern, dass der Preis selbst Schaden durch die seit Wochen andauernde Diskussion um die Zulässigkeit einer italienischen Rockband mit deutschen Texten nehme. Die Diskussion hatte sich verschärft, nachdem die Schlagersängerin Jennifer Rostock Jugendlichen verboten hatte, in Frei.Wild-T-Shirt ihre Konzerte zu besuchen. Daran anschließend hatten Facebook-Nutzer und Großsponsoren die Veranstalter eines Open-Air-Festivals in Sachsen gezwungen, die italienische Gruppe aus dem Programm zu nehmen.

Nach diesem Etappenerfolg ist der Kampf gegen Frei.Wild nun zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe geworden. Mangels echter Nazis und richtiger rechtsradikaler Rockbands fehlt es korrekten Musikern wie den Ärzten, der aus Berlin stammenden Chansontruppe Mia, den Chemnitzer Raprockern Kraftklub und den Toten Hosen derzeit an Möglichkeiten, die Richtigkeit der eigenen musikalischen Botschaft angemessen darzustellen. Frei.Wild waren zuletzt in den Hitparaden erfolgreicher als Mia und Jennifer Rostock gewesen und saßen den alteingesessenen Ärzten und Toten Hosen mit ihren Verkaufszahlen direkt im Nacken. Für den "Echo" wurden bisher automatisch die Bands nominiert, die die meisten CDs verkauft haben. Wegen des Falles Frei.Wild hat die Jury nunmehr den Passus eingefügt, dass diese Regel nicht gilt, "wenn öffentlich Zweifel an der Verlässlichkeit der staatsbürgerlichen Treue" laut werden. Die Phono-Akademie zieht damit Konsequenzen aus einer unguten Tradition, nach der sich Italiener in der Stunde der Not immer wieder als unzuverlässige Verbündete erweisen.

Der Echo solle "nicht zum Schauplatz einer Debatte um das Thema der politischen Gesinnung dieser Band werden", begründeten die Veranstalter die Veränderung der Regularien zur Preisvergabe, die nun vorsehen, dass vor der Nominierung eine Gesinnungsprüfung alle Bandmitglieder und Fans stattfindet. Fest stehe, dass Frei.Wild-Sänger Philipp Burger vor zwölf Jahren für einen Zeitraum von sechs Wochen beinahe Mitglied der Minderheitenpartei der deutschsprachigen und ladinischen Volksgruppe in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol gewesen sei. Die Konsequenzen seien nicht übersehen: Bei den Wahlen im Februar erzielte die Partei mit 15,9 Prozent ein Wahlergebnis, das die gesamte deutsche Rockszene einhellig verurteilt hat.

"Wir haben in den letzten Tagen heftige Kontroversen um die Nominierung von Frei.Wild, die auf Basis der Charts-Auswertung erfolgte, erlebt, die den gesamten Echo und damit auch alle anderen Künstler und Bands überschatten", sagte der Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie, Florian Drücke. Wenn Kritiker einer Band unkorrektes Gedankengut mit "nationalistische und rechtspopulistische Tendenzen" vorwerfen, müsse reagiert werden, auch wenn junge, schöne Grufti-Mädchen deren Songs irrtümlich nachspielten. Bei Frei.Wild sei das unverkennbar: "In der Hölle sollen deine Feinde schmor'n" heiße es da über Südtirol, einen integralen Teil der EU, und fälschlich werde auch gesungen: "Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat - ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk".

Zur bundeseigenen Reihe "Verbot der Woche"

Donnerstag, 7. März 2013

Steilpass in die Gerechtigkeitslücke


Die angesehene Frauenzeitschrift „Stern“ hat sich der Forderung angenommen, Fußballergehälter genauso zu deckeln wie Managergehälter. Doch das Magazin aus Hamburg, das im Allgemeinen stets für mehr Gleichheit ficht, stellt sich diesmal gegen alle vernünftigen Forderungen zur Begrenzung von obszönen Millionenzahlungen und Boni für junge Leute, die zum Teil noch nicht einmal unter Erwachsenenstrafrecht fallen. Dabei beruft sich Autor Carsten Heidböhmer auf die „feinen Antennen der Fans“, die es gern sehen, wenn hochbezahlte Millionäre für sie teuer gegen den Ball treten. Während es bei Managern ein „diffuses Grummeln“ gebe: Die Menschen hätten den Eindruck, dass die Führungskräfte von Konzernen einfach zuviel verdienten, obwohl man sie nie auf dem Platz um den Ball kämpfen sehe.

Heidböhmer hat sich auch ein Erklärmuster zurechtgestrickt, warum das ganz gut so ist. „Während die Tariflöhne der normalen Beschäftigen zwischen 2003 und 2011 nur um rund 18 Prozent gestiegen sind, konnten die Vorstandschefs der 24 Konzerne, die seit 2003 dem Dax angehören, ihre Gehälter in dem Zeitraum verdoppeln“, klagt er an. das ist doch wohl unanständig, oder? „Die Gerechtigkeitslücke, die sich hier auftut, ist offenkundig.“

Noch unanständiger ist allerdings der langfristige Vergleich. Demzufolge nämlich konnten deutsche Arbeitnehmer ihr Gehalt seit 1974 von rund 10.000 Euro jährlich auf 28.300 Euro steigern. Diese 283 Prozent Zuwachs aber nehmen sich tatsächlich mager aus gegen die Zuwächse, die Topmanager einstrichen: Sie steigerten ihr durchschnittliches Gehalt im selben Zeitraum von 180.000 auf 6,6 Millionen Euro (2011, Quelle: „Die Zeit“, Tower Watson).

3600 Prozent Steigerung, das ist mehr als beachtlich, aber noch nicht obszön. Obszön wird es erst bei der Betrachtung des Gehalts, das Fußballspieler einstreichen. Spitzenverdiener wie Gerd Müller und Karl-Heinz Rummenigge kassierten 1974 rund 150.000 Euro im Jahr – ihre Nachfolger Bastian Schweinsteiger und Mario Gomez kommen heute auf zehn Millionen.

Eine Steigerung von mehr als 6600 Prozent, die natürlich „keine Neiddebatte“ (Die Zeit) auslösen soll. Denn während niemand „die Kriterien für erfolgreiches Management“ kennt, wie Heidböhmer ausführt, stehen diese für Fußballprofis fest. „Jeder kann sich Woche für Woche ein Bild davon machen, was die jungen Millionäre für ihr Geld leisten“, folgert der Sportberichterstatter aus Hamburg.

Zum letzten Mal Weltmeister war Deutschland vor 23 Jahren. Zum letzten Mal Europameister vor 17 Jahren. Den letzten Champions League-Titel für einen deutschen Verein gab es vor 12 Jahren.

Erdrutschsieg für Eurofeinde


Muss die Bundestagswahl neu ausgewürfelt werden? Kommt alles ganz anders als geplant? Ersteht da nach den Piraten, die frischen Wind in die Politikberichterstattung der großen Leitmedien brachten, schon wieder eine neue zweite Kraft jenseits des demokratischen Blocks? Oder haben einmal mehr gewissenlose Hacker im Auftrag der chinesischen Regierung ein deutsches Umfrageergebnis manipuliert, um internationalen Investoren eine nicht vorhandene Kluft zwischen Volk und Regierenden zu suggerieren?

Fakt ist, dass der "Focus" der überaus gefährlichen Bewegung der Euroskeptiker eine Plattform geboten hat, als die Redaktion eine Umfrage auf ihre Webseite stellte, bei der auf die Frage "Würden Sie eine Anti-Euro-Partei wählen" nur die Antworten "Ja" und "Nein" zulässig waren. Verwirrt davon, trotz der beeindruckenden Euro-Bilanz mit Rekordarbeitslosigkeit, Rekordstaatsverschuldung und Rekorddemokratieabbau nach ihrer Meinung gefragt zu werden, entschieden sich rund 94 Prozent der Befragten dafür, geschützt von der Anonymität im Internet, die Antwort "Ja" zu wählen.

Das entspricht etwa dem Ergebnis, das Angela Merkel und Peer Steinbrücknoch vor drei Monaten als alternativlose Kandidaten ihrer Parteien für die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl erzielen konnten. Nun plötzlich der Einbruch und ein Erdrutschsieg der Eurofeinde - erste Experten stellen schon die besorgte Frage: "Wie gefährlich kann die Partei werden?"

Immerhin waren Bundesregierung und Opposition bisher davon ausgegangen, dass nur „zwei Drittel der Deutschen die Rettungsschirm-Politik der Bundesregierung ablehnen“, wie Herrmann Binkert, Chef des Umfrage-Instituts Insa erklärt. Nun aber zeigt sich, dass nur noch rund sechs Prozent der Bürger hinter ihrer Kanzlerin stehen, obwohl die ihnen die Sicherheit ihrer Sparguthaben persönlich zugesichert hat. Dazu kämen, sagt Binkert, rund 30 Prozent politikverdrossene Wähler, die im Herbst keine Stimme abgeben wollen.

Das politische Berlin aber bleibt demonstrativ gelassen, wie die FAZ ermittelt hat. Auch der Meinungsforscher Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach sieht keinen Grund für Aufregung. Zwar sei die Bevölkerung verunsichert durch die Euro-Krise und unzufrieden mit der Politik der milliardenteuren Euro-Rettungsschirme. Doch nach wie vor habe die Bevölkerung nicht begriffen, worum es bei der Schaffung einer Transfer-Union eigentlich gehe. Grundsätzlich stehe weiter eine Mehrheit hinter der strikten Umsetzung des Hades-Planes, die genaue Ausgestaltung sei aber eine Sache von Fachleuten. „Das hat kein großes Potential für Volksaufregung“, sagte Petersen. Er verwies auf frühere Anti-Euro-Parteien, die gescheitert waren.

Das Umfrageergebnis des "Focus", hieß es zudem im politischen Berlin, dürfe nicht überinterpretiert werden. Vielmehr wolle die Kanzlerin vor dem Beginn der heißen Wahlkampfphase noch einmal Vertreter aller führenden Medienhäuser zu sich ins Kanzleramt bitten, um dafür zu werben, verantwortbar und im gesamteuropäischen Interesse über die Debatten im Wahlkampf zu berichten. Statt "auf dem Europathema rumzureiten, das sowieso keiner richtig verstehe", halte es das Kanzlerinnenamt für angemessen, sich auch in der Berichterstattung auf grundsätzliche Fragen wie mehr Bildung, mehr Gerechtigkeit und mehr Lebensmittelkontrolle zu konzentrieren, verlautete aus der Wahlkampfzentrale. Pannen wie die "Focus"-Umfrage müssten verhindert werden, sie hülfen Europa nicht, verunsicherten aber Menschen.

Mittwoch, 6. März 2013

Doku Deutschland: Nur die Namen sind neu


Experten und Opposition werfen Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) vor, an seinem Armutsbericht "herumgefummelt" zu haben. Scholz stelle die Lage weit positiver dar, als sie sei, kritisieren sie. Besonders die Kinderarmut sei gravierender als der Bericht suggeriert – die alarmierenden Zahlen würden unter den Tisch fallen. Brisante Daten aus dem 3. Armuts- und Reichtumsbericht halte die Regierung offenbar gezielt zurück. In Wirklichkeit lebten weit mehr Menschen als angegeben in Armut.

Scholz hatte am Montag "Kernaussagen und Eckdaten" aus dem Entwurf des Armutsberichts vorgelegt. Danach lebten 2005, dem Berichtsjahr, 13 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsschwelle. Der mehr als 400 Seiten starke Bericht enthält jedoch auch alternative Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW): Danach lag die Armutsquote bei 18 Prozent und damit deutlich höher als 1998, als sie noch zwölf Prozent betrug.

Scholz hatte sich bei seinen Angaben ausschließlich auf ein neues Statistikverfahren gestützt, das eine Vergleichbarkeit innerhalb der Europäischen Union ermöglichen soll. Nach diesen Berechnungen gab es keine deutliche Zunahme der Armut in Deutschland.

DIW-Experte Markus Grabka warf Scholz vor, ausschließlich die positiveren Zahlen präsentiert, die vom seinem Institut für den Bericht zusammengestellten Daten jedoch unter den Tisch fallen gelassen zu haben. Der Statistiker nannte es "schwer nachvollziehbar", dass die Regierung die Armutsschwelle jetzt deutlich niedriger ansetzt als noch beim letzten Armutsbericht: Galt bisher ein Alleinstehender als arm, der weniger als 939 Euro monatlich zur Verfügung hat, sind es jetzt nur noch 781 Euro. Kein Wunder, dass dann weniger Menschen von Armut betroffen sind.

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer warf Scholz vor, an dem Bericht "herumgefummelt zu haben". Der Sozialpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, sagte WELT ONLINE: "Gerade die verbreitete Armut der Kinder wird auf diese Weise massiv geschönt." Tatsächlich haben nach der von Scholz verwandten Statistik Kinder unter 15 Jahren mit zwölf Prozent das geringste Armutsrisiko. Senioren liegen dagegen mit 13 Prozent genau im bundesweiten Durchschnitt.

Ein Blick in die Sozialhilfestatistik liefert dagegen ein völlig anderes Bild. Denn hierzulande leben weit mehr Kinder von Sozialhilfe als Rentner. So sind 17 Prozent der rund 15 Millionen Minderjährigen auf Hartz IV angewiesen. Aber nur 2,3 Prozent der über 65-jährigen Männer und Frauen erhalten Grundsicherung im Alter, die der früheren Sozialhilfe entspricht. Die von Scholz verwandte Armutsstatistik kommt überdies zu dem Ergebnis, dass zwar viele Alleinerziehende materielle Probleme haben, doch Familien ansonsten vergleichsweise selten von Armut bedroht sind. Lediglich neun Prozent der Haushalte, in denen zwei Erwachsene mit einem oder mehreren Kindern leben, sind vom Geldmangel betroffen. Das DIW sieht Familien hingegen einem zunehmend größeren Armutsrisiko ausgesetzt: 19 Prozent dieser Haushalte lebten 2005 nach DIW-Berechnung unterhalb der Armutsschwelle. 2003 waren es 16 Prozent.

DIW-Experte Grabka weist auf weitere Unstimmigkeiten hin. "So soll die Armutsrate in Ostdeutschland zwischen 2003 und 2005 von 19 auf 15 Prozent zurückgegangen sein." Dies widerspräche allen wissenschaftlichen Erkenntnissen und sei "erklärungsbedürftig". Arbeitsminister Scholz wies die Kritik an der von ihm verwandten Statistik zurück. Scholz hatte bei der Vorlage des Berichtes unterstrichen, dass der Sozialstaat wirke. So wäre die Armut ohne Sozialtransfers wie Kindergeld, Hartz IV oder Wohngeld hierzulande doppelt so groß. Die von Scholz als relativ gering ausgewiesene Armutsquote von Familien dürfte in der Debatte über eine mögliche Erhöhung des Kindergeldes eine Rolle spielen. Die Union beharrt darauf, 2009 das Kindergeld anzuheben. Die SPD plädiert dafür, Familien künftig stärker über bessere Betreuungsangebote und Ganztagsschulen zu fördern.

Archiv brandaktuell

Zur preisgekrönten Reihe Doku Deutschland

Letzter Gruß an einen Großen


Heute in der FAZ, ein Abschiedsgruß der Zimmerleute.

Der Nachruf bei PPQ steht hier.

Gauck und das unsägliche Leiden der Angehörigen


Bundespräsident Joachim Gauck hat den Hinterbliebenen des Alexanderplatz-Mordes von Mitte Oktober eine rasche und umfassende Aufklärung der Tat versprochen. Bei einem Treffen im Schloss Bellevue mit den Angehörigen des auf dem Alexanderplatz mutmaßlich von dem inzwischen in der Türkei untergetauchten Onur U. (19) getöteten Jonny K. (20) sagte er laut Redemanuskript: "Ich will mithelfen, dass Ihr Leid weiter wahrgenommen und anerkannt wird. Und dass aufgeklärt wird, wo es Fehler und Versäumnisse gegeben hat, dass darüber gesprochen und wenn nötig auch gestritten wird, was wir daraus lernen müssen."

Gauck lobte vor den Angehörigen die Arbeit des Bundestags-Untersuchungsausschusses Alexanderplatz und der Ombudsfrau Barbara John, die bei dem Treffen dabei war. John habe allen Hinterbliebenen die Gewissheit und das Gefühl gegeben, nicht allein zu sein. "Der Wille zur Aufklärung ist da", sagte Gauck.

Zurecht warteten die Angehörigen auf Antworten zu den Hintergründen der Tat. Direkt nach ihrer Festnahmen waren mutmaßliche Mittäter von den Behörden wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Der mutmaßliche Haupttäter Onur U. war danach in die Türkei geflüchtet und untergetaucht. Wenig später hatte er seine deutsche Staatsbürgerschaft abgelegt und darauf verwiesen, dass er nun nur  noch türkischer Staatsbürger sei. Damit ist seine Auslieferung zu einem Prozess nach Deutschland nicht mehr möglich.

Erste Konsequenzen seien gezogen worden, hieß es im Schloß Bellevue. SPD und Grüne wollen als Konsequenz den Zugang zur doppelten Staatsbürgerschaft für alle erleichtern, sollten sie die Wahl gewinnen. Damit könnten Straftäter sich dann stets einer Verfolgung entziehen, indem sie im Fall eines Falles die Staatsbürgerschaft des Landes, das nach ihnen fahndet, unkompliziert ablegen. Und auch die FDP, der Koalitionspartner der Union, setzt die doppelte Staatsbürgerschaft wieder auf die Tagesordnung - zumindest als Option für den Tag nach der Wahl.

Gauck sieht aber weitere Möglichkeiten für eine bessere Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei, von Bund und Ländern. "Auch ich war erschrocken darüber, welche Fehler in mancher Behörde möglich waren", sagte Gauck mit Blick auf die zahlreichen Behördenpannen während der Ermittlungen. Auf Gerüchte, dass Geheimdienste Onur U. schützen, weil der junge Mann als Informant und V-Mann gearbeitet habe, ging Gauck nicht ein.

Im Vorfeld des Treffens hatte es Unstimmigkeiten gegeben, weil mehrere Angehörige ihre Teilnahme abgesagt hatten. Sie wolle nicht ohne ihre Anwältin zu dem Treffen kommen, teilte eine Hinterbliebene des getöteten Jonny K. mit. Das Bundespräsidialamt hatte mitgeteilt, dass man die Angehörigen gebeten habe, von der Begleitung durch Rechtsanwälte als vertraute Personen abzusehen, um die persönliche Atmosphäre zu gewährleisten.

Betroffeneninitiativen fordern inzwischen eine Umbenennung des Alexanderplatzes in Jonny-Platz. Bereits vor einigen Wochen hatten Vertreter einer Arbeitsgruppe mit dem Senat geklärt, dass in diesem Jahr ein Gedenkstein in Erinnerung an den ermordeten jungen Mann gesetzt werden soll. Eine Arbeitsgruppe erarbeitet derzeit Empfehlungen zum Gedenken an das Pogrom. Im Vorfeld hatte es eine Diskussion gegeben, ob ein Denkmal an den vietnamesischstämmigen stammenden Mann erinnern könne, doch anderen Betroffenen geht das nicht weit genug. Der Beschluss der Arbeitsgruppe zum Gedenk- und Mahnmal sei als ein positiver Schritt zu werten, sagte Landtagsmitglied Hikmat Al-Sabty (Die Linke). „Wenn es nach mir ginge, würde der Platz in Jonny-Platz umbenannt werden“, sagte der Politiker.

Dienstag, 5. März 2013

Große Koalition gegen Fußballergehälter


Nach dem Erfolg des Schweizer Volksbegehrens zur Begrenzung von Managergehältern sehen CSU und FDP auch in Deutschland Handlungsbedarf. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sagte der "Welt", auch Fußballergehälter brauchten Maß und Mitte. "Mehr Transparenz im Verfahren zur Festlegung der Gehälter und mehr Verantwortung für die Gesellschafterversammlungen sind ein Weg dorthin, den wir auch als Gesetzgeber gehen könnten, ohne unangemessen in die Rechte der Vereinsvorstände und Ultragruppen einzugreifen", so Hasselfeldt. Die CSU werde das Thema auf der Agenda behalten und europäische, aber auch nationale Initiativen prüfen.

"Seit den neunziger Jahren steigen Fußballergehälter auch in Deutschland in einem obszönen Maße", analysiert DerWesten. Deshalb sei es Zeit für eine "massive Beschneidung von Fußballergehältern. Auch Deutschland brauche ein "Gesetz gegen Gier" auf dem Fußballplatz, wo junge Männer ohne Ausbildung teilweise hundertmal mehr verdienen als gestandene Familienväter, die hart arbeiten und für die Gehälter der Kicker aufkommen müssen, folgert das Oberbayrische Volksblatt. So zahle Borussia Dortmund Spielern für ein einziges Spiel Prämien von 50.000 Euro, aufs Jahr hochgerechnet komme ein Kicker so zusätzlich zum Gehalt auf 2,5 Millionen Boni.

Ja, es geht gegen beliebte Fußballvereine wie den FC bayern München oder Borussia Dortmund, es geht gegen Rekordverdiener wie Arien Robben, Bastian Schweinsteiger und Frank Ribery. Dennoch herrscht in den Parteien des FDGO-Blocks Einigkeit: Die Gehaltsbremse für Fußballspieler samt Bonusblocker und Abfindungsverbot wird kommen. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle mahnte zur Eile: "Wir können auch in der Koalition noch vor der Bundestagswahl hier Zeichen setzen." Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kündigte eine Prüfung der Schweizer Entscheidung an. Die FDP will die Begrenzung von Fußballergehältern zum Thema ihres Parteitags am Wochenende machen. In einem vom Präsidium verabschiedeten Leitantrag heißt es, Vergütungen der Profikicker oberhalb bestimmter Rahmenvorgaben und Beträge sollten an die Zustimmung durch Vereinsmitglieder, Dauerkarteninhaber und Fans aus der Kurve geknüpft werden.

Die CDU reagierte zurückhaltend. Regierungssprecher Steffen Seibert warnte vor Erwartungen an eigenständige Gesetzesänderungen. Im international vernetzten Profifußball sei es eher ratsam, auf europäische Initiativen statt auf nationale Alleingänge zu setzen. Er verwies auf die Ankündigung der EU-Kommission, bis zum Jahresende einen Vorschlag zu machen, damit Fußballfans die Vergütung von Stürmern, Mittelfeldstars und Torleuten besser kontrollieren können.

Laut Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), wird diese EU-Regelung "die Wettbewerbsfähigkeit der Vereine – und der EU als Ganzes – nicht negativ beeinflussen, sondern Anreize setzen, dass Fußballer langfristige Ziele des Unternehmens verfolgen und Risiken internalisieren". SPD und Grüne sprachen sich allerdigs für rasche Schritte aus. Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) sagte der "Welt", es sei dringend nötig, dass die vorhandenen Ansätze für eine Deckelung, vor allem aber für eine Einbeziehung der Fans, mit Nachdruck weiterentwickelt werden.

Gegenrede im "Stern": Warum hohe Gehälter für Fußballer gut sind, für Manager aber nicht

Weil Josef Stalins weise Augen wachen

Eine Mutter sah ich einen Brotlaib brechen,
und ich hörte sie von Josef Stalin sprechen,
und es kamen aus dem Herzen, drin es glühte,
Worte, ganz erfüllt von stiller, kluger Güte.

Kinder, sagte sie, eins sollt ihr nie vergessen:
Daß wir heute unser Brot in Frieden essen,
daß wir in den Nächten ohne Ängste ruhen,
daß sich wieder füllen unsre leeren Truhen,

daß ihr lernen dürft und spielen könnt und lachen,
ist, weil Josef Stalins weise Augen wachen
und weit über alle Länderfernen blicken
und Vertrauen zu den Unterdrückten schicken,

die sich mutig gegen Tod und Teufel wehren
und auch ihren Kindern eine Lehre lehren:
Daß die Völker nicht in Barbarei versanken,
dafür müssen wir Genossen Stalin danken.


Max Zimmering

Fremde Federn: Geil auf Unisex

Verglichen mit den Grünen und ihrem Hang zum alltäglichen Totalitarismus, ist die katholische Kirche eine libertäre Organisation mit Sinn für menschliche Schwächen.

Montag, 4. März 2013

All die ganzen Jahre


Pull it out, turn it up, what's your favorite song?
That's mine, I've been crying to it since I was young
I know there's someone out there feeling just like I feel
I know they're waiting up, I know they're waiting to heal
And I've been holding my breath
Are you holding your breath
For too many years to count?
Too many years to count

And we waited for the sirens that never come
And we only write by the moon
Every word handwritten
And to ease the loss of youth
And how many years I've missed you
Pages plead forgiveness
Every word handwritten

Let it out, let me in, take a hold of my hand
There's nothing like another soul that's been cut up the same
And did you want to drive without a word in between?
I can understand, you need a minute to breathe
And to sew up the seams after all this defeat
All this defeat

And we waited for the sirens that never come
And we only write by the moon
Every word handwritten
And to ease the loss of youth
And the many, many years I've missed you
Pages plead forgiveness
Every word handwritten

Here in the dark, I cherish the moonlight
I'm in love with the way you're in love with the night
And it travels from heart to limb to pen

And we waited for the sirens that never come
And we only write by the moon
Every word handwritten
Every word handwritten

And with this pen, I thee wed
From my heart to your distress

Every word handwritten


© EMI Music Publishing

Entkoppelung von der Wirklichkeit


Warum nicht mal Schluss machen mit den ganzen falschen Vorstellungen. Warum nicht mal ganz von vorn anfangen, am besten ganz anders. Ein Diskussionspapier des “Denkwerks Demokratie", in dem Experten für SPD, Grüne und Gewerkschaft nach der "Gesellschaftsordnung der Zukunft" suchen, wagt den großen Wurf: Deutschland solle seine Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik auf ein völlig neues Fundament stellen, in dem völlig neue Werte gelten. Statt stetigem Wachstum, stabiler Preise, hoher Beschäftigung und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht soll eine künftige nachhaltige  rot-grüne Bundesregierung sich und ihren Wählern nachhaltige Staatsfinanzen, nachhaltigen Wohlstand, soziale Nachhaltigkeit und schließlich ökologische Nachhaltigkeit zum Ziel setzen.

Damit orientiert sich der von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke, den Gewerkschaftern Yasmin Fahimi (IG BCE) und Michael Guggemos (IG Metall) geführte Think Tank nicht nur an den Vorgaben, die Germanistin Nahles in ihrem nachhaltigen Grundsatzpapier zu „Guten Gesellschaft“ bereits vor Jahren formuliert hatte, sondern auch an den Ideen Thilo Sarrazins zur Nutzung nachhaltiger Instrumente aus Baumwolle und Kaschmir als Ofen zur Schaffung sozialer Wärme. Pullover statt Ölheizung, kleingedruckte statt nur superdicke Bücher, schlaue Kinder statt ganz vieler.

Gut geht es Deutschland nämlich derzeit nur oberflächlich, meinen Nahles, Lemke und Co. Wer genauer hinschaue, sehe aber „wachsende Ungerechtigkeit und Unzufriedenheit“ in einer Gesellschaft, deren Wirtschaft „grundsätzlich aus der Balance geraten" sei: Falsche Leitbilder und Fehlanreize regieren, der Wohlstand sei ungleich verteilt, die Umwelt werde zerstört, immer mehr Menschen könnten von ihrer Hände Arbeit nicht leben.

Hier sei die Politik gefordert, die zuletzt überaus erfolgreich gezeigt hatte, wie ein ganzer Kontinent dem politischen Willen der Volksvertreter gehorchend "zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ werden konnte – „einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen".

Die nachhaltige Nahlismus sei Strategie, der eine künftige Bundesregierung nacheifern müsse, indem sie „neue Zielmarken verbindlich festschreibe“, die den Menschen im Land mit einem Wohlstands- und Nachhaltigkeitsgesetz auf neue, bessere und vor allem nachhaltigere Ideale festlegen.

Welche das sein werden, weiß Andrea Nahles schon ganz konkret. Nachhaltiges Wachstum bedeute in Zukunft nicht mehr Wachstum, sondern eine "Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch". Das nachhaltigste Allzeit-Ideal habe hier der frühe Sozialist Jesus Christus gesetzt, als er zeigte, wie sich mit nur fünf Brotlaiben und zwei kleineren Fischen 5.000 Menschen so bewirten so lassen, dass am Ende noch zwölf Körbe mit Brot und Fisch nachhaltig übrigbleiben.

Das geht auch bei den Staatsfinanzen, die nach dem sogenannten Denkfabrik-Plänen in Zukunft "abgebaut werden, ohne notwendige Zukunftsausgaben zu vernachlässigen". Also sozusagen nachhaltig. Dazu werden alles in allem nur "ausreichende Einnahmen" benötigt, mit deren Hilfe dann nachhaltig alles bezahlt werden kann. Dadurch erhöhten sich automatisch und nachhaltig die Steuereinnahmen, ohne dass dazu Wachstum im konservativen Sinn erforderlich sei. Durch höhere nachhaltige Steuereinnahmen profitierten wiederum die Staatsfinanzen.

Von einem Tag auf den anderen würden sie dadurch nachhaltig und bildeten die Grundlage für einen nachhaltigen Wohlstand aller. Mit dessen Hilfe gestalte nachhaltige Politik umsichtig eine soziale Nachhaltigkeit im Sinne der neuen gesellschaftlichen Werte, so dass sich schließlich auch ökologische Nachhaltigkeit einstelle.

Sonntag, 3. März 2013

Gesänge fremder Völkerschaften: Die Einsamen allein

Die Einsamen allein wissen, wie es sich anfühlt, allein zu sein. Nathan Dickinson etwa, der sich an eine Ukulele festhält und in die Dunkelheit heult. "Du wirst nie allein sein, wenn Du bei mir bist", singt er und es klingt wie eine Drohung. Der breite Mann mit dem fettigen Haar aber hat ein großes Herz wie alle seine Bewunderer wissen. Wenn er singt, dann lassen sich die Menschen gern nieder, dann wird es heimelig und die wahre Botschaft der Musik übersetzt sich in glückliches Gläserklirren.

Es ist hier, in einer kaum verräucherten Bar in Seasight Heights an der vom Klimawandel verheerten Ostküste der USA wie immer auf den Reisen, die PPQ-Dokumentationsteams auf der Suche nach den Gesängen fremder Völkerschaften unternehmen. Die Musik windet ein Band, das Bier bügelt die Dissonanzen aus. Nathan Dickinson ist nicht die Zukunft des Rock'n'Roll, er ist nicht einmal seine Vergangenheit. Er könnte durchaus der Bruder von Florian Becker sein, rein äußerlich natürlich, viel verbindet ihn aber auch mit den norwegischen Trauerklößen von Minor Majority. Auch die waren immer mitten unter anderen und dabei doch stets allein. "I´ll be sad and blue", singt Dickinson, wobei eine direkte Übersetzung ins Deutsche in die Irre führen würde.

Wer einsam ist und  dabei allein, der weiß, was das heißt.

Mehr Gesänge fremder Völkerschaften:
Mahdi im Elektroladen
Blasen in Oasen
Pogo in Polen
Hiphop in Halle
Tennessee auf Tschechisch
Singende Singles
Zehn Euro ohne Titten

X50: Politikers Millionengrab


Es ist ein weiterer Sieg klugen, verantwortungsvollen Regierungshandelns, aber es ist auch ein persönlicher Triumph eines ansonsten eher unscheinbaren Ministerpräsidenten, der hier nun endlich die Früchte seiner früheren Bemühungen als Wirtschaftsminister und Wirtschaftsstaatssekretär erntet. Zehn Jahre nach dem ehrgeizigen Versuch eines Unternehmers, das frühere sozialistische Klubhaus des VEB Chemische Werke Buna zu einer multifunktionalen Konzerthalle umzubauen, steht das gewaltige Gebäude in Schkopau vor dem Abriss. Ein Geschäftsmann aus dem Raum Leipzig will das Gelände mit dem historischen Großklubhaus X50 kaufen, das prägnante Gebäude aus der Stalinzeit abreißen "und das Areal an der Bundesstraße 91 als Gewerbepark entwickeln", wie die Mitteldeutsche Zeitung berichtet.

Es ist das letzte Kapitel einer Geschichte, an der der heutige sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reiner Haseloff eifrig mitschrieb. Nach der Schließung der Kulturfabrik vor den Toren des Buna-Werkes hatte das Haus mehr als zehn Jahre leer gestanden, ehe ein Diskobetreiber die Idee hatte, das Haus zu sanieren, umzubauen und als Konzerthalle und Großdiskothek wiederzueröffnen. Die Landesregierung in Magdeburg sagte rund zehn Millionen Euro Fördermittel zu, um die "touristische Infrastruktur" zu stärken.

Bald nach Baubeginn aber verlor die regierende SPD die Wahlen, die CDU stellte nun den Ministerpräsidenten und den Wirtschaftsminister. Und dessen Staatssekretär Haseloff nahm sich mit seinem Amtsantritt engagiert der Beschwerde eines mit dem X50-Investor konkurrierenden Diskothekers an: Statt eines multikulturellen Zentrums plane Niemöller nur den Bau einer Großdisco, hatte der enthüllt, was zuvor nie betritten worden war.

So eine Investition aber wollte die neue Landesregierung nun nicht mehr fördern. Die Auszahlung der zugesagten Fördermittel wurde gestoppt. Mangels Geld folgte ein Baustopp. Wenig später krachte das gesamte Imperium des Martin Niemöller in sich zusammen.

4,8 Millionen Euro Staatsgeld waren da schon in den Bau geflossen, der eigentlich bald darauf hätte eröffnet werden können. Eröffnet wurde stattdessen ein Betrugsprozess gegen Niemöller. Die Landesregierung schickte dem wenig später verurteilten Pleitier schließlich ein Schreiben mit der Aufforderung, die 4,8 Millionen zurückzuerstatten. Schließlich sei "der Förderzweck nicht erreicht" worden.

Eine kluge Strategie. Während die ersten Sprayer und Randalierer die fast fertige Konzerthalle heimsuchten und Schrotträuber die Innereien raubten, wartete Reiner Haseloff darauf, sein Geld zurückzubekommen. Das aber steckte in den Mauern von X50 - und die wurden mit jedem Tag ein wenig mehr zerschlagen, angezündet und vollgemüllt.

Aus der Investition wurde eine Investitionsruine, der es durchs Dach regnete und der die Armierungen wegrosteten. Große Politik mit kleiner Wirkung. 4,8 Millionen Steuergeld verschwanden im Nichts und niemand hat etwas für das Geld bekommen. Zehn Jahre danach ist das Geld weg und das Haus X50 ragt wie ein Mahnmal für die verlorenen Millionen in den Himmel bei Buna. Reiner Haseloff hat ganze Arbeit geleistet.

Samstag, 2. März 2013

Weltklimaprognosen vor Aufholjagd


Das Weltklima gibt keine Ruhe, immer heftiger bedroht der menschengemachte Wandel der Temperaturen die Lebensweise des Menschen. Die Extreme nehmen zu, die Vorhersagen mehren sich: Nachdem ein überdunkler Winter erste Belege für eine menschengemachte Klimaverdunklung lieferte, deuten erste zarte Sonnenstrahlen inzwischen auf eine verschärfte Rückkehr der Erderwärmung. Experten rechnen für den Zeitraum bis Juni mit einem Anstieg der Durchschnittstemperaturen von bis zu 20 Grad. Bis August, so warnen die Forscher, könnten die Werte sogar Spitzen von bis zu 33 Grad erreichen.

Das aber ist erst der Anfang. Zunehmende Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit könnten in den kommenden Jahrzehnten auch die Arbeitskraft der Menschen deutlich einschränken. Das berichten US-Forscher im Fachblatt "Nature Climate Change". Demnach wird es infolge des Klimawandels in vielen Regionen der Welt einen ausgeprägten Hitzestress geben, der den Menschen das Arbeiten erschwere. Das Weltklima kippe dabei insgesamt in Regionen, wie sie in Afrika und im arabischen Raum. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte es in den Sommermonaten in Washington heißer werden als es heute in New Orleans ist, glauben die Wissenschaftler. Voraussetzung sei, dass es mit dem Klima bald wieder aufwärts gehe. In den vergangenen zehn Jahren hatte es das nicht getan, bisher ist unbekannt, wie es dazu kommen konnte.

Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung haben allerdings eine Lösung gefunden, wie Wetterextreme und die Erderwärmung zumindest rechnerisch im Griff behalten werden. Eine Hitzewelle von Moskau im Sommer 2010 sei exakt zu 80 Prozent eine Folge der klimatischen Erwärmung gewesen, bestätigt Stefan Rahmstorf, einer der herausragenden Spitzenkönner auf dem Gebiet der Klimastrologie. Der kalte Winter dieser Tage sei zu 27,3 Prozent Folge der Erwärmung, zu 1,27 Prozent liege er am Start eines Schmetterlings von einem Busch im chinesischen Dschongsching.

"Wir können nur statistische Aussagen machen", versichert Rahmstorf. Das heiße, für die Hitzewelle in Moskau könne man berechnen, dass der Wetterwürfel praktisch so gezinkt sei, "dass er fünfmal so viele Sechser würfelt wie ein normaler Würfel, sodass es bei einer einzelnen Sechs, also dieser einzelnen Hitzewelle, eine 80-prozentige Wahrscheinlichkeit gibt, dass sie ohne den Klimawandel nicht aufgetreten wäre". Unmöglich sei es jedoch, mit diesem hochwissenschaftlichen Verfahren das Wetter von nächster Woche zu berechnen oder zu ergründen, weshalb die weltweite jährliche Durchschnittstemperatur seit 1998 nicht mehr signifikant angestiegen ist.

Während die globale Temperatur von den siebziger Jahren bis Ende der neunziger Jahre um etwa 0,5 Grad Celsius zugenommen hat, stagnierte der Anstieg in den letzten 15 Jahren, wenn auch auf hohem Niveau. Experten sehen hier eine direkte Folge der Verleihung des Friedensnobelpreises an Stefan Rahmstorf im Jahr 2012: Während 2010 noch das wärmste Jahr bislang überhaupt gemessene Jahr war, liegt landete 2012 nur noch auf dem zehnten Platz der Liste der wärmsten Jahre.

Die Stagnation überrascht auch viele Experten, die nun nach möglichen Ursachen für diese Entwicklung suchen. Unter Umständen habe die Arabellion in Nordafrika die Gemüter hinreichend abgekühlt, mutmaßen Forscher. Das ändere aber ebensowenig etwas an den langfristigen Prognosen wie der Umstand, dass führende Klimaastrologen wie Rahmstorf und Kanzlerberater Schellnhuber derzeit kaum für die gewohnten großen Klimainterviews zur Verfügung stehen.

Der Ursache für die ausbleibende Erwärmung sind die Experten allerdings längst auf der Spur. Durch "Störungen der natürlichen Muster der Luftbewegungen rund um die nördliche Erdhalbkugel, die vom menschengemachten Klimawandel verursacht werden, ließen sich jetzt eine ganze Reihe regionaler Wetterextreme erklären". Veränderungen würden vor allem von Veränderungen verursacht, diese führten wiederum zu weiteren Veränderungen.Warum das so sei, wisse man nicht. Die Berechnungen und Prognosen jedoch seien genauer als je zuvor. Zumindest, so lange sie nicht das Wetter der kommenden Woche betreffen.

Aktion Offene Arme für Armutsflüchtlinge


Der nordrhein-westfälische Integrationsminister ist von der zunehmenden Armutseinwanderung in deutsche Großstädte alarmiert. Anwohner protestieren gegen neuerrichtete Elendssiedlungen im Ruhrgebiet, Dortmund und Bochum stöhnen unter der Last der Sozialausgaben für die Neuankömmlinge aus den Roma-Lagern im Timisoara und Sofia. Deutschland zeigt sich der Welt einmal mehr als schlechter Gastgeber, der aus seiner unheilvollen Geschichte nichts gelernt hat. Popstars aus Bulgarien können im Schatten des Sinti- und Roma-Denkmals ungestört über Roma lästern, große Zeitungshäuser aus dem früheren Herrschaftsbereich von Roland Koch vor einer "Gefahr für den sozialen Frieden" warnen und Bayerns Innenminister Joachim Hermann, einst Erfinder der Soko Lebkuchenmesser, wagt es sogar, eine nicht nur aus der Nähe betrachtet hochrassistische "Einreisesperre für Armutszuwanderer" zu fordern.

Gut, dass es noch Menschen gibt, die ihr Mitgefühl nicht in der Brieftasche tragen! Während westdeutsche SPD-Politiker wie die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die EU auffordern, den freiwilligen Zuzug junger, leistungswilliger Bulgaren und Rumänen durch die Bkämpfung von "Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung in den Herkunftsländern der Roma" zu bekämpfen, bekennen sich Politiker im osten zum Zuzug. Ausgerechnet ein Dutzend BürgermeisterInnen und Bürgermeister aus ostdeutschen Städten an der "Straße der Gewalt" haben jetzt in einem Offenen Brief an die Neuankömmlinge im Ruhrgebiet klargemacht, dass die früheren Verbündeten aus Bulgarien und Rumänien den Menschen im ehemaligen Bruderland DDR auch heute noch herzlich willkommen sind. "Wir haben nicht vergessen, wie wir zusammen für Frieden und Fortschritt stritten", schreiben die Bürgermeister und Landräte, "wir warten mit offenen Armen auf Euch." Wenn sich herausstelle, dass die Bürgerinnen und Bürger im Westen noch nicht reif genug seien, mit Zuwanderung umzugehen, sei es sicher "keine schlechte Wahl für Euch, sich in den Weiten des deutschen Ostens nach einer neuen Heimat umzusehen", heißt es weiter. Hier seien ganze Landstriche entvölkert, ganze Straßenzüge ständen leer, die Lebenshaltungskosten sei viel niedriger als etwa in Dortmund, das Kindergeld aber genauso hoch. "Kommt her, schaut euch um", fordern die Absender des Briefes, die ihre Aktion "Offene Arme für Armutsflüchtlinge" nennen. Beteiligt sind die Bürgermeister von Mittweida, Jena, Zwickau, Dessau, Dresden und anderen Städten.

Hintergrund der überraschenden Offerte ist offenbar eine Idee der Thüringer PDS-Landtagsabgeordnete Katharina König zur Einführung eines Pflichtmigranten-Anteils in Ostdeutschland, mit dem die Folgen der seit rund 60 Jahren dauernden Armutsabwanderung aus Mitteldeutschland gedämpft werden soll. Nach Königs Vorstellungen wird künftig ein bestimmter prozentualer Anteil der Bevölkerung in Dunkeldeutschland mit Menschen anderer Farben, anderen Glaubens und anderer Herkunft besiedelt. Um nicht warten zu müssen, bis ihnen diese sogenannten Pflichtmigranten durch das noch zu gründende neue Bundespflichtmigrantenamt zugeteilt werden, haben die Bürgermeister nun zur Selbsthilfe gegriffen. Der raum ohne Volk müsse aufgefüllt werden.

"Eine mutige Idee", heißt es in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt Magdeburg dazu. Hier knobelt inzwischen eine Arbeitsgruppe der Landesregierung an Möglichkeiten, die Aktion "Offene Arme" zu unterstützen. Vor allem die mittlerweile weitgehend entvölkerte Altmark könne, in der zuletzt zunehmend Wölfe unterwegs waren, so vielleicht wiederbesiedelt werden.

Raum ohne Volk

Freitag, 1. März 2013

Silvester für Mot-Schützen

Am ersten März ist das Jahr rum. Wolfgang Grenzebach, der letzte Befehlshaber der emeritierten Reste der DDR-Volksarmee, beglückwünschte die Seinen dann jahrzehntelang mit einem Formschreiben zum "1. März". Die Anzeige war stets nach NVA-Marine-Codebuch verschlüsselt. Text exakt nach Schlüsselbuch, Seite wie Datum: heute, Infanterie, Titel, "So bremst der Hase". Dringlichkeit-Blitz, Dreifachschlüssel im X. Für den Klassenfeind unlesbar.

Decodiert heißt "1. März" Friedensarmee, Waffenbrüder, Hosenträger und Kalaschnikow, erzählt also eine ganze Lebensgeschichte und nicht nur die eines Einzelnen und diese dann alle Jahre wieder. Seit 1990, als die Nationale Volksarmee im Felde unbesiegt aufgelöst wurde, schaltete Wolfgang Grenzebach seinen Gedenkstein aus Papier: Der letzte noch aktive Oberstleutnant der Nationalen Volksarmee der DDR, ein Mot.-Schütze im Friedensdienst, der seine Schulterstücke noch immer fühlen kann.

Grenzebach, der nach dem Zusammenbruch der DDR als Wachmann arbeitete, steht für Zeitenbrüche, die ganze Generationen aus der Bahn warfen. So sehr sie das Feldgrau aus volkseigenem Filz früher einengte, so sehr sind sie heute stolz darauf, es getragen und ertragen zu haben.

Ost und West, früher und damals, längst sind diese Themen untergegangen im steten Strom von banalen Skandalen, aufgesogen von den Themen der Mehrheit, den Fragen der Neuzeit. Wolfgang Grenzebach und seine Generation haben mit dem Gewinn der Freiheit alles verloren: die Schulterstücke, das Gefühl, wichtig und nützlich zu sein, den Glauben, Weltgeschichte zu gestalten, das Wissen, die Avantgarde zu verkörpern, und die Sehnsucht, eines Tages als der von Lenin geträumte neue Mensch zu sterben.

Sie sind 23 Jahre nach dem Ende ihres Staates nicht nur eine Minderheit im eigenen Land, sondern auch die einzige Minderheit, über die nie gesprochen wird, die keinen Zentralrat für sich reden lässt, die Diskriminierungen gegen sich nicht mit zornigem Protestgeschrei quittiert und keinen Anspruch erhebt, ihre rituellen Feiertage zu Feiertagen für das ganze Volk erklären zu lassen.

Sie feiern still, unbeobachtet, unerwähnt und in der sicheren Gewissheit, dass die Bevölkerungsmehrheit aus NVA-Ungedienten, Westgeborenen und denen mit der Gnade der späten Geburt 2.0 sich stillschweigend wünscht, sie würden eines Tages durch eine biologische Lösung gleich der verschwinden, die sie sich selbst in ihren guten Tagen für ihre greisen Führer wünschten.

Mit ihnen wäre die Sorte Erinnerung entsorgt, die keine Knopp-Geschichtsfilm einfängt. Klassenkampf und Politschulung, 8. März und kurze Röcke, f6, Blauer Würger, Konsum und HO, was haben wir gelacht. 250 große Brüder in der Straßenbahn, voll aufmunitioniert unterwegs zum Manöver am Stadtrand! Glaubt kein Mensch.

Wolfgang Grenzebach wusste es noch. Er war der allerletzte seiner Art. Ein Zeitzeuge, der sich nicht mehr erinnern konnte. In diesem Jahr ist Wolfgang Grenzebach erstmals seit 22 Jahren verstummt. Keine Anzeige. Kein Glückwunsch an die Genossen. Eine Ära ist beendet.

Billiglohn im Bundestag

Eben noch hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth die hohe Zahl an befristeten Verträgen und eine "beispiellose Geheimniskrämerei" beim Online-Händler Amazon kritisiert und eine "Wiederbelebung der Kultur der sozialen Verantwortung" gefordert. Und schon steht der Sozialdemokrat aus dem Bundestag selbst im Mittelpunkt des Interesses: Roth nämlich beschäftigt nach eigenen Angaben drei Vollzeit-Mitarbeiter, dazu vier Teilzeitkräfte, einen Mitarbeiter im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses und einen Praktikanten bzw. eine Praktikantin. Bezahlt werden diese neun Menschen aus der jedem Bundestagsabgeordneten zustehenden Monatspauschale für die Beschäftigung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Höhe von 14.978 Euro.

Der Rest ist einfache Mathematik, bei der Berechnung wurden die ebenfalls aus der Pauschale zu zahlenden Miet- und Betriebskosten des Abgeordenetenbüros zugunsten Roths ausgespart - die gesamte Pauschale steht ihm so zumindest im Rechenbeispiel für Mitarbeitergehälter zur Verfügung.

Der geringfügig beschäftigte Mitarbeiter Roths kostet den Sozialdemokraten aus Eschwege im Monat 400 Euro, verbleiben also für die übrigen acht Mitarbeiter 14.578 Euro. Der Praktikant wird mit einem guten Zeugnis bezahlt – bleiben für die sieben anderen Mitarbeiter immer noch 14.578 Euro. Die vier Teilzeitmitarbeiter – zwei Sachbearbeiter und zwei Referenten – erhalten vermutlich um die 1.200 Euro brutto, also 850 netto für 20 Stunden Arbeit die Woche. Sie liegen damit knappe 200 Euro unter dem gesetzlich garantierten pfändungsfreien Existenzminimum von 1028 Euro. Sie hätten damit unter Umständen Anspruch auf ergänzende Zahlungen der Arbeitsagentur.

Dennoch verbleibt für die drei Vollzeitstellen der beiden Büroleiter und der Referentin I theoretisch gerade noch ein Verfügungsrahmen von 10.978 Euro. Zu gleichen Teilen auf die drei Vollzeitangestellten in den Abgeordnetenbüros von Michael Roth geteilt, ergibt das ein mögliches Bruttogehalt von 3.759 Euro und ein Nettoeinkommen von rund 2.170 Euro pro Kopf.

Mit einem Stundenlohn von 13,60 Euro, der „meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern direkt von der Bundestagsverwaltung ausbezahlt“ (Roth) wird, liegen Roths Mitarbeiter damit weit über dem Einkommen, das ungelernte Hilfskräfte beim Online-Händler Amazon erwarten dürfen. Und etwa gleichauf mit ungelernten Kassiererinnen bei Aldi Süd und Landschaftsgärtnern.

Hintergrund: Leibeigene im Bundestag