Beinahe wäre es dem Faschismus gelungen, sich
den wichtigsten Preis für industriell hergestellte Großhallenmusik Deutschlands zu sichern. Dann aber die Überraschung: Ein Schulterschluss der demokratischen Rocker, eine Proklamation gegen Quertreiber, Hetzer gegen unsere Republik und Sänger, deren Lebenslauf von Jugendsünden nur so strotzt! Gelebte Toleranz, wie sie Mia, Kraftklub, Die Ärzte, Jennifer Rostock und die Toten Hosen predigen, hat ihre Grenzen - und die liegen da, wo andere anders denken.
"Wir finden deren Weltbild zum Kotzen", hat die als "Mieze Katz" bekanntgewordene Mia-Sängerin Maria Mummert als Begründung für ihren Aufruf angeführt, der italienischen Band Frei.Wild die Teilnahme an der diesjährigen "Echo"-Verleihung zu verbieten. Mia, eine selbst als
deutschnational kritisierte Gruppe aus Berlin, bittet damit nach ihrem karrierestart mit einem "tabubrecherischen Deutschland-Hype" um Wiederaufnahme in die Reihen der fortschrittlichen Popmusik.
"Gut, dass die Deutsche Phono-Akademie die umstrittene Südtiroler Band Frei.Wild von der Liste der Nominierten für den deutschen Musikpreis Echo gestrichen hat", applaudiert die Frauenzeitschrift
"Stern", die wie das gesamte deutsche Feuilleton "immer schon besser als alle anderen wusste, wie Vergangenheitsbewältigung auszuschauen hat", wie die Südtiroler
Tageszeitung schreibt.
In Deutschland hingegen ist klar: Eine Musikgruppe, die auch nur im leisesten Verdacht stehe, rechtsextrem zu sein, habe das Recht auf die Unschuldsvermutung verwirkt und "auf einer Verleihung des wichtigsten deutschen Musikpreises nichts zu suchen" (Stern). Im Kampf gegen Rechts müssten "alle gesellschaftlichen Gruppen an einem Strang ziehen", eine Band, "die mit rechten Symbolen und Werten kokettiert und nichts gegen rechtsextreme Fans unternimmt, ist nicht preiswürdig", befindet "Stern"-Autor Carsten Heidböhmer, der sich kürzlich erst
Verdienste um die Verteidigung der Millionengehälter von Fußballspielern erworben hatte.
Rudi
Werion, der große demokratische Schlager-, Musical- und Filmkomponist, der der schwedischen Migrantin Nina Lizell bereits anno 1969 das Stück "Rauchen im Wald ist verboten" geliefert hatte, schloss sich an: "Seine Gedanken sind nicht die unsrigen, seine Welt ist nicht unsere Welt, und seine Lieder sind nicht unsere Lieder", sagte er. Da mögen sich die Frei-Wild-Mitglieder auch noch so sehr als Opfer gerieren, nur weil ihre Band inzwischen nicht mehr im Radio gespielt wird, Schwierigkeiten hat, Auftrittsmöglichkeiten zu finden, und nun auch noch bei öffentlichen Veranstaltungen ausgeladen wird. Sie sind keine Opfer, wie Konrad Wolf, der große ostdeutsche Filmemacher, vor Jahren schon bemerkte. Frei.Wild-Sänger Philipp Burger sei "nicht der unbequeme, manchmal zu weit gehende, aber zu Unrecht verdächtigte Liedermacher, sondern ein Mann, der einen anderen politischen Weg geht als wir", analysierte er.
Wer einen anderen Weg geht, ist aber ein Feind, ein Feind Europa, ein Feind des korrekten Rock'n'Roll. Überdeutlich denunziert Burger im Song „Land der Vollidioten“, der sich gegen die FDGO richtig, anständige Leute als „Gutmenschen und Moralapostel“. Frei.Wild-Texte "klingen nach wie vor wie Hymnen, pathetisch und aggressiv, gegen das korrupte System und verlogene Politiker", prangert die "Welt" an,
was am Schaffen der Südtiroler nicht zu akzeptieren ist.
Max Oeser, Komplexbrigadier im Bau- und Montagekombinat Ingenieurhochbau Berlin, fasst zusammen, warum Philipp Burger zurecht von der "Echo"-Liste flog: Wir Arbeiter brauchen keinen „Dichter", der die werktätigen Menschen verleumdet und beleidigt..." Auch Helmut Sakowski, der 1942 der NSDAP beitrat und seit seit 1973 Mitglied im Zentralkomitee der SED war, stellt klar: "Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe, so sagt das Sprichwort." Frei.Wild hätte "kaum noch Lieder gemacht und gesungen für die Millionen Leute in diesem Land, denen meine Hochachtung gehört", weil sie sich der Politik der Staats- und Parteiführung verpflichtet fühlen.
Mia, die einst ein Gratiskonzert zum revolutionären 1. Mai auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin gaben,
können mit ihren kritisch-optimistischen Kompositionen ein Lied davon singen, dass es auch anders geht. Getreu den neuen "
Arbeitshinweisen für die politisch-operative Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion und Untergrundtätigkeit unter jugendlichen Personenkreisen", mit denen das
Bundesblogampelamt im mecklenburgischen Warin ein Abgleiten Jugendlicher in Euroskeptizismus, geistiges Brandstiftertum und abweichende Weltbilder verhindern helfen will, prangern die jungen Musiker um Maria Mummert die Einmischung der Italiener in die deutsche Rockszene an. "
Ich bin hier, weil ich hier hingehör'", halten sie den Zugereisten aus Tirol entgegen - die Botschaft ist deutlich: Du gehörst hier nicht hin, Philipp Burger!
Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, hat Rosa Luxemburg einst festgelegt, die Revolutionärin dachte allerdings natürlich nicht daran, dass Elemente wie Frei.Wild diese Genehmigung als Freibrief verstehen würden, menschenverachtende Zeilen wie "Ja unser Heimatland, es ist so wunderschön, das kann man auch an unsren Bergen sehn,
sie ragen stolz zum Himmel hinauf, schon unsere Ahnen waren mächtig stolz darauf" zu dichten oder dreist zu behaupten "Rot oder Braun, keinem darfst Du trau'n".
Theo Bälden, Fritz Cremer und Herbert Sandberg, drei anerkannte Künstler unserer Republik, reagieren prompt. Das Auftreten von Frei.Wild in der Bundesrepublik "kann nicht unsere Zustimmung finden". Auch Udo Schelle, ein kerniger
Arbeiter aus den Energiewerkstätten in Buna, ist für "klare Kante" (Peer Steinbrück): "
Als Arbeiter unterstütze ich voll die Entscheidung unseres Staates - hier hat man mit der notwendigen Konsequenz gegen solche Staatsfeinde gehandelt."
Die Toten Hosen, in ihren Anfangsjahren lange selbst von den deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme boykottiert, haben nach ihrem Wechsel auf die Seite der Boykottierer nun einen provokanten Vorschlag gemacht, wie sich die drohende erneute Nominierung erfolgreicher umstrittener Bands in Zukunft für die Erreichung der Toleranz-Ziele unseres Gemeinwesens nutzen lassen könnte. Auf ihrer Homepage schlagen die Hosen
die Einführung einer neuen Echo-Kategorie „Rechte gegen Nazis“" vor, in der "in Zukunft Bands und Interpreten unterbringen kann, die mal rechts waren, aber heute garantiert „unpolitisch“ sind". Voraussetzung für eine Verleihung müsse jedoch ein feierliches Abschwören von früheren Fehltritten, umstrittenen Vorwürfen und kruden Thesen sein, die in Form einer öffentlichen Zeremonie am Mahnmal "Wider den undeutschen Geist" am
Berliner Bebelplatz stattfinden könne. Damit schlösse sich ein Kreis: August Bebel, der Namensgeber des Platzes, hatte sich einst aus Abenteuerlust als Freiwilliger bei den Tiroler Jägern gemeldet, um mit der legendären Truppe in den Sardinischen Krieg zu ziehen. Allerdings wurde der gebürtige Rheinländer damals abgewiesen, weil er
kein Tiroler war.
Staatsfeindliches Frei.Wild-Video, ohne behördliche Genehmigung gedreht im Exil in Lönnewitz, Sachsen:
(Arbeiter- und Künstlerzitate nach
Neues Deutschland, 1976, Stimmen zur Biermann-Ausbürgerung)