Es waren Zahlen, mit denen in dieser Deutlichkeit kaum jemand gerechnet hatte. Selbst Thomas Krüger, bekanntgeworden durch seinen Versuch, nackt ins Bundesparlament einzuziehen, zeigte sich überrascht. Der SPD-Politiker, nach seinem Scheitern bei der Bundestagswahl 1998 mit dem Posten des Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) abgefunden, musste einräumen, dass Berufstätige am anfälligsten für rechtsextremistische Ansichten sind: Nicht abgehängte Sachsen, arbeitslose Brandenburger oder Mecklenburger ohne Perspektive gehen danach am ehesten hinterlisten Bauernfängermethoden der Rechtsfaschisten auf den Leim. Sondern nicht mehr ganz junge und noch nicht ganz alte Bürger aus der Arbeiterklasse und dem Kleinbürgertum.
Trotzige Erwerbstätige
Es sind diese Menschen, die die Umsetzung der Klimapläne der Bundesregierung gefährden und bei Wahlen trotzig zum eigenen Schaden abstimmen. Auffallend dabei ist, dass Bürgerinnen und Bürger je mehr betroffen sind, je weniger Zeit ihnen aufgrund beruflicher Belastungen bleibt, ordentlich Pflichtstunden in den Konsum von Medien wie ARD, ZDF oder Frankfurter Rundschau zu investieren. Thomas Krüger will nun gegensteuern. Da eine weitere Erhöhung der Bemühungen um mehr politische Bildung bei Berufstätigen offenbar verpufft - in den vergangenen fünf Jahren die Bundeszentrale ihren Etat von 37 Millionen Euro auf mehr als 54 Millionen Euro hochgefahren und mit dem Fachbereich Politikferne Zielgruppen (FBPZ) eine eigene Special Unit zur Rettung verlorener Demokratenseelen gegründet -, will Krüger die Aufgabe der Bundeszentrale, "durch Maßnahmen der politischen Bildung Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern" über einen Umweg erfüllen.
Blind für Reißzähne
Die aktuelle Umfrage zeige eine Unwucht zwischen jüngeren und älteren Nicht-Berufstätigen und Menschen im mittleren Alter, denen es offenbar aufgrund von Belastungen im Job nicht möglich sei, die Reißzähne von bereits mehrfach überführten Rechtspopulisten wie Alexander Gauland, Björn Höcke und Andreas Kalbitz zu sehen. „Die Problemgruppe Nummer eins sind die berufsaktiven Menschen“, sagt Thomas Krüger. Diese Menschen seien bislang nicht in formale Infrastrukturen politischer Bildung eingebunden und sie hätten neben Job und Familie ein relativ geringes Zeitbudget zur Verfügung. Hier wolle man ansetzen.
Krüger sieht dabei vor allem eine Stellschraube: Erhöhe sich die Zahl der Arbeitslosen, verbliebe den Betroffenen mehr Zeit, BPB-Angebote in den klassischen und den sozialen Medien anzunehmen und die eigene politische Bildung zu verstärken. Es reiche jedoch nicht, auf eine in Kürze einsetzende Wirtschaftskrise zu hoffen, das hätten die jüngsten Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg gezeigt, bei denen rund ein Viertel der Anderwahlteilnehmenden sich entschieden hätten, verfassungsfeindlich zu wählen. Die Ursache ist kaum zu übersehen: In Sachsen verursachte die vergleichsweise niedrige Arbeitslosenquote von nur 5,4 Prozent einen Stimmemanteil der AfD von 27,5 Prozent. Während es in Brandenburg gelang, die AfD mit einer nur leicht höheren Arbeitslosenquote von 5,6 Prozent bei 23,5 Prozent zu deckeln.
Mehr Arbeitlose, weniger AfD
Rein rechnerisch, haben die Wissenschaftler der zum Bundesinnenministerium gehörenden Bundeszentrale errechnet, entspricht damit eine Erhöhung der Arbeitslosenquote um 0,2 Prozent einem Stimmenverlust der AfD von ganzen vier Prozent. "Das heißt, mit einer nur um 1,2 Prozent insgesamt höheren Erwerbslosenzahl ließe sich das AfD-Ergebnis auf Null drücken", erklärt eine Mitarbeiter des Fachbereichs Politikferne Zielgruppen (FBPZ).
Zuletzt seien erste Erfolge erzielt worden, es gelang der Bundesregierung, die Zahl der Arbeitslosen durch eine kluge Politik der Steuererhöhungen, verschobenen Reformen und des konzentrierten Stillhaltens erstmals seit April wieder nennenswert zu erhöhen. Damit habe sich die Zielgruppe der staatstragenden Botschaften der Bundeszentrale bedeutend erhöht, beschreibt Thomas Krüger. Allerdings setze im Augenblick noch "die verfassungsmäßig vorgesehene Staatsferne des Rundfunks bei stärkeren Angeboten in den klassischen Medien" gewisse Grenzen, so dass es kaum möglich sei, Erwerbslosen eine Zuschaupflicht aufzuerleben, wenn bei "Tagesthemen", "Tagesschau" oder "Monitor" mitgeteilt werde, wie richtig zu denken und zu sprechen sei. Thomas Krüger sieht hier Nachholbedarf. „Einige rechtskonforme kreative Modelle hat es gegeben. Wir brauchen aber mehr professionelle Partnerschaften und auch die nötigen Ressourcen dazu.“