Freitag, 21. Februar 2020

Hanau: Bombe im Kopf

Medien Terror Aufarbeitung
An Erklärungen herrscht schon kurz nach der Tat kein Mangel mehr. Und was jetzt getan werden muss, ist zum Glück auch gar keine Frage.


Kaum ist der Pulverdampf verweht, geht es wieder um alles. Wer kann, was geschehen ist, am besten für seine Zwecke nutzen? Wie lässt sich, was wie aus heiterem Himmel über eine ganz normale Stadt gekommen ist, verwerten für eine politische Agenda, die vor allem daraus besteht, die eigene Ratlosigkeit hinter Symbolhandlungen zu verbergen? Was kann, was muss, was ist noch drin im großen Topf der Verschärfungen von Strafrecht, der Begradigung der Bürgerrechte, der Ausweitung von Überwachung und Meldepflichten? Und lässt sich, schließlich, nicht mittels dieser Tragödie, ausgelöst von einem womöglich psychisch schwer erkrankten Mann, endlich ein Problem lösen, das spätestens seit dem, was späteren Generationen nur als "Thüringen" bekannt sein wird, droht, die Regierbarkeit des Staates zu gefährden?

Der "Arm des Hasses"



Es riecht ein wenig nach Reichstagsbrand, wenn Cem Özdemir die den politischen Gegner zum "politischen Arm des Hasses" erklärt, wenn die SPD die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz fordert und die Süddeutsche Zeitung ohne jeden Beleg orakelt,  die "Gewaltbereiten im Lande fühlten sich plötzlich verstanden".  Ganz so, als ob irgendwo irgendwer und sei es noch so leise Applaus zur Tat des Hanauer Mörders Tobias Rathjen geklatscht habe. UNd wenn, dann waren das neben der AfD die CDU und die FDP, die dem Mörder den Weg geebnet haben", wie die Linke in Thüringen versichert.

Ein deutsches Phänomen seit Jahren. Als der 21-jährige Arid Uka vor 2011 am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschoss und zwei schwer verletzte, war das kein Terrorakt, sondern der Gewaltausbruch eines Verstörten. Als in München ein 18-jähriger um sich schoss, lautete das schnelle, aber gesellschaftlich beruhigende Urteil "Amoklauf".  Auch den Attentäter von Nizza war letztlich nur "psychisch krank" (FAZ), im Grunde konnte auch er nichts für das, was er getan hatte.

Und ebenso wenig konnte irgendeine Behörde oder gar die Regierung vorher etwas dagegen tun. So ist das, das Leben ist gefährlich, es endet mit dem Tod und je gewalttätiger die Zeiten sind, desto früher geschieht das. Kein Geheimdienst, keine Polizei, kein Gesetzgeber und keine Betroffenendemo kann verhindern, dass Menschen wie der Halle-Attentäter Stefan Ballet oder Tobias Rathjen, der  Todesschütze  von Hanau, an irgendeinem Tag aus ihrer Haustür treten und ankündigungslos Menschen ermorden, weil sie - wie Rathjen es offenbar tat - an selbstausgedachte Horrormärchen über unwerte Völker, tausende gefolterter Kinder in unterirdischen US-Militärbasen und die eigene Vollüberwachung durch namenlose Geheimdienste glauben.

Kurt Cobain ist schuld?


Ein Satz wie "Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind", der honorigen Männern wie Woody Allen und Joseph Heller zugeschrieben wird, ist eine Bombe, die im Kopf solcher Menschen jederzeit zünden kann. Macht das Woody Allen zum Mittäter? Oder Joseph Heller? Oder Henry Kissinger, Delmore Schwartz, Terry Pratchett und Kurt Cobain, der die Zeile ""Just because you're paranoid / don't mean they're not after you" in seinem Song "Territorial Pissings verwendete?

Politisch gesehen ist das nicht die Frage. Politisch gesehen ist es eine Chance. Je weniger etwas zu verhindern ist, umso größer müssen die Bemühungen sein, so zu tun, als könne man es verhindern. Und umso weniger Erfolg das verspricht, umso weitgehender können die Maßnahmen sein, die eingeleitet werden. Je weniger man gegen Taten wie die in Hanau tun kann, umso mehr muss man so tun, als könne man etwas dagegen tun. Zumal das den Vorteil hat, dass man etwas für sich selbst tun kann: Man nennt den politischen Gegner als Verantwortlichen. Man verschafft sich nur Gesetze, die mehr Überwachung erlauben. Und gestattet es den Sicherheitsbehörden, auf einer niedrigeren Schwelle tätig zu werden: Wenn einer losschlägt, der nie im Verdacht stand, dann, das ist nur logisch, kommt es auf den Verdacht nicht an. Man muss gerade die im Blick behalten, die keinen Verdacht erregen. 

Rathjen, im Unterschied zu zahlreichen anderen Tätern des neuartigen Alltagsterrorismus aus der Nachbarschaft von Politiker, Medien und Ermittler nicht abgeheftet als ziellos aus sich selbst heraus mordender Wahnsinniger, trat an einem Tag in Aktion, an dem das Bundeskabinett mit der Verschärfung des NetzDG nach pakistanischem Vorbild das größte, umfassendste und am tiefsten in die Privatsphäre von Millionen eingreifendste Überwachungsrecht aller Zeiten verabschiedet hatte.  Ein Gesetz, das nun zweifellos nicht so bleiben können wird, denn es muss - die Lage verlangt es, das muss nun jeder einsehen - verschärft, noch durchgreifender und noch umfassender gestaltet werden.

Ein Mechanismus, der nach jedem Akt des Rechtsterrorismus greift,  und immer weit, weit ins Leere. Auf Menschen zu schießen, in der Absicht, sie zu ermorden, weil sie entweder dies sind oder jenes, oder das nicht oder nicht genug, braucht es  neben einer Motivation, die aus religiöser oder ideologischer Verblendung kommt, in jedem Fall ein Maß an moralischer Verkommenheit, das pathologisch ist und nicht Folge von Whatsappchats oder Besuchen auf Parteiversammlungen, seien sie auch noch so aufpeitschend.


Jeder weiß das. Aber das ist unnützes Wissen. Es verunsichert. Und eignet sich kaum zur Verwendung im politischen Meinungsstreit.  Der nutzt deshalb andere Erklärungen, immer herrscht schon Stunden nach der Tat kein Mangel mehr an Bezichtigungen, Verantwortlichen, Hintermännern, Drahtziehern und geistigen Brandstiftern. 

Aber was jetzt getan werden muss, ist zum Glück auch gar keine Frage, nirgendwo. Der Staat und seine Organe müssen jetzt aufrüsten – technisch, aber auch mental. Horst Seehofer hat schon reagiert. Und die angekündigt, die Polizeipräsenz vor Shisha-Bars Moscheen zu erhöhen. 

Retter Röttgen: Der Klimawandler

Merkel Machtkampf CDU
Es wäre Norbert Röttgens Lebenstraum, der Frau, die ihn einst aus dem Kabinett warf, nachzufolgen.
Wenn Norbert Röttgen morgens vor dem Spiegel steht, sieht er einen Mann wie den jungen John F. Kennedy, einen deutschen Emmanuel Macron, ausstrahlungsstark, mitreißend, eine personifizierte Politikwende hin zu mehr Bürgernähe, Zukunftsgewissheit und Freude am Fortschritt. Röttgen ist ein wenig größer als Armin Laschet, der sein Programm im Namen trägt, er ist nicht so hager und ausgezehrt von der Jagd nach Maximalprofiten wie Friedrich Merz und er hat viel mehr politische Erfahrung als der 15 Jahre jüngere Jens Spahn.

Dass ihn niemand gefragt hat, ob er die CDU nicht gern führen würde, hat Norbert Röttgen seiner Partei zwar übelgenommen. Doch der 54-Jährige weiß trotz unguter Erfahrungen, dass es manchmal auch auf Eigeninitiative ankommt. Dann muss man springen, ohne zu wissen, wie tief das Wasser im Becken ist. Hauptsache, sie sehen einen alle fliegen.

Und das haben sie. Während das Trio, aus dem Agela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer den künftigen Parteivorsitzenden der CDU und Kanzlerkandidat der Union auszuwählen planten, noch immer in den Büschen sitzt und auf einen Ruf der Parteibasis wartet, ist Norbert Röttgen in die Bütt gegangen. Ein Überraschungscoup, denn seit der frühere CDU-Landesvorsitzende von NRW seinen Posten als Umweltminister im Bundeskabinett verlor - als zweiter Bundesminister überhhaupt durch eine förmliche Entlassung -, weil irgendjemand schuld sein musste an der verlorenen Landtagswahl von 2012, galt Röttgen als reiner Talkshowpolitiker.

Halbwegs bekannt, zu jedem Thema einsetzbar, in der Partei aber für außenpolitische Themen abgeparkt, die niemanden interessieren. Einen "Atlantiker" nennt das politische Berlin solche Fälle. Norbert Röttgen selbst, ehemals Vorreiter der Idee eines Zusammengehens der CDU mit den Grünen, beschied sich bescheiden mit der neuen Rolle. Volker Kauder, als Fraktionschef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion damals noch Minenhund der Kanzlerin, hatte ihn aber auch deutlich vor einer öffentlichen Abrechnung mit Führungsstil und Leitungsmethoden der Kanzlerin gewarnt.

Röttgen wusste, die politische Blase der Berliner Republik ist klein, jeder trifft jeden zwei, drei oder viermal im Leben. Man muss warten können, Geduld haben, aber die Gelegenheiten erkennen und nutzen, wenn sie sich bieten. Wie jetzt, wo der Wettlauf um die künftige CDU-Führung die eigentlich von jeder Form Wettrennen elektrisierten Medien schon nach einer Woche langweilte, weil einfach kein Startschuss fiel. Röttgen, als Erfinder des personengebundenen CO2-Budgets einst erster deutscher Weltklima-Pionier, ließ sich nicht einmal bitten, sondern er verkündete seinen Führungsanspruch ungebeten.

Richtig gerechnet. Wird "Merkels Favorit, Merkels Opfer, jetzt Merkels Erbe" fragt die Stuttgarter Zeitung. "Röttgen mischt das Rennen auf", schwärmt der "Spiegel", mit "aufgerissener Jacke" sieht die Taz den Initiativbewerber und die FAZ lobt ihn als "männlich, katholisch, aus Nordrhein-Westfalen". Also alles, was Merkel nicht ist. Das ist er, der "Geheimagent der Wirklichkeit", wie ihn der Focus fast schon sehnsuchtsvoll nennt.

Kippt sie also? Schon wieder? Läutet Norbert Röttgen, der fast vollkommen farblose Jurist aus Königswinter, das Zeitalter nach der ewigen Kanzlerin ein?

Zutrauen würde er selbst es sich, den entsprechenden Unterhaltungsfaktor brächte Röttgen auf jeden Fall auch mit. Unvergessen ist bis heute ein Fernsehauftritt des begnadeten Rabulisten, bei dem der damals noch als Umweltminister amtierende Christdemokrat gefragt wurde, ob er nicht zwar mit dem Zug angereist sei, seinen Dienstwagen aber ebenfalls nach Hamburg habe kommen lassen. Röttgen antwortet schlagfertig und ohne zu Zögern: „Nein, das ist nicht so.“

Wenig später musste er dann zugeben, dass sein Dienstwagen doch mitgereist war. Allerdings sei sein Fahrer nicht einfach so nach Hamburg nachgekommen, sondern „von Berlin nach Bonn über Hamburg“ gefahren, weil er ihn ja "in Hamburg nach der Aufzeichnung der Sendung zu einem Anschlusstermin und dann zum Bahnhof" habe fahren müssen. Norbert Röttgen erklärte diese Fahrten zu einem Teil seines "Verlangens nach mehr Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel".

Wird er tatsächlich CDU-Chef und Bundeskanzler, ist für Doppelmoral weiterhin gesorgt.

Donnerstag, 20. Februar 2020

Kollektive CDU-Führung: Ein Trio mit acht Fäusten



Die Grünen haben zwei Chefs, die AfD und die Linken als jeweils extreme Randparteien auch, die SPD neuerdings dito – und nun kommt auch die CDU schwer unter Druck, die als eine von nur noch ganz wenigen deutschen Parteien immer noch auf eine einsame Spitze vertraut. Geht das überhaupt noch in Zeiten der Diversität? Wie kann eine notwendige Frauen- und wie kann eine denkbare Männerquote durch eine einzige Person gesichert und glaubhaft verkörpert  werden? Reicht wirklich eine Frau mit Kurzhaarfrisur, damit sich die männliche Hälfte der Bevölkerung wiederfindet? Oder muss die Union hier nicht vielmehr auch in der Form nachschärfen?

Ein Team für den Neuanfang



Das sind die Fragen, die weit über Thüringen hinaus überall diskutiert werden, wo derzeit Unionsanhänger die Köpfe zusammenstecken und sorgenvolle Mienen machen. Es geht um Weichenstellungen, die Basis und Überbau der letzten Volkspartei in den Tagen des Abschieds der noch amtierenden Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer umtreiben. Was tun? Weiter so? Oder radikaler Neuanfang? Wie lassen sich die zum Teil recht beliebten, zum Teil aber auch nur belächelten Duettpartner bei den kleineren Parteien übertrumpfen? Wie kann Modernität und Konservatismus gleichermaßen betont werden, ohne sowohl das ein zu tun oder das andere nicht zu lassen?


Die Antwort scheint klar: Die CDU tritt mit einem Trio an, mindestens. Das wäre ein Parteichef mehr als Grüne und die roten Konkurrenten derzeit vorweisen können – und zugleich ein deutliches Signal Richtung Ewiggestriger, die wie das CDU-Urgestein Wolfgang Bosbach gewarnt hatten: „Bitte keine Doppel- oder gar Dreierspitze!“ Aber warum denn nicht? Heute schon wird die CDU mit Merkel im Kanzleramt, die zuweilen auch die Partei führt, und AKK im Adenauer-Haus, die nebenbei Deutschlands Verteidigung leitet, von zwei Personen geführt. Das ist immerhin eine mehr als damals zu Zeiten von Helmut Kohl und der jungen Angela Merkel, die die beiden Jobs ganz allein wuppten.

Wechsel ohne Machtkampf



Nicht mehr angesagt in Zeiten der Sabbatjahre und des Jobsharing, in denen ein echter Machtkampf selbst um richtige  Führungspositionen im Land oder der EU kaum noch in Gang kommt. Nirgendwo Schlammschlachten, nirgendwo Hauen und Stechen mit durchgesteckten Skandalen und widerlichen Beleidigungen auf persönlicher Ebene. Auch eine Woche nach der Kapitulation von Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich kein einziger Bewerber um die Nachfolge öffentlich gezeigt. Jeder der bisher drei gehandelten Kandidaten erwartet, dass ihn die Partei auf Knien bittet, das Amt zu übernehmen.

Die Partei aber traut sich auch nicht, denn einen zu bitten, hieße, die anderen beiden zu verschrecken, die Spaltung zu vertiefen und den Falschen in die Hände zu spielen. Um Streit zu vermeiden und Geschlossenheit zu demonstrieren, bringen deshalb immer mehr Stimmen aus der CDU die neue Trio-Lösung ins Spiel, die sich auf die große und erfolgreiche Tradition der kollektiven Führung beruft. Ein Team soll es richten, geleitet von den Prinzipien des Parteiprogramms und als kollektive Führung schon allein von den möglichen Einsatzzeiten her auch talkshowtechnisch allen Stars der anderen Parteienüberlegen.

Frieden für die CDU


Zugleich bringt die Trio-Lösung Frieden in die Partei. Damit könnten Merz, Spahn und Laschet eingebunden werden, alle drei wären – wie bei den anderen Parteien – gleichberechtigte Parteichefs und damit auch gleichermaßen berechtigt, jeweils als erste Zugriff auf die Kanzlerkandidatur zu nehmen. Mit drei Kanzlerkandidaten wiederum würde die CDU allen Konkurrenten den Wind aus den Segeln nehmen; Für jeden wäre etwas dabei, für milde Sozialisten ebenso wie für beinharte Evolutionisten, für kapitalkräftige Selbstvorsorger wie für staatsgläubige Öko-Romantiker.

Annegret Kramp-Karrenbauer wird in den nächsten Tagen beginnen, die Bewerber zum Castingparcour in der Parteizentrale zu empfangen, wo sie gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel auswählen wird, wer ihr dereinst nachfolgen darf. Berücksichtigt werden soll dabei auch der 2012 von Angela Merkel entlassene ehemalige Minister für Reaktorsicherheit, Norbert Röttgen, dem aber wenig Chancen eingeräumt werden, dem künftigen Führungskollektiv angehören zu dürfen.

Vorbild Pakistan: Anti-Hass aus Islamabad

Der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung zum Thema Hassbotschaft.
Weitgehend unbeobachtet von deutschen Medien und ohne jeden Protest der Zivilgesellschaft hat der Kampf gegen Hass und Hetze zu einer erneuten Verschärfung von Strafrechtsvorschriften führen müssen. Mit den neuen Hassmeldegesetzen, die erstmals eine automatische Anzeigepflicht für vermuteten Hass, mögliche Drohungen oder missratene Witze bei neuzugründenden Sondereinsatzgruppen gegen Hetze vorsehen und Internetanbieter nun auch verpflichten, Namen, Anschlusskennungen und Passworte ihrer Nutzer an Behörden von Ordnungsämtern bis hin zu Geheimdiensten weiterzugeben, erreicht Bundesjustizministerin Christine Lambrecht ein wichtiges Etappenziel ihrer Bemühungen, den Meinungsstreit im Land zu befrieden.

Allein die Drohung des Gesetzgebers, jeder könne jederzeit und vollkommen automatisiert mit einem Strafverfahren ungewissen Ausgangs überzogen werden, weil er sich womöglich ungeschickt ausgedrückt oder eine - bisher in keinem Fall amtliche festgelegte - Hassdefinition falsch interpretiert hat, dürfte ausreichen, Millionen Menschen in Zukunft wirksam davon abzuhalten, ihre Meinung öffentlich zu äußern.

Das Herz eine Mördergrube, der Mund aber fest verschlossen - das Ideal einer deutschen Meinungsfreiheitsschutzpolitik, die vor Jahren noch wegen ihrer Träume von einer Hassmeldepflicht Ziel von Spott und Häme war, nähert sich der Vollendung. Harte Strafen und strikte Verfolgung versprechen der Bundespolitik künftig Ruhe und Ordnung im Land, Widerspruch wird sich im Handumdrehen kriminalisieren lassen, schon Andeutungen abweichender Ansichten dürften nach einigen laut zelebrierten Präzendenzprozessen kaum noch irgendwo gewagt werden.


Zu verdanken ist das einem Vorbild, das eigentlich sowohl bei der Meinungsfreiheit als auch bei der Netzpolitik eher selten als Vorreiter fungiert. Ausgerechnet aber im Bezug auf scharfe und strenge Regulierungsmaßnahmen für soziale Netzwerke und alle anderen Internet-Anbieter mit user generated content ist Pakistan tatsächlich eine echte Pioniernation: Schon im Januar hatte erließ die Regierung des für willkürliche Verhaftungen und undurchsichtige Prozesse bekannten islamischen Staates ein Social-Media-Gesetz mit dem Namen Citizens Protection Against Online Harm, das Unternehmen grundsätzlich für alle Inhalte auf ihren Plattformen verantwortlich macht und sie zum Löschen von Einträgen zwingt, die sich gegen die Regierung oder das Militär im Lande richten.

Mit dem neuen Gesetz müssen sich Social-Media-Unternehmen innerhalb von drei Monaten in Pakistan registrieren und ein Büro im Land eröffnen, das als Beschwerdestelle fungiert. Werden mutmaßlich gesetzeswidrige Inhalte angezeigt, müssen sie binnen 24 Stunden beseitigt werden. Zudem verfügte Ministerpräsident Imran Khan eine Auskunftspflicht auch bei verschlüsselten Inhalten und Nutzerdaten, die an Polizei, Staatsanwaltschaft und Geheimdienste übermittelt werden müssen. Weigert sich ein Anbieter, drohen ihm millionenschwere Strafen.

In Pakistan wird das Gesetz, das als Vorbild für die im Beschlussprozess befindlichen deutschen Regeln gilt, allerdings nicht mit dem Kampf gegen Hetze, Hass und rechts, sondern mit der Notwendigkeit begründet, die "Integrität, den Anstand und Respekt von Einzelnen und die Heiligkeit der Institutionen" zu wahren. Entsprechend ist auch die Einsichtsbereitschaft der Opposition geringer, die Notwendigkeit der Maßnahmen zu akzeptieren. Die oppositionelle Partei PPP spricht von einem Gesetz zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, auch der nationale Journalistenverband Committee to Protect Journalists fordert von der Regierung, den Kurs zu ändern. Nighat Dad von der Digital Rights Foundation glaubt, dass "die Definition von Extremismus, Religion oder Kultur" im Gesetz eigens "so weit gefasst und mehrdeutig ist, dass sie den Behörden die uneingeschränkte Macht verleiht, alle Online-Inhalte als illegal, extremistisch oder gegen den Staat zu bezeichnen.

Allein das schon eine Aussage, die bei schlechter Führung nächstens rechtswidrig sein dürfte.

Zum Glück ist das Echo auf die notwendigen Maßahmen zum erweiterten Meinungsschutz in Deutschland bei weitem positiver. Hier, wo Rechtsverletzer im Unterschied zu Pakistan auch mit Haftstrafen rechnen müssen, begrüßen sowohl die staatsfernen Fernsehsender als auch private Zeitungen und zu großen Teilen im Bundesbesitz befindliche große Netzplattformen das "Anti-Hass-Gesetz fürs Netz" (t-online).

Mittwoch, 19. Februar 2020

Wahl-Annullierung in Thüringen: "Merkel hat Demokratie beerdigt"

Graffiti Erfurter Hauswand
Bis zum 1. Mai, den einst die Nationalsozialisten zum gesetzlichen Feiertag erklärten, soll Thüringen nazifrei sein.
Nach einer Anweisung der Bundeskanzlerin müssen die Ergebnisse der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen rückgängig gemacht werden. Auch der Koalitionsausschuss der Groko in Berlin hat sich hinter diese Forderung gestellt und dabei betont, dass grundgesetzliche Regelungen, die Anweisungen der Zentralregierung an die föderalen Gliederungen, die die Bundesrepublik erst bilden, ausschließen, keine Rolle spielen. Es handele sich bei den jetzt ergangenen Anweisungen um einen Versuch, die "verstörenden Vorgänge in Thüringen" (Groko), wo ein Landesparlament geheim über einen Ministerpräsidenten abgestimmt hatte, zu klären und zu bewältigen.

Die Wahl in Erfurt wurde damit annulliert. Doch welche Rolle spielte Kanzlerin Angela Merkel bei der Entscheidung? Was wollte die SPD erreichen? Was bedeutet das für die Demokratie in Deutschland? Der Medienforscher Hans Achtelbuscher und der Populismusanalyst Jens Schreckenberg finden deutliche Worte.

Wer weiß, vielleicht wäre alles anders verlaufen, ginge es nicht um Thüringen. Das kleine Land im Osten, ausschließlich bekannt für seine Bratwürste und Fernrohre, ist kein Aushängeschild der Bundesrepublik, sowohl nach außen für die Welt als auch für den Rest des 80-Millionen-Einwohner-Staates, wo Thüringer als eher rückständig, rechtsextrem und veganfeindlich gelten.

Gleichzeitig ist das Land Ausgangspunkt des politischen Comebacks der SED gewesen. Nachdem die im benachbarten Sachsen-Anhalt jahrelang per Stillschweigen mitregierte, konnte die heute als "Linke" firmierende DDR-Staatspartei erstmals in Thüringen den Ministerpräsidenten stellen. Deshalb war es der unter akutem Bedeutungsschwund leidenden Regionalpartei auch besonders wichtig, die Region in der Hand zu behalten, obwohl das Ergebnis der letzten Landtagswahlen die linke Mehrheit im Parlament beendet hatte.

Als es geschah, griff das Kanzleramt ein. Angela Merkel nannte die Wahl eines Liberalen "unverzeihlich" und wies an, die Ergebnisse rückgängig zu machen. Inzwischen ist der kurzzeitige Amtsinhaber Thomas Kemmerich zurückgetreten, die Parteien in Berlin verhandeln jetzt darüber, wie Thüringen unter Vormundschaft des Bundes zurückgeführt werden kann auf den Pfad der Demokratie.


Thüringen wird bis zur Heilung aus Berlin regiert.
Für den Politikwissenschaftler und Medienforscher Hans Achtelbuscher ist das ein klarer Fall einer persönlichen Agenda der Bundeskanzlerin, die in den vergangenen Monaten schon aus dem Amt verschwunden zu sein schien. "Merkels Aufstieg und Fall ist ohne Thüringen nicht denkbar. Thüringen hat Merkel groß gemacht, und Thüringen hat ihr nun den schlimmsten Tiefschlag ihrer Politkarriere verpasst", analysiert der Experte vom An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung. "Dieser Stachel sitzt so tief, dass die Kanzlerin nicht einmal davor zurückschreckt, Deutschland nun auch noch den letzten Anschein einer Demokratie zu nehmen - sie annulliert eine Wahl, deren Ergebnis ihr nicht passt. Damit hat sie die Demokratie in Deutschland endgültig beerdigt."


Jens Schreckenberg von der Universität Gerswalde im Naturschutzgebiet Schorfheide bezeichnet die Wahlniederlage der CDU in Thüringen als "Frage der persönlichen Ehre" für Merkel.  Ein weiteres Motiv der Kanzlerin, die Wahl wiederholen zu lassen, könne sein, dass Merkel die SPD am Leben halten müsse. "Sie muss dem mit fürchterlichen Pannen gestarteten neuen Führungsduo Wind unter die Flügel blasen, um überhaupt noch getreue Vasallen zu haben, die der CDU eine politische Perspektive erhalten."

Schreckenberg ist sich "sicher, dass Merkel Esken und Borjans versprochen hat, dass sie als Gewinner des Eklats von Erfurt gelten werden, wenn sie anweist, die Wahl in Thüringen zu wiederholen, auch wenn die Verfassung eine solche Befehlsausgabe aus Berlin derzeit nicht vorsieht". Merkel setze sich zwar über demokratische Wahlen und grundgesetzliche Regelungen hinweg, so lange SPD, Grüne und Linke aber glaubten, daraus einen Vorteil ziehen zu können, werde das ohne Konsequenzen bleiben. "Alle profitieren davon", so Schreckenberg.

Merkel spiele hier ihre Machtroutine aus. Die Kanzlerin wisse genau, das alles erlaubt sei, was politische Gegenspieler marginalisiere. Der Erfurt-Eklat, der im ersten Moment ausgesehen habe wie ein völlig normalen Wahlvorgang in einem demokratisch gewählten Parlament, sei zum Anlass gemacht worden, die Fronten zu klären und eine Säuberung einzuleiten. Vieles hier verrate gründliche historische Schulung und tiefe Kenntnisse über notwendige Maßnahmen zum Machterhalt. "Es ist klar, dass sie das in Auftrag gegeben hat, das war ihr persönlicher Wunsch. Es gibt nun keine Gewaltenteilung mehr in Deutschland, Merkel regiert alles – und damit auch die Wahlkommission", so der gebürtige Thüringer.

In der Beurteilung, wie die erneute Abstimmung ausgehen wird, sind sich die Politiker nicht einig, im zu erwartenden Ergebnis aber schon. Für Achtelbuscher hat Merkel ihre demokratische Maske fallen gelassen und bleibt zurück als "zutiefst verunsicherte Herrscherin, die um ihre Macht bangen muss". Wenn die CDU einen linken Ministerpräsidenten mitwähle, und sei es nur durch Enthaltung, sei das ein Meilenstein, "den Teile der CDU nicht schlucken werden".

Daher könne Angela Merkel die Wahlen nur gewinnen, wenn sie die Geschlossenheit mit der SPD und den Parteien der demokratischen Opposition betone, um im Kampf gegen rechts besorgte Bürger von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Linke zu unterstützen."Dazu wird es viel Geduld brauchen", ahnt Hans Achtelbuscher, denn es könne durchaus sein, dass Wählerinnen und Wähler in Thüringen die Signale aus Berlin nicht im ersten Anlauf zu verstehen bereit seien. "In diesem Fall gäbe es wieder keine klare demokratische linke Mehrheit und es müsste ein weiteres Mal gewählt werden."

Drohungen der AfD, den Prozess abzukürzen und Bodo Ramelow zu wählen, um dem beliebten Westimport den Ruch eines von den Falschen gewählten Landesvaters zu verpassen, hält der  Wissenschaftler für wenig erfolgversprechend. "Das sähe wohl zwar ähnlich aus wie im Fall Kemmerich, würde aber medial ganz anders interpretiert werden." Die SPD habe unterdessen bereits  eine Leitfaden veröffentlicht, nachdem ratlose Medienarbeiter verfahren sollten. "Saskia Esken, die in dieser Frage als höchste Autorität gilt, hat festgelegt, dass es bei der Heilung Thüringens egal zu sein hat, was die AfD-Abgeordneten wählen."
Diese Entscheidung sei nun einmal für die deutschen Medien bindend, wolle man sich um Fördermittel aus der geplanten Demokratieabgabe bewerben..

Ringen um Thüringen: Keine für alle

Die Erfurter Taubengasse steht traditionell für eine Politik der friedlichen Zusammenarbeit von Regierung und Opposition, ausgenommen erwiesene Feinde der Gesellschaft.
Für n-tv war es ein „genialer Vorschlag“, für die Süddeutsche Zeitung „ein Angebot, das die CDU nicht ablehnen kann“, für die Taz ein "charmanter Vorschlag" und für die Frankfurter Rundschau der endgültige Beweis, dass der frühere Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow in Wirklichkeit ein echter Staatsmann ist. Ramelow hatte mit seiner Idee, seine Vorgängerin im Amt könne doch  eigentlich seine Nachfolgerin werden, für fiebrige Erleichterung bei allen gesorgt, die schon Angst hatten, Thüringen könnte gänzlich und für immer unregierbar bleiben.

Muss es nicht! Auf einmal stand eine Kandidatin bereit, die schon zu DDR-Zeiten Erfahrungen als Politikerin der Nationalen Front gesammelt hat. Die Ramelow nach der letzten Wahl zwar aus dem getrickst hatte. Die aber auch nach dem Sturz durch den Verrat ihrer früheren Koalitionspartner von der SPD nie die Contenance verlor und von einem „Kultur-" oder gar „Dammbruch“ sprach.

Gnade des frühen Ausscheidens


Lieberknecht, zuletzt nur noch einfache Abgeordnete im Thüringer Landtag, aber durch die späte Gnade eines frühen Ausscheidens gerade noch rechtzeitig verrentet, um am Thüringer Debakel der Kemmerich-Wahl nicht mitschuldig zu werden, vereinte in sich alle Vorzüge einer echten Kandidatin von allen für alle. Die CDU-Frau ist jünger als Ramelow, sie wäre als Ostdeutsche in einem ostdeutschen Ministerpräsidentenamt eine immer noch recht selten anzutreffende Ausnahme und als früheres Mitglied der DDR-CDU kehrte sie zudem im rüstigen Politrentneralter noch einmal dorthin zurück, wo alles begann.

Schon im Arbeiter- und Bauernstaat war es Tradition, dass die SED Kandidaten für alle zu besetzenden Ämter vorschlug. Die in der Nationalen Front vereinten Parteien des demokratischen Blocks wählten diese dann in der stillen Einsicht, dass die Genossen sicherlich am besten wissen würden, was gut für die Menschen, den Staat und den Aufbau des Sozialismus ist. Der Weg dorthin wäre denkbar einfach: Der Landtag wählt Christine Lieberknecht zur Regierungschefin, die sucht sich wie zuvor verabredet drei Minister mit Parteibüchern von Linker, SPD und Grünen, so dass alle demokratischen Parteien im überdemokratischen Übergangskabinett vertreten sind. Nötig wären dazu mindestens 46 der 90 Thüringer Landtagsabgeordneten, die sogenannte AfD-Mehrheit.

Fertig.


Bodo Ramelow, obschon als westdeutscher "Gewerkschaftsfuchs" (Taz) nicht aus eigenem Erleben vertraut mit den politischen Ritualen der alten DDR, dockte mit diesem instinktsicher an dieser Gewohnheit an. Einerseits lag der schwarze Peter der Verweigerung nach seinem „äußerst raffinierten politischen Winkelzug, der die CDU bis ins Mark trifft“ nun bei der Partei, der Lieberknecht angehört. Andererseits war seine Übergangskandidatin, die bis zu seiner Neuwahl die Regierungsgeschäfte führen sollte, bei den Medien als Garantin für stabile Verhältnisse im Freistaat vermittelbar, so dass niemand mehr dem PDS-Kandidaten nachsagen kann, es gehe ihm nur um den Machterhalt.

Ein Modell für mehr: Angesichts einer überall absehbar schwierigerer werdenden Suche nach Mehrheiten könnten auch in anderen Ländern und im Bund künftig Notregierungen amtieren, die von emeritierten Polithaudegen früherer Tage geführt werden - Norbert Blüm, Lothar Späth, Kurt Beck und Heinz Riesenhuber ständen bereit, In Sachsen-Anhalt läuft sich Reiner Haseloff schon warm und für Baden-Württemberg hätte Günther Oettinger wieder Zeit.

Gefahr von AfD-Stimmen



Das Problem, das Lieberknecht haben würde, sollte sie sich tatsächlich einer Wahl im Landtag stellen, wäre das ihres Vorgängers Thomas Kemmerich gewesen - stimmte die AfD erneut mit der CDU, um die Demokratie zu zerstören, müsste auch diese Wahl wieder "rückgängig" gemacht werden. Doch Bodo Ramelow hätte dann ganz im leninschen Sinne einer Machtpolitik, die nicht den Kompromiss, sondern die vollständige Niederlage des Gegners zum Ziel hat, seine Chancen vergrößert, als Kandidat einer bis an den Rand in die Breite gezogenen Mitte einen neuen Anlauf wagen zu können, die Reste eines demoralisierten und unter der Beobachtung der Bundespolitik stehenden Landtages zu veranlassen, ihn selbst zu wählen.

Der CDU blieben angesichts dieser Zwickmühle nur zwei Handlungsalternativen mit vergleichbar desaströser Wirkung. Würde die Partei den "Lieberknecht-Coup" (Der Freitag) ablehnen, hätte  sie im Grunde nicht Ramelow großherzigen Vorschlag, sondern ihre eigene Kandidatin torpediert. Stimmte sie hingegen zu, begäbe sie sich in eine  stillschweigende Koalition mit dem linken Landesvater, dem man im Wahlkampf noch die Verantwortung für Angriffe auf Polizisten, Windradwahnsinn und allerlei weitere Übel zugeschireben hatte.

Im Ringen um Thüringen hätte Ramelow, der einzig gewiefte Taktiker in der Laienspielschar des Erfurter Provinztheaters, in jedem Fall  Punkte gesammelt.

Dienstag, 18. Februar 2020

Krimi aus dem Kanzleramt: Die Iden des Merz

Abgesang Biografie Der Untergang
Von zahlreichen Verlagen abgelehnt, ist "Die Iden des Merz" jetzt in einer Neuauflage erschienen.

Schon wieder ein Buch über die letzten Monate Angela Merkels, das sich wie ein packender Krimi liest? Geht das? Darf man das? Ist das überhaupt noch erlaubt? Noch ist es ja gar nicht soweit, dass sich die Tage der beliebtesten Kanzlerin dem Ende zuneigen, noch sitzt die deutsche Hamburgerin fest im Berliner Sattel und hat gute Hoffnung, die 26 europäischen Länder, die von ihrer Linie abweichen wollen, doch noch zu überzeugen.

Und da kommt nun dieser junge Thüringer Autor Wenzel Heisebrink, Sohn eines Pfarrers und einer Edeka-Verkäuferin, nicht studiert, nicht richtig gearbeitet außer "mal vier Wochen als Wahlhelfer bei einer grünen Landtagswahl-Kampagne", wie er selbst sagt. Und schleudert wie aus dem Handgelenk ein Buch auf den Markt, dass an Karl Orbecks Klassiker "Der Untergang" über die letzten Tage im Führerbunker und Markus Wolffs großes unveröffentlichtes Honecker-Epos "Tage im frühen Herbst" zugleich erinnert.

Wie fühlt es sich an, wenn das Gefühl aufkommt, dass die Macht schwindet? Wie kehren Götter auf die Erde zurück? Was bewegt die noch, die nichts mehr bewegen können? "Die Iden des Merz" hat Heisenbrink seine Weltuntergangssage genannt, die eigentlich nur eine Geschichte des Untergangs einer Frau ist, die so lange klug regierte, wie es nicht aufs Regieren ankam. Und die Straucheln geriet, als zum ersten Mal ein kalter Wind die Kanzlerwaschmaschine hineinwehte.

Wenzel Heisebrink belehnt den "Turm", wenn er detailverliebt schildert, wie es hinter den Kulissen der Kanzlerinnenmaske aussieht. Er beschreibt das Hauen und Stechen unter den Beratern und Begleitern, die Furcht der Partei vor dem Einflussverlust und das Aufbegehren der Hinterbänkler, die ihre Existenz schwinden sehen.

Sein Kunstgriff: Der kurzweilige 545-Seiten-Wälzer, den sieben deutsche Verlage ablehnten, um "kruden Thesen keine Plattform zu bieten", so dass er am Ende beim Zürcher Mastodon-Verlag erscheinen musste, beginnt mit einer Szene, in der Angela Merkel ihren Schreibtisch ausräumt. Sie geht ohne Zorn, ohne Tränen, aber es endet eine Ära. Der März steht vor der Tür! Frühling, Aufbruch, ein neuer Start. Den der fingerflinke Autor im Buch kaum verschlüsselt "Merz" nennt.

Von nun an steht über alle Ereignisse, die in filigranen Rückblenden erzählt werden, immer die eine Frage im Fokus: Wer betrog Merkel wirklich und warum? Wer hat sie in die Thüringen-Falle gelockt? Die sie ihre wichtigste Abwehrwaffe kostete - AKK?

Meisterhaft versteht es Heisenbrink, auf dem schmalen Grat zwischen Überlieferung und Fiktion zu wandeln und den Leser in den Bann des unblutigen politischen Attentats zu ziehen, von dem man schon Wochen bevor es tatsächlich geschieht, sagen kann, dass es in die Geschichte eingehen wird.

Über den Auto:

Wenzel Heisebrink ist hauptberuflich Kühlwagenfahrer bei einer internationalen Spedition in Gotha. Er war Mitglied im Klub junger Dichter und versuchte sich als Straßenmusiker in Nikaragua und Peru. Heisenberg ist 34, Vater einer Tochter und nicht mehr verheiratet, seine Parteimitgliedschaft bei den Grünen lässt er nach einer enttäuschenden Affäre nach eigenen Aussagen seit 2012 ruhen.

Das Buch "Die Iden des Merz" schrieb Heisebrink in seinen Rauchpausen und im großfrei nach Doppelschichten. Bereits erschienen von ihm sind: „Das Thüringer“ (2008), ein Reportageband über den Weg der Linken in die Erfurter Staatskanzlei, und "Meine Haut, mein Helm, meine Hose", ein Sammelband mit frühen Gedichten.

Die Iden des Merz
Protokoll eines Mordes
Mastodon-Verlag Zürich
2016. 545 S. mit 44 s/w Radierungen und einer dreifarbigen Zeittafel, Bibliografie und Personenregister, gebunden mit Schutzumschlag, € 29,95 [D], Österreich 32,49 Euro
ISBN: 978-3-8062-13346-0

Benziner for Future bei Tesla: Benzin bleibt!

Demonstrativ mit Plastikbagsund Plastikkanister richteten sich die Benzinerfans auf eine lange Besetzung ein.
Das hatten sich die amerikanischen Turbokapitalisten so schön ausgedacht: Deutschland, elektromobil ein Entwicklungsland, das hohe Strompreise mit der strategischen Verknappung einstiger ingenieurtechnischer Brillanz verbindet, würde auf eine Tesla-Fabrik förmlich fliegen, in der künftig polnische Mietarbeiter aus chilenischem Lithium und fair vergorenem Tat-Stahl umweltneutrale Fahrzeuge schmieden würden, die direkt am Ort des Fahrvollzuges kein einziges Stäubchen aus keinem einzigen Auspuff schleudern würden. Den Deutschen gefällt das, das gute Gefühl gut zu sein. Tesla wurde mit Fanfaren begrüßt und gefeiert. Alle Unkenrufe verstummten. Das Kernland aller kommenden Katastrophen, Zuhause höchster Steuern und niedrigster Netzabdeckung ist eben doch ein guter Investitionsstandort.

Doch noch alle lassen sich so leicht aufs Glatteis der Demagogie eines Elon Musk führen. Kaum hatte der US-Konzern, dem die brandenburgische Behörden eine Genehmigung zum Beginn des Baus seiner Fabrik schneller erteilt hatten hat als normalerweise das erste Umweltverträglichkeitsgutachten für eine Hundehütte in der Belziger Innenstadt benötigt, standen die Vertreter des alten automobilen Deutschland auf gegen den Umweltfrevel zur Förderung ausländischer Profitinteressen.

Aktivistinnen - mutmaßlich Sympathisanten der Bewegung Fridays for Hubraum - hielten stundenlang Bäume auf dem künftigen Tesla-Gelände in Berlin-Grünheide besetzt. Sie entfalteten Transparente mit Sprüchen wie "Benziner bleibt" und "Kein Platz für Dieseldiebe". Bei Twitter schrieb ein Teilnehmer, der sich und seine Besetzertruppe "Benziner for future" nennt, "Bäume entern gegen Tesla!"

Eine Kampfansage des alten Verkehrs an den neuen, der nicht nur die Arbeitsplätze zehntausender Mitarbeiter deutscher Automobilhersteller bedroht, sondern auch Tankstellenkassierer, Werkstattpersonal und weite Teile der Touristikindustrie, die nach einer Kritik des früheren Microsoft-Chefs Bill Gates am hundertausend Euro teuren Porsche Taycan fürchtet, große Teile ihrer derzeitigen Klientel zu verlieren, wenn Urlaubsreisen künftig überwiegen aus An- und Abreise bestehen.

Die „Benziner for future“ wollen es nicht soweit kommen lassen. Der Wald sei Lebensraum für schützenswerte Arten und dürfe nicht gefällt werden für eine Firma, die  gern mit einem grünen Image blende, "dabei bauen sie am Ende den gleichen Mist wie die meisten anderen kapitalistischen Unternehmen“, heißt es im Bekennerschreiben der Benzinerfans, die zwischen zwei Bäumen eine umweltfreundliche Plattform errichtet hatten, auf der ein kleines klimaneutrales Zelt aufgebaut war.
Augenscheinlich war die autonome Kleingruppe  darauf eingerichtet, länger zu bleiben, doch weil die Baumschützerinnen gegen das Betretungsverbot des Geländes verstoßen hatten, wurde die Polizei vom Ordnungsamt um Amtshilfe gebeten. Beamte forderten die PS-Aktivistinnen auf, die Bäume zu verlassen. Daraufhin beendeten die Besetzer*inn*en die Aktion.


Bundesumweltministerin Svenja Schulze, die nach einem Bericht des "Tagesspiegel" inzwischen zu den Grünen gewechselt ist, äußerte sich aufgrund der bundesweiten Bedeutung des Falles umgehend ebenfalls bei Twitter. Sie sei zuversichtlich, "dass der Eingriff in den Naturhaushalt vollständig und gut ausgeglichen kann", schrieb die - nach Tagesspiegel-Angaben - frühere SPD-Politikerin. Offenbar will die Bundesregierung bei der Umsetzung von Energieausstieg und Mobilitätswende keine Kompromisse mit ewiggestrigen Diesel- und Benzinanhängern eingehen. Der Kurs sei klar, schrieb Schulze ohne nähere Angaben zu machen: "Energiewende und Naturschutz müssen zusammen gelingen können!“

Inzwischen hat der Dieselautofahrerverband „TDI“ den Bau der falschen Öko-Fabrik wenigstens per Gericht stoppen können. Es besteht Hoffnung, dass sich das Projekt dadurch um Monate wenn nicht Jahre verzögern könnte. Beginnt erst die Brutperiode, darf bis in den Herbst keine Baufreiheit mehr geschaffen werden. Tesla könnte dann erst im nächsten Jahr mit den Bauarbeiten beginnen. Deutschland könnte der Welt in Brandenburg zeigen, dass umweltzerstörende Elektromobilität der falsche Ausweg aus der Wachstumsökonomie ist. Tesla müsste begreifen, das dieses Land, das nicht nur mit der Erfindung von Diesel- und Ottomotor schon so viel Schuld auf sich geladen hat, jetzt einen Schlussstrich zieht. Und eben nicht zur Verfügung steht, die Grundlagen für einen neuen Elektrowahnsinn zu legen.

Montag, 17. Februar 2020

Zitate zur Zeit: Mehr Thüringen!

Dunkles Grauen Thüringen Wald Dämmerlicht
Von wegen hübsch, von wegen schön. Thüringen ist ein Gebiet verschärften Grauens.

Wenn Sie all das machen, was Sie die ganzen Jahre gemacht haben, dann werden Sie bald noch mehr Thüringen haben.

Für Peter Altmeier orgelt Sahra Wagenknecht bei "Anne Will" am 9. Februar ein Stück in den ganz  tiefen Tonlagen

Armin Laschet: Der Zwerg heiligt die Mittel

Merkelianer Nachfolger Merkel
Armin Laschet gilt unter Merkelianern als Hoffnungsträger, außerhalb der CDU aber ist der frühere Chefredakteur einer Kirchenzeitung kaum bekannt.


Nur ein Meter einundsiebzig misst Armin Laschet, der politische Riese, der nach Ansicht der gemäßigten Merkelianer in der CDU zwischen Deutschland und dem Untergang steht und in diesen Tagen, die für alle Zeiten die nach Thüringen sein werden, nicht weiß, ob er schon aus der Kulisse treten soll. Die Lage ist unübersichtlich und sie ist unhaltbar: Einerseits regiert da in Berlin immer noch Angela Merkel, eine Kanzlerin, deren Lebenstraum es ist, nach Hitler und Adenauer auch noch den gehassliebten Helmut Kohl an Amtszeit zu übertreffen. Andererseits sind da Friedrich Merz und Jens Spahn, die beiden anderen KandidatInnen auf den Parteivorsitz, der nach einem Beschluss der noch amtierenden CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer künftig wieder verbunden sein soll mit dem Kanzleramt.

Für Friedrich Merz ist das kein Problem. Er hat über seine Kandidatur für den CDU-Chefsessel keinen Zweifel gelassen und klar ist, wenn es macht, dann hat Angela Merkel nur noch ein paar Tage, allenfalls Wochen Zeit, ihre Dinge zu ordnen, die Akten zu säubern und im Büro aufzuräumen. Merz würde aus dem Kanzleramt in den Wahlkampf gehen wollen. Und wenn die SPD ihm die Gefolgschaft versagt, umso besser, denn dann kann er, der kalte Hund aus dem Hochsauerland, im Wahlkampf nach allen Seiten austeilen.

Merz ist der Hoffnungsträger derjenigen, die die Ära Merkel lieber heute als morgen beenden und neu anfangen wollen. Rücksicht auf die Kanzlerin, der sie vorwerfen, spätestens seit 2015 so ziemlich alles falsch gemacht zu haben, wird hier niemand nehmen.

Armin Laschet hingegen, der verglichen mit Merz und Spahn von geradezu zwergenhaftem Wuchs ist, muss. Der Mann, den Merkel selbst wohl nach den Enttäuschungen mit Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer am liebsten als Erbfolger hätte, darf noch nicht aus der Deckung kommen. Seine Gefolgsleute würde ihm nicht verzeihen, die immer noch beliebteste Politikerin Deutschlands vorzeitig aus dem Amt zu drängen, auch wenn sie womöglich gleichzeitig die am meisten gehasste ist. Gleichzeitig muss er aber, um den Konkurrenten nicht das Feld zu überlassen. Und einerseits muss er sich in der Mitte die Bewerberfeldes platzieren. Andererseits darf er nicht die Merkel machen.

Dagegen hat es Jens Spahn gut. Er kann in Ruhe abwarten, denn seine Zeit wird später kommen. Schon ein Blick auf die CDU-Nomenklatura, die an eine nahezu nadellose Weihnachtstanne aus DDR-Zeiten erinnert, verwandelt den Gesundheitsminister in einen Hoffnungsträger: Neben ihm hat es von den halbjungen und jüngeren CDU-Politikern nur die bizarre Simpsons-Figur Philipp Amthor zu einiger Bekanntheit geschafft. Wenn also die Generation der Haudegen aus den Geburtsjahrgängen 1950 bis 1969 abgetreten ist - wer wird es dann zwangsläufig machen müssen?

Bis dahin wird im Grunde genommen ein Übergangskandidat gesucht, einer, der ein bisschen aufräumt und das Staatsschiff auf einen Kurs bringt, der den Passagieren nicht das Gefühl vermittelt, man sei auf einer Art "Titanic" unterwegs. Allerdings mit dem Ziel, alle entgegenkommenden Eisberge zu umarmen und ihnen klarzumachen, dass Deutschland ein partnerschaftliches Verhältnis mit allen Naturgewalten anstrebt und bereit ist, frühere Verfehlungen nicht nur zu bereuen, sondern auch Ablass dafür zu zahlen.

Das ist ungemütlich für Laschet, der mit 59 bereits acht Jahre älter ist als Angela Merkel zu Beginn ihrer ersten Amtsperiode. Viel Zeit hat der rheinische Hauslatsch mit der Physiognomie eines Basset nicht, sich zu entscheiden. Schon trampeln die die um stete Bewegungssimulation bemühten Kanzlermedien voller Ungeduld auf das nächste Kapitel im Kampf um Westeros das Regierungsviertel. Dynamik muss her, der Dreikampf muss beschreibbar werden.

"Merkel sollte gehen", murrt sogar der "Spiegel", der in den Kanzler-Jahren der Hamburgerin eine Wandlung durchgemacht hat, die der gleicht, die Herrchen und Hund alten urbanen Legenden zufolge erleben: Sie werden einander immer ähnlicher, bis einer die Raute zeigt und der andere in Rauten schreibt. Der "Spiegel" meint es auch diesmal nur gut, denn er will Merkels Nachruhm schützen. Das Beste, was die Kanzlerin für sich, für ihren Eintrag in die Geschichtsbücher und für ihre Partei tun könne, ein sofortiger Rückzug. "Alles andere schadet der Partei, den beteiligten Personen und letztlich auch dem Land."

Wenn in einem ehemaligen Nachrichtenmagazin Partei, Parteiführung und Land in einem Atemzug genannt werden, als sei ihr Schicksal unauflöslich miteinander verbunden, ist das für Armin Laschet, der leider auch noch so heißt, wie er dynamisch wirkt, ein Alarmsignal. Der aktuelle Zeitplan der Vorsitzendensuche orientiert sich an der endlosen Schnitzeljagd der deutschen Sozialdemokratie und ist damit genau auf ihn zugeschnitten, ein langer, langsamer Prozess, der das Publikum dermaßen ermüden wird, dass es am Ende wie all die Merkeljahre hindurch jedes Interesse am Ausgang verloren haben wird. Wenn dann Entscheidungen verkündet werden, ist außer dem "Spiegel"-Korrespondenten und seinen Kollegen keiner mehr im Raum. Die freuen sich dann für alle.

Doch wie es läuft, wird dieser Ablaufplan kaum zu halten sein. Überall drängt es, überall surrt es. Geht es aber schneller, kann der treue Merkel-Mann Laschet nicht zwölf oder 18 Monate im Schatten der Übermutter eine Partei führen, die im Hintergrund nach wie vor nur eine Chefin hat. Armin Laschet wird aus der Deckung kommen müssen oder für immer dort bleiben. Nur wenn er wagt, kann er gewinnen.

Wie ein Gewinner aber sieht er eben nicht aus.

Sonntag, 16. Februar 2020

Medienüberraschung: Wenn die Toten nicht auferstehen

Zombies Todesopfer
Ganz Pinneberg staunt: Die Zahl der Toten steigt, statt dass langsam die ersten Opfer wiederauferstehen.

Ein Hang zur Panik, zum Vorempfinden des Allerschlimmsten und ein bisschen Vorfreude auf die Apokalypse gehört dazu, wenn es Klicks herbeizupeitschen und das Volk für Dinge zu interessieren gilt, denen es im Detail an jeder Relevanz mangelt. Zuspitzen ist dann das ganze Geschäft, zuspitzen und erkennen in der Tradition des Iren Flann O'Brien erkennen, wo eine Nadel so dünn geschliffen werden kann, das die äußerste oberste Spitze gerademal noch einen Durchmesser hat, der sie unsichtbar und fähig werden lässt, schmerzlos in eines Menschen Körper einzudringen.

Ereignisse, die Gelegenheiten bieten, Nadeln auf diese Weise zu schleifen, gibt es immer, nur wenige aber eignen sich, die Methodologie des Geschäfts mit der Nachricht als Mittel der Manipulation zu verdeutlichen. Das Coronavirus aber tut es, anfangs tiefduster orgelnd angekündigt als Augenblick aus einem Stephen-King-Roman mit vor Vorfreude auf Kommendes wohlig schaudernden Zeilen wie "Erster Tote durch Coronavirus", als wäre "Toter durch Coronavirus" zu wenig, zu schlapp und nicht ausreichend informativ.

Seit der Ehec-Seuche, deren Todesopfer in vielen Fällen nie mehr richtig gesund wurden, ist alles erlaubt, was Aufmerksamkeit generiert. In dieser Logik steht die in diesen Tagen in Dauerschleife rotierende Mitteilung, dass die "Zahl der Todesopfer steigt" (DPA). Die "Tagesschau" teilt das mit, die "WA" und die Frankfurter Rundschau und das Pinneberger Tageblatt - große Einigkeit herrscht offenbar allüberall darüber, dass die Krise erst überstanden sein wird, wenn die ersten Toten wiederauferstehen und Corona-Zombies durch die Straßen wanken. So dass die Zahl der Opfer, die das Virus gefordert hat, endlich sinkt.

Eine Erwartungshaltung, die anspruchsvoll erscheint, selbst für die Verhältnisse deutscher Medien, deren Kampf mit der Wirklichkeit stets ein ungeheurer ist.

Verletzte Eitelkeit: Nimmer gehts schlimmer

Ramelow Linke SED
Die Regierungsstraße in Erfurt ist im Moment eine Sackgasse.

Als Westdeutscher, der nicht in den Osten kam, um Karriere zu machen, sondern weil es dort niemanden gab, der Karriere machen wollte, obwohl Bedarf bestand, blickt der gebürtige Niedersachse Bodo Ramelow auf mehr als 20 Jahre Erfolg in einem fremden Land zurück. 20 Jahre, die schon viel früher begannen, als eine Unterschrift unter die "Erfurter Erklärung" zur für eine "Opposition, die den Wechsel mit allen Kräften will" den Gewerkschaftsfunktionär und Aufsichtsratsvorsitzenden einer Erfurter Wohnungsbaugenossenschaft plötzlich zum politischen Hoffnungsträger machte. Ramelow wurde zur Nummer 2 in der PDS, er eroberte einen Sitz im Landtag und löste schließlich seine Vorgängerin Gabi Zimmer als Parteichefin ab.

Die Fähigkeit, einzuordnen und in Relationen zu denken, stand dem heute 64-Jährigen dabei nie im Wege. Ramelow denkt von sich aus, nicht unbedingt an andere, er war nicht nur bereit, sich kurz vorm Rentenalter noch einmal ganze Legislaturperiode als Ministerpräsident aufzuladen, obwohl die Erfurter Erklärung doch einst eine neue und gerechte Verteilung der Arbeit gefordert hatte. Er ist auch in der Lage, persönliche Niederlagen als nationale Tragödien zu empfinden: "Ich habe schwere Zeiten in Thüringen erlebt", hat er eben erklärt, denn er habe "das Massaker am Gutenberg-Gymnasium erlebt". Damals starben 17 Menschen, Ramelow, auch wenn es sich so anhört, war keiner, der mit leichten Streifschusswunden oder einem glatten Durchschuss entkam, sondern nur irgendwie auch in derselben Stadt, das trifft einen Berufsemphaten dann schon.

Und wie erst das, was er jetzt im Landtag erlebte, diesen Eklat um seine Wahl, den er im Vorfeld durch demokratische Hinterzimmergespräche und eine schiedlich-friedlich gefundene Klo-Lösung abgewendet glaubte. "Sowas, was ich seit Mittwoch erlebe, was meine Familie erlebt, das haben wir noch nicht erlebt", bekannte Bodo Ramelow in einer heute schon historisch zu nennenden Einordnung der katastrophalen Vorgänge in seiner Wahlheimat.

Was sind auch 17 Tote gegen eine "unverzeihliche" (Merkel) Wahl? Was zählen Blut und nicht wieder gut zumachender Schmerz verglichen mit der Enttäuschung eines demokratischen Sozialisten, wenn eine demokratisch zustandegekommene Mehrheit ihm die Gefolgschaft versagt?

Als Politiker ist Ramelow berechtigt, das Leid, das ihm vom politischen Gegner zugefügt wurde, so schwer zu nehmen wie andere den Tod naher Menschen. Er muss das sogar tun, den im Meinungskampf zählt nicht Fingerspitzengefühl, sondern das Talent, Niederlagen als Munition für das jeweils nächste Gefecht zu nutzen. Die Besten in diesem Metier schaffen es, mit dieser Methode immer dort zu stehen, wo ihnen selbst vor zu sein scheint. Hochaufgereckt beklagen sie dann, dass alle anderen sich nicht an die Spielregeln hielten, die sie selbst allenfalls einhalten, wenn es ihnen gerade in die Agenda passt.

Heute hier, morgen dort,  jede alte Lüge ist wie ein neues Showprogramm. Walter Steinmeier etwa wiederholte auch bei der Sicherheitskonferenz in München das Märchen, Russland habe "militärische Gewalt und die gewaltsame Verschiebung von Grenzen auf dem europäischen Kontinent wieder zum Mittel der Politik gemacht." Woher soll er es denn besser wissen? Als die Türkei 1974 Teile Zyperns besetzte und die europäischen Grenzen mit Gewalt neu zog, machte Steinmeier gerade sein Abitur. Und als Deutschland Anfang der 90er den Zerfall Jugoslawiens durch die Anerkennung der einseitig erklärten Unabhängigkeit von Slowenien und Kroatien befeuerte, saß er in der niedersächsischen Staatskanzlei, wo Nachrichten über die Balkankriege nicht diskutiert wurden hindrangen.

Nur nicht einordnen, denn Einordnung ist Relativierung und Relativierung dient selten dem eigenen Zweck. Ein Satz wie „die Welt ist heute eine andere als 2014“, den Steinmeier in München sprach, als habe er damit etwas ausgesagt, erfährt seine Aufladung im Nachhinein, durch Interpretationen, die der Bundespräsident im Stile Ramelows mitliefert, allerdings ohne dessen egozentrisch trötende Dumpfheit. Steinmeier, ein lauwarmer Mann des ewigen Ausgleichs, weltoffen, weißhaarig, einst zweiter Mann hinter Schröder, dessen Sprechweise er heute noch imitiert, kann Unschlüssigkeit als Besonnenheit und kaltes Blut als Nachdenklichkeit ausgeben, er hat den US-Präsidenten einst einen "Hassprediger" genannt, als er noch glaubte, er werde es nicht werden. Er würde heute wieder so verfahren, ausgenommen, er wüsste, dass er es doch wird. Denn der Mann im Weißen Haus hat ihm nie verziehen und ihm, was Steinmeier doch so wichtig wäre, nie Gelegenheit gegeben, ein paar schöne gemeinsame Fotos zu machen.

Man kann nicht vorsichtig genug sein. Steinmeier nennt Trump heute nicht mehr. Er spricht in Rätseln, wie etwa in dem, dass nicht etwa "an alle gedacht sei, wenn ein jeder an sich denkt". An wen denn dann? Und wieso denn nicht?, müsste die Presse nun fragen. Aber wo man im selben Graben liegt, schießt man in dieselbe Richtung: "Tatsächlich nimmt sich der Beginn jenes Jahres (2014) im Rückblick einigermaßen harmonisch aus verglichen mit dem, was bald folgen sollte", erläutert eine leitmediale Großredaktion im Brustton innerster Überzeugung, was der erste amtlich anerkannte Verfassungsbrecher im Bundespräsidentenamt mit seinen wolkigen Andeutungen und düsteren Warnungen wohl gemeint haben könnte. So dunkel nämlich ist die Welt geworden, aus der Sicht derer, deren kenntnisreiche Berichterstattung sie erleuchtet: "Russlands Annexion der Krim und sein Krieg in der Ostukraine, die Flüchtlingskrise von 2015/2016, die Wahl Donald Trumps, der Brexit."

Fürwahr fünf krasse Tiefpunkte der Menschheitsgeschichte.

Nur Ramelows Leiden fehlt.

Samstag, 15. Februar 2020

PPQ-Poetensprechstunde: Bodo bleibt!

Wie Donnerhall schallt es durchs Land: Bodo bleibt!

Mit einer großangelegten kleinen Serie namens "Es war nicht alles Brecht" erinnerte das Volkskunstboard PPQ schon in den Zeiten vor den Klimakriegen und der drohenden Machtübernahme durch eine damals noch nicht einmal gegründete Nazi-Partei an die großen poetischen Momente der deutschen Geschichte. Zwischen Poetenseminar und Protestsong wurden Kleinode des Kulturschaffens im Bauch der anderen deutschen Republik erstveröffentlicht, die 2002 in einer Pappkiste aus einem sogenannten "Pionierhaus" hatten geborgen werden können. Das Echo war imponierend leise, selbst um systemübergreifende Epen wie "Sie, leicht zurückgelehnt in seinem Arm sitzend, schaut auf zu ihm, hoch in den Himmel" drängten sich weder Verlage noch Filmproduzenten.

Dennoch ist es gelungen, in den kaum acht Jahren seitdem ein kulturelles Niveau zu erreichen, das es heute möglich macht, Kunst- und Kulturschaffende aus Deutschland als Eingreifkommando in Marsch zu setzen, um an politischen Kipp-Punkten im Sinne von Wecker, Wader und Süverkrüp bedeutungsvolle tagesaktuelle Kunstwerke zu schaffen, die den Feinden der Demokratie dort in den Arm fallen, wo sie meinen, leichtes Spiel zu haben.

Mit "Bodo bleibt", einer gereimten Hymne auf Bodo Ramelow, den Mann, der in Thüringen zwischen Frieden und Barbarei steht, steuert ein junger liberalökologischer Dichter aus Weimar, der aus Angst vor nazistischen Nachstellungen anonym bleiben will, jetzt ein Poem zur linken "Bodo bleibt"-Kampagne bei, das sich lind an Udo Lindenberg Klassiker "Bodo Ballermann" anlehnt, dabei aber schnell zu einer eigenen poetistischen Sprache findet, die den Rezipienten nicht nur auf der intellektuellen, sondern auch auf der emotionalen Ebene erreicht.


Bodo Ramelow regierte beim
Rambo-Zambo-Politverein
Er beherrschte den Platz wie hingegossen
Er war der Traum aller Parteigenossen.

Verlor er `ne Wahl
hatte er sie gewonnen
nur der Nazi Höcke
hat sie ihm weggenommen
oder wählten die einfach einen Liberalen
hat Bodo die Faschisten zurückgeschlagen

Nur er kann's richten
nur er kann uns retten
Zehntausend Leute brüll'n entleibt:
Bodo, der Bodo bleibt!

Die Kanzlerin greift ihn vergeblich an
Er warnt besorgt vor der Kriese
was würde werden ohne ihn
den einzigen politischen Riesen
Bodo ist sehr gut in diesem Spiel
bei ihm liegt der Rand in der Mitte
der Sozialismus ist sein Traum und Beruf
Bodo kennt die nötigen Schritte

Wenn dann die Ämter erst wieder seinen Namen rahmen
wie damals den vom Erich Honecker
ist er am Ziel und es bleibt nicht viel
zu meckern für andere Geschmäcker

Nur er kann's richten
nur er kann uns retten
Zehntausend Leute brüll'n entleibt:
Bodo, der Bodo bleibt!

Themensterben: Als der Weltuntergang verschwand


Wir hatten nur noch zwei Jahre, sieben, oder auch 33 Tage, man wusste es nicht ganz genau. Aber die Situation war drängend, unglaublich akut. Die Kinder auf der Straße, die Erwachsenen ratlos. Sie hatten die Zukunft zerstört und es nicht einmal bemerkt. Bis die Kanzlerin kam, wie so oft Retterin in höchster Not, und diesmal nicht mit einer europäischen Lösung winkte, die eines Tages ganz bestimmt alle Probleme lösen werde. Sondern mit einem Klimapäckchen in der Hand aus der Kanzlerwaschmaschine trat und triumphierte. Wieder gewonnen, wieder alle Gegner beschämt, das Land befriedet, die Welt gerettet wie einst Griechenland, die Banken, die Autoindustrie und die CDU, die sie übernommen hatte, als Helmut Kohl, der Oggersheimer Übervater, sie in eine tiefe Sinnkrise gestürzt hatte.

Angela Merkel tat, wie sie immer tut. Sie reagiert auf Herausforderungen, wenn sie auftreten und sie gibt Klimademonstranten, was es braucht, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Dabei orientiert die Frau aus Hamburg sich an dem, was sie in Zeitungen und Zeitschriften liest und im Fernsehen sieht: Ehe sie sich kurzentschlossen zurückverwandelte in die Klimakanzlerin vergangener Tage, hatte es dort nur ein Thema gegeben, ausgedrückt durch eine Vielzahl redundanter Codes und Chiffren. "Heißzeit" und "Klimasommer", Fridays for Future und Greta Thunberg, Luisa Neubauer, die Pariser Beschlüsse, Dieselkrise und CO2-ppm, Merkel empfand das alles direkt und richtete ihre Politik daran aus. Strohhalme wurden verboten, die Braunkohle blieb erlaubt, aber nur vorübergehend. Neue Steuern, immer ein probates Mittel zur Hebung des Staatswohlstands, wurden erfunden. Und der Strom, der trotzdem noch benötigt wird, wird neuerdings im Ausland zugekauft, so steht er am Abend nicht auf dem deutschen Klimakillerzettel.

Bis zur Thüringen-Krise, die dann binnen Stunden eine Berliner wurde, als Jürgen Klinsmann die Bettel hinwarf und so Spekulationen nährte, er könnte sich als nächster Kanzler warmlaufen wollen, ging alles glatt für Angela Merkel und die Medien, die an ihrem Tropf hängen, weil sie allein noch Orientierung zu geben vermag in einer Welt, in der Trump und Orban und die Iraner und Putin und Johnson und selbst Macron eher undurchsichtig als freundlich agieren. Wer großes Magazin oder ehrwürdige Landpostille war, schrieb über Klima und Klima und Klima und was getan werden müsste und über den Ausstieg aus diesem und Flugscham und dringend notwendigen Veganismus, um die Artenvielfalt und das gewohnte Wetter zu erhalten.

Der Bruch kam mit dem Nachhall der Wahl des Liberalen Thomas Kemmerich, der sich als welle langsam aufbaute, dann aber  alles hinwegfegte, was es bis dahin an Gewissheiten über die Wichtigkeit und Bedeutung von Medienthemen gegeben hatte. Hätten Umfragen Anfang Februar noch ergeben, dass ein Tag ohne medialen Kampf gegen die Klimakatastrophe ein verlorener Tag ist, hat sich das Blatt schon zwei Wochen später grundlegend gewandelt. Es gibt jetzt gar kein Klima mehr, denn der Dämokrat beherrscht mit seinen üblen Wahltricks und seiner Unterminierungsarbeit an den Fundamenten des Parteienstaates alle freien Flächen.

Vom Kinderportal "Bento" bis  zur normalerweise fast schon überengagierten Süddeutschen Zeitung ist aus der Prallwurst voller Verbotsvorschlage, Steuerideen. Greta-Porträts und Habeck-Hymnen eine Leerstelle geworden, die von blanker Angst gefüllt wird. Was wird, wenn Merkel nicht mehr ist? Wohin treibt die CDU? Kann Merz die AfD einfangen? Wird die FDP wieder demokratisch?

All die liebgewordenen Marionetten der täglichen Presseschau, sie sind im Zwangsurlaub. Greta ist weg, Luisa, Putin, Orban und Johnson, wer war noch gleich dieser Borsalino aus Brasilien, der unseren Regenwald angezündet hat? Und überhaupt Australien, brennt es noch oder bereut es schon? Kaeser? Siemens? Nuhr? Was ist mit Steimle? Tellkamp? Den Koboldbatterien? Den geplanten Strafen für Klimaleugner? Kramp-Karrenbauers Syrieneinsatz? Oder war es Libyen? Oder war Libyen Merkels Friedensplan? Halten sich denn auch alle dran? Was macht Kühnerts Sozialismus? Die Mietbremse? Was machen die palästinensischen Tage des Zorn? Selbst Trump ist ja fast verschwunden!

So schnell kann das gehen und so gründlich, weil das erste Gesetz der Mediendynamik knallhart bestimmt, dass die Welt in keinen Schuhkarton passt, unweigerlich aber in 15 Minuten Tagesschau. Und das zweite Gesetz der Mediendynamik festlegt, dass Großereignisse nie gleichzeitig stattfinden,sondern immer schön hintereinander, damit alle Zeit haben, sie richtig zu genießen.




Freitag, 14. Februar 2020

Unverzeihlich: Spiegel als AfD-Sprachrohr

Merkel AfD Spiegel
Ein Tag, zwei Schlagzeilen: Wie die AfD fordert auch der "Spiegel", dass die beliebteste Politikerin Deutschland ihr Amt aufgeben soll.


Es sollte allen Demokraten eine Leere sein, es schien einen Konsens bis ins bürgerliche Lager der ostdeutschen Mitte zu geben, wonach ein "Nie wieder" fast schon nicht mehr genug ist nach den Vorfällen von Thüringen, die nicht nur die Bundeskanzlerin zu einer scharfen Reaktion gebracht,
sondern auch deren Nachfolgerin zum Rücktritt veranlasst hatte.

Doch noch ist nicht einmal der gesamte Talkshow-Reigen wenigstens einmal durchgezogen, noch haben sich längst nicht alle bedeutenden Meinungsführer  mehrfach zum Thema geäußert. Da brechen ausgerechnet in Hamburg alle Dämme und ein gerade erst mit neuen, unterhaltsamen und weniger politisierenden Inhalten durchstartendes Magazin macht sich zum willfährigen Sprachrohr der Frauen und Männer, von denen die Kanzlerin gerade erst bekannt gemacht hatte, dass sie die Demokratie abschaffen wollen.

Ist es ein Zufall? Ist es ein konzertiertes Zusammenspiel, wie es zwischen Politikern und ihren Vertrauten in den Medien immer wieder vorkommt? "Merkel muss endlich abtreten", machte Alice Weidel, die AfD-Fraktionsvorsitzende  im Deutschen Bundestag, aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Das war auch kaum anders zu erwarten, denn der Hass, den die Rechtsaußenfraktion auf die Kanzlerin hegt, ist bekannt. Vom ersten Tag ihrer Existenz definierte sich die AfD als Anti-Merkel-Partei, denn die Kanzlerin gilt als letzte Bastion vor einer Rückkehr der faschistischen Dunkelheit nach Deutschland.

Business as usual also, wäre da nicht parallel im angesehenen ehemaligen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" ein ganz ähnlicher Beitrag erschienen. "Merkel sollte gehen" heißt es hier, nur ein ganz klein wenig behutsamer formuliert, womöglich aus alter Verbundenheit, womöglich aber auch nur aus Furcht, der richtige Zeitpunkt für einen solchen Vorschlag könne doch noch nicht gekommen sein. Deshalb wohl auch ist der "Spiegel"-Text nicht im aggressiven AfD-Ton gehalten, sonder als liebevolle Bitte ans Kanzleramt formuliert. Noch sei Zeit, allen Menschen in bester Erinnerung zu bleiben. Noch könne Merkel, so heißt es, selbst entscheiden.

Ein Werk des mysteriösen AfD-Newsrooms? Oder ein Zeichen für das Versagen des CDU-Newsrooms, mit dem die jetzt so tragisch gescheiterte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer die Macht der großen Medienkonzerne eigentlich hatte brechen wollen?

Unverzeihlich und nicht wiedergutzumachen auf jeden Fall, um es mit den Worten der Kanzlerin zu sagen. Ohne Not gibt ein immer noch renommiertes Magazin Ansichten eine Plattform, die sich gegen alles richten, wofür die Demokratie in diesem Land über Jahre hinweg stand. Oder wie Angela Merkel sagt: "Ein einzigartiger Vorgang, der mit einem Grundsatz gebrochen hat, nämlich dass keine Mehrheiten mit der AfD gebildet werden."

Schnittblumen: Klimamord am Valentinstag

Milliarden Mord Statista Blumen Kenia
Milliardenfacher Mord nicht nur an den betroffenen Blumen, sondern auch am Weltklima.


Es ist der Tag der Liebenden, erfunden von einer Industrie, die von Mord lebt, im Unterschied zu Schweinezüchtern, Hähnchenquälern und SUV-Fabrikanten aber stets unbehelligt mit ihren Klimaverbrechen davonkommt. Auch die Bundesregierung, die beileibe viel tut, um das Weltklima in die von den Pariser Beschlüssen festgelegten Schranken zu weisen, versagte bei der Verabschiedung ihrer letzten Umweltbeschlüsse erneut: Während Strohhalm und Plastiktüte verboten wurden und Heizung, Verkehr und Konsum wenigstens noch zugunsten der Staatskasse mit neuen Steuern belegt wurden, blieb ein Gewerbe unversehrt, dem Jahr für Jahr Milliarden Geschöpfe zum Opfer fallen.

Ein barbarisches Geschäft


Es ist ein besonders barbarisches Geschäft, das die zumeist im Ausland (siehe Grafik oben) sitzenden Züchter von sogenannten Schnittblumen betreiben. Nur für den kurzen Kick eines hübsch geschmückten Tisches, einem bunten Gesteck im Tagungspräsidium oder einer pflichtschuldigen Wahlgratulation werden Blumen unter großem Aufwand angebaut, geerntet und rund um die Welt vertrieben. Ein vorzeitlicher Brauch, bei dem lebenden Menschen sich an sterbenden Pflanzen ergötzen - quasi entschuldigt durch schlechte Vorbilder, die nach außen hin den Anschein zu erwecken versuchen, Nekrophilie zwischen Menschen und Pflanzen sei vollkommen normal.

Dabei ist der schräge, auffälligerweise vor allem von Frauen gepflegte Brauch, sich dem Tod geweihte Astern, Rosen oder Tulpen; in die Wohnung zu stellen, nicht nur geschmacklich fragwürdig, sondern auch vor dem Hintergrund der Klimaschlachten, die vor allem in Deutschland bis zu einem Endsieg über die Erderwärmung noch zu schlagen sein werden, in höchsten Maße gefährlich. Viele Schnittblumen kommen per Flugtransport nach Deutschland, etwa die Hälfte aller Rosen werden eingeflogen, über die Hälfte davon stammt aus Kenia. Rund 1,35 Milliarden Rosen kommen so jährlich aus den Hauptanbaugebieten ins Land, Tulpen, Pfingstrosen, Nelken, Gerbera und Dutzende weitere Sorten liefern weitere Milliarden Opfer für die deutsche Lust am bunten Tod.

Langsames Sterben in der Vase


Über die verheerende CO2-Bilanz der mörderischen Branche schauen dabei selbst die größten Klimaaktivisten gern hinweg. Besser nicht wissen, dass ein Strauß Rosen aus Kenia rund 6.000 kg CO2 verursacht, vom Anbau bis zum 6.000 km langen Flug nach Europa. Und derselbe Strauß, angebaut und geerntet im EU-Partnerland Niederlande, das Weltklima sogar mit rund 35.000 kg CO2 belastet, ehe er zum stillen Sterben in ein deutsches Wohnzimmer gelangt.

Dass für die Produktion einer einzigen kenianischen Rose, die hierzulande nicht nur von Liebenden, sondern auch von der Politik so gern genutzt wird, knapp 4 Liter Frischwasser verbraucht werden müssen, stört niemanden, weil ein Markt mit einem Volumen von neun Milliarden Euro jährlich einfach zu wichtig ist, in Klimapläne und Verbotslisten einbezogen zu werden.

Und das, obwohl der deutsche Schnittblumenverbrauch das Weltklima nach Berechnungen der "Zeit" jährlich mit mehr als einer Milliarden Tonnen CO2 belastet.