Samstag, 21. Dezember 2019

Leyendecker: Todesschuß für den Kronzeugen

Das Todesgleis von Bad Kleinen, in dem auch die Glaubwürdigkeit des Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" starb.
Wer die Methoden kennt, mit denen beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" traditionell Geschichten montiert werden, den konnte vor einem Jahr, als der Relotius-Skandal die Grundfesten der veröffentlichten Meinung erschütterte, nur eines erstaunen: Wieso jetzt? Wieso bei diesem kleinen Licht? Weshalb so heftig? Und wo ist er eigentlich hin, der Mann, der das Schwarze Schaf einer Branche geben musste, die nichts so schnell vergisst wie die eigenen Schwindeleien? Relotius, der doch nur gemeint hatte, zu tun, was alle tun, und es genauso gut zu machen wie die, von denen er sich Mittel und Methoden abgeschaut hatte, wurde mich Schimpf und Schande davongejagt. Ein Täter, der geopfert werden musste, um alle übrigen zu schützen und die Integrität eines Gewerbes zu bewahren, das sich selbst nur noch zu schützen weiß, indem es erschütternde Berichte über den eigenen schlechten Ruf in Nebensätzen versteckt.

Nur so konnte die "Spiegel"-Edelfeder Hans Leyendecker anderthalb Jahrzehnte mit einem Märchen durchkommen, das im Sommer 1993 zum Rücktritt eines Ministers geführt hatte, obwohl schon im Moment seines Ersterscheinens klar war, dass sich die ganze Geschichte ausgedacht hatte. Wer jemals Umgang mit Mitarbeitern von Schutz- und Sicherheitsorganen der einen wie der anderen deutschen Republik haben musste, konnte es in Leyendeckers Revolverreportage "Der Todesschuß" aus erster Hand lesen: "Aus Seelennot", so schreib Leyendecker damals, habe sich einer der an der Anti-Terroraktion gegen die Reste der RAF beteiligten Spezialisten ihm offenbar und berichtet: "Die Tötung des Herrn Grams gleicht einer Exekution."

Ein Kronzeuge, dessen Aussage wenig später zum Rücktritt des - für die angebliche Exekution verantwortlichen - Innenministers Rudolf Seiters und auch noch zu der des damaligen Generalbundesanwalts führte. Der demokratische Rechtsstaat war vorgeführt als Auge-um-Auge-Diktatur der Exekutive. GSG9-Beamte standen da wie eine Mörderbande, nicht besser als die Killer der Roten Armee Fraktion. Hans Leyendecker war der Star, ein Mann, der mit seiner Feder bundesdeutsche Geschichte schrieb und standesgemäß ganz ruhig blieb dabei. Nein, seine Quelle könne er nicht nennen. Nein, seine Quelle werde er nicht nennen, wiederholte der später zur Süddeutschen Zeitung abgewanderte Träger sämtlicher journalistischen Ehrenzeichen und Edelspangen über Jahrzehnte trotzig.

Er hätte ihn ja auch nicht nennen können, weil, wer die Seelenlage und den Weltblick von Polizisten kennt, weiß das, niemals ein Beamter aus dem inneren Kreis einer Aktion wie der in Bad Kleinen etwas wie "Seelennot" (Leyendecker) spüren und dazu auch noch Heinrich Heine zitieren würde, selbst wenn ein Killer wie Wolfgang Grams wehrlos im Gleisbett liegend erschossen worden wäre, Minutenbruchteile, nachdem er einen Kollegen ermordet hat.

Seelennot? Ein solches Wort existiert nicht in Männern und Frauen, die den demokratischen Rechtsstaat schützen, indem sie seine Feinde verfolgen, fassen, einsperren oder eben erschießen, wenn diese zuerst ziehen. Wenn auch die Bundeswehr inzwischen von weit außen wirkt wie eine bunte Truppe blondierter Puppen, die mit ungeladenen Gewehren allenfalls um die Ecke schießen kann, besteht selbst diese Leyen-Armee letztlich aus Soldaten und Offizieren, die im Zweifelsfall auf der anderen Seite der Bionade-Front stehen. Wäre es nicht so, trügen die Betreffenden nicht freiwillig Uniform. Wäre es nicht so, könnten sie ihren Dienst keinen Monat lang ertragen.

Hans Leyendecker, der selbst nie Wehrdienst geleistet hat, konnte das damals nicht wissen. Im Furor, den vermuteten Mord an einem bis dato nicht einmal vorbestraften Terroristen anzuprangern, dachte der Schreibtischtäter aus Hamburg sich die Enthüllungsstory um den "Todesschuß im Gleisbett" einfach aus und den dazu notwendigen Kronzeugen gleich mit. Leyendecker wusste, dass ihn die eigen Autorität, mehr aber noch die des "Spiegel" vor jeder Vermutung schützen würde, er habe genau das getan, was er getan hatte. Er behielt recht. Selbst als sich schließlich herausstellte, dass es niemals einen Todesschuß eines GSG9-Beamten gegeben hatte, weil Grams sich selbst die letzte Ölung gab, kam der Starreporter mit der Ausrede durch, er selbst sei von seinem von seinem Gewährsmann hereingelegt worden und darob untröstbar.

Es ist sein Arbeitsverfahren geblieben, eine ganze lange Laufbahn lang. Nie etwas eingestehen, nie zurückziehen, immer vornbleiben, sei auch längst widerlegt, was man einst schrieb. Als es schon still geworden in der Verfolgergruppe hinter dem NSU und das Publikum fürchtet, man werde nie erfahren, was am 4. November wirklich im Mordwohnwagen des Bösen geschah, ehe Uwe Mundlos seinen Killer-Kollegen Uwe Böhnhard absichtlich oder unabsichtlich erschoss, ehe er sich selbst aus Kalkül oder Scham richtete, blieb Hans Leyendecker bei der Sache. Von wegen, niemals werde herauskommen, warum die zwei tödlichen Drei Terrormorde begingen, ohne sich nach dem Lehrbuch der Stadtguerilla zu ihnen zu bekennen. Von wegen, niemals werde bekannt werden, warum sie trotzdem Bekennervideos produzierten, in denen sie selbst nicht vorkamen.

Hans Leyendecker kümmerte sich zwar nicht um diese Kernfragen, aber doch um Nebensächlichkeiten der Mordserie. Ein Mann, der nicht aufgibt, seine Fantasie zu bemühen. Als Lonesome Cowboy des deutschen Enthüllungsjournalismus hatte er schon früh aufgedeckt, dass die "rechtsextreme Szene im Westen" (Leyendecker) die "drei Mörder" (Leyendecker) "möglicherweise als Helden gefeiert" hatte. Derselbe Edelfedermann, dem es vor nahezu 20 Jahren gelungen war, eigenhändig einen Zeugen für den staatlich geplanten und durchgeführten Mord am RAF-Mitglied Wolfgang Grams zu erfinden, hatte natürlich auch diesmal einen Zeugen, von dem aller Wahrscheinlichkeit nach nie mehr irgendjemand etwas hören wird.

Nun präsentiert er die beiden Terrorkatzen Heidi und Lilly und drei noch namenlose Mäuse. "Anhand von etwa 30  Tierarztrechnungen können die Ermittler rekonstruieren, wo sich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe zwischen 2001 und 2007 aufhielten", zitiert die FR einen Bericht der Süddeutschen Zeitung, für den das Wort "hanebüchen" erfunden werden müsste, wäre es nicht schon verfügbar.

Denn nach Angaben der SZ schließen die Fahnder aus den sporadischen, aber offenbar jeweils ganztägigen Tierarztbesuchen wegen Milbenbefall und Mäuseschnupfen den Schluss, "dass die drei Terroristen die meiste Zeit in Zwickau gelebt haben und die Stadt nur für ihre Verbrechen verließen". Die 30 Rechnungen belegen dabei locker überschlagen einen Zeitraum von etwa 2190 Tagen, in denen die NSU-Mitglieder rund zwei Dutzend Straftaten begangen haben sollen - wobei selbstverständlich nicht klar ist, ob eines der NSU-Mitglieder vielleicht beim Tierarzt war, während die anderen mordeten.

Aber was schert es die letzten Berichterstatter. Nachdem Hans Leyendecker zwischenzeitlich verkündet hatte, dass die NSU ihre mörderische Tätigkeit aus dem Verkauf von Nazi-Monopoly-Spielen im Gegenwert von rund 500 Euro finanziert hätten, ist die FR nun wieder bei den Banküberfällen der Terrortruppe angelangt. "An Geld mangelte es dem Trio nicht", heißt es dort und dann folgt das bekannte Spiel mit der großen Zahl: "Insgesamt soll das Trio bei Banküberfällen rund 600.000 Euro erbeutet haben".

Damit habe die Terrorzelle dann nicht nur, sagt der offenbar dyskalkuliekranke Thüringer Linken-Fraktionschef Bodo Ramelow als Zeuge, das Leben im Untergrund, die fälligen Mordwohnmobilmieten und die Tierarztbehandlungen finanziert, sondern "mit einem Teil" auch noch "die rechte Szene unterstützt". 20 Personen hätten zum Nationalsozialistischen Untergrund gehört, 140 zum aktiven Umfeld, fabuliert Ramelow in der FR. „Innerhalb dieser Strukturen ist sicherlich Geld geflossen.“

Was ein Wunder an Effizienz! Schließlich brachten die 14 Banküberfälle der NSU in 13 langen Jahren nicht etwa 600.000 Euro ein, sondern nur magere 490.000 - 70.000 aus dem letzten Überfall konnte das Trio nicht mehr ausgeben, 40.000 aus einem früheren Coup hatten Mundlos und Böhnhardt vorsorglich im Wohnmobil mit zum Tatort gebracht. 490.000 Euro aber ergeben, aufgeteilt auf 13 Jahre Untergrund, ein Monatseinkommen von 1047 Euro pro Terroristen-Kopf: Damit lag das Pro-Kopf-Nettoeinkommen der drei hauptamtlichen NSU-Mitarbeiter Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nicht nur um rund 9.000 Euro unter den Einnahmen eines Thüringer Landtagyabgeordneten und 5.000 Euro unter dem Gehalt von Hans Leyendecker. Sondern auch nur 19 Euro über dem pfändungsfreien Existenzminimum von 1.028 Euro und weit unter dem von der Linken anvisierten Mindestlohn von 8,50 Euro.

Nun hätte kein GSG9-Mann oder sonstiger Mitarbeiter von Polizei, Innenministerium oder Staatsanwaltschaft irgendein Interesse daran haben können, einen wirklich geschehenen Todesschuß beim "Spiegel" anzuzeigen. Nur Ärger hinter dieser Tür, Ärger für die Behörde, die Vorgesetzte, für einen selbst. Hans Leyendecker hingegen wusste als alter Schlagzeilenprofi und Experte für das sogenannte "Anfetten" von Geschichten genau, dass ihm eine solche Enthüllung Ruhm und Ehre bis zum Dach einbringen würde - und dass niemals niemand ihn zwingen können wird, seinen Whistleblower zu nennen. Erst mit 26 Jahren Verspätung kommt jetzt recht überraschend etwas in Fahrt und Zweifel, die auch das kleine Rateboard PPQ immer wieder formuliert hat, werden auf einmal marktgängig.

Hans Leyendecker, der die eigene Überhöhung zur unfehlbaren journalistischen Instanz im späten Lebensalter einmal so dick inszenierte, dass er die Entgegennahme eines Henri-Nannen-Preise nicht verweigerte, weil die Auszeichnung nach einem von Hitlers Propagandasoldaten benannt ist, sondern weil auch eine Enthüllungsgeschichte der „Bild“-Zeitung ausgezeichnet werden sollte, wird die erstmal so massiv anlaufenden Angriffe auf seine Integrität an seinem Schweigen abprallen lassen. Er wird sich, wie sein lebenlanger Feind Helmut Kohl bei den CDU-Millionenspendern, auf ein gegebenes Wort berufen, das er nicht brechen könne. Er wird damit ungeschoren aus der Aufarbeitung seiner falsche "Spiegel"-Story herauskommen.

Aber der Rest vom Ruf, der Leyendecker ein Leben lang wichtig war, der wird anschließend verschwunden sein.


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wann kapieren die endlich, dass ein journalistisches Berufsethos nicht existiert und nie existiert hat. Allein die Behauptung dieser Leute, es existiere, ist der Beweis für ihr Berufslügnertum.

Sauer hat gesagt…

Was wäre denn so skandalös gewesen, wenn ein GSG9-Polizist den Grams ausgeschaltet hätte? Kurz vor seinem Dahinscheiden hatte er einen Polizisten erschossen. Mußten die anderen Polizisten nicht damit rechnen, ebenfalls Opfer dieses Kerls zu werden? Was hätte denn der Leyendecker getan, wenn er als Polizist vor Grams-Knarre gestanden wäre? Hätte er ausgerufen: „Bitte nicht schießen, ich schreibe eine rührselige Geschichte über dich, du bist doch nur ein Opfer dieses Scheißstaates, du mußtest einen erschießen, um deine in diesem Unrechtregime erlittenen Schmerzen zu rächen.“ So hätte der angesichts seines Endes vor Grams gelogen und diese Lügen wären ihm locker über die Lippen gekommen, denn im Lügen war er geübt. Doch ich bezweifle, daß Grams ihm dieses Geschwätz abgenommen hätte, so wie die deutsche Öffentlichkeit, die Leyendecker mit Leichtigkeit hinter jedes Scheißhaus führen konnte und kann, wäre der Revolutionär Grams nicht gewesen, er hätte vermutlich noch einmal ruhig durchgeladen und Hänschen in den Himmel der Lügenbarone geschickt.

Mit war schon damals unverständlich, daß man über das Hinscheiden eines Mörders ein Geschrei gemacht hat. In jedem normalen Land hätte man mit Erleichterung auf die Ausschaltung dieses Kerls reagiert, bevor er Gelegenheit hatte, weitere Polizisten zu töten. Die BRD war schon damals ein von Hysterie erfaßtes Ländchen, in dem das Leben eines Verbrechers mehr zählte, als das eines Unbescholtenen.

Gernot hat gesagt…

"die den demokratischen Rechtsstaat schützen, indem sie seine Feinde verfolgen"
Jawoll, die Falschparker und Geschwindigkeitsüberschreiter!

Teto hat gesagt…

In seiner unendlichen Wahrheitsliebe, gräbt der Spiegel nun olle Kamellen aus, an die sich kaum noch jemand erinnert. Er sollte besser seine aktuellen Artikel der letzten Monate durchsehen. Darin gibt es mehr als genug Lug und Betrug zu finden. Lügen und Betrügen ist bei der deutschen Presse seit 2015 von der Ausnahme zur Regel geworden. Die Lüge als Merkmal der Qualitätspresse, das sich wie ein roter Faden durch alle politisch korrekten Artikel zieht.