Sonntag, 17. Mai 2020

Geflickte Lieferkette für den Fernsehfußball: Comeback in der Geisterbahn

Kicker allein zu Haus: Die Rückkehr der Bundesliga war noch mehr Operette als der normale Schießbudenfußball.

Um Geld ging es weniger als um die gute Stimmung im Land. Natürlich hätte die Bundespolitik mit einem Millionenhilfspaket auch die Profifußballindustrie retten können. Ein paar hundert Millionen hätten gereicht, Kleingeld im Vergleich zu anderen Industriezweigen, deren Stasis bis zu einer möglichen Nach-Corona-Zeit sich Länder und der Bund Milliarden kosten lassen müssen.

Doch Fußball hat in den Tagen der Ungeduld angesichts zunehmender Zweifel an der Notwendigkeit der Fortsetzung von Kontaktsperren und Reiseverboten eine Funktion, die weit wichtiger ist als die, dass ein Meister möglichst sportlich ausgespielt werden sollte. Fußball soll tun, wozu er erfunden wurde: Ablenken, Trost und Hoffnung spenden, Nachrichten generieren, die mal nicht um R-Faktoren und Schutzwirkungen kreisen, sondern von Pfostentreffern, Toren und schweren Verletzungen berichten.

Sondervollmacht für die Ball-Operette


Dazu war die Politik bereit, dem DFB Sondervollmachten zu erteilen, die der Ball-Operette den Verzicht auf alles erlaubt, was sonst als zwingend angesehen werden soll. Keine Abstandsregeln, keine Mundschutzpflicht, keine Beschränkung auf Gruppenzusammenkünfte von höchstens fünf Personen. Dort, wo intensiv gerannt, gegeneinander gedrückt, nach nassen Trikots gegrabscht und die Tröpfchenproduktion als immanenter Teil des Jobs hochgefahren wird, fallen die Masken. Plötzlich ist nicht mehr notwendig, was überall zwingend notwendig ist. Plötzlich sind Ausnahmen möglich, die Infektionsketten in Gang setzen und "alle unsere Erfolge gefährden" (Angela Merkel) könnten.

Doch was die Stimmung retten und der ganzen Welt zeigen soll, dass ein Leben mit Corona denkbar und lohnenswert ist, entpuppt sich in der Praxis als gruseliges Comeback in der Geisterbahn. Ein trauriger Witz, eine peinliche Posse. Hatten DFB und Berliner Politik geglaubt, Bundesliga sei, wenn 22 Männer in einem Stadion abwechselnd hinter einem Ball herjagen, zeigte der erste Spieltag, dass ein Auswürfeln der Endergebnisse durch eine Würfel-App womöglich emotionaler und spannender gewesen wäre.

Ödes Gerenne ohne jede Spannung


Die ersten Spiele, durchgeführt in leeren Stadien und damit erstmals überhaupt deutlich zu erkennen als das Hollywood-Produkt, das sie immer waren, sind ein einziger Totentanz, dargeboten für ein Publikum an der Mattscheibe. Dessen Fehlen vor Ort verwandelt den faszinierenden Sport Fußball, der so unendlich viel mehr Spielverläufe, Taktiken und Ereignishorizonte hat als Schach, das es der Wissenschaft bis heute nicht einmal gelungen ist, die genaue Anzahl zu berechnen - Schätzungen gehen von 1011500 bis 1012000  aus - verwandelt sich vor den Augen entsetzter Fernsehzuschauer in ein ödes Gerenne in gefühlter Zeitlupe, dem jede Spannung abgeht.

Das ganze Theater wirkt wie, ja, wie Theater, die Stadien wie Pappkulissen, die Kommentatoren wie ihre eigene Persiflage. Und richtig, da haben sie ja auch Pappbilder von Fans hingestellt, als sollte der absurde Charakter einer Veranstaltung noch betont werden, die als Zuschauersport entstand und nun ohne Zuschauer in einer Geisterbahn im Turbogeseier sich selbst motivierender TV-Kommentatoren stirbt, wie mit Gequatsche wettmachen wollen, was fehlt.  Hauptsache, die Einschaltquoten stimmen, die Rechteverwertungsverträge sind pro forma erfüllt und die Lieferkette für den Fernsehfußball ist wiederhergestellt.

Aber die Ent-Emotionalisierung der eigentlichen Ware Fußball, die von der deutschen Nationalmannschaft ("Die Mannschaft") bereits seit einigen Jahren konsequent vorgelebt wird, erreicht mit dem absurden Institut der "Geisterspiele" einen Kipp-Punkt. Der DFB, als systemrelevant freigestellt von Strafverfolgung und von der Spitzenpolitik ausgesucht, das Unterhaltungsprogramm zum gefühlten Untergang ganzer Industriezweige zu liefern, geriert sich als der Staat im Staate, der er schon immer mit seiner Nähe zur politischen Macht und zu den großen Geldquellen schon immer war. Diesmal aber funktioniert der Zauber nicht, mit dem euphorisierte Menschenmassen  das rein funktionale Milliardengeschäft um erfundene Identitäten und Zugehörigkeiten, TV-Rechte, multimillionenschwere Werbeverträge und eine sich davon nährende Medienmaschine in normalen Zeiten überdecken.

Fußball steht da, auf frischer Tat ertappt als streng nach Vermarktungskanälen designtes Industrieprodukt, nach Maß gefertigt für eine von den Herren des Balls gedachte Unterschicht, der man meint, Kunsthonig aus Naturprodukt und Mukkefuck als Edelmokka verkaufen zu können. Die vielleicht faszinierendste Sportart der Welt wird zum Corona-Opfer. Zwangsbeatmet, aber ohne Aussicht, jemals wieder gesund zu werden.



6 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Da passen die ersten Nachbetrachtungen wie die Faust aufs Auge. Wessen ist jetzt mal egal.
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NEUSTART DER BUNDESLIGA
Die gruselige Atmosphäre bei den gespenstischen Duellen
Stand: 11:52 Uhr | Lesedauer: 5 Minuten

Der erste Geisterspieltag fühlt sich atmosphärisch nach Kreisklasse an.

https://www.welt.de/sport/fussball/bundesliga/article208035089/Bundesliga-Gruselige-Atmosphaere-bei-den-gespenstischen-Duellen.html

Ministerpräsidenten wollen Zuschauer in Stadien zulassen
Stand: 11:44 Uhr | Lesedauer: 2 Minuten

Die Bundesliga hat ihren ersten Geisterspieltag hinter sich gebracht. Keine Fans, keine Stimmung, wenig Emotionen – es war ein völlig anderer Fußball. Das soll sich schon nach der Sommerpause ändern, wenn es nach zwei Ministerpräsidenten geht.
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Der Karnevalsprinz ist nicht unter den zweien, was mich ein wenig wundert.

Die Anmerkung hat gesagt…

ZU NAH NACH TOREN GEJUBELT
Söder kündigt Bundesliga schärfere Corona-Regeln an

https://www.bild.de/sport/fussball/fussball/bundesliga-markus-soeder-kuendigt-nach-zu-nah-jubel-von-hertha-schaerfere-regeln-70699586.bild.html
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So ist es, wenn man Gott spielen darf. Allemal geiler als Fußball spielen.

ppq hat gesagt…

fünf gegen fünf, 40 minuten spielzeit. würde auch reichen und man wäre schneller fertig

Anonym hat gesagt…

Fußball-Zaubereien
Mit dem Fußballzauber, Fernsehzauber, Coronazauber und weiteren "Zaubereien" haben die politischen Parteienzauberer der neuen alten Einheitspartei CDU/SPD/FDP/Grüne/Linke, kurz "SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands", ganz unauffällig alle in den letzten 150 Jahren tapfer erkämpften Freiheiten der Bürger ganz schnell sozialistisch weggezaubert und ihrer Politik die "Krone" aufgesetzt. Hokus, Pokus, Fidibus! Tooor! Alles weg, vor leeren Rängen! Aber die Politik wird die teuren Fußballstars mit den Millionengehältern über die Steuern schon retten, ganz bestimmt!
Mal sehen, wann der "Unterschicht" endlich auffällt, daß "Brot und Spiele" der Parteien mit der Freiheit der Bürger bezahlt werden und noch viel mehr weg sein wird: Die Arbeitsplätze, die Industrie, die Renten und Pensionen und alle Sozialsysteme. Kurz der ausgeplünderte, überdehnte Eine-Welt-Sozialstaat BRDDR wird mit der Schulden-EU und dem TEURO weggezaubert werden! Da werden leere Fußballstadien, mieses, teures Fernsehen und die jährliche Grippe-Epidemien noch die geringsten Probleme sein!
Elli

Die Anmerkung hat gesagt…

Hat sich eigentlich einer der großen Denker beim DFB schon zum Tehma Vorbeimarsch der Gladiatoren an den Balkonfenstern des Rathauses geäußert? Was, wenn der BFC, äh FCB als deutscher Abomeister Titel und Pokal holt und niemand geht hin?

Müller hat ja gestern ins Mikro gesagt, das ist Mist, was die hier als Show abliefern müssen, das ist wie Spiele der "Alten Herren um 19.00 Uhr".

Jodel hat gesagt…

Wenigstens haben sie jetzt bei den anstehenden Jahresrückblicken wenigstens ein Ereignis für den Mai. Das muss man doch auch anerkennen.

Man könnte ja das Geschrei, Geraune und Gestöhne auf den Trainer- und Auswechselbänken mit Mikrophonen einfangen und per Computer statistisch auf 50000 Zuschauer hochtunen. Dann hätte man zumindest in der Glotze den gleichen Hintergrundsound wie zuvor. Und es wäre nicht einmal komplett geschummelt, wie bei Geräuschen aus der Dose. Nur ein bisschen. Dann könnten doch alle zufrieden sein und aufhören zu meckern.
Das wir irgendwann vom Hochglanzprodukt zum eher dörflichen Fußball der 50er und 60er zurückkehren werden, glaubt hier ja wohl niemand ernsthaft.