Samstag, 19. Juli 2025

Transparente neue Steuer: Fenstersoli gegen die Altersarmut

Transparente neue Steuer: Fenstersoli gegen die Altersarmut
Ein Fenstersoli ("Fenstersteuer") wäre nur gerecht: Wer auf großem Fuß mit viel Licht lebt, müsste seinen Teil zur Finanzierung einer auskömmlichen Rente für alle beitragen.

Es sollte alles ganz flott über die Bühne gehen, so rasch, dass zumindest noch ein paar Reste des alten Systems da sind, die hinübergerettet werden können in das neue. Aber wie soll das aussehen? Wer soll es bezahlen? Wer die vielen Widerstände überwinden, die zwischen denen stehen, die auf ihre zugesicherten Besitzstände nach 20, 30 oder 45 Jahren Beitragszahlerei pochen? Und denen, die nur wenig eingezahlt haben, mit den daraus resultierenden Renten aber nun  von jeder vernünftigen Teilhabe ausgeschlossen sind?

Finanznöte der Sozialversicherung 

In den Koalitionsverhandlungen hatten sich Union und SPD beschlossen, schnell zu machen, aber nichts üebrs Knie zu brechen. Die Finanznöte der Sozialversicherung, hieß es, seien nicht in einem Jahr entstanden, sondern in zehn, zwanzig oder 30. An die Verantwortlkichen komme jetzt niemand mehr heran, deshalb werde nur der mühsame demokratische Weg blieben: Expertenkommissionen, Parlamentsanhörungen, Talkshowauftritte der Verfechter verschiedener Lösungen, die alle keine sind.

Die Beamten in die Solidaritätspflicht zu nehmen, wagte niemand ernsthaft. Eine als "Boomer-Soli" verkaufte neue Strafsteuer für alle Rentner mit mehr als 1.078 Euro Monatseinkommen gefiel dern Grünen, denn sie schöpften Hoffnungen, dass derart ausgenommene Senioren sich umgehend sowohl von SPD als auch von den Unionsparteien abwenden würden. Aus demselben Grund fiel der Vorschlag bei den beiden Regierungsparteien sofort durch. Merz und Klingbeil hatten die Fallstricke sofort erkannt und beschlossen, darüber nicht auch noch zu stolpern.

Guter Rat wird immer teurer 

Statt in Hektik auszubrechen, weil guter Rat immer teurer wird, beschlossen beide, aufs Tempo zu drücken und vor der parlamentarische Sommerpause gar nichts mehr zu tun. Acht Wochen Ferien, kündigte Merz auf seiner sommerlichen Pressekonferenz in Freienstimmung an. Danach könne die Zeit wieder drängen, die Diskussion um die Demographie fortgeführt werden und die Probleme müsse man dann "auch schneller lösen, als wir sie im Augenblicke meinen lösen zu können."

Nötig wäre dazu eine neue Art der Finanzierung der Defizite der Rentenversicherung, günstigstenfalls so angelegt, dass sie die Löcher in der Rentenkasse stopft, ohne dass das Geld jemandem weggenommen wird, der es selbst brauchen könnte. Der Solidarökonom Marius Quatscher hat mit einem Forscherteam de Climate  Watch Institutes (CWI) im sächsischen Grimma entsprechende Vorschläge ausgearbeitet. Nichts ganz neu, aber bewährt. Die Idee: Nicht wer im Alter horrend hohe Einkommen von mehr als 1.078 Euro im Monat hat, soll einen kleinen Teil davon an ärmere Rentner abgeben. Sondern wer sichtlich auf großem Fuß lebt. 

Eine Kolumne von Marius Quatscher 

Die Rentenversicherung in Deutschland steht vor einer dringenden Reform. Eine Fenstersteuer, wie sie historisch in mehreren Ländern existierte, könnte eine innovative Lösung bieten, um Altersarmut zu bekämpfen, ohne die jüngere oder die ältere oder auch nur die mittlere Generation weiter zu belasten, wie es andere aktuelle Vorschläge je nach politischer Colour der Vorschlagenden vorsehen. 

Es führt kein Weg an der bitteren Erkenntnis vorbei, dass die Alterung der Gesellschaft und der demografische Wandel keine fürchterlichen Zukunftsszenarien mehr sind. Sie sind Realität und stellen eine akute Herausforderung für die gesetzliche Rentenversicherung und damit für den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft dar. 

Die zentrale Frage lautet: Wie können wir die Kosten dieser strukturellen Veränderung so verteilen, dass die, die zahlen sollen, sich nicht noch mehr ausgenommen fühlen? Und die ihr Leben lang viel weniger eingezahlt haben, dennoch genug herausbekommen, dass sie auch bei der nächsten Bundestagswahl wieder demokratisch wählen?

Zu wenig Geld, zu wenig Ideen 

Es hilft wenig, über soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Notwendigkeiten und politisch tragfähige Lösungen zu schwadronieren. Alle bisherigen Ansätze der Rentenpolitik – kein höheres Renteneintrittsalter, steigende Renten und an Haltelinien festtackerte Beitragssätze – ändern nichts am Grundproblem. Es ist zu wenig Geld da, auf das zu viele ein Anrecht haben, zumal die, die keins besitzen, auch bedacht werden müssen. Natürlich lässt sich die jüngere Generation leicht immer weiter belasten. Kaum ein heute 25-Jähriger überblickt die Konsequenzen, zumal die fehlenden Rentenbillionen bis 2050 bei TikTok und Instagram kein Thema sind.

Der Staat könnte also weiterwurschteln wie gehabt, Lasten in die Zukunft verschieben und angesichts der Gefahr eines russischen Angriffs im Jahr 2029 davon ausgehen, dass sich die Rentenfrage in wenige Jahren von selbst gelöst haben wird. Doch das ist weder nachhaltig noch generationengerecht. Es braucht eine neue Verteilungsperspektive. Nicht nur zwischen Jung und Alt, sondern auch innerhalb der älteren Generation von Vermögenden zu Bedürftigen.

In England längst bewährt 

Hier setzt der Vorschlag einer Fenstersteuer an, den das Climate Watch Institut (CWI) unter meiner Leitung entwickelt hat. Diese Steuer, die auf die Anzahl der Fenster in Wohnhäusern erhoben wird, könnte gezielt Einnahmen generieren, um Altersarmut zu reduzieren, ohne die Erwerbstätigen zusätzlich zu belasten. Die Idee ist simpel und er wurde in England, Frankreich und den Niederlanden bereits über lange Zeiträume erprobt: Eine moderate Abgabe, die auf Wohnhäuser mit vielen Fenstern – ein Indikator für größere und wertvollere Immobilien – erhoben wird, könnte die Rentenkasse stärken und höhere Rentenansprüche für Menschen mit niedrigen Alterseinkommen finanzieren.

Da der Fenstersoli einkommensunabhängig erhoben wird, blieben soziale Härten aus. Berechnungen des CWI zeigen, das eine solche Steuer die Armutsrisikoquote im Alter von 18 auf etwa 14 Prozent senken könnte, wenn die Einnahmen gezielt in die Rentenkasse fließen. Dabei bliebe die Belastung für mittlere und kleinere Immobilienbesitzer moderat – oft unter vier Prozent des Immobilienwerts, ausgedrückt als  Jahresmiete durch Fensteranzahl. 

Mehr Fenster, mehr Wohlstand, mehr Steuer 

Mehr Fenster bedeutet dann eine höhere Abgabe. Im Gegensatz zum historischen Vorbild, das in England zwischen 1696 bis 1851 erhoben wurde, wäre eine moderne Fenstersteuer jedoch so zu gestalten, dass sie soziale Härten vermeidet. Eine progressive Staffelung würde nicht nur die Anzahl der Fenster, sondern auch deren Größe berücksichtigen.

Kleine Fenster, wenig Steuer, große Panoramafenster höhere Sätze – mit dieser Formel würden wohlhabendere Haushalte stärker einbezogen, ohne ärmere übermäßig zu belasten. Im Gegensatz zu anderen Reformvorschlägen, die nur Senioren belasten, hätte die Fenstersteuer den Vorteil, dass sie unabhängig von der Einkommenshöhe ist, weil sie nur auf Mieter von Wohnungen oder Eigentümer von Häuser rekurriert und deren Fensteranzahl zum Maßstab für den fälligen Solidaritätsbeitrag nimmt. 

Auch zugemauerte Fenster 

Die historische Lehre, die dabei zu beachten sein wird, ist einfach: In früheren Fenstersteuerstaaten kam es dazu, dass Fenstersteuerpflichtige ihre Fenster zumauerten, um Steuern zu sparen – mit gravierenden sozialen Folgen wie Lichtmangel und Gesundheitsproblemen. Das wäre einfach zu vermeiden, indem der Gesetzgeber von Anfang an klarstellt, dass auch zugemauerte Fenster steuerpflichtig bleiben. Steuervermeidung zum Schaden der Solidargemeinschaft wäre damit wirksam der Weg verstellt.

Simulationen des CWI zeigen: Die Fenstersteuer ist nicht nur sozial gerecht, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll. Durch die Bekämpfung von Altersarmut würde die Kaufkraft einkommensschwacher Rentner steigen, was die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbelt. Mehr Menschen könnten in größere Wohnungen mit mehr Fenstern ziehen, dadurch würden die Einnahmen steigen, die zur Stabilisierung des Rentensystems zur Verfügung stehen. Das stärkt das Vertrauen in den Sozialstaat, was langfristig das Wirtschaftswachstum und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert. 

Satz je Quadratmeter Glas

Im Vergleich zu komplexen Änderungen der Rentenformel, die verfassungsrechtlich und administrativ aufwendig sind, ist die Fenstersteuer einfach umsetzbar. Sie könnte über das Steuersystem schnell eingeführt und bei Bedarf flexibel angepasst werden, da der Satz je Quadratmeter Fenster je nach Finanzbedarf jeweils im Jahressteuergesetz festgelegt werden könnte. Zudem würde sie gezielt jene einbeziehen, die auf großem Fuß leben, weil sie von den Jahrzehnten des Wirtschaftswunders profitiert haben. 

Im Gegensatz zum mittelalterlichen England oder dem royalen Frankreich der Zeit vor der europäischen Einigung wäre heute auch der Aufwand zur Steuer-Steuerung überschaubar. Moderne Kontrollmechanismen wie Luftbildaufnahmen oder digitale Katasterdaten würden eine einfache Erhebung ermöglichen, ohne die Privatsphäre der Bürger über Gebühr zu verletzen. Nahezu jeder Bürger würde zudem profitieren. Eine stabile Rente, auskömmlich und zukunftsfähig, vermindert gesellschaftliche Friktionen, indem sie die Last des demografischen Wandels gerechter verteilt.

 

Riesiger Vorteil zu  bisherigen System

Ein riesiger Vorteil zum bisherigen System. Das lastet den Druck der fehlenden Finanzmittel fast ausschließlich dem Politikbetrieb auf. Der soll mit "Reformen" gegen die Mathematik anregieren, ein System, das nur von einem Teil seiner Anspruchsberechtigten finanziert wird, immer wieder retten, ohne Zahlungsfähige so viel stärker zu belasten, dass sie auf die Seite der Solidarbedürftigen wechseln.

Über den Fenstersoli wären die, die von günstigen Wohnkosten, stabilen Arbeitsmärkten und einem starken Sozialstaat profitiert haben, zur Zahlung eines Beitrages zur Sicherung des Generationenvertrags verpflichtet. Gerade wer in Bad und Küche Fenster hat, kann den eigenen Beitrag zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts nicht mehr künstlich klein halten.

Pragmatisch, gerecht und wirtschaftlich sinnvoll  

Eine Fenstersteuer ist ein pragmatisches, gerechtes und wirtschaftlich sinnvolles Instrument, um Altersarmut zu reduzieren und die Rentenfinanzierung nachhaltig zu sichern. Deutschland steht vor einer sozialpolitischen Herausforderung: Die Alterung der Gesellschaft, gepaart mit dem nahenden Ruhestand der geburtenstarken Jahrgänge, stellt die Finanzierungsbasis der gesetzlichen Rentenversicherung auf eine harte Probe. 

Die zentrale Frage lautet: Wer trägt die Kosten dieses demografischen Wandels – werden es die Bürger sein? Oder die Steuerzahler? Springt der Staat ein? Und geht es sozial gerecht und zukunftsfest zu? Die Zeit für kleine Korrekturen ist vorbei – es braucht Mut für eine gerechte Altersvorsorge, die alle einbezieht. Die neue Bundesregierung sollte diesen Vorschlag ernsthaft prüfen. Das ist erforderlich, um die Stabilität des Sozialstaats, den Erhalt des Wohlstands und den Generationenvertrag zu sichern.


Freitag, 18. Juli 2025

Ferner Osten: Grüner Aufbruch ins Unbekannte

Grüne Ostdeutschland Banaszak
Mit Zerknirschung, Reue und neuen Versprechen wollen die Grünen den Osten erobern. 

Der Chef selbst geht dorthin, wo es wehtut. Brandenburg bekommt Besuch, Felix Banaszak, Bundesvorsitzender der Grünen und in Ermangelung anderer Vordenker Chefstratege der früheren Ökopartei, eröffnet ein Wahlkampfbüro mitten im Nirgendwo. Brandenburg an der Havel liegt auf dem Weg ins heimische Duisburg, dort ab und an vorbeizuschauen, wird den 35-jährigen Erben von Größen wird Jürgen Trittin, Joschka Fischer und Robert Habeck nicht weiter zeitlich belasten.  

Doch mental, das hat schon seine Ankündigung des verwegenen Vorhabens verraten, nimmt sie Banaszak mit, die Aussicht, erstmals im Leben auf Ostdeutsche zu treffen,  Menschen jenes fremden Schlages, die einem guten Grünen früher ferner waren als Revolutionäre aus Nicaragua und ihm heute verdächtiger erscheinen als IS-Terroristen auf der Flucht.

Die Not ist groß 

Doch die Not im grünen Lager ist groß, und die Not speist sich aus einer Spaltung, die die Partei in den zurückliegenden 35 Jahren nie hat überwinden wollen. Als die DDR unterging, verloren die Ditfurts und Ebermanns der damaligen   Alternative für Deutschland ein Stück Zukunftshoffnung. So wie die DDR, so hatte ihr Traumland sein sollen, nur demokratischer, reicher und sauberer. Aber eben sozialistisch, wenn auch richtig. Dass die Ostdeutschen in Heerscharen zum Kapitalismus überliefen, ließ die Grünen abschätzig die Köpfe schütteln. Nur wegen der Bananen eine so schöne Idee wie den Sozialismus zu verraten, das wäre den Parteimitgliedern aus Hamburg, Köln und Stuttgart niemals in den Sinn  gekommen.

Die Grünen waren damals ausdrücklich gegen die deutsche Einheit, ausdrücklicher noch als die SPD, bei der wenigstens die älteren Genossen die Ideologie beiseiteschieben konnten, als es um die Wiedervereinigung ging. Bei den Grünen dagegen galt jeder, der von einem vereinigten Vaterland träumte, als ekelhafter Nationalist.  Die Partei, die sich als die progressive Kraft sah, liebte den Status Quo: Der Westen bereitet die Abschaffung der Marktwirtschaft vor, bei Eduscho-Kaffee, Nutella-Brot und schick in Levis. Die Ossis büßen schön für die Verbrechen der Faschisten, bis sich eines Tages sowieso alle Nationen in Wohlgefallen auflösen.  

Die Trottel im Osten 

Die Grünen haben den Ostdeutschen nie verziehen, dass sie damals nicht vom Wetter reden wollten. Die Ostdeutschen dagegen haben nicht vergessen, dass sie selbst noch den Enkeln von Waltraud Schoppe, Antje Vollmer und Willi Hoss als komplette Trottel erschienen, denen man mit vermeintlicher Selbstkritik vormachen könne, man habe viele Fehler eingesehen und verstanden, wer damals richtig lag und wer falsch.

Die Grünen jedenfalls, so schrieben es Annalena Baerbock und Robert Habeck in einem längerzurückliegenden Text, der die Ostdeutschen einfangen sollte, waren es nicht. Die seien damals "gefangen gewesen im gedanklichen Kontext der alten BRD", für sie war die Deutsche Einheit einfach zu klein, denn berufen, die ganze Welt zu retten, hatten sie "die ökologische und die soziale Frage im Blick". 

Geliebte linke Diktatur 

Aber was heißt hatten. Das Messianische, das Besserwisserische und das Sendungsbewusstsein, dass die grüne Partei unter allen ihren schillernden Führerinnen und Führers stabil auszeichnete, ist bis heute dasselbe geblieben. Wie die Grünen den DDR-Leuten vorbeteten, dass eine linke Diktatur in der DDR besser sei als gar kein sozialistisches Sehnsuchtsland, so hielten sie ihnen später Predigten über die Kugel Eis und den Veggie-Day. Abwechselnd mit Vorträgen über die Notwendigkeit, endlich einzusehen, dass der seit 1990 so hart erarbeitete Wohlstand nur geliehen war und nun die Zeit gekommen sei, ihn zugunsten Geflüchter, der Wärmepumpen- und Dämmindustrie und eines engmaschigen Staatsnetzwerks an Überwachungsorganisationen abzugeben.

Die mangelnde Einsicht der Diktaturgeschädigten bewies, wie richtig die Partei damit lag. Ähnlich wie die muslimische Welt, der bis heute unter dem Mangel leidet, niemals eine Reformation erlebt zu haben, krankt die autochthone Bevölkerung in Ostdeutschland unter dem, nicht einsehen zu wollen, dass ein Leben wie im alten Westen nicht für alle Menschen auf Erden machbar ist. 

Vermittlung neuer Werte 

Auf die immer wieder neu formulierten Umerziehungsideen, die Verbote, Umbauanweisungen und die als Lebenshilfe gedachte Vermittlung neuer Werte reagieren Sachsen, Thüringer und Brandenburger, aber auch die Menschen in Mecklenburg und Sachsen-Anhalt  allergisch.

Sie weigern sich, als "allergrößte Kälber ihre Metzger selber" zu wählen (Christian Wiedmer, 1850). Sondern behandelten die Partei, die ihr ostdeutsches Bündnis-90-Erbe längst im Keller der Parteizentrale am Platz vor dem Neuen Tor entsorgt hatte, wie sie von ihr behandelt wurden: Mit Unverständnis, Verachtung und demonstrativer Ignoranz.

Im Osten werden keine Wahlen verloren, die im Westen gewonnen worden sind, deshalb war das für die grünen Parteistrategen kein Grund zur Sorge. Die letzten Wahlen aber erinnerten die Grünen schmerzhaft daran, dass im Westen keine Wahlen gewinnt, wer sie im Osten verliert. Wie die SPD, die  in der Vergangenheit nach jedem weiteren Abwärtsrutsch in der Wählergunst der Ostdeutschen  hektisch ein Ostprogramm ausrief - das letzte trug den tollen Titel  "Jetzt ist unsere Zeit: Aufarbeitung, Anerkennung und Aufbruch" - starten auch die Grünen in höchster Umfragenot einen Aufbruch ins Unbekannte.

"Bier mit Banaszak" 

Die Expedition in den nahen Osten wird von Felix Banaszak angeführt, einem beispielhaften Funktionärstyp, der alles mitbringt, was Menschen in Brandenburg zu seinen geplanten Empfängen unter dem Titel "Bier mit Banaszak" locken könnte. Die Lebenserfahrung des gebürtigen Duisburgers beschränkt sich auf ein Kunststudium und lange Jahre anstrengender Ausbildung im grünen Parteiapparat. Banaszak war nie außerhalb grüner Organisationen erwerbstätig, er diente sich erst bei einem Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses hoch, dann bei den Europaabgeordneten Terry Reintke und Sven Giegold

Auf so einen haben sie in Brandenburg an der Havel  schon lange gewartet, weil jeder in der 74.000-Einwohner-Stadt, die früher von ihrer Schwerindustrie lebte, begierig darauf ist, Banaszak zu helfen, "im besten Fall auch etwas mehr Brandenburger Perspektive nach Berlin" zu bringen. Ganz verlassen müssen sie sich nicht darauf, dass er das wuppt, denn parallel dazu hat der grüne Vorstand ein "Impulspapier" verfasst, das  den von der SPD genutzten Titel "Jetzt ist unsere Zeit: Aufarbeitung, Anerkennung und Aufbruch" meidet, mit "Ehrlich, streitbar, nahbar" aber nur ganz knapp. 

Abrechnung mit dem Osten 

Auf acht Seiten, an denen mit dem aus Jena stammenden Heiko Knopf auch ein ostdeutsches Vorstandsmitglied mitschreiben durfte, rechnet Banaszak ab mit den Menschen in einem Landstrich, der sich weigert, warm zu werden mit Politikern und einer Partei, die sie von oben herab betrachten und davon selbst jetzt noch nicht lassen können. Denn was Banaszak und Knopf an den Schreibtisch trieb, um das "Impulspapier" zu verfassen, ist das eine Motiv: Die Grünen haben "im Osten die Fünf-Prozent-Marke in den letzten Jahren häufiger von unten als von oben gesehen". Was also muss geschehen, um die Leute zu überzeugen, doch gern auch mal Grün zu wählen?

Banaszak formuliert zwar als Frage "Haben wir den Osten aufgegeben – oder der Osten uns?", was er sucht, ist allerdings eine rein taktische Antwort: Seht her, ihr Ossis, welch mutiger Schritt von uns, dass wir ganz zerknirscht vor euch treten, unsere Häupter mit Asche bestreuen und Reue zeigen, um den Osten jetzt aber mal wirklich mit der Zusicherung für sich zu gewinnen, nicht nur zu reden, sondern wirklich zuzuhören. 

Ringen um die besseren Alternativen

Aus Sicht von  Felix Banaszak und seinem Co-Autoren, einem Ostdeutschen, der im grünen Bundesvorstand so wichtig ist, dass er nicht einmal einen Wikipediaeintrag hat, müssen die Ossis schon allein für die Geste dankbar sein. Baerbock und Habeck hatten ihre große Abbitte bei den Ostdeutschen vor fünf Jahren noch selbstbewusst unter die Überschrift "Was wir aus den Fehlern der Wiedervereinigung lernen können" gestellt und versprochen "die ostdeutsche Erfahrung von 1989 und der großen Brüche in den Jahrzehnten danach" beim "Ringen um die besseren Alternativen" besser zu beachten. Banaszak und Knopf treten nun  an, das Zerrbild zu korrigieren, das Rechtspopulisten und Fortschrittsfeinde im Osten von Grünen zeichnen.

Nein, sie wollen keine elitäre Öko-Partei sein, die mit den Lebensrealitäten der Region so wenig anfangen weiß, dass ihr Führungspersonal sich angesichts von Wirtschafts-, Renten-, Sozial- und Schuldenkrise, immer weiter ausgedehntem Überwachungsstaat und Aufrüstung wochenlang ausschließlich mit dem Schicksal einer Frau beschäftigt, deren Auskommen gesichert ist, ob sie nun Professorin belibt oder Verfassungsrichterin wird. Eine gut verquirlte Mischung aus falschem Schuldbewusstsein und grundlosem Optimismus soll die Ostdeutschen überzeugen, dass die Grünen verstanden haben, warum sie nicht verstanden werden. 

Im Duktus des "Grünen Manifests"

Der ganze Ablassbrief ist im Duktus des "Grünen Manifests" verfasst, mit dem sich Banaszak und seine Co-Vorsitzende Franziska Brantner erst vor wenigen Wochen der hart arbeitenden Mitte im Westen als Kneipenbekanntschaft andienten. Mimikri für eine "Wir-haben-verstanden"-Fassade, hinter der dieselbe elitäre Abgehobenheit lauert, die die Grünen mehr noch als die anderen Parteien der demokratischen Mitte für mehr als 90 Prozent der Ostdeutschen unwählbar macht. 

Die neue Strategie ist dreigliedrig: Zerknirschung. Reue. Abschwören. Zerknirschung soll signalisieren, dass die Grünen ihre Fehler erkannt haben. Reue zeigt, dass Einsicht da ist. Und Abschwören sichert Umdenken zu. Lenken und Leiten soll das ein neu gegründeter "Vorstandsbeirat Bündnisgrüner Osten", quasi ein Klub indigener Ostexperten, der "ostdeutsche Perspektiven in die Bundespolitik einbringen" soll. 

Die Besetzung des Gremiums mit ausgewiesenen Altfunktionären wie Marianne Birthler, der Ex-Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Judith C. Enders, einer Politikwissenschaftlerin, der früheren  Parteichefin Katrin Göring-Eckardt und dem früheren Staatssekretär Michael Kellner zeigt deutlich, worum es geht. Die Grünen fühlen sich missverstanden, sie wollen ihre Politik keineswegs ändern, sondern besser erklären, damit auch die eher ungebildeten Ostdeutschen verstehen, dass grüne Edelthemen wie Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und unsere Demokratie Begeisterung auslösen müssen. 

Das ist der Dank: Beim Geld hört die FrEUndschaft auf

Wie abgesprochen fordert Ursula von der Leyen irrwitzige Summen für die EU und Friedrich Merz lehnt brüsk ab. Abb: Kümram, Aquarellfarben

Ein paar Märchenzahlen, ein wenig Zeitkosmetik, absurde Annahmen über den Fortgang der Dinge und eine Kommission, die alle Augen fest zukneift. Mehr brauchte es nicht, um die Bundesregierung vor einem der früher so gefürchteten "Blauen Briefe" aus Brüssel zu retten.

Berlin zog dazu alle Register: Finanzminister Lars Klingbeil, der bis vor wenigen Wochen noch nie ein Ministerium geführt oder einen Haushalt geplant hatte, machte Gebrauch von der Ausnahmeklausel des Stabilitätspakts für Verteidigungsausgaben.

Gebrauch von der Ausnahmeklausel

Er meldete der EU-Kommission fantastische Zahlen zum anstehenden künftigen Wachstum der Wirtschaft der Bundesrepublik. Und im neuen Plan zum mittelfristigen Abbau der deutschen Staatsschulden sind mehr Luftbuchungen enthalten als im legendären »Schicksalsbuch der Nation« für 2025, in das die damaligen Koalitionsspitzen Scholz, Lindner und Habeck einfach geschrieben hatten, was ihnen gefiel. 

Kein Gedanke mehr an die vielbemühten knappen Kassen, die in Zukunft noch viel schwindsüchtiger zu werden versprechen, weil die Summen, die für Zinsen aufzuwenden sind, sich nach dem Kreditexzess, den der alte Bundestag den Bürgerinnen und Bürgern leistete, deutlich erhöhen werden. Mit dem neuen Finanzplan für die Jahre 2025 bis 2029 steht eine Billion neuer Schulden ins Haus, überwiegend versteckt in den berühmten "Sondervermögen". 

An der Seite der großen Partnerländer

Die Staatsverschuldung, die das Maastricht-Kriterium bisher dauerhaft, aber immer nur recht knapp verfehlte, steigt von 62,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf deutlich über 80. Deutschland stellt sich damit entscheiden an die Seite der großen Partnerländer Spanien, Italien, Frankreich, Österreich und Portugal, denen das alles ohnehin schon lange egal ist.

Schulden sind nicht schön, so hohe Schulden schon gar nicht. Aber die Alternative erscheint im politischen Berlin weitaus fürchterlicher. Wohin es führt, wenn eine Regierung das Land nicht mehr guten Gaben ruhigstellen kann, weil Schuldenregeln sie zum Knausern zwingen, hat die SPD in den vergangene vier Jahren schmerzlich erlebt. Nichts geht mehr, wenn keiner mehr etwas bekommen kann. Sogenanntes "frisches Geld" ist das Blut, das vom Herzen - dem Bundestag - ins Land gepumpt wird, das die Kapillare unserer Demokratie geschmeidig hält und den Volkskörper leistungswillig. 

Nicht so streng wie 2002 

Die geplante Nettokreditaufnahme des Bundes von astronomischen 850 Milliarden Euro plus Rüstungsjoker ging in Brüssel samtweich durch. Die Kommission ließ sich angesichts der eigenen hochfliegenden Schuldenpläne nicht lange bitten. So streng sie 2002 gewesen war, als Deutschlands Schuldenstandsquote noch bei  59,5 Prozent des BIP gelegen hatte, so nachgiebig reagiert sie bei 80 Prozent. 

So vieles ist so anders. Seinerzeit wetterte der von der SPD gestellte Kanzler Gerhard Schröder  über die Kommission, die ihre Kompetenten überschreite. Deutschland habe die Schuldengrenze nur ganz kurz gerissen, Sekunden später schon werde sie wieder eingehalten. Brüssel aber blieb streng. Offiziell wurde gewarnt - das einzige und schärfste Mittel der Abmahnung, denn Truppen, die die EU schicken könnte, hat sie nicht. Der damalige Oppositionsführer Friedrich Merz fand es sehr gut, dass die besinnungslose Schuldenmacherei Berlin nicht akzeptiert wurde. Er nannte das Verhalten des Kanzlers "unverantwortlich", denn Schuldenregeln seien dazu da, eingehalten zu werden. 

Gemeinsam ins Schuldenwunderland 

Heute marschieren SPD und Union gemeinsam ins Schuldenwunderland, in dem es erstmals gelingen wird, mit höheren Staatsausgaben so viel mehr Steuern einzunehmen, dass die neuen Schulden durch flottes Wachstum bezahlt werden. Den Weg dorthin beschreibt ein "mehrjähriger Pfad für das maximal zulässige Wachstum" der Staatsausgaben bis 2029, eine Art Maastricht-Vertrag, der mehr erlaubt und noch weniger Papier wert ist. Dank der erst kürzlich renovierten Schuldenregeln der EU, die die Maastricht-Kriterien als eine Art Empfehlung für fern in der Zukunft liegende Zeiten interpretieren, die nur dann zu befolgen sind, wenn es gerade passt.

Damit sind alle deutschen Schuldenpakete, die Sondervermögen und die ohne Grenzen möglichen Ausgaben für Aufrüstung und Militär mit den EU-Regeln grundsätzlich vereinbar. Die Prüfung der Planungen der schwarz-roten Koalition durch die Kommission dauerte nicht einmal einen Monat. Erst Ende Juni hatte Merz und Klingbeil die Zahlen vorgelegt, schon 23 Tage später waren die sicher nicht ganz einfach zu prüfenden Angaben, die endlosen Tabellen und Projektionen amtlich bestätigt. 

Sie können auch anders 

Von wegen, Europa kann nur quälend langsam, bürokratisch und letztlich immer so, dass Entscheidungen fallen, wenn sie niemand mehr braucht. Die können auch anders. Die EU-Kommission hält sich zwar immer noch ein mögliches Defizitverfahren gegen Deutschland offen - wenigstens so tun, als nähme man die ursprünglich geschlossen Verträge ernst, muss man. Aber das es dazu kommen wird, ist ausgeschlossen, schließlich will Brüssel auch etwas von Berlin und ganz zufällig sogar dasselbe: Mehr Geld, sehr viel mehr und am liebsten doppelt so viel.

Jetzt, da die gemeinsamen Schuldenregeln nicht mehr für alle gelten, ja, im Grunde nur noch eine Minderheit der Mitgliedsstaaten überhaupt so zu tun versucht, als hätten sie von Schuldenregeln schon einmal gehört, müsste doch auch für EU selbst mehr drin sein. Diesem Grundsatz folgend, plante Ursula von der Leyen ihren anstehenden "mehrjährigen Pfad" auch gleich im deutschen Stil: Doppelt oder nichts, Lackschuh oder schlechte Laune. Klotzen statt Kleckern, hatte das Hitlers Panzergeneral Heinz Guderian genannt, der sein Leben im niedersächsischen Ilten beschloss, nur 70 Kilometer entfernt von Goslar, wo Ursula von der Leyen im Hause Albrecht  aufwuchs.

Merz will nicht zahlen 

Der deutsche Kanzler aber will nicht Wachs sein in den Händen der mächtigsten Frau Europas, die seit ihrem überstandenen Misstrauensantrag mehr noch als je zuvor ganz allein für das gesamte Europa zu stehen meint. Mit zwei Billionen, so hat es von der Leyen ausrechnen lassen, würde die EU über die Jahre bis  2035 kommen. Zwei Fünftel mehr als bisher und trotz der Versicherungen der Kommissionsvorsitzenden, dass  niemand mehr zahlen müsse, schwant Merz, dass das traditionelle  Viertel des EU-Haushaltes, das Deutschland finanziert, künftig wesentlich teurer werden dürfte. 

In der ersten Runde des Basargeschachers, das sich über die kommenden drei Jahre hinziehen wird, hat Friedrich Merz die Finanzfantasien der Kommission als "nicht vermittelbar" bezeichnet. Der Kanzler ließ einen Sprecher auf angebliche Versuche der Mitgliedsstaaten hinweisen "ihre Haushalte zu stabilisieren". Vor diesem Hintergrund "werden wir den Vorschlag der Kommission nicht akzeptieren können." 

Doppelt hält besser 

Finanzminister Lars Klingbeil, dessen Versuche, seinen "Haushalt zu stabilisieren" zu einer Haushaltsverdopplung geführt haben, pflichtete seinem Kanzler bei. Der Vorschlag sei nicht  zustimmungsfähig. "Wir müssen bei den Finanzen absolut im Verhältnis bleiben", sagte Klingbeil augenzwinkernd und er meinte wohl, dass zwei Billionen nicht der Ausweitung des Haushaltsvolumens entsprechen, die Deutschland sich gestattet: 2024 waren es noch 476 Milliarden Euro. 2029 werden es schon 846,9 Milliarden Euro- das ist eine Steigerung um 77 Prozent, plus alles an Militärausgaben, was nicht mitgezählt werden muss. Die EU bleibt mit 66 Prozent Steigerung geradezu bescheiden.

Merz aber, innenpolitisch unter Druck durch die Affäre um Frauke Brosius-Gersdorf, wirtschaftpolitisch bisher erfolglos und machtpolitisch wieder auf Los gelandet, will nicht gleich einlenken, sondern erst später. Ein Beinbruch ist das nicht, denn selbstverständlich wurde der Theaterdonner, der jetzt aus Berlin zu hören ist, abgesprochen und die Ablehnung der Bundesregierung gilt ausdrücklich nur "für den Haushalt in seiner jetzigen Form", nicht für den in der jetzt vorgestellten obszönen Höhe. Die wird in ein, zwei oder drei Jahren annähernd so durchgehen. Niemand kann wollen dürfen, dass Europa schwach wirkt.

17 Milliarden für Ausbau und Unterhalt 

Und das muss man sich dann eben leisten. Zwei Billionen auf sieben Jahre, das sind nur 280 Milliarden im Jahr, ein kleines Geld, gemessen an den vielen großen Aufgaben, die von der Leyen sich und den ihren auf den Tisch gezogen hat. Nach früheren Bekundungen der Kommission werden nur sechs Prozent des Geldes, also nur bescheidene 17 Milliarden, Euro im Jahr, für Unterhalt und Ausbau der EU selbst benötigt und verbraucht. 

Donnerstag, 17. Juli 2025

Auf der Kälteinsel: Europa vor extremem Hitzesommer

Das Klimamodell MPI-ESM-LR 80 hat 18 vergangene Hitzesommer durchgerechnet und herausgefunden, dass ein extremer Hitzesommer bevorsteht. 

Die Wetterfrösche stehen kurz vor dem Offenbarungseid. Der ARD-Mann hat eine Jacke an, der Kollege vom ZDF versucht sich in Zweckoptimismus. "Genießen wir die frische Luft", sagt eine zitternde Kollegin beim Spartensender Tagesschau24. Oder in einfacher Sprache, komplex erklärt: "Aprilwetter im Juli", giggelt es aufgeregt. Hahaha, das sei aber ganz normal. Solche "Kälteinseln"  gab es schon immer.  

Der heißeste Juli 

Wetter hin, Wetter her. Zweifellos wird der Juli seinem Ruf als Klimamonat am Ende doch wieder alle Ehre gemacht haben, indem er kurzerhand der heißeste Juli seit Karl des Großen erstem Besuch beim G7-Gipfel in Rom gewesen sein wird. Noch ist es nicht so weit, aber gemäß allen weltweit anerkannten Klimamodellen steht Europa nicht nur weiterhin vor einem extremen Hitzesommer, sondern näher davor als jemals zuvor.

Alle Zeichen stehen auf Hitze, seit Mai schon und Mitte Juli umso mehr.  In jeder Woche ist alles möglich: Morgens 15 Grad Aprilfrische, mittags schon drückt der Planet von oben mit schwitzigen 25 Grad. Und wenn der Sommer erst beginn, droht brütende Hitze, denn so lauten die Wetterprognosen seit Jahren schon. Beim ersten Hitzeschock im Juni, jenen 24 Stunden mit bis zu 40 Grad, schon sich das Klima in die öffentliche Aufmerksamkeit wie seit 2019 nicht mehr. Kaum sank die Thermometersäule, war wieder nur Wetter und vom Klima blieb nur ein Strich am Boden. 

Das Wetter täuscht 

Das momentane Wetter täuscht. Die Fernsehexperten, die behaupten, das alles erinnere an den April, verkennen, dass es zuletzt häufig bereits im Mai so war. Grund dafür ist das Klimawetter, das dem Land, das sich der Klimakatastrophe so engagiert entgegenstellt wie kaum ein zweites, einen Mix aus Sonne, Wolken und Gewittern beschert, verziert mit Dürre, Regen, Hitze und einer rapide sinkenden Zahl von Tropennächten. Bis zu vier blieben zuletzt noch übrig, an wenigen Orten nur. 2013 waren es noch bis zu 14 gewesen. 

Doch nicht nur solche Rückschläge bei der Klimaerwärmung bieten Gesprächsstoff, auch die anhaltenden Prognosen für den Sommer lassen aufhorchen. In den nächsten Tage, das wissen die Experten bereits ganz genau, wird sich nicht viel tun. Danach aber startet der Sommer wieder neu durch, mit viel Sonne, Aprilkühle, Quellwolken und Gewittern, die zu Regenfällen führen können. 

Teilweise wird es in den Dürregebieten wahrscheinlich trocken bleiben, teilweise ist der Boden aber zu trocken, um die neuen Niederschläge aufnehmen zu können. Wolken oder nicht, gerade die Kühle täuscht über die anhaltend hohe UV-Belastung. Deshalb sollte immer schön Sonnencreme gegen den Klimawandel aufgetragen werden.

Zum morgigen 5. Hitzeaktionstag hat das Umweltbundesamt (UBA) gerade wieder noch einmal eine vom Bundesumweltministerium (BMUKN) in Auftrag gegebene Empfehlung zur hitzebedingten Sterblichkeit in Deutschland veröffentlicht. Die von Forschenden des UBA und des Robert-Koch-Instituts (RKI) ermittelten Zahlen zeigen, dass durch Hitze verursachte Todesfälle in den Sommern 2023 und 2024 etwa 3.000 Mal vorkamen. Betroffen waren vor allem Menschen über 75 Jahre mit Vorerkrankungen wie Demenz, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen, uanbhängig vom Wetter.

Belege für Erwärmung 

Das alles ist kein Gegenbeweis für eine zunehmende Erderhitzung, sondern ein weiterer Beleg. Seit Forscher des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (MPI-M) in Hamburg einen Wärmestau im Nordatlantik entdeckten, lassen sich Hitzesommer bis zu drei Jahre im Voraus prognostizieren. Den ersten Beweis liefert der Sommer 2025: Drei Jahre lang hatte sich der sogenannte nordatlantische Wärmestau aufgebaut, der nach Modellrechnungen, die den Zusammenhang von Hitzeextremen mit dem Wärmeinhalt im Nordatlantik berücksichtigen, immer zu einem Hitzesommer in Europa führt. Ursache des Wärmestaus sind Anomalien des Wärmetransports im Ozean, die sich auch auf die Atmosphäre auswirken.

Wie das für die Berechnungen genutzte Klimamodell MPI-ESM-LR 80, das mit Simulationen des europäischen Klimas von 1962 bis 2022 arbeitet, sehen auch Vorhersagen des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen den kommenden Sommer außergewöhnlich heiß werden. Naheliegend ist es: Der Nordatlantik ist derzeit so warm wie noch nie seit Beginn der Satellitenmessungen vor 40 Jahren, das Mittelmeer brodelt es wegen gefährlicher Rekordwerte sogar gewaltig.  Der europäische Klimawandeldienst Copernicus kommt mit dem Vermelden neuer Heißrekorde kaum mehr hinterher.

Wohltuend laue Wärme 

Die Zusammenhänge zu entdecken, fällt allerdings vielen schwer. Menschen empfinden die laue Wärme der überwiegend sonnigen Tage als wohltuend, die vielen kleinen und großen Schauer als erfrischend, die kühlen Nächste zumindest unter der Woche nur selten als störend. Aufkommende Zweifel kam Klimawandel werden mit scherzhaften Hinweisen auf das Wetter abgetan. Ältere summen schmunzelnd Lieder von früher, die von aufmerksameren Beobachtern längst auf den Index mit den Sylter Nazihymnen gesetzt worden sind. 

Alles liegt an einer flachen Druckverteilung unter einer stabilen Hochdrucklage, durch die sich die Luftmassen nicht durchmischen können und die Luft in der Nähe des Bodens sich stark erwärmt, ohne dass schon Trinkbrunnen, dünne Leinenlaken und ausgebildete Hitzehelfer zum Einsatz kommen müssen. Durch thermische Aufwinde entstehen im Tagesverlauf oft Quellwolken entstehen, da durch den steileren Winkel der Sonne und die zunehmende Wärme der Boden und die Luft darüber stark erwärmt wird. 

Die Physik erledigt den Rest: Warme Luft steigt auf, Feuchtigkeit kondensiert in der kalten Luft höherer Schichten. Entstehende Wolken machen sich mit Regen, zuweilen auch mit und Gewittern bemerkbar. Erst nachdem die Sonne untergegangen ist, beruhigt sich die Atmosphäre wieder und aus dem normalen April-Sommerwetter wird das gewohnte Hitzeklima.

Neue Strafsteuer: Den Boomern ans Portemonnaie

https://www.politplatschquatsch.com/2023/09/deutschland-uber-alles-wie-die.html
Eine Alternative zum Altenüberhang durch die besitzergreifende Boomer-Generation wären wagemutige Fronteinsätze für Senioren mit dem Ziel des sozialverträglichen Frühablebens.

Sie sind die, die dieses Land vor die Hunde haben gehen lassen. Die nie hören wollten und schon gar nicht fühlen. Die Boomer oder auch "Babyboomer" sind die, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in unmäßiger Anzahl geboren wurden. Als wäre es ihr Recht, auf die Welt zu kommen, ohne auf deren begrenzte Ressourcen Rücksicht zu nehmen, fielen wie zwischen 1946 und 1964 wie Heuschrecken über das Land her.  

Die Generation Stau 

Die Infrastruktur musste ihretwegen ausgebohrt werden. Sie waren die Generation Stau, die Generation, die am Pool Handtuchkriege führte, weil immer zu wenig Platz für alle war. Die Boomer gingen mit allen Trends und Moden. Ihnen egal war, was später aus dem Klima werden würde, weil nur das Wetter im Urlaub zählte. Als sie von Mitte der 60er Jahre an überall in die Unternehmen, in die Behörden und den Wissenschaftsbetrieb sickerten, hatte Deutschland seine besten Jahre hinter sich. 

Es gab nie wieder ein Wirtschaftswunder, nur noch Ölkrise, Massenentlassungen, Ozonloch und Waldsterben. Die Boomer nahmen es achselzuckend hin. Nie interessierten sie sich dafür, wer im Bundesverfassungsgericht saß, wie die CO₂-Bilanz von Bhutan aussah oder warum kein westlicher Politiker jemals mit einem aus dem Osten reden darf, bevor der nicht alle seine aktuellen Kriege beendet hat. 

Die Generation der Genießer 

 Boomer genossen das Leben. Sie konsumierten und reisten, wenn sie nicht gerade 42 Stunden in der Woche arbeiteten, nach Feierabend ein Haus bauten und versuchten, im enthemmten Kapitalismus des von ihnen selbst verschuldeten Arbeitskräfteüberschusses eine Art Karriere zu absolvieren. Viel Zeit für Hobby hatten sie nicht. Wenn schon, dann fiel die Entscheidung zischen Dackel, Sozialismus und dem handgemachten Öl- und Reifenwechsel vor der eigenen Garage. Es hat vor den Boomern Geburtsjahrgänge gegeben, die Schaden anrichteten - manche führten Krieg, andere verloren sie sogar. 

Doch die Boomer bereuten nicht einmal, was sie dem Planeten und den nachfolgenden Generationen antaten. Sie schufteten und ackerten, sie feierten ihre bescheidenen Feste und hielten sich einen Staat, der mit wenig auskommen musste. 3,3 Millionen Staatsangestellte nur gestanden sie ihm zu, mehr als zwei Millionen weniger als heute. Und darunter war noch eine gewaltige Feierabendarmee, die das Land zwischen Montag und Freitag jeweils von 8 bis 18 Uhr verteidigte. 

Die Generation Anscheinswohlstand 

Dass die Rente sicher sein würde und der Krankenkassenbeitrag auch für die Pflege reichen, das war für Boomer kein Diskussionsthema. Alle Parteien der demokratischen Mitte - andere gab es gar nicht - schworen vor jeder Wahl heilige Eide, dass es so sein würde. Jeder durfte sich darauf verlassen, bis er selbst an die Reihe kam. Irgendwann war die Rente nicht mehr "sicher", sondern nur noch "auskömmlich". Und immer steht die nächste Reform vor der Tür, die die Beträge kürzt, die ausgezahlt werden. Und dafür die Beiträge erhöht, um wenigstens den Anschein zu erwecken, das solidarische Prinzip lohne sich nicht nur für die, die wenig eingezahlt haben. 

Nur noch eine Abschiedsprämie

Die älteren Boomer bekamen noch Witwenrente, die jüngeren nur noch eine Abschiedsprämie. Die Boomer erhielten dafür aber keine Mütterrente, das wird es später was, wenn die meisten von ihnen tot sein werden. Die Älteren unter den Boomern kannten weder Billigflieger noch Sabbatjahr, ihre Autos hatten keine Klimaanlage und ihre Autobahnen keine Leitplanken. Ohne den alljährlichen verliehenen Großen Windbeutel für den größten Verpackungsbetrug waren sie gezwungen, immer das Falsche zu kaufen. 

Aus ihren Wasserhähnen kam Uran, ihre Zigaretten Marke Ernte 23 hatten keinen Warnbildaufdruck mit offenen Beinen und schwarzen Lungen. Ihr Fernsehen kannte keine Triggerwarnungen. Unverhofft und gänzlich unvorbereitet rutschten sie in Indianerfilme, die sie für ein ganzes Leben traumatisierten. Das hielt später weitere Überraschungen parat: Der Boomer, der 2025 immer noch arbeitet und es zu einigem Einkommen von durchschnittlicher Höhe gebracht hat, zahlt zu seiner Einkommensteuer einem zu versteuernden Jahreseinkommen von knapp 73.500 Euro  den Solidaritätszuschlag, der seit 35 Jahren hilft, die vom Russen ausgeräuberten Ostgebiete neu zu zivilisieren.

Wer kann verzichten müssen? 

Viel Geld ist so schon zusammengekommen, insgesamt sollen es bis heute um die 300 Milliarden gewesen sein. Doch wie wenig das eigentlich war, zeigt der Zustand des Landes. Die Infrastruktur ist zerrüttet und marode. Die Sozialkassen sind mehr als leer und wäre nicht der Finanzminister immer gezwungen, dem schlechten Geld für die, die ohnehin nicht mehr arbeiten, gutes Geld der Steuerzahler hinterherzuwerfen, hätte längst zur Triage übergegangen werden müssen. Wer braucht wirklich, was ihm von Männern versprochen wurde, die längst unter der Erde liegen? Wer kann verzichten müssen, ohne dass es mit einem Hungertod vor aller Augen endet?

Es reicht nicht mehr, hier einen Euro mehr zu kassieren und dort einen anderen abzuknapsen. Deutschland braucht eine große Lösung für ein großes Problem, eine Lösung für eine Zukunft, die den Älteren bekannter ist als den Jüngeren, weil sie eine politische und ökonomische Großwetterlage zurückzubringen verspricht, die den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Achtzigern ähneln.

Unter Ablehnung aller Zukunftstechnologien 

Harte Arbeit in einem rücksichtslosen Obrigkeitsstaat, der seine Interessen dank engmaschiger Überwachung und einer festen Kandare für Meinungsverbrecher auch gegen Mehrheiten durchzusetzen versteht. Das alles mit leeren Kassen und ohne Wirtschaftswachstum, inmitten von sterbenden Industrien und bei steigender Beschäftigungslosigkeit, die sich frivol paart mit der skeptischen Ablehnung aller Zukunftstechnologien. 

Es ist niemand mehr da, der die steigenden Lasten der alternden Älteren schultern kann. Nur die Betroffenen selbst, so haben es Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) jetzt ausgetüftelt, wären in der Lage, für die übergriffigen Ruhestandansprüche der geburtenstarken Jahrgänge der 50er- und 60er-Jahre Generation aufzukommen. 

Die Gentlemen bitten zur Kasse 

Mit einer neuen Altenstrafsteuer - von der ad hoc zu Hilfe gerufenen Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin kurzerhand auf den abholenden Namen "Boomer-Soli" getauft - wollen Institutschef Marcel Fratzscher und seine Wissenschaftlerkollegen alle die zur Kasse bitten, die sich einem sozialverträglichen Frühableben verweigern. Der Boomer-Soli würde die Rente nicht retten, dazu ist das Loch zu groß. Doch er könnte, so die Forscher, "die Umlagenfinanzierung stabilisieren", bis das Wirtschaftswunder kommt, der Russe oder endlich doch die Nochnichtsolangehierlebenden beschließen, dass es Zeit ist, für die Renten der sie integrierenden Mehrheit aufzukommen. 

Bis dahin würde die Sonderabgabe auf sämtliche Alterseinkünfte fällig, die über 1.048 Euro liegen. Zahlen müsste also nur, wer im Alter ein hohes Einkommen durch die gesetzliche Rente, eine private Altersvorsorge, womöglich ein Leben lang zusammengeraffte Kapitalerträge oder gar Mieten hat. Er soll künftig einen kleinen Teil davon an ärmere Rentner abgeben, gedacht ist an zehn Prozent von  allem. Das wären bei einem gutsituierten Rentnerehepaar, das in Deutschland derzeit im Durchschnitt über ein gemeinsames Netto-Haushaltseinkommen von etwa 2.907  Euro verfügt, nicht einmal 200 Euro, da nur abgeschöpft wird, was oberhalb des Freibetrages liegt.

Unmittelbare Effekte 

Treffen würde die Altersstrafabgabe vor allem die, die sich aus Misstrauen dem staatlichen Rentensystem gegenüber vielleicht schon ein Leben lang ein sogenanntes "zweites Standbein" für den Ruhestand zusammengetrickst haben. Hier ein paar hundert übriggebliebene Euro in einen Aktienfonds, dort eine Mietswohnung gekauft und an Studierende vermietet, die kaum mit dem Geld auskommen. 

Und das alles für die dritte Kreuzfahrt, den Nepal-Trip mit Studiosus und den luxuriösen Campervan, mit dem an der Algarve überwintert wird. Auf das eine oder andere wäre künftig im Dienst der Gemeinschaft zu verzichten: Auf Überrenten in Höhe der deutschen Durchschnittsrente von 1.700 Euro würden dann  je nach Zustandekommen normaler Soli, Boomer-Soli, Kapitalertragssteuer und die Beiträge zu den Sozialkassen fällig. Die dafür aber ganz anders wirtschaften könnten.

Weniger verlieren, viele gewinnen 

Der Effekt wäre unmittelbar spürbar: Laut Berechnungen der DIW-Fachleute auf Datenbasis der Einkommens- und Rechtslage des Jahres 2019 würde das ärmste Fünftel der Rentnerhaushalte mit der Umverteilung rund elf Prozent mehr Einkommen zur Verfügung haben, das reichste Fünftel aber nur vier Prozent weniger. Das zweitreichste wurde sogar nur 2,5 Prozent verlieren, das mittlere Fünftel nur 0,6 Prozent und das Fünftel unterhalb der Mitte würde weder gewinnen noch verlieren.

Mittwoch, 16. Juli 2025

Verfassungsschutz: Wahlkampf in Karlsruhe

Frauke Brosius-Gersdorf ist die erste Kandidatin für ein Richteramt in Karlsruhe, die selbstbewusst Wahlkampf macht. Abb: Kümram, Buntstift auf Seide

Wäre Frauke Brosius-Gersdorf ein Mann und würden Männer Kinder kriegen, hätten wir so eine Debatte nicht. Das Problem heißt immer noch Patriarchat.

Jürgen Kasek

 

Eine Frau geht seinen Weg, unbeeindruckt von Anwürfen, Vorwürfen und Nachstellungen. Es gehen Briefe hin und her, offene und veröffentlichte, Sondersendungen im Fernsehen beleuchten die Abweichung vom gewohnten Gang der Dinge. Eine "beispiellose Hetzkampagne" (Ines Schwerdtner) versucht, eine "hochangesehene Wissenschaftlerin" (ARD) zu beschädigen und das Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht zu zerstören. Die Demokraten, die sich dem entgegenwerfen, haben zur Zeit allein nicht die Mehrheiten, die Dinge in die richtige Bahn zu lenken.

Es gibt kein Zurück 

Nach der Verschiebung der Wahl der von den Spitzen von Grün, Rot und Schwarz festgelegten neuen Verfassungsrichterin  Frauke Brosius-Gersdorf sind die Varianten zur Fortsetzung der Geschichte rar. Ein Teil der Union wird sie nicht wählen, unter Berufung auf die Gewissensfreiheit, die jeder Abgeordnete immer noch genießt, allen Verweisen auf die Fraktionsdisziplin zum Trotz. Die SPD wird sie nicht zurückziehen. Sie will, zeigen, dass sie trotz Umfragewerten von um die 13 Prozent noch immer die Volkspartei unter den vielen, vielen linken Parteien ist. 

Alle Hoffnungen der demokratischen Mitte ruhten darauf, dass die Kandidatin selbst ein Einsehen hat. Wer einmal so durch den Kakao des Kulturkampfes gezogen wurde, wird niemals als Karlsruher Richter amtieren können, weil keines der Urteile, an dem er beteiligt wäre, eine lagerübergreifende gesellschaftliche Akzeptanz fände.

Einstieg in den Wahlkampf 

Frauke Brosius-Gersdorf hat sich in dieser Situation entschieden, in den Wahlkampf einzusteigen. Auf ihr erklärendes eigenes Schreiben an die Öffentlichkeit folgte eine Solidaritätserklärung von 300 Fachkollegen. Anschließend dann ging es zur Hauptsendezeit ins Kandidatenduell: Brosius-Gersdorf gegen die Lügen und die Hetze, Brosius-Gersdorf gegen Vorurteile, unzutreffende Einordnungen und verkürzte Zitate wie dass, dass es ihres Erachtens nach "gute Gründe dafür" gebe, "dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt."

In der Audienz bei "Markus Lanz" zeigte die 54-jährige Hamburgerin, die medial meist als "Rechtsprofessorin aus Potsdam" angekündigt wird, dass keineswegs vorhat, ihren vom Richterwahlausschuss des Bundestages bereits bestätigten Rechtsanspruch auf einen Sitz in Karlsruhe jetzt schon aufzugeben. "Es geht nicht mehr nun um mich", verteidigte sie ihr Beharren darauf, nicht die zu sein, die eine außer Rand und Band geratene Öffentlichkeit in ihr sehen will. Weder sei sie Linksextremistin noch für Abtreibungen bis zur Geburt, sei eine woke Aktivistin zu nennen, sei "infam", "diffamierend und realitätsfern".  

Bruch der Geheimhaltung 

Frauke Brosius-Gersdorf ist die erste Kandidatin für ein Richteramt in Karlsruhe, die überhaupt Wahlkampf macht, doch sie tut es nicht freiwillig. Über Jahrzehnten galt die Besetzung der Richterposten, von denen aus über die Verfassungsmäßigkeit der von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung verfertigten Gesetze entschieden wird, als Geheimsache

Die Parteien, deren Arbeit stets droht, auf dem Karlsruher Prüfstand zu landen, sortierten vorab mit großer Sorgfalt, welchem ehemaligen Fraktionskollegen sie die Prüfung der gemeinsamen Arbeit zutrauen. Ein Ernennungskartell entschied, die Bundestagsabgeordneten folgten ihren Weisungen, wie es ihnen ihr Gewissen riet.

So hätte es bei Brosius-Gersdorf auch sein sollen. Doch dann fanden die Gegner einer geräuschlosen Nachfolge Zitate wie "Die Tötung eines Menschen ohne herabwürdigende Begleitumstände, die ihm seine Subjektqualität absprechen, verletzt Art. 1 I GG nicht" und "die Annahme, dass die Menschenwürde überall gelte, wo menschliches Leben existiert, ist ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss". Und sie beschlossen, sie zum Anlass für eine Hetzkampagne zu machen, mit der bestritten wird, dass Brosius-Gersdorf neben linken Positionen auch rechte vertritt. 

Frauenquote und Homeschooling 

So ist sie nicht nur eine Anhängerin von staatlich vorgegebenen verbindlichen Frauenquoten, mit denen Parteien gezwungen werden sollen, paritätische Kandidatenlisten aufzustellen, sondern auch eine Verfechterin der Rente mit 70. Sie macht sich stark für ein Verbot des Kopftuchverbotes, aber auch für das in Deutschland verbotene Homeschooling. Sie würde, wenn sie könnte, eine Impfpflicht gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit in Stellung bringen. Aber auch das Ehegattensplitting abschaffen, das sie entgegen einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes für diskriminierend hält.

Sich aus den Hinterzimmern ins Offene zu begeben, in denen eine Handvoll Parteiführer traditionell in komplizierten Tauschgeschäften ausknobeln, wer für die nächsten zwölf Jahre ihre Interessen am höchsten deutschen Gericht vertreten soll, ist ein einmaliger Vorgang. Brosius-Gersdorf schreibt Geschichte, indem sie den Kampf gegen ihre hasserfüllten Verleumder öffentlich aufnimmt und sich dabei nicht scheut, das Recht eines jeden Bürgers, auch anonym an jeder Diskussion unter Demokraten teilzunehmen, in Abrede stellt. 

Die Erfindung des "Schmähungsschutzes" 

Brosius-Gersdorf ist da ganz klar: "Selbst anonym an medialer Kritik bis hin zu Schmähungen anderer mitzuwirken und gleichzeitig für sich selbst Schmähungsschutz zu fordern, steht im Widerspruch", schreibt sie und zeigt damit, dass es ihr keine Probleme bereitet, zwei Dinge, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben, in einem Satz abzuurteilen. Den Begriff "Schmähungsschutz" hat sie sogar ausschließlich für diesen Anlass erfunden - bis zur Veröffentlichung der Medienerklärung der Kandidatin für Karlsruhe existierte er nicht.

Es sind klare, bestimmte und fein abgewogene Worte, mit denen  die Professorin den unsäglichen Anwürfen entgegentritt. Zumindest Teile der Medien hätten "unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent" berichtet, Artikel und Kommentare seien nicht - wie verfassungsrechtlich offenbar neuerdings vorgeschrieben - "sachorientiert, sondern von dem Ziel geleitet" gewesen "die Wahl zu verhindern". Mit "die Wahl" ist die von Brosius-Gersdorf gemeint, mit "nicht sachorientiert" kritisiert sie die "Bezeichnung meiner Person" als "ultralinks" oder "linksradikal". Zwei Bezeichnungen, die vor der geplatzten Wahl im Bundestag nur sehr vereinzelt verwendet wurden, seit ihrer Erwähnung in der "Zur Berichterstattung in Medien über die Bundesverfassungsrichterwahl" jedoch Allgemeingut geworden sind.

Zweite Runde im Kulturkampfring 

Ganz typisch für eine zweite Runde im Kulturkampfring, dass die Hetzer, die die Schlammschlacht ohne Not vom Zaun gebrochen haben, harsch insistieren, wenn sich der oder die Angegriffene zur Wehr setzt. Frauke Brosius-Gersdorf wird vorgeworfen, dass sie sich in eigener Sache überhaupt zu Wort meldet. Ihre Nichteignung für das Amt der Verfassungsrichterin wird aus dem Umstand abgeleitet, dass sie nicht still und leise den Rückzug angetreten hat. Politiker der Rechten sprechen einer klugen und bislang auch erfolgreichen Frau das Recht ab, vor rechter Hetze nicht einfach einzuknicken, sondern gegenzuhalten. 

Schon der Umstand allein, dass es die vom Bundesamt für Verfassungsschutz zumindest zeitweise in Gänze als gesichert rechtsextremistisch bezeichnete AfD ist, die dem hilflosen Ringen der Mitte um eine Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der höchsten Verfassungsschutzinstanz frohlockend zuschaut, sollte Warnung genug sein und zum Umdenken in der Union führen. 

Dort wissen alle, dass die SPD nicht einknicken wird, der kleine Koalitionspartner hat angesichts seiner schwindenden Wirkungsmacht  beschlossen, an dieser Stelle nicht nachzugeben. So wäre es jetzt am größeren, staatspolitische Verantwortung zu zeigen und sich nicht weiter von einer rechten Kampagne instrumentalisieren zu lassen, die selbst auf an den Haaren herbeigezogene Plagiatsvorwürfe zurückgreift.

Warten auf den großen Stimmungsumschwung 

Es wäre die einzige Lösung und das weiß die Union auch. In den Umfrageergebnissen von CDU und CSU ist noch genug Luft, auch nach einer Wahl von Brosius-Gersdorf im zweiten Anlauf souverän weiterregieren zu können, bis der geplante große Stimmungsumschwung in Wirtschaft und Gesellschaft die Frage der Besetzung eines Karlsruher Richtersessels wieder zu einer Marginalie macht. Würde die SPD hingegen einknicken, drohte ein weiterer Linksrutsch Richtung Linksparteien, die ohnehin wissen, wie sie die deutsche Sozialdemokratie vor sich hertreiben können: Fordert die dies, fordern Grüne und Linke einfach mehr. Verspricht die eins, versprechen sie zwei oder drei.

Dass es die Personalie einer Rechtsprofessorin sein wird, die die Koalition auseinandertreibt, ist ausgeschlossen. Weder SPD noch Union haben eine reale alternative Machtperspektive. Ein Platzen des Regierungsbündnisses, das sich selbst als letzten Versuch sieht, die Machtergreifung der populistischen Rechten zu verhindern, würde bestenfalls zu Thüringer Verhältnissen führen. Sowohl die Union als auch die SPD sind damit gefangen in der Zwangsjacke, zusammenzubleiben, obwohl der Vorrat an gemeinsamen Vorstellungen so winzig ist wie bei noch keiner anderen Koalition, die Deutschland regiert hat.

Hoffnung auf die Palamentsferien 

So kategorisch die Linken in der SPD darauf beharren, dass die Union ihre Abgeordneten zur Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zwingen müsse, wenn die es nicht freiwillig täten, so knallhart tut es CDU und CSU leid, damit nicht dienen zu können. Über die langen Parlamentsferien wird aber ein gnädiges Vergessen einkehren, langsam wird sich der Entscheidungsdruck abbauen, andere Themen werden wichtiger, andere Namen bedeutsamer.

Im September dann, wenn niemand mehr weiß, wer  Frauke Brosius-Gersdorf war und warum jeder sie kannte, wird das gemeinsame Interesse am Fortbestand der Koalition den Ausschlag für eine Lösung geben. Vielleicht wird die Kandidatin Justizministerin. Vielleicht gibt es ein neues Gesetz zum Schutz des Bundesverfassunsgerichtes, das es den Fraktionsvotrsitzenden erlaubt, neue Richter mit einfacher Mehrheit zu bestellen. 

EU-Haushalt: Nie mehr weniger

EU-Haushalt: Nie mehr weniger
Auch die mächtigste Frau der Welt konnte nichts gegen die EU ausrichten. Sie musste zahlen.

Als der Gürtel das letzte Mal engergeschnallt werden musste, gelang es schließlich nur, alles so zu belassen, wie es immer gewesen war. Großbritannien war weg, einer der wenigen, wenigen EU-Mitgliedsstaaten, die mehr in den gemeinsamen Haushalt einzahlten, als sie von dort ausgezahlt bekamen. 66 Millionen potenzielle Zahlungsempfänger waren weg, netto fehlen jährlich zwölf bis 14 Milliarden Euro "auf der Einnahmeseite" wie der damalige deutsche Kommissar Günther Oettinger besorgt zusammenrechnete.

Weiterwirtschaften wie immer 

Das Problem ließ sich dann aber leicht lösen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ging daheim im Kanzleramt noch einmal kurz durch die Charts, sie hieß ihren Finanzminister, die Haushaltslöcher überschlagen. Und siehste, kurzerhand fanden sich die fehlenden Gelder. Europa konnte weiterwirtschaften, als seien die Briten noch da.

Als "Radikalreform" galt das damals schon, wie jedes Mal, wenn  Brüssel bangt, ob die 27 Mitgliedsstaaten noch einmal so viel Geld wie immer für eine Institution zur Verfügung stellen werden, die sie gängelt, sie belehrt, ihnen aberwitzige Vorgaben macht und selbst etwa so viel zu wirtschaftlicher Dynamik und Wachstum beiträgt wie es ein Kettenhemd im olympischen Hundertmeter-Finale zu einem neuen Weltrekord täte. Bisher ging alles immer gut aus. Statt zu kürzen, legten die Staaten jedes Mal eine Schippe drauf. Nie so viel, wie die Kommission gern gehabt hätte. So ist es nicht. Das sind schon alles knallharte Verhandlungssimulationen. 

Sieg für die EU 

Am Ende steht immer ein Sieg für die EU: Die musste 2011 noch mit einem Jahresbudget von rund 140 Milliarden Euro auskommen. 2025 waren es schon knappe 200 Milliarden. Das gelang nicht etwa, weil die Wirtschaft so viel mehr abwirft. Sondern obwohl sie das nicht tut. 2013 mussten die Mitgliedsstaaten noch ein Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für den Brüsseler Apparat und das Straßburger Parlament spenden. Geht es nach den Plänen der Kommissionspräsidentin, werden es in Zukunft 1,7 Prozent sein.

Wie ein Schwarzes Loch zieht die multinationale Bürokratie im Berlaymont-Gebäude alles an, was nicht festgenagelt und festgeschweißt ist. Der EU-Haushalt sei "im Vergleich zu den Haushalten der 27 EU-Mitgliedstaaten, die zusammen mehr als 6.300 Milliarden Euro ausmachen, sehr klein", hieß es vor Jahren tröstend, alles, was die EU tue, koste jeden EU-Bürger im Schnitt nur 67 Cents pro Tag. Was genau die EU tat, wurde nicht ausgeführt. Fakt aber ist: Heute kostet die Dienstleistung bereit 1,14 Euro pro Kopf und Jahr - ohne dass die Kommission Sozialausgaben zu zahlen hat, Universitäten, einen Millionen Köpfe zählendes Beamtenapparat und ein stehendes Heer unterhalten muss.

Weniger als Kaffee 

Mit der Begründung, sie koste "weniger als die Hälfte des Preises für eine Tasse Kaffee" - Satzbau im EU-Original - und sie sei "damit im Verhältnis zu dem großen Nutzen, den die EU den Bürgern bringt", einmalig günstig, schaffte es die Kommission zuverlässig, sich jedem Sparansinnen zu verschließen. Das gelingt, weil sie nur aller sieben Jahre um Geld bitten muss: Der "mehrjährige Finanzrahmen" ist eigens so geschnitten worden, damit die abenteuerlichen Kosten des gemeinschaftlichen Wasserkopfs nicht aller paar Monate diskutiert werden. 

Unangenehm genug, dass es fast anderthalbmal pro Jahrzehnt sein muss. Um auf Nummer sicher zu gehen, wird aber schon lange vor dem Ablauf des aktuellen Planzeitraums mit den Verhandlungen für den nächsten begonnen. Wer jemals ernsthaft den Eindruck vermitteln wollte, als Politiker zu Großem befähigt zu sein, hat immer schon die lange Linien gelegt und statt der Gegenwart eine ferne Zukunft regiert.

Grundpfeiler der Gemeinschaft


Je maximaler die Entfernung vom Jetzt, desto sicherer die Garantie, dass niemand die Dinge heute schon ernst nimmt. Wenn Ursula von der Leyen, menschgewordener Grundpfeiler der Gemeinschaft, auch für diesmal wieder "Reformen" für den EU-Haushalt auf einer "komplett neuen Basis" ankündigt, dann ist gewiss, dass es teuer wird. 

Wie teuer genau, wird noch nicht verraten, so ist das Sitte. Die Liste der neuen Zuständigkeiten, die die die Präsidentin ihrer Kommission gesichert hat, ist lang. Seit es der EU gelang, über ihre Zuständigkeit für den Arbeitsschutz Rauchverbote in der Gastronomie durchzusetzen, obwohl Gesundheitsschutz nach den Europäischen Verträgen ausdrücklich nicht zu ihren Kompetenzen gehört, hat sie nie mehr aufgehört, sich zusätzliche Aufgabengebiete zu erobern.

So viele neue Felder 

Zu den paar Dingen, bei denen die Kommission eine ausschließliche Zuständigkeit hat - Zölle, Wettbewerb im Binnenmarkt, WährungspolitikHandel, internationale Abkommen und Meerespflanzen und -tiere - sind jüngst per Akklamation Gesundheit, Verteidigung, Wettbewerbfähigkeit, Aufrüstung, Grenzsicherung, Unternehmertum und Klimaschutz gekommen. 

Mit den vielen neuen Feldern erlangt die Kommission mehr Bedeutung. Je mehr Bedeutung, desto mehr Geld benötigt sie. Je mehr Geld sie bekommt, desto größer sind ihr Verlangen und ihr Vermögen, noch mehr Appetit auf weitere Felder zu entwickeln, die sich beackern lassen. Dazu braucht es Geld, viel und immer mehr Geld. In "Zeiten knapper Kassen" (FAZ) gehört ein gerüttelt Maß an Frechheit dazu, noch einmal mehr zu verlangen. Als verlangt die Europäische Kommission in ihrer eigenen Logik gleich richtig viel mehr.

Vermiedene Vergleiche 

Der neue Haushalt wird anders geordnet, um sich direkten Vergleichen zu entziehen. Neben der Verwaltung der EU selbst, dem Kern allen Tuns und Wollens der Gemeinschaft, bleiben nur drei große Posten übrig. Neben einem "Wettbewerbsfähigkeitsfonds", den unterhalten zu dürfen die Kommission aus ihrer unanzweifelbaren Zuständigkeit für die Wettbewerbsregeln des Binnenmarktes ableitet, käme eine Sammelfonds für alles möglichen "EU-Ziele" - das kann heute das Klima sein, morgen die Pandemie und übermorgen die Herstellung  von Kriegstüchtigkeit. Daneben gäbe es nur noch einen  Fonds für außenpolitische EU-Aufgaben, die die EU eigentlich nicht hat.

Doch kleiner wird der Haushalt deshalb nicht. Je mehr Geld die Kommission hat, desto mehr kann sie an die Mitgliedsstaaten verteilen. Je mehr sie verteilen kann, desto wichtiger und unabkömmlicher ist sie. Um die Verteilung, die letztlich je nach Anspruch der Staaten lange vorab vereinbart ist, nicht allzu willkürlich aussehen zu lassen, wird es wieder nationale Umsetzungsziele für dies und das geben, die bei Erreichen prämiert werden. 

Nie mehr so günstig wie gestern 

Der Vorteil liegt auf der Hand: Je nach Zeitgeiststimmung kann die Kommission Anstrengungen bei der Energiewende, bei der Lieferkettenresilienz oder beim Green Deal belobigen. Neu in der Auslage sind zu den wegweisenden Fonds InvestEU, Umweltfonds Life und Horizon der in "Readiness 2030" umgetaufte Nachrüstungsfonds "Rearm Europe" und Fonds, mit denen Trendthemen wie Künstliche Intelligenz, Cloud und grüne Technologien gefördert werden sollen. Das ist alles so wichtig, dass schon vor der ersten Verhandlungsrunde klar ist: So günstig wie beim Haushaltsrahmen von  2021 bis 2027 wird es diesmal nicht werden. 

Statt um 1,4 Billionen Euro geht es um 2,1 Billionen. Die Tasse Kaffee kostet jeden der 440 Millionen EU-Europäer inzwischen knappe 5.000 Euro, 1,80 am Tag. Die Kommission glaubt, das gut begründen zu können, denn neben der "zahlreichen neuen Aufgaben" (FAZ) steht ab 2028 auch die Rückzahlung der in der Corona-Zeit endlich glücklich aufgenommenen ersten eigenen Schulden an. 25 bis 30 Milliarden Euro im Jahr wird das kosten, nicht einmal 70 Euro für jeden Europäer - dabei ist ein großer Teil des für den "Wiederaufbau" gedachten Geldes nie ausgegeben worden.

Die EU will selbst kassieren 

Was muss, das muss und weil die Kommission weiß, wie schwer es manchem Mitgliedsstaat fallen wird, sich spendabel zu zeigen, hat sie Ideen vorgelegt, selbst bei den Bürgerinnen und Bürgern abzukassieren. Eine der neuen Einnahmequellen, mit denen die EU ihrem Traum von einer eigenen EU-Steuer wieder ein Stück näherkäme, wäre eine Abgabe auf nicht recycelten Elektroschrott, dazu schielt sie auf einen Anteil an der von den Mitgliedstaaten erhobenen Tabaksteuer.

Der wahre Schatz aber wäre mit einer neuen Umsatzsteuer zu heben, die alle Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro direkt an Brüssel zahlen müssten. Konzerne, die in der EU Geschäfte machen, müssten gestaffelt nach der Höhe ihrer Umsätze eine "Abgabe" zahlen - unabhängig davon, ob sie Gewinne oder Verluste geschrieben haben. 

Großherzig würde die Kommission für die Genehmigung, sich eine solche Goldgrube graben zu dürfen, sogar auf die Einführung einer Digitalsteuer verzichten, die in Deutschland ohnehin keine Chance auf Umsetzung hat, seit sich Friedrich Merz dem amerikanischen Präsidenten unterworfen hat.

Dienstag, 15. Juli 2025

Trump fällt EUm: Alarmübung beendet

Im Zuge der verstärkten Mobilmachungsbemühungen spricht die Bundeswehr auch die Allerjüngsten an. Klar ist: Auch in den Jahren nach dem Kriegsausbruch - derzeit für 2029 vorgesehen - braucht es kriegstüchtigen Nachwuchs.

Alarmübung beendet, alles zurück in die Schlafsäle. 136 Tage nach dem als "Eklat im Weißen Haus" aktenkundigen Kriegsausbruch in Europa ist die Lage wieder unter Kontrolle. Ende Februar hatten US-Präsident Donald Trump und sein Vize JD Vance den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wegen seiner Anspruchshaltung gegenüber den USA zurechtgewiesen und damit Panik bei den europäischen Verbündeten ausgelöst.  

Allein gegen Russland 

Was wäre, würden wir wieder allein gegen Russland kämpfen müssen, fragten sich vor allem die Deutschen. Mitte Juli nun kommt Entwarnung aus Washington. Trump hat sich einen Deal ausgedacht. Die USA liefern weiter Waffen. Europa bezahlt. Und die Ukrainer kämpfen so tapfer, wie sie das seit drei Jahren tun.

Eine Lösung, auf die sich alle einigen können, wenn auch zähneknirschend. Geld ist dank der Sondervermögen genug, es wird sich unter Umständen auch ohne Umweg über die Bundeswehraufrüstung in die Vereinigten Staaten umleiten lassen. Den gefürchteten Zuchtmeister im Weißen Haus könnte das milde stimmen und davon abhalten, den Zollkrieg mit Europa zu verschärfen. Alles liegt wieder auf dem Tisch, ein paar Tage sind noch Zeit für ein großes, schönes Vertragspaket. Diplomatisch geschickt hat die EU darauf verzichtet, auf den groben Klotz der neuen US-Zollsätze mit dem von einigen Scharfmachern geforderten Inkraftsetzen der eigenen Gegenmaßnahmen zu antworten.

Zum Greifen nah 

Es ist noch alles drin. Der Westen kann wieder einig werden, jetzt, wo das Wunschergebnis der Europäer bei den Friedensverhandlungen Trumps mit Putin zum Greifen nahe ist. Alle hatten sie den US-Präsidenten von Anfang wissen lassen, dass der Kreml kein Interesse an einem Ende des Krieges habe. Allein Trump wollte selbst anrufe, selbst mit Putin reden und selbst probieren, ob das stimmt. Alle hatten sie ihm gesagt, bei Putin hilft nur Druck - und bisher nicht einmal der. Aber Trump musste erst als Bettvorleger vor dem Kremlzaren landen, um das einzusehen.

Die klammheimliche Freude darüber, dass es dem Präsidenten nicht gelungen ist, Putin zum Frieden zu bewegen, ist unübersehbar.  Die Ratlosigkeit, wie es nun weitergehen soll, allerdings auch. Emmanuel Macron hat in Frankreich sofort nach neuen Milliarden gerufen, um jeden Gedanken daran zu ersticken, dass es nach dem Einlenken Amerikas nun doch ohne fünf Prozent von allem für neue Panzer, Kanonen, Raketen und Flugzeuge gehen wird. 

Rüstung als Infrastrukturvorhaben 

Der französische Präsident sieht die großen Rüstungsprojekte auch als Infrastrukturvorhaben. Wie Deutschland und der Rest Europas ist Frankreich bei den modernen Hightech-Industrien weitgehend abgehängt, ein Ladentisch für Amerika und China. Umso wichtiger ist es, sich die ursprünglich als "gemeinsam" bezeichneten großen Aufrüstungsvorhaben zu sichern,  für die Deutschland am Ende zahlen wird. 

Heute schon gibt der so lange so friedliche östliche Nachbar Frankreichs mit fast 90 Milliarden Euro ein Drittel mehr aus als Frankreich. Das hat zwar angekündigt, seinen Rüstungsetat in den kommenden zwei Jahren um 6,5 Milliarden Euro erhöhen zu wollen. Angesichts der deutschen Pläne, den Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) in den kommenden drei Jahren mit 136,48 Milliarden Euro auf mehr als das Doppelte des französischen auszuweiten, erscheinen Macrons Ankündigungen zu "verstärkten Anstrengungen zum Schutz Europas" wie eines der Ablenkungsmanöver, die früher immer funktioniert haben - zumindest nach innen. 

Die fröhlichen Verteidiger von 2016 

Unvergessen ist der zehn Jahre zurückliegende Versuch der damaligen EU-Führung unter Angela Merkel, dem französischen Präsidenten François Hollande und dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi, Trumps Forderungen nach mehr europäischer Verteidigungsfähigkeit mit der Drohung zu beantworten, Europa werde seine eigene Verteidigung "stärker in die Hand nehmen"

Fröhlich fabelten die drei von der Zankstelle seinerzeit über "mehr Militärkooperation", den "besseren Austausch unter den Geheimdiensten" und einen "stärkeren Schutz der Grenzen". Renzi sagte, solche Maßnahmen hätten künftig eine "absolute Priorität". Hollande forderte einen Schutzrahmen für Europa: "Für die Sicherheit brauchen wir Grenzen, die bewacht werden können". Merkel spürte, "dass wir mehr für unsere innere und äußere Sicherheit tun müssen."

Billionen gegen den Liebesentzug 

Das hat immer gereicht, um gar nichts tun zu müssen. Joe Biden, der Trump im Amt nachfolgte, bekam vermutlich nicht einmal mit, dass die Europäer sich mit ihrem ehrfürchtigen Wortgeklingel über ihn lustig machten. Erst mit Trumps zweiter Präsidentschaft wurde die Lage ernst. Der Ukraine-Krieg brach an jenem 28. Februar mit Selenskyj Besuch im Weißen Haus auf einmal zum zweiten Mal aus. 

Hektisch mühte sich vor allem die deutsche Regierung, den kompletten Liebesentzug der Amerikaner zu vermeiden. Das so lange umstrittene Nato-Ziel von zwei Prozent Rüstungsausgaben erschien allen im politischen Berlin urplötzlich wie eine Forderung, die nie infrage stand. Über Nacht waren dreieinhalb Prozent kein Thema mehr. Und Trumps immer noch gerunzelte Stirn machte aus 3,5 schneller fünf Prozent als das Faktencheckerportal Correctiv rechnen konnte.

Riesen- gegen Rollstuhlarmee 

Jeder Cent sollte gebraucht werden, denn Europa stand allein gegen Putins Rollstuhlarmee. Nur wenn die Bundeswehr deutlich größer wird als seinerzeit in den Zwei-plus-Vier-Verträgen festgelegt, kann Russland wirksam abgeschreckt werden, so glaubte das Land, in dem nach vielen, vielen Jahren wieder ein Gefreiter Oberbefehlshaber der Truppen ist. Verlassen von Amerika, mit dem viele Deutsche nie wirklich warmgeworden waren, sollte der Sozialdemokrat Heer und Luftwaffe, die Flotte und das lustige Weltraumkommando "Air and Space Operations Centre" (Asoc) kriegstüchtig machen. 

Auf Strömen von Geld, bereitgestellt, ohne dass zuvor irgendeine konkrete Verwendungsnotwendigkeit festgestellt worden war, schwamm Boris Pistorius auf zum beliebteste Politiker der Deutschen. Er würde 2029, kurz vor dem geplanten Kriegsausbruch, Kanzler werden, so viel stand bereits fest, ehe es zur erneuten Zeitenwende kam.

Die Geiselkaserne in Rudninkai 

Wenn Trump jetzt doch damit zufrieden ist, dass USA liefern, die Europäer zahlen und die Ukrainer kämpfen, kann Deutschland die Bundeswehr dann lassen, wie sie ist? Eine symbolische Streitmacht wie die sagenumwobene "Litauen-Brigade", bei der Putin noch zwei Jahre warten muss, ehe er sie angreifen darf. Noch sind Kindergärten und Schulen in unmittelbarer Nähe der neuen Geiselkaserne im Dorf Rudninkai nicht fertig. Von geplanten 4.700 Soldatinnen und Soldaten der Panzerbrigade 45 sind erst 400 vor Ort.

Zur Abschreckung würde das allemal reichen, denn ein Angriff Russlands auf die 400 deutschen Frauen und Männer in Uniform wäre wie einer auf 4.000 oder 40.000 oder alle bald 460.000. Reicht es also vielleicht doch, Geld nach Washington zu schicken? Und sich an neuen Sanktionspaketen zu beteiligen? 17 gibt es schon, alle "wirken" und Russlands Bankrott ist seit drei Jahren "nur eine Frage der Zeit", wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im April 2022 verdeutlicht hatte.

Den Marsch auf anderen Saiten 

Den russischen Präsidenten, deutschen Medienberichten zufolge schon lange vor Kriegsbeginn  todkrank, konnte Europa bislang nicht bezwingen, den amerikanischen aber schon. Auch Donald Trump will jetzt andere Saiten aufziehen und die Ukraine mit Flugabwehrsysteme des Typs "Patriot" beliefern, die die europäischen Verbündete bezahlen. Zudem bekommt Wladimir Putin 50 Tage Bedenkzeit, um an den Verhandlungstisch zu kommen und über die Beendigung des Krieges in der Ukraine zu reden. Anderenfalls droht Trump Russland mit Strafzöllen von 100 Prozent, die auch russische Handelspartner wie China, Indien und Österreich, Ungarn und Deutschland treffen würden.

Für Europa sind das gute, aber auch schlechte Nachrichten. Wenn die Nato jetzt wieder einig ist und die Vereinigten Staaten von ihrem Verrat an den gemeinsamen Werten zurücktreten, entfällt der wichtigste Grund für die panikartigen Aufrüstungsankündigungen der zurückliegenden drei Monate. Viel Geld würde gespart werden können, verzichtete Deutschland darauf, militärische Doppelstrukturen aufzubauen, obwohl sich Medienberichte aus dem Frühjahr zu angeblichen Abzugsplänen der Amerikaner aus Europa als - vermutlich von Russland lancierte - Fake News herausgestellt haben.  

Bedrohung für die Pläne der Koalition 

Günstiger als die Neueröffnung von Wehrkreisersatzämtern und Kasernen wäre ein Einkauf militärischer Leistungen bei den US-Truppen. Schwierig für die Bundesregierung wird es nur, diese Erkenntnis öffentlich zu verkaufen - beruht doch ein großer Teil der Pläne der schwarzroten Koalition auf der Idee einer Re-Nationalisierung der Rüstung, von der sich Friedrich Merz und Lars Klingbeil ein gestärktes Nationalgefühl, größeren gesellschaftlichen Zusammenhalt und mehr Resilienz gegenüber spalterischen Einflüsterungen erhoffen.