Mittwoch, 24. April 2024

Kurz vor knapp: Rettungspaket gegen neue Schuldenkrise

Bis gestern noch fürchteten gerade viele Jüngere eine neue Finanzkrise. Jetzt aber hat die EU ihre strengen Schuldenregeln reformiert, nun ist wieder genug Geld für alle da.

Das war knapp, sehr knapp sogar. Nur ein paar Minuten nach der Nachricht aus dem europäischen Statistikamt Eurostat, dass auch im vergangenen Jahr wieder nahezu alle EU-Mitgliedsstaaten gegen die strengen regeln des Maastricht-Vertrages verstoßen haben, schob das EU-Parlament neuerlichen Hiobsbotschaften dieser Art für die Zukunft einen Riegel vor. Neue, großzügige Regeln, die jede Regierung für sich auslegen kann, wie es gerade passt, gestatten es, die eigentlich eisernen Maastrichter Grenzwerte für die Neuverschuldung von drei Prozent der Wirtschaftsleistung bei einer Schuldenquote von höchstens 60 Prozent des BIP zu interpretieren, wie es gebraucht wird.  

Finanzkrise verhindert

Auch wenn der Schuldenstand zu hoch ist, müssen Schulden nicht mehr abgebaut werden - die EU nennt das „flexibler abfedern“. Gibt es gute Argumente wie etwa anstehende Schicksalswahlen, vor denen es sich verbietet, notwendige Sparmaßnahmen im Haushalt durchzusetzen, kann das mit dem Argument der „sozialen Dimension“ nun auch offiziell unterbleiben. Ziel sei es, der gefürchteten „Austeritätspolitik“, die nur den Falschen in die Hände spielt, vorzubeugen, dadurch entstehende neue finanzielle Lasten aber ohne große Diskussion auf den Schultern kommender Generationen abzuladen. 

Den Kuchen essen und ihn zugleich aufheben, dieser alte und ewig junge Brüsseler Wunschtraum, er ist auch dieses Mal schließlich doch noch in Erfüllung gegangen. Wie bei der gemeinsamen europäischen Flüchtlingslösung, der gemeinsamen Außenpolitik und der vielen verschiedenen gemeinsamen Haltungen zum Nahost-Konflikt öffnet die Abschaffung der zwingenden Grenzwerte für Haushaltsdefizite und Schuldenquote einen Raum der Möglichkeiten. Zukunft ist wieder greifbar. Nur der Ehrliche, der Zypern, Dänemark, Irland und Portugal zuletzt nur ausgab, was er eingenommen hatte, ist der Dumme. Die anderen 23 Mitgliedsstaaten können aus der Schmuddelecke kommen. Wer es nun nicht macht wie sie, der ist selber schuld.

Musterknabe Deutschland

Die lauernde Gefahr, die in zu hohen Schulden immer steckt, sie ist durch das grüne Licht der Europa-Parlamentarier zu mehr und höheren Verbindlichkeiten gebannt. Eben noch fürchteten gerade viele Jüngere ein neue Finanzkrise, denn nicht nur die üblichen Verdächtigen, sondern selbst Deutschland liegt ja seit vielen Jahren stabil über der knallharten Obergrenze für die erlaubte Schuldenlast. Zwar verzichtet die EU mit Rücksicht auf die allgemeine Stimmung beinahe ebenso lange schon darauf, ihre vor 20 Jahren noch so gefürchteten "Blauen Briefe" zu versenden. Doch so lange die Regeln starr und die von Müttern und Vätern des Euro ausgedachten Vorschriften allgemeinverbindlich sind, lebte selbst die Ampel-Koalition in Berlin mit der Angst, ihr von der Vorgängerregierung übernommenes vertragswidriges Finanzgebahren könne eines Tages öffentlich thematisiert werden.

Diese Gefahr ist nun gebannt. Schlagartig ist wieder Geld da, sind Spielräume offen. Statt kleinlich auf die Einhaltung gemeinsam vereinbarter Vorschriften zu pochen, kann es die EU in Zukunft bei interessierter Beobachtung belassen. Vorbild ist hier der Umgang mit den innereuropäischen Grenzschließungen, gegen die EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos noch wacker, wenn auch vollkommen vergeblich angekämpft hatte, weil sie den Schengen-Verträgen widersprachen. Seine Nachfolgerin Ylva Johansson ließ es dagegen laufen, stellte ihre Empörungsbemühungen ebenso ein wie zuvor schon die SPD und ersparte sich so eine schmachvolle Niederlage.

Griechisches Wirtschaftswunder

Daran orientiert sich das neue Schuldenregelwerk, mit dem sich die EU-Finanzminister nach vier Jahren Verhandlungen um Sprachregelungen, Branding und Marketing auf einen Neustart ohne konkrete Vorgaben zum Schuldenabbau geeinigt haben. Je höher Staaten verschuldet sind, desto mehr Zeit sollen sie für die "Schuldenrückführung" bekommen, wie die EU-Kommission die drastischen Schritte zur Beendigung des brutalen Maastricht-Regimes nennt. 

Das Beispiel Griechenland habe gezeigt, dass es keine Obergrenze für tragbare Schulden gebe: Seit den Tagen der Finanzkrise hat sich die Schuldenlast der Griechen nicht etwa verringert, sondern deutlich erhöht. Doch trotz einer Schuldenquote, die mit 150 Prozent deutlich über den erlaubten 60 Prozent liegt, ist Griechenland weiterhin bewohnbar und, so berichten Abgesandte des RND, die sich nach Athen gewagt haben, es erlebt sogar ein "Wirtschaftswunder".

Der Schuldenhimmel offen

So soll es bald überall sein. Der Schuldenhimmel nach oben offen, die Zeitleiste zur Rückzahlung in "Schuldenabbauplänen" (EU) felsenfestgeschrieben, die "je nach Länge einer Legislaturperiode auf vier oder fünf Jahre ausgelegt" sind, aber auch um "bis zu drei Jahre verlängert werden" können, wobei jeder Regierungswechsel zwischendurch dazu berechtigt, neue Wünsche zu äußern. Vermerkt wird jede Bemühung in einem Muttiheft, das die EU nach einem Vorschlag des Europäischen Amtes für einheitliche Ansagen (AEA) auf den Namen "Kontrollkonto" getauft hat.

Russen enttarnt, Chinesen demaskiert: Wahlkampf mit Vaterlandsverrätern

"Together am Teelichtofen" hat der junge Maler Kümram seine Kaltnadelradierung der beiden Spionageverdächtigen genannt.


Es sind die beiden größten Feinde der westlichen Demokratien, zwei gewaltige Reiche, die über Mittel und Wege verfügen, mit Geld und Druck und Technologie auf jede Quelle an jedem Ort zuzugreifen, den Bundestag auszuspionieren und über gigantische Trollfarmen sogar Einfluss auf den Ausgang der Wahlen in den USA nehmen können. 

Kaum verwunderlich war es also, dass gerade noch rechtzeitig kurz vor Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs um Europa mutmaßliche russische Spione aufflogen: Ein Spitzenkandidat der AfD, dazu ein weiterer Spitzenkandidat der AfD, beide trotz steifer Dementis unter Verdacht, den "Ruf" (RND) zu haben "Geld von Russland" (RND) zu nehmen.

Raschelnde 20.000

Auf Audioaufnahmen sei das Rascheln von Banknoten zu hören, um 20.000 Euro geht es, "in bar oder Krypto-Währungen", ganz ist das noch nicht klar. Es ist auch noch nicht das gesamte Spionage-Netzwerk, das Russen und Chinesen in Deutschland betreiben: Nur wenige Tage nach der Enttarnung der beiden rechtsextremen EU-Politiker werden zwei sogenannte "Deutsch-Russen" festgenommen, die "Militäreinrichtungen" ausspioniert haben sollen, um später deutsche Nachschublieferungen in die Ukraine sabotieren zu können. 

Anschließend dann gleich der dritte Fall. Diesmal ging den Fahndern ein "chinesischstämmiger" (Die Welt) Mitarbeiter des unter Russlandverdacht stehenden AfD-Parlamentariers ins Netz, der "interne Informationen über Verhandlungen und Entscheidungen aus dem Europaparlament" nicht an Russland, sondern "an einen chinesischen Geheimdienst" weitergegeben haben soll.

Alles voller Verdachtsfälle

Die SPD hat immer offen für den Kreml gearbeitet.
Verdachtsfälle, die von einer Zeitenwende auch im dunklen Reich der Spionage erzählen. Vor einem halben Jahrhundert platzierten fremde Dienste ihre Informanten noch möglichst nahe an der Macht. Günter Guillaume war persönlicher Referent von Bundeskanzler Willy Brandts, Klaus Fuchs arbeitet an der Entwicklung der Atombombe mit, Harold 'Kim' Philby war Geheimagent und spionierte den eigenen Geheimdienst aus, Eva Kaili steckte mit dem Blutprinzenemirat Katar unter einer Decke, während sie offiziell so tat, als gehe sie in ihrer Aufgabe als Vizepräsidentin des EU-Parlaments vollkommen auf.

Kaili war nach der Entdeckung ihrer Bemühungen um eine engere Partnerschaft Europas mit den Blutprinzen vom Hohen Haus ebenso schnell sanktioniert worden wie jetzt der "chinesischstämmige Mitarbeiter" des mutmaßlichen chinesischen Geheimdienstes. Mittlerweile aber ist die Sozialdemokratin schon lange "zurück auf der politischen Bühne" (Handelsblatt), sie kümmert sich um Industrie, Forschung und Energie, aber auch um Kinderschutz und Digitalisierung, steht aber inzwischen nicht mehr nur im Verdacht, auf Entscheidungen des EU-Parlaments genommen zu haben, sondern auch unter dem, EU-Gelder in betrügerischer Absicht ausgegeben haben.

Im Herzen Europas 

So tief ins Herz Europas wie die Kataris schafften es weder Russen noch Chinesen soweit bisher bekannt ist. Statt wenigstens in die Nähe der Macht zu kommen, dort zu spitzeln, wo die Würfel fallen, buhlten die beiden Großmächte lieber um Hinterbänklern aus der Opposition und deren subalterne Gestalten. Statt Geldkoffern, "Säcken mit Bargeld" und Bergen von Geldscheinen beschieden sich die Agentenwerber diesmal mit schmalen Beträgen: Bystron ist zu hören, wie er 20.000 Euro zählt. Für den Betrag, der zwei Monatsgehältern des Abgeordneten entspricht, soll der Politiker versprochen haben, über das Prager Nachrichtenportal "Voice of Europe" russische Propaganda in Deutschland zu verbreiten.

Bystron mühte sich, indem er auf die übliche Weise über die Ampelparteien schimpfte und seine Partei über die Maßen lobte. Allerdings hatten sich seine mutmaßlichen Auftraggeber verrechnet: "Voice of Europe"  hat nicht einmal 100.000 Besucher im Monat, die durchschnittliche Besuchsdauer liegt bei einer Minute, am erfolgreichsten ist die Seite laut similarweb.com in Kambodscha, wo sie auf Platz 7.788 unter allen Webseiten liegt. Dass Russland auf diese Art über Bystron Einfluss auf die EU-Wahl hat nehmen wollen, spricht für die verzweifelte Lage, in der sich die russische Einflusspropaganda befindet. Dass ZDF, ARD, FR, Stern und alle anderen angeschlossenen Abspielanstalten die Nachricht von der angeblich geglückten Operation verbreiten, leitet Wasser auf die Mühlen des Kreml.

Dienstag, 23. April 2024

Nach Steinmeier-Appell: Das neue Wir-Gefühl

Wie ein soziales Thermometer hat Bundespräsident Steinmeier erfühlt, dass die Frage des "Wir" immer wichtiger wird. Als Referenz an Freddie Quinn nannte er deshalb auch sein Buch so.

Das kann man nicht lernen, das hat man. Und Walter Steinmeier hat es mehr noch als alle anderen. Kaum hat der frühere Kanzleramtsminister, SPD-Fraktionschef, Außenminister und Kanzlerkandidat seinen neuen Ratgeber "Wir" vorgelegt, rückt die Nation spürbar zusammen. Dieses Wir aus dem renovierungsbedürftigen Schloss Bellevue, es ist ansteckend, elektrisierend.  Dieses Wir aus dem Mund des letzten Sozialdemokraten, der die große Zeit des Reformkanzlers Schröder noch selbst miterlebt hat, ist kein leeres Wort wie bei so vielen Politiker. Sondern gefühlte Amtsrealität eines Mannes, der sich noch nie davor gescheut hat, mit dem Finger auf die Wunde zu zeigen und um Hilfe zu rufen.

Das neoliberale Ich

Das neoliberale Ich, es war gestern. Das Dieda, das andere ausschloss, es wird nun selbst ausgeschlossen. "Wir" ist ein Wort, das ein emotionales Feld von Bindungen und Zusammenhalt bildet, in dessen Zentrum Walter Steinmeier steht und die Zugangsmöglichkeiten verwaltet. Für uns, so heißt das Wir aus der Binnensicht? Oder gegen uns? Teil des großen Ganzen, das vom gleichen Teamgeist, vom Gefühl der Kameradschaft und von einem gemeinsamen Korpsgeist beseelt wird. Oder Fremdkörper, der sich der Gruppenkohäsion verweigert und als störrisches Individuum Bedürfnisse verfolgt, die der Bewältigung der Gruppenaufgabe und der Erreichung des Gruppenzieles vielleicht sogar schaden.

"Wir" ist schon länger der von Politikern aller Lager verwendete Code für einen neuen Kollektivismus, der eine homogene Gesellschaft herbeibittet, in dem er ihr Notwendigkeiten vor Augen führt. Sollte es früher eine "Leitkultur" sein, die zu innerer Überzeugung führt, obwohl jenseits der Sprache nirgendwo Spuren einer solchen "Leitkultur" auszumachen sind, dient nun die gemeinschaftlich erlebte Lähmung angesichts globaler Herausforderungen als einigendes Band für alle, die ähnlich wie die Bundesregierung nicht mehr weiter wissen. 

Buchtitel von Freddie Quinn

"Wer hat noch nicht die Hoffnung verloren? Wir! Und dankt noch denen, die uns geboren? Wir!", sagt Freddie Quinn vor fast 60 Jahren in seiner "Hymne der Anständigen", den Liedtitel "Wir" borgte sich nun der Bundespräsident als Buchtitel, um dieselbe Botschaft ins Land zu tragen: "Denn jemand muss da sein, der nicht nur vernichtet, der uns unseren Glauben erhält, der lernt, der sich bildet, sein Pensum verrichtet, zum Aufbau der morgigen Welt".

So wahre Worte, dass die angesprochene Primärgruppe der dem Bundespräsidenten selbstähnlichen Zielgruppe der Gruppenmitglieder heute noch damit angesprochen werden kann. Das Wir, bisher appellativen Charakters in Sonntagsreden und mahnenden Ministerworten, entfaltet als Tageslosung formative Kraft. Wer nicht für uns, also für das Wir ist, der ist dagegen, der gehört nicht dazu, der hat sich selbst ausgeschlossen, obwohl er anders gekonnt hätte. 

Das neue Steinmeier-Wir

Das neue "Wir"-Gefühl steht für alle offen, die zu den Personen gehören wollen, zu denen der Bundespräsident gehört, zu einem illustren Kreis also, der an Lösungen arbeitet, keinen Rechtsruck "hat", aber "Angst", der "schneller und einfacher"  werden will, aber auch das Miteinander der Generationen stärken. 

Wie ein Wetterleuchten schwebt es über allem, dieses Wir aus Menschen, zu denen die eigene Person zählt, aber eben auch die anderen, die so sind wie sie, so denken, fühlen, handeln. Wo Freddie Quinn noch glaubte, ein "ihr" erwähnen zu müssen, als das Andere, Fremde, Unverständliche, kommt das Steinmeier-Wir ohne sein Gegenteil aus. In ist, wer drin ist, denn hilft, Schluss zu machen mit Konflikten und Wettbewerb innerhalb des Wir, die nur die Gruppenkohäsion schwächen. 

Ein Wir aus Wiren

"Wir sehen, dass diese turbulente Weltlage, gerade auch für Demokratien eine große Herausforderung ist, weil Autokratien ganz gezielt die jetzige, so volatile Situationen nutzen, um Demokratien zu destabilisieren", hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ("Wie wir unser Land erneuern") die Thesen des Bundespräsidenten bekräftigt. Deswegen brauche es gerade in solchen Momenten, gerade vor der Europawahl, "Geschlossenheit zwischen allen demokratischen Akteuren in unseren Gesellschaften." Die auf ihre Weise auch nur ein Wir sind, nur eben eins aus vielen Wiren.

Draußen bleibt wer Pech hat und sich die Anpassungsleistung nicht zutraut. Auch er aber leistet der Gemeinschaft des Wir einen unschätzbaren Dienst, denn der Grad der Gruppenkohäsion steigt immer dann, wenn die Gruppe im Wettbewerb mit einer oder mehreren anderen Gruppen steht.

SPD-TikTok-Offensive: Neue Abhängigkeit von China

Es ist nicht Stauffenbergs berühmte Aktentasche, aber die von Olaf Scholz. Er hat sie bei TikTok geöffnet.

So lange alles weitgehend unwidersprochen blieb, gefiel es der deutschen Sozialdemokratie sehr gut bei Kurznachrichtendienst Twitter. Dann aber kaufte der US-Milliardär, der Deutschland und dem sozialdemokratisch regierten Brandenburg seine erste große Elektroautofabrik schenkte, das Portal. Den Pionieren der Partei, die wie Saskia Esken und Kevin Kühnert schon ein neues Zuhause bei aufstrebenden Plattformen mit heute längst vergessenen Namen gefunden hatten, folgten nun immer mehr Funktionäre. Auch unabhängige Rundfunksender wanderten ab, bedeutende Institutionen wie die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und die Universitätsbibliothek Mannheim folgten.

Kollaps ist absehbar

Der Kollaps von Twitter, inzwischen in X umbenannt, war nur noch eine Frage der Zeit. Würde er vor dem Zusammenbruch Russlands infolge der europäischen Sanktionen mit maximaler Wirkung kommen oder kurz danach? Eine andere Frage aber stellte sich in den Parteizentralen und Pressestellen: Jetzt, wo der eigene Rückzug von X dort Freiräume für Andersdenkende geschaffen hatte, wo könnte man sich denn nun unter Gleichgesinnten zusammenfinden, um einander zu beweisen, dass man noch gleichgesinnter als alle anderen? 

Die Parteivorsitzende preschte vor und ging zu Instagram, das sie nutzt, um "lieben Genoss*innen" für ihr Vertrauen auszusprechen. Auch Kevin Kühnert, bei Twitter einst ein Star, hat es dorthin verschlagen, wo er mit ernster Miene darauf drängt, "den Einfluss des Mullah-Regimes in Deutschland und Europa zurückzudrängen" oder sich selbst zeigt, wie er "trotz strömenden Regens" eine EU-Fahne durch Berlin trägt. 

Das Echo allerdings ist stets bescheiden. Und auch der leidige Widerspruch ist wieder da - Rechtspopulisten, Wählende und Ostdeutsche empfehlen der SPD, sich die Frage zu stellen "warum sie in Umfragen hinter der AfD liegt" oder sie raten dem SPD-Generalsekretär ungeachtet der neuen Delegitimierungsregeln dreist zu einer "ordentlichen Ausbildung".

Sehnsucht nach Sockenpuppen

Musk, dem Teufel in Menschengestalt, mit knapper Not entkommen, findet sich die deutsche Sozialdemokratie gefangen in einem Dilemma. Ein Zurück dorthin, wo ein paar Hilfskräfte als Sockenpuppen ausreichten, Schlagzeilen zu produzieren, gibt es nicht. Doch wie soll die Partei die eigenen Ansichten in die gesellschaftlichen Kanäle verklappen und die großen Redaktionen für ihre Thesen interessieren, wenn ihr wieder nur noch die Spamschleudern der Nachrichtenagenturen bleibt? Mit Blick auf die anstehenden Wahlkämpfe schließlich: Wie soll online gewonnen werden, was offline verloren gegangen ist? Reichen "persönliche Massen-SMS" (SPD) wirklich aus?

Der Kanzler hat Zweifel, die Partei ohnehin. Da Europa auch zwei Jahre nach dem Start einer entsprechenden Gründungsoffensive durch die EU-Kommission noch immer über keine eigenen großen Hass- und Hetzplattformen verfügt, stellte sich die deutsche Sozialdemokratie neu auf: Nach der "Tagesschau", die dazu eigens ihre eigenen Sicherheitswarnungen ignorierte, und der SPD, bei der enge Bande ins Reich der Mitte seit Martin Schulzens verheerendem Cavete-Abenteuer Tradition haben, hat sich auch Olaf Scholz entschlossen, die deutsche Abhängigkeit von China konsequent weiter auszubauen.  

Unter Spionageverdacht

Scholz ist nun auch bei TikTok, das bei Verbündeten unter Spionageverdacht stehende Tochterunternehmen des Pekinger Bytedance-Konzerns, dessen enge Verbindungen zur diktatorisch regierenden kommunistischen Partei und deren Armee seit langem bekannt sind. In den USA verlangt das Repräsentantenhaus deshalb inzwischen kategorisch einen Verkauf der App und eine Kontrolle durch neue US-Eigentümer. In Bundeskanzleramt in Berlin hingegen hofft man eher auf das von der EU zuletzt unnachgiebig angeprangerte "süchtig machende Design", die schädlichen Inhalte, mangelnden Jugendschutz, fehlende Transparenz bei Werbung, unzureichenden Datenzugang für Forscher sowie ein Risikomanagement, das den strengen europäischen Richtlinien Hohn spricht, aber auch vom Europäischen Parlament genutzt wird.  

Olaf Scholz kann hier seine Stärken ausspielen. Ungeachtet der vielen und schwerwiegenden Verdachtsmomente, die in Washington und Brüssel, aber auch beim Verfassungsschutz, beim ZDF und bei Sicherheitsexperten aufgrund der Beweislage gehegt werden, nutzte der Kanzler seinen Chinabesuch, um den Schulterschluss mit dem "nach innen immer repressiver und nach außen immer aggressiver" (Friedrich Merz) auftretenden Regime in Peking zu demonstrieren. Lässig spaziert Scholz bei TikTok durch Schanghai, er spricht über seine ehemals langen Haare, schüttelt die Hände unschuldiger Kinder, lässt sich von Chinas Diktator Xi hofieren und packt immer und immer wieder seine Aktentasche aus.  

Verachtete DSGVO

Dass jeder Filmschnipsel einen Transfer von Nutzerdaten nach China auslöst, der nach den in der EU geltenden Regeln der Datenschutzgrundverordnung nicht rechtmäßig ist, weil nach chinesischem Recht dort auch Geheimdienste Zugriff auf die Daten haben, schert den Bundeskanzler offenbar nicht. Auch die ARD, die SPD, die CDU und all die anderen staatlichen Institutionen, Gemeinsinnsender und Behörden, die im Hinterhof der Pekinger Diktatur um Aufmerksamkeit bei Nachwachsenden und Kindgebliebenen buhlen, sind strenge Datenschutzregeln, Menschenrechte und Grundwerte egal, wenn sie Chancen sehen, neue Zielgruppen zu erreichen und mit Verstößen davonzukommen.

Wirkungsvolle Möglichkeiten, zum Gemeindedienst beizutragen

Gemeinnützige Arbeit bereichert die Gesellschaft, fördert die Solidarität und bewirkt eine positive Veränderung. Beim Gemeindedienst geht es darum, das Leben der Menschen und den Planeten zu verändern, sei es durch Umwelt-, Bildungs- oder Sozialprogramme. Diese Dienste können das Leben verändern, indem sie anderen helfen, die Umwelt verbessern oder Menschen zusammenbringen. 

Gemeinnützige Aktionen können große Auswirkungen haben, wie die strategischen Spiele im https://casino.netbet.com/de/. Mit diesen sieben großartigen Optionen für gemeinnützige Arbeit können Sie Ihre Gemeinschaft bereichern. Gemeindedienst erinnert uns an die Kraft kollektiven Handelns und den Einfluss, den wir haben können, wenn wir in einer Welt, die sich auf individuelle Leistungen konzentriert, für das Gemeinwohl zusammenarbeiten.

Bildquelle: NJIT

Organisieren Sie eine Lebensmittelsammlung

Lebensmittelspendenaktionen sind eine unkomplizierte Methode zur Unterstützung Ihrer Gemeinde. Arbeiten Sie mit örtlichen Lebensmittelbanken zusammen, um den Bedarf der Gemeinde zu ermitteln und die Produkte zu priorisieren. Richten Sie in Schulen, Unternehmen und Gemeindezentren Sammelstellen ein, damit die Aktion Spaß macht und es kleine Anreize für große Spenden gibt. Auf diese Weise können Sie die Hungernden ernähren und das Bewusstsein für die lokale Lebensmittelarmut fördern. 

Starten Sie ein lokales Recyclingprogramm

Recycling ist gut für die Umwelt und die Bildung. Diese Initiative erfordert Vorbereitung und Koordination mit den örtlichen Abfallwirtschaftsbehörden, hat aber langfristige Vorteile für die Umwelt. Dies geschieht, um das Recycling zu fördern und bequeme Recyclingstationen einzurichten. Um die Nachhaltigkeit zu fördern, sollten Sie Workshops oder Seminare darüber veranstalten, wie recycelte Materialien in neue Gegenstände umgewandelt werden.

Gründen Sie einen Gemeinschaftsgarten

Ein Gemeinschaftsgarten ist eine großartige Möglichkeit zur Verschönerung und Versorgung mit frischen Früchten. Bitten Sie um Sponsoren für die Einrichtung und beteiligen Sie die Gemeindemitglieder an der Bepflanzung und Pflege. Richten Sie einen Bereich des Gartens für Kinder ein, damit sie etwas über Pflanzen, Anbau und gutes Essen lernen.

Säubern Sie die Nachbarschaft

Eine organisierte Nachbarschaftssäuberung kann die Attraktivität Ihrer Gemeinde erhöhen. Ermutigen Sie die Gemeinschaft, sich an der Säuberung der örtlichen Parks, Straßen und Strände zu beteiligen. Dadurch wird die Region gesäubert und die Bewohner sind stolz auf ihr Eigentum. Veranstalten Sie anschließend ein Gemeinschaftsessen oder eine Feier. 

Veranstalten Sie Blutspende-Camps

Da ständig Blutspenden benötigt werden, kann ein Blutspende-Camp für die Gemeinde von Nutzen sein. Arbeiten Sie mit dem Roten Kreuz zusammen, um die Blutspendeaktionen zu planen und durchzuführen. Dieses Programm rettet Leben und verbindet die Gemeinde.

Starten Sie eine Nachbarschaftswache

Gründen Sie eine Nachbarschaftswache, um die Sicherheit in der Gemeinde zu verbessern. Helfen Sie den örtlichen Strafverfolgungsbehörden bei der Erstellung eines Programms, der Rekrutierung von Freiwilligen und der Planung von Treffen. Dies schreckt vor Verbrechen ab und stärkt die Gemeinschaft, da sich die Nachbarn gegenseitig schützen.

Geben Sie armen Kindern warme Kleidung

Die freiwillige Teilnahme an Aktionen wie der Operation Warm, bei der Kinder neue Jacken erhalten, ist eine rührende Art, Ihrer Gemeinde zu helfen. Sie können Spendensammlungen oder Mantelspendenaktionen organisieren und die Jacken persönlich an unzählige Kinder verteilen. Dieses Projekt stärkt die Gemeinschaft und hilft der Jugend.

Gemeindedienst geht über das Spenden hinaus und baut gemeinschaftliche Beziehungen auf. Diese Dienstprojekte bieten einzigartige Möglichkeiten, sich an der Gemeinschaft zu beteiligen und sie zu verbessern. Gemeindedienste verbreiten Freude und Solidarität, indem sie die Umwelt schützen, die öffentliche Gesundheit fördern oder jemanden glücklich machen. 

Denken Sie daran, dass der Schlüssel zu einer erfolgreichen gemeinnützigen Initiative darin besteht, die Bedürfnisse Ihrer Gemeinde zu erkennen, mit den Einwohnern in Kontakt zu treten und zusammenzuarbeiten. Sie können Ihrer Gemeinde helfen, ihre Probleme zu lösen und Zusammenarbeit und Respekt zu fördern, indem Sie sich ehrenamtlich für diese Zwecke einsetzen. Gemeindedienst ist eine Gelegenheit, die Welt in einem Mikrokosmos zu sehen, von ihr zu lernen und sie zu verbessern.

Montag, 22. April 2024

12-Punkte-Planwirtschaft: Gimme more!

Christian Lindner und zwei Mitarbeitende der FDP-Zentrale präsentierten den Grobentwurf des Deutschland-Planes in Berlin.

Sechs ganze Wochen vergingen ohne Punkte-Plan, sechs Wochen schwebte das Land in einem Zustand der Ungewissheit. Fast neun Monate waren vergangen, seit Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner bei ihrer historischen Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg Nägel mit Köpfen gemacht, alte Zöpfe abgeschnitten und einen 10-Punkte-Plan für den Wirtschaftsstandort Deutschland vorgestellt hatten, der "angesichts der Konjunkturflaute in Deutschland Impulse für mehr Wirtschaftswachstum" (SZ) gab.  

Nachhall des Wummses

Ein Wumms, der nachhallte, ein Wumms, wie ihn das Land lange nicht mehr gesehen hatte, denn seit dem 12-Punkte-Plan für gleichwertige Lebensverhältnisse von 2019 schlichen sich mehr und mehr Chaos und Beliebigkeit auch in die Bundespunkteplanwirtschaft ein: Früher waren Zehn-Punkte-Pläne stets das probate Mittel jedes anständigen Politiker gewesen, um drängende Probleme auf die lange Bank zu schieben, sich Beinfreiheit im Wahlkampf zu erarbeiten und den Eindruck zu erwecken, man habe erkannt, verstanden und Handlungsbereitschaft hergestellt. Seit Seehofers Tabubruch aber bröckelten auch hier die Gewissheiten. Es hagelte 12, 13-, 14- und 26-Punkte-Pläne. Selbst die SPD, eine Traditionspartei, brach mit der urdeutschen Sitte: War Helmut Kohl für ganz Deutschland noch mit zehn Punkten ausgekommen, beanspruchte die ehemalige Arbeiterpartei allein für den abgehängten, mit der Sozialdemokratie fremdelnden Osten deren zwölf. 

Weniger konnte die FDP nun auch nicht bieten, um die Ampel-Konkurrenz zu übertrumpfen, die mit Blick auf den 1. Jahrestag des 10-Punkte-Planes von Meseberg bereits im März einen Zehn-Punkte-Wirtschaftsplan für eine Stärkung der deutschen Wirtschaft vorgelegt hatte. Die Liberalen, in diesen tagen auf Abschiedstournee durch die Bundespolitik, beließen es allerdings demonstrativ bei zwölf Punkten, ein Plus zum Plan von 20 Prozent, aber weit weg von jenen 17 Punkten, mit denen die völkerfeindliche Pegida-Bewegung einst einen gesamteuropäischen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge und eine gerechte Verteilung auf die Schultern aller EU-Mitgliedsstaaten, schnelle Abschiebungen und eine bessere Integration gefordert hatte. 

Verunglimpft als Wirtschaftswende-Konzept

Dennoch ist das von der koalitionsinternen Opposition reflexhaft als "Wirtschaftswende-Konzept" titulierte Papier überaus ambitioniert: Wie immer geht es um jene "Offensive" (Olaf Scholz), die das darbende, taumelnde, zweifelnde Land auf den Weg bringen soll, wieder zu wachsen. Wie immer besteht die Reha-Kur aus einer Mischung bekannter Rezepte: Härtere Sanktionen,. längere Lebensarbeitszeit, raus aus der sozialen Hängematte für über 63-Jährige, die Forderung danach, EU-Vorgaben und Richtlinien möglichst trickreich zu umgehen, Soziallleistungen abzuschmelzen und die Erneuerbaren Energien dem freien Spiel der Marktkräfte auszusetzen.

Ein Deutschland-Plan, der sogar auf einige der in Trainingsplänen für Wirtschaftswachsende eigentlich üblichen Leibesübungen verzichtet. Es fehlen die steuerlichen Maßnahmen, die stets in Aussicht gestellt werden, damit Investitionen getätigt und nicht aufgeschoben werden, es gibt keinen Hinweis auf einen geplanten Abbau von Bürokratie, offene Arme für mehr Fachkräfte aus dem Ausland oder noch schneller beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren. Im politischen Berlin sind diese Fehlstellen das mit Verwunderung aufgenommen worden, ausgerechnet bei den Worthülsen und Sprechblasen, auf die sich alle Koalitionspartner leicht hätten einigen könne, so kommentieren Kenner der Ampel-Kriege, verzichte der kleine Partner darauf, die anderen mitzunehmen.

Natürlich, viele Vorhaben der Fortschrittskoalition "sind bereits auf dem Weg", wie die "Tagesschau" schon vor Monaten festgestellt hat. zwar hält die "aktuelle Abkühlung der Konjunktur" nun schon seit anderthalb Jahren an, trotz schrumpfender Wirtschaftsleistung aber ist es der Bundesregierung gelungen, das gefürchtete Wort R-Wort weitgehend aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Ersatzhalber hatte die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) rechtzeitig beruhigende Ersatzbegriffe wie "schwächeln", Konjunkturknick" und "Stagnation" bereitgestellt, mit deren Hilfe sich der Rückgang des Bruttoinlandproduktes wegerklären lässt. Vor allem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist es zudem zu verdanken, dass die prekäre wirtschaftspolitische Lage als Segen empfunden wird: Das Weltklima dankt für jede Stunde Kurzarbeit, jede Entlassung und jede Firma, die sich aus dem Wirtschaftskreislauf zurückzieht, und sei es nur, indem sie im Ausland produziert.

Rückgang ist nur "weniger dynamisches Wachstum"

Finanzminister Christian Lindner hatte dem mutigen Ausstiegskurs im vergangenen Jahr seine Zustimmung gegeben. Mit dem Satz "wir nehmen ernst, dass Deutschland weniger dynamisch wächst als andere" hatte er den Rückgang des BIP in einen moralischen Zusammenhang gestellt: Schrumpfen war nun "weniger dynamisch wachsen", ein Vorgang, der ernst genommen wird, aber keinen Grund gibt, panisch zu werden. Noch sei "Substanz" da, so Lindner, noch tüftle die Regierung am "Wachstumschancengesetz" (WCG, BWHF) mit zahllosen "Anreizen" und Prämien für alle, die guten Glaubens sind und bereit, mitzumachen. 

Mitte März verpuffte der tröstende Effekt des WCG. Mitte April nun zieht der Vizekanzler mit Blick auf den anstehenden FDP-Parteitag andere Seiten auf. Strafen wollen die Liberalen nun überall dort, wo Menschen nicht mitziehen, Leistungen vollständig streichen, Grundgesetz hin oder her, und wer im Alter noch kann, soll weiterwerkeln, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Die EU, die ihren gigantischen Apparat beschäftigt halten muss und deshalb Woche für Woche neue Auflagen, Regeln und Richtlinien produziert, solle künftig nicht mehr ernst genommen werden. Deren Lieferkettengesetz lasse sich mit einigen wenigen einfachen Tricks umgehen. Zudem zeige die Geschichte, dass die EU zwar häufig gegen vertragsbrüchige Mitgliedsstaaten klage - allein derzeit laufen mehrere hundert Verfahren. Doch selbst in den wenigen Fällen, in denen es zu einer Verurteilung komme, bestehe die Strafe nur aus einer symbolischen Geldbuße, die letztlich aber noch niemals von einem Mitgliedsland gezahlt worden sei.

EU verliert den Bauernkrieg: Hofknicks vor dem Mistgabelmob

Die EU knickt vor der mächtigen Bauernlobby ein und gestattet dem motorisierten Mistgabelmob ein weiterwirtschaften nach Gutsherrenart.

Jacke wie Hose, aber das Hemd näher als der Rock. Monatelang gab es von Brüssel und Straßburg aus gesehen keine andere Chance, die Welt vor dem Klima zu retten als festere Zügel für die ausufernde Landwirtschaft, versehen mit strengen Regeln für Bauern, die ihre Höfe immer noch nicht schließen wollten. Dem "motorisierten Mistgabelmob" (Spiegel), der im Februar daranging, die gesamte Republik zu destabilisieren, konnte nicht nachgegeben werden, sollten künftige Generationen noch eine Zukunft haben. Jeder kleine Finger, den Kommission und EU-Parlament den Landwirten gereicht hätten, wäre zu einer ganzen Hand geworden, fest im Griff der Traktor-Anarchie.

Eine Lageanalyse von PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl

Rückzieher vor den Schicksalswahlen

Svenja Prantl ist selbst Lebensmittelnutzerin.
In solchen Augenblicken, das wissen sie nirgendwo besser als in den europäischen Hauptstädten, gilt es Ruhe zu bewahren und erst einmal Zeit vergehen zu lassen. Unnachgiebig nach außen, unter Vier aber und mit Blick auf die anstehenden Schicksalswahlen zum EU-Parlament durchaus bereit, dort nachzuschärfen, wo mit "Zugeständnissen an die Landwirtschaft" (DPA) öffentlich etwas zu gewinnen sein könnte. So wird es jetzt auch gemacht: In einem "Eilverfahren" werden über Jahre hinweg von einer gesamteuropäischen Bürokratie erdachte und in langwierigen Entscheidungsprozessen auf allen EU-Ebenen beschlossene neue Umweltauflagen und weiter ausufernde Kontrollen rückabgewickelt. 

Eine neue Europa-Geschwindigkeit, ungewohnt rasant, wenn auch nur beim Tempo der Ankündigungen. Seit den ersten Signalen aufs Land, dass die EU-Kommission bereit sei, einzuknicken, sind fast drei Monate vergangen. Inzwischen steht als Zeitpunkt für die Abstimmung über den Vollzug der Rückabwicklung von Klima- und Umweltschutzauflagen das Ende des Monats, die letzte Gelegenheit, bei der das Parlament bis zu den EU-Wahlen im Juni noch einmal zusammenkommt.

Ohne sachliche Begründung

Sachlich begründet werden die plötzlichen Lockerungen nicht, aufgrund der drängenden Zeit verzichtet das Parlament auch darauf, die von der EU-Kommission ohne Erläuterung der Notwendigkeit vorgeschlagenen Ausnahmen von Umweltauflagen und Kontrollen wie sonst üblich in allerlei Ausschussberatungen zu drehen und zu wenden. Die Macht der Straße reicht auf einmal vollkommen aus, die Abläufe in Brüssel und Straßburg zu beschleunigen, den Klimaschutz abzuwickeln und die dringend notwendigen Kontrollen der Behörden vor Ort in den Ställen aufzuheben. Weder sollen die von EU-Experten erdachten Vorgaben zur Fruchtfolge strikter beaufsichtigt werden noch wird wie geplant dafür gesorgt, dass ein vorgeschriebener Anteil an jedem Meter Ackerland brach liegen bliebt.

Das Klima verliert, die Profitgier der zumeist konservativ ausgerichteten Bauern siegt. Verheerend für die Zukunft der Welt, verheerend aber vor allem für das europäische Gemeinwesen. Das Signal, das die Vorschläge der EU-Kommission und das umstandslose Einknicken des Parlaments aussendet, ist kaum misszuverstehen: Wer nur laut genug schreit, große Maschinen zur Verfügung hat, um Straßen und Kreuzungen zu blockieren, und mit Hilfe seiner Lobbyverbände direkt auf Abgeordnete einwirken kann, für den ist die lange als heilige Kuh der Union geltende Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nur Knetmasse, sind der welthistorisch einmalige Green Deal, die Next Generation EU, die große Transformation und die Biodiversität ein Spielzeug, keine verpflichtende Aufgabe.

Gefährlicher Präzedenzfall

Die Aufgabe der ursprünglich geplanten festeren Zügel für Landwirte zugunsten einer "nötigen Flexibilität" wird künftig zweifelsfrei neue Klimaereignisse wie Dürren und Überschwemmungen, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Hitzesommer und geopolitische Krisen provozieren. Die andere Seite der Medaille aber ist, dass Rat und Parlament mit ihrem Einknicken vor den Interessen der Betriebe einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen: Künftig wird jeder Lobbyverein behaupten, seine Mitglieder müssten erst erwirtschaften, was die neuen Umweltauflagen kosten, jede Industriebranche wird die eigene Wirtschaftlichkeit gegen Umweltmaßnahmen in Stellung bringen und damit drohen, dass Arbeitsplätze wegfallen, wenn ihre kurzfristigen Profitinteressen nicht über die Notwendigkeiten für das Überleben der Menschheit gestellt würde.

Ein Bärendienst, den die EU den Bürgerinnen und Bürgern da leistet, die geglaubt und gehofft hatten, dass es kein Nachgeben infragekommt, wo die Existenz aller auf dem Spiel steht.

Sonntag, 21. April 2024

Knauserige Linkspartei: Abschied vom Reichtum

Neue Reize: Statt Reichtum verspricht die Linke im EU-Wahlkampf nur noch kostenlose Fahrkarten.

Es ging um einen "Systemwechsel hin zum demokratischen Sozialismus", um das Ende des Kapitalismus, die Einführung umfassender Gerechtigkeit und die Durchsetzung gleichheitsschaffender Maßnahmen. Diesmal aber ohne die Fehler, die frühere kommunistische Systeme gemacht hatten. Statt mit Zwangsmaßnahmen wollte die deutsche Linke die Menschen diesmal zu freiwilligem Mittun am Aufbau des Sozialismus werben.

Jeder sollte Milliardär

"Reichtum für alle" versprach sie, jeder sollte im neuen Reich der sozialen Gerechtigkeit Millionär oder Milliardär werden dürfen und bleiben können, ohne sich schämen zu müssen "Damit es im Land gerecht zugeht", begründete der Parteivorsitzende Gregor Gysi die umfassendste Wohlstandszusage, die je eine deutsche Partei den Bürgerinnen und Bürgern gemacht hatte.

Einlösen konnte die Linke ihr Versprechen allerdings bisher nicht. Zu wenig Wähler gingen auf das Angebot ein, zu wenige hörte nicht auf die Einflüsterungen der Konzernmedien, die sich nach Kräften mühten, Zweifel an der Erreichbarkeit des Zieles zu schüren. Natürlich, die Linke kämpfte weiter. Doch zusehends auf verlorenem Posten. Die Bewegung stritt und spaltete sich schließlich. Abtrünnige hausieren derzeit mit Parolen, die Spaltung, Leistungsbereitschaft und Abschottung predigen. 

Wurzeln im Kaderapparat

Und auch was übriggeblieben ist von der echten Linken, die ihre Wurzeln im Kaderapparat der DDR-Staatspartei SED hat, verrät nun offenbar die wahren Werte der Linken: Statt "Reichtum für alle" anzubieten, verspricht die Spitzenkandidatin der Linkspartei zur EU-Wahl gerade mal noch "kostenlosen ÖPNV für alle statt Privatjets für wenige". Der öffentliche Nahverkehr werde dank der Linken "Jahr für Jahr immer günstiger und langfristig komplett kostenfrei". 

Konkret geht es zudem nicht nur um die Abschaffung von Privatjets, sondern um die jeder Art von privatem Fortbewegungsmittel: Gleichzeitig werde die Linke, sobald sie regiere, "so viel wie nur möglich in den Ausbau von Bus und Bahn" investieren, "damit auf dem Land alle eine sinnvolle Anbindung bekommen und in den Städten niemand mehr auf ein eigenes Auto angewiesen ist".

In Racketes Himmelreich

Für Carola Rackete, die dank zahlreicher Fernreisen auf der Welt schon alles gesehen hat, eine naheliegende Forderung. Für Millionen, die sich noch an ein Leben ohne eigenes Auto, auf Gedeih und Verderb angewiesen auf Bus und Bahn erinnern, eine Einladung zum Aufbruch in ein Land, das es schon einmal gab. Statt "Reichtum für alle" locken in Racketes Himmelreich Gratisfahrten für Schichtarbeiter und Pendler plus Flixbussitz für die Ferienfahrt. 

Knauserige Zusagen, deren Durchschlagskraft an der Wahlurne sich erst noch erweisen muss. Werden Wählerinnen und Wähler wirklich bereit sein, sich ihr Kreuz für einen Fahrschein abhandeln zu lassen? Oder werden sie angesichts der früheren Versprechen aus der Parteizentrale im Karl-Liebknecht-Haus nicht wenigstens 500.000 oder 100.000 Euro pro Kopf fordern?

Die magische Steinmeier-Formel: Wir gewinnt

Die magische Steinmeier-Formel: Aus der "Anstrengung gemeinschaftlichen Handelns erwächst politische Kraft", wenn das "unser Wir einer vielfältigen Gesellschaft" neu erkennt, "was sie verbindet".

Wie hat er das nur wieder auch noch geschafft. Mitten in der Zeitenwende, beständig unterwegs als Friedensstifter, Vermittler und Verbinder, hat Bundespräsident Walter Steinmeier dennoch einen Moment gefunden, ein neues Buch zu schreiben: Nach "Mein Deutschland - Wofür ich stehe", "Flugschreiber: Notizen aus der Außenpolitik in Krisenzeiten", "Ja, wir sind verwundbar" und "Es lebe unsere Demokratie" widmet sich "Wir" dem titelgebenden Nationalgefühl. Kollektive Wärme. Der Wunsch nach geistiger Enge. Zusammenrücken als Bürgerpflicht. Sein Buch, sagt der Bundespräsident selbst, sei ein "Plädoyer dafür, den Staat nicht prinzipiell als Feind zu sehen", denn "gerade eine moderne Gesellschaft braucht einheitsstiftende Institutionen."

Mutige Worte von einem, der es weiß

Mutige Worte in Zeiten, in denen das Vertrauen der Politik in die Bevölkerung bröckelt, in denen der Verfassungsschutz sehr viel genauer hinschauen muss und selbst eine fein ziselierte Landschaft aus Meldeportalen, neuen Meinungsfreiheitsschutzbehörden und erweiterten Verstoßrichtlinien nicht ausreicht, die ursprünglich geplante Zahl von 250.000 digitalen Hassverdachtsfällen zu liefern. Überall Querdenker, Hetzer, Hasser, Zweifler, Skeptiker und Abweichler. 

Höchste Zeit, diesen allen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Mein Staat als Freund und Geliebte. Ganz nah ist Steinmeier da beim ehemaligen CDU-Politiker Thomas de Maiziere, der deutlich gemacht hatte, dass es keine Bereiche geben dürfe, "auf die der Staat keinen Einfluss hat". Dabei hat er doch in der Pandemie gezeigt, dass er unveräußerliche Freiheiten nur einschränkt, wenn er es für nötig hält. Und die starke Hand der Staatsbürokratie, die das galant auf dem Verordnungsweg erledigt, unbedingten Gehorsam wertschätzt, indem sie Grundrechte auch zurückerstattet, wenn es nicht mehr anders geht.

Der unbequeme Geist

Steinmeier, ein unbequemer Geist, der sich in der "Tagesschau"-Hauptausgabe schon einmal selbst begeistert zuschaut und zuhört, wurde nach seiner gescheiterten Kanzlerkandidatur als Schneeeule der Arbeiterbewegung, als Luftballonverkäufer und "Teflonpfanne" verhöhnt. Dennoch wurde er als erster verurteilter Verfassungsbrecher Bundespräsident - und das gleich zweimal.

So einem gehört der gute und liebende Staat nicht allein, "aber der Staat gehört dazu", sagt der frühere Sozialdemokrat, der seine Parteimitgliedschaft symbolisch ruhen lässt, um auf den 142 Seiten seiner Hymne an das "Wir" überparteilich fragen zu können: "Woher kommen wir? Wo stehen wir? Wer sind wir – und wer können wir sein?" Elf Jahre nach der "Wir"-Wahlkampagne seiner Partei knüpft der 69-Jährige im Suhrkamp-Bändchen an die Parolen von damals an. Das "Wir" gewinnt, wenn es den Gleichschritt lernt und die Dankbarkeit dafür, dass das Wir über allem schwebt und nach bedingungsloser Gleichheit strebt. 

Die Menschen, die die SPD damals ansprach, einfache Leute aus der arbeitenden Mitte, die sich nach Betreuung und Fürsorge sehnten, sind heute die, die den neuen Steinmeier lesen sollen, um etwas über den 75. Geburtstag des Grundgesetzes und den 35. des Mauerfalls zu lernen, zwei historische Ereignisse, die wegen "internationaler Krisen und Aufgaben der wirtschaftlichen Transformation nicht mit ruhiger Selbstzufriedenheit" gefeiert werden können. Worte wie Donnerhall. "Unsere Gesellschaft" (Steinmeier), stehe "unter Stress, das Vertrauen in die Politik leidet, der Ton wird schärfer, Populisten stellen die liberale Demokratie infrage".

Tief beeindruckte Leser

Da ist er aber immer noch. Ehe sein Büchlein ganz vorn in den Bahnhofsbuchhandlungen und draußen an den Zeitungsbüdchen der Republik auftaucht, sind die ersten Leser tief beeindruckt. "Nur 142 Seiten, die jedoch entwickeln eine verblüffende Wucht", lobt die Augsburger Allgemeine. Die "Zeit" sieht ein Wert, "sie alle zu therapieren" und der Kölner Stadtanzeiger, der die eigenen Reihen gerade säubert, liest den Aufruf zu einem  "neuen Patriotismus" aus dem "eindringlichen Plädoyer des Bundespräsidenten für mehr Zusammenhalt und für den Mut, zu handeln" (Verlagswerbung). 

Dass ihm einzelne durchaus namhafte Adressen auch vorwerfen, eine gefühlte "westdeutsche kulturelle und historische Hegemonie" fortzuschreiben, bestätigt die Diagnose des zwölften Bundespräsidenten nur in seinem Entschluss, sich in dieser kritischen Zeit mit einer Erinnerung an "Wegmarken und Erfahrungen, die Deutschland in 75 Jahren geprägt haben" zu Wort zu melden und "unangenehme Wahrheiten, vor allem aber die Stärken des Landes" zu beleuchten.

All die gebrochenen Versprechen

Ja, viele haben das Gefühl, dass nichts mehr funktioniert wie früher. Ja, selbst Wohlwollende kommen nicht umhin, dem Verfall des Wohlstandes entsetzt zuzuschauen. Infrastrukturapokalypse. Regierungsstreit. Überall diese Fragen: Wo sind die Fachkräfte hin? Die Milliarden und Abermilliarden? Die Tatkraft?  Die gebrochenen Versprechen? Steinmeier, der in Kürze selbst in ein neugebautes Provisorium ziehen muss, weil sein eigenes Schloss einer Grundsanierung unterzogen werden muss, fungiert in seinem Essay als Gefühlserklärer der Nation, die keine sein möchte. Niemand spürt wie er, wie die Lage ist. Wer sie zu verantworten hat. Und warum.

Walter Steinmeier wirbt hier mutig für die Anstrengung gemeinschaftlichen Handelns, aus dem politische Kraft erwächst, für den Mut, sich ehrlich zu machen und bei der führenden Rolle der Bedeutung bei der Durchsetzung der Beschlüsse aufzustehen, statt sich wegzuducken. "Unser Wir ist das einer vielfältigen Gesellschaft geworden, die neu erkennen muss, was sie verbindet", legt der frühere Geheimdienstkoordinator den Finger in die Wunde. Die magische Steinmeier-Formel: Aus der "Anstrengung gemeinschaftlichen Handelns erwächst politische Kraft", wenn das "unser Wir einer vielfältigen Gesellschaft" neu erkennt, "was sie verbindet".

Samstag, 20. April 2024

Zitate zur Zeit: Er hat dann die Haare schön

Das OLG Hamm jedenfalls verwies in seiner Urteilsbegründung 2006 darauf, dass es sich bei dem Satz "Alles für Deutschland" um die Losung der SA handele, "wie allgemein bekannt ist".

Sieht es das Landgericht in Halle genauso, droht Höcke eine Freiheitsstrafe zwischen einem Monat und drei Jahren oder eine Gelstrafe von bis zu 360 Tagessätzen.

So ist es in Paragraf 86 des Strafgesetzbuchs geregelt. 

Das SPD-Parteiorgan "Vorwärts" erklärt das Höcke-Zitat und die absehbaren Folgen

Schonungslose Umfrage: So glücklich macht uns die EU

Über den gesamten Zeitraum sehen die Zahlen nicht gut aus. Das ZDF hat deshalb bei der Berichterstattung des Cuttermesser angesetzt, so dass die Mainzer Grafiken nun ein besseres Ergebnis zeigen können.

Niemand sonst wollte es machen, viel zu über waren die Aussichten. Wer heutzutage daran geht, die Meinung der EU-Europäer zu ihrem Superstaat aus 27 Einzelinteressenregierungen zu erfragen, darf sich relativ sicher sein, dass er Mühe haben wird, dass alle Bemühungen um ein sogenanntes "stärkeres Europa" delegitimierende Desaster nicht einmal mehr von der ZDF-Meisterwerkstatt für mediale Manipulation (MMM) in Grafiken gepresst bekommen wird, die den Spaß am gemeinsamen Europa-Erlebnis betonen.  

Unbemerkt von der Öffentlichkeit

Auch die "letzte Umfrage vor der Wahl" (ZDF) musste die EU also selbst durchführen lassen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit widmete das "Eurobarometer" des Europäischen Parlaments eine ganze "Sonderausgabe" seines monatlichen Newsletters den erfragten Daten dazu "was die Bürger vom Europaparlament halten", wie das ZDF einen Monat später seine Zusammenfassung überschreibt. Sparsames Europa: Wie die "Sonderausgabe" bedeutete, dass es vom monatlichen "Eurobarometer" für den März keinen regulären Newsletter geben wird, bedeutet "Eurobarometer" auch, dass die Leitmedien in geübter Weise alles weglassen, was über "toll", "pure Liebe", "positiv" und "freue mich" hinausgeht.

Kaum verwunderlich, denn selbst das ZDF hat spürbar große Mühe, aus den apokalyptischen Zahlen, die das Eurobarometer sicherlich auch nicht ungewichtet zusammengestellt hat, eine Jubelarie zu stricken. Die damit betraute Luisa Billmayer müht sich, die Grafikabteilung der MMM gibt alles. Doch um das "Image des Europäischen Parlaments besser denn je" aussehen zu lassen, muss der Grafikausschnitt, den die EU selbst geliefert hat, schon kräftig mit dem Cuttermesser bearbeitet werden. Die ARD stand hier Pate mit ihrer Lobpreisung auf die fallenden Erzeugerpreise, einem Werk, aus dem alle relevaten Informationen entfernt worden waren.

Die Studie bezieht sich auf den Zeitraum 2007 bis 2023. 2008 meinten in der gesamten EU noch 48 Prozent der Befragten, dass das Europaparlament bei ihnen ein "total positives" Image genieße. Heute sind es nur noch 45 Prozent, in Deutschland fiel der Wert sogar von 49 auf 41 - weshalb das ZDF seine Datenerzählung in den Jahren der Finanzkrise beginnt, als es noch schlimmer war.

Ein herbeifantasiertes Steigen

Ein organisiertes Steigen, das die Ergebnisse des Eurobarometers bewusst und gezielt verfälscht, indem es sie auszugsweise darstellt. Obwohl die Studie zum Meinungsbild der Europäer allein schon fragwürdig ist, weil hier ein Auftraggeber über sich selbst Erkundigungen einziehen lässt, fühlt sich der Gemeinsinnsender aus Mainz noch bemüßigt, das größte teildemokratisch zusammengewählte Parlament der Welt besser dastehen zu lassen, als dessen Agitatoren es aufgrund der zusammengefragten Zahlen vermochten. 

Was den Mainzern nicht passt, wird weggelassen. Was nicht gefällt, wird relativiert. Was nicht dienen kann, muss draußen blieben. Und wo die EU wirklich mal eine vergleichsweise gute Figur macht, wird das nicht erwähnt, weil der Umstand, dass das Vertrauen der Menschen in die Demokratie in Deutschland noch weitaus schneller fällt als in der EU den zuständigen Propagandisten wohl als zu wenig aufmunternd erschien.

Der Zweck heiligt die Mittel

Was wirklich in der Unterlage steht, spielt keine Rolle. Zu trübe sind die Nachrichten, zu traurig das Ergebnis von so vielen Jahren des Versuchs, den Europäern einzureden, all die Regel und Richtlinien, in undurchsichtigen Hinterzimmerverhandlungen ausgewürfelt von Leuten, die dort auftauchen wie Kai aus der Kiste, unbekannt und ungewählt, seien das Gelbe vom Ei, sind offenkundig gescheitert. Nur noch 36 Prozent der EU-Europäer haben ein positives Bild vom EU-Parlament, im Vergleich zu 2021 sind mit nur noch 54 Prozent fast zehn Prozent weniger der Meinung, das EU-Parlament sei wichtig. In Deutschland stürzte der Wert gar von irrationalen 72 Prozent um knapp 20 Prozent auf nur noch 53.

Der Rest ist nicht besser. Nur eine Minderheit verbindet die EU mit positiven Erwartungen, obwohl eine Mehrheit immerhin glaubt, dass die Mitgliedschaft für ihr Heimatland positive Folgen hat. Nur eine Minderheit ist der Ansicht, dass ihre Stimme in der EU zählt, und nur 50 Prozent trauen den weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Vorgängen im EU-Parlament - positiv ist hier nur, dass die EU-Europäer ihren nationalen Parlamenten noch viel weniger trauen. 

Wunderbares Europa-Gefühl

Das sind verstörende Zahlen, aus denen sich kein wunderbares Europa-Gefühl zaubern lässt wie damals aus dem Friedensnobelpreis, den zu erringen seitdem keinem anderen Kontinent gelang. Das ZDF spart sich die Übermittlung der bösen Botschaften von skeptischen EU-Insassen, fehlendem Vertrauen und wachsenden Zweifeln an Sinn, Zweck und Art der Durchführung des Unternehmens. Viel lieber verbreiten sie Nachrichten, die zweifellos von einem anderen Kontinent auf einem anderen Planeten in einer anderen Galaxie kommen. Die Deutschen etwa - samt ihrer Nachbarn ohne deutschen Pass - bewegten derzeit am meisten Themen wie "Demokratie und Rechtsstaat" und "Zukunft Europas", heißt es. Erst danach folge "Migration und Asyl". 

Eine tiefe Spaltung in der EU, denn außerhalb der deutschen Grenze gehe es oft um soziale Themen wie "Armut bekämpfen" und "Gesundheitswesen", auch "Wirtschaft und Arbeitsplätze" sind im EU-Raum insgesamt wichtiger als in Deutschland, wo die Bundesregierung für all diese Dinge verlässlich sorgt. "Das Ergebnis lässt vermuten, dass die Menschen in Deutschland mit der sozialen Gerechtigkeit, dem Gesundheitssystem und der Wirtschaft insgesamt zufriedener sind als der Rest der EU." Verständlich, denn welche so grundversorgt wird, der lebt mit sich selbst im Reinen.


Freitag, 19. April 2024

Bürgerrat gegen Billigstrom: Steigender Sinkflug

Eingelöste Wahlversprechen: Mit dem richtigen Zeitausschnitt gelang es dem ZDF zuletzt, einen drastischen Rückgang bei den Strompreisen nachzuweisen.

Man weiß es nicht genau. Ist teuer gut? Oder wäre billiger besser? Zum Jahrestag des deutschen Atomausstieges ist ein Streit zwischen den Fachpolitiker der Bundesregierung, den Redaktionen des Gemeinsinnfunks und oppositionellen Kritikern etwa aus dem Sachverständigenrat und Wirtschaftsverbänden. Die Gesellschaft zeigt sich ein weiteres Mal gespalten, in den Jubel über Robert Habecks Erfolgsmeldung, dass der "Strompreis auch nach dem Atomausstieg gefallen" sei, wollen nicht alle einstimmen. Stattdessen werden Zweifel daran geschürt, dass Wind und Sonne keine Rechnung schicken.

Gefühlter Sinkflug

Während das ZDF "Strompreise im Sinkflug - trotz Atomausstieges" ermitteln konnte und die gelernte Sozialarbeiterin Britta Haßelmann mit grüner Expertise errechnete, dass die Bilanz ein Jahr nach dem Atomausstieg "klar positiv" sei, weil "alle Zahlen zeigen: Die Strompreise sind gesunken und die Versorgung sicher und verlässlich", quengeln andere über eine "Tendenz nach oben", Belastungen für arme Haushalte und absehbar noch weiter steigende Preise. Nur weil Strom immer noch so teuer ist wie kaum irgendwo sonst auf der Welt und der Industriestrompreis weiterhin ein Versprechen, von dem so wenig die Rede ist wie vom Klimageld für die Bürgerinnen und Bürger, seien Zweifel am richtigen Kurs nicht angebracht.
 
Betrachte man nur den Zeitraum vom Höhepunkt der Energiekrise bis heute und nur den Preis für neu abgeschlossene Verträge, dann gebe es keine hohen Preise. "Auf dem Höhepunkt der Energiekrise im Herbst 2022 lag dieser Preis bei bis zu 70 Cent pro Kilowattstunde", hat die ZDF-Meisterwerkstatt für mediale Manipulation ermittelt. Derzeit seien es "im Schnitt 26,1 Cent beim günstigsten Anbieter".

Mehr als nur ein kleines Wunder

Das ist der Preis, den die Deutschen im Durchschnitt vor zwölf Jahren bezahlten - also mehr als nur ein kleines Wunder. Schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, dem deutschen Ausstieg aus russischem Erdgas und Kernenergie und dem Beginn der Transformation des Landeds zu einer rundum elektrisch angetriebenen Volkswirtschaft hatten die Preise für Elektroenergie bei über 29 Cent pro kWh gelegen, damals nach Berechnungen der Süddeutschen Zeitung "ein Rekordhoch". 
 
Mittlerweile zahlen Haushalte, die weniger als 2.500 Kilowattstunden verbrauchen, im Durchschnitt 45,36 Cent pro Kilowattstunde - deshalb dürfen nach einem Beschluss des Wächterrats Medienfreiheit beim Bundesblogampelamt (BBAA) im mecklenburgischen Warin werden aktuell bei Siegesmeldungen über hohe Preise ausschließlich Neukundenverträge betrachtet.

Wächterrat Medienfreiheit

Was aber ist dieser Wächterrat Medienfreiheit, abgekürzt WRM, eigentlich genau? Nun, dabei handelt es sich vereinfacht gesagt um einen der neuen Bürgerräte, die als Ergänzung und Erweiterung des umfangreichen Bundesbeauftragtenwesens (BBW) für ein sicheres Strompreiserlebnis ohne "Debatten ohne Schaum vor dem Mund" sorgen sollen, wie es Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, formuliert hat. Im WRM sind zufällig ausgewählte Menschen versammelt, die ihre Erlebnisse schildern, keinen Hehl aus ihrer Zufriedenheit mit den erreichten Fortschritten machen und zudem frei heraus Empfehlungen für eine klimaneutrale Zukunft aussprechen sollen.
 
Eine der ersten war der Vorschlag, Strom günstig zu machen, ohne ihn billig zu verramschen. Zu geringe Energiepreise, wie sie sich die USA, China oder Kanada leisten, aber auch die anderen EU-Mitgliedsstaaten, die im Durchschnitt bei knapp 32 Cent pro Kilowattstunde liegen, gefährdeten das Klima, weil sie zum Überverbrauch einlüden. Wie die Bundesregierung setzt auch der WRM nicht auf ein ausgeweitetes Angebot, um die Preise zu drücken, auf den Wegfall von Steuern und Abgaben, die den Großteil der Energiepreise ausmachen, oder auf die Fortführung der Preisbremsen. Sondern auf Gewöhnungseffekte in der Bevölkerung, flankiert mit tröstendem Zuspruch.
 
Die Nachricht, dass das Vergleichsportal Verivox ermittelt habe, dass der Strompreis heute "fast acht Cent" niedriger liege "als noch vor genau einem Jahr", helfe den Menschen, indem es all denen Erleichterung verspreche, die bereit seien, sich klaglos mit dem neuen Preisniveau abzufinden. Zudem helfe es, die Akzeptanz für die anstehenden unerlässlichen Investitionen in den Rückbau der fossilen Infrastruktur und den Aufbau neuer, zukunftszugewandten Netze zu erhöhen.