Montag, 3. September 2012

Doku Deutschland: Wie ich mal Umweltbotschafter wurde

Das ist nichts, worauf ich wirklich stolz bin, das können Sie mir glauben. Ich habe mich da weder drum gerissen, noch konnte ich mich wehren, als es soweit war. Sie müssen sich das vorstellen wie ein Erbe, das Ihnen einfach so zufällt. Oder wie einen Orden, den man Ihnen verleiht, ohne dass Sie wissen, weshalb ausgerechnet sie.

Aber fangen wir mal von vorn an. Ich heiße Jürgen und ich war damals im Urlaub, das war noch zu meiner wilden Zeit als Mitglied im Kommunistischen Bund. Wir waren dem Kapitalismus an die Kehle gegangen und der röchelte schon. Manchmal, vor allem, wenn wir abends aus der Kneipe kamen, wo wir immer zusammen Marx lasen, konnte ich unter dem Röcheln schon den Gestank ahnen, den die Leiche beim Verwesen machen würde. Es ging nicht mehr viel für die Imperialisten, der Sozialismus erstarkte weltweit, die Befreiungsbewegungen und alles.

Urlaub haben wir dann mal in Marokko gemacht, das war so ein Trendziel, nicht mit Ryanair, sondern mit einem alten Hanomag-Bus, ich glaube, der war auch nur geborgt. Und im Grunde hatten wir eigentlich nach Griechenland gewollt. Aber Afrika klang auch gut und wir hatten frei, also haben wir uns auf den Weg gemacht. Unten dann war alles, wie es sein sollte. Die Solidarität der Völker, die Menschen sprachen auch französisch, die unberührte Natur, der Wille, die Südsahara nicht aufzugeben. Aber das ist ja nicht unser Thema.

Ich war an einem Abend, als wir ein Stück in die Wüste gefahren waren, ganz allein da draußen, allein mit einem Fläschchen Rotwein. Die anderen waren noch ein Stück gegangen, ich saß unter der Pergola an unserem Transporter und schaute der Sonne beim Untergehen zu. Sie wissen es vielleicht schon, aber wenn man es genau betrachtet, kann man der Sonne beim Untergehen leider gar nicht zuschauen, weil sie immer schon neun Minuten untergegangen ist, wenn man sieht, wie sie untergeht. So lange braucht das Licht von dort bis hier.

In solchen Momenten kümmert einen das aber nicht. Ich sitze also da und nehme immer mal einen Schluck und ziehe an meiner Wasserpfeife und auf einmal höre ich eine stimme. Nicht so wie Gott, aber doch imponierend. „Du sollst mein Umweltbotschafter sein“, sagte der Mann, den ich nicht sehen konnte. Aber seine Präsenz war imponierend! Ich hustete vor Aufregung und verschluckte mich am Wein. Dann fragte ich freiheraus, was das sein sollte, ein „Umweltbotschafter“.

Die Auskunft war leider nicht sehr konkret. Ich solle acht geben, dass wir die Erde, die wir nur von unseren Enkeln geborgt hätten, die sie wiederum nur von ihren Enkeln borgen würden, gut behandelten. Umweltschutz und Tierliebe seien wichtig, der Klassenkampf müsse so lange warten.

Mir war augenblicklich klar, dass ich meine Berufung gefunden hatte. Ich kehrte nach Deutschland zurück, gründete die Grünen, wurde Umweltminister und schließlich sogar Umweltbotschafter bei Werder Bremen, wo ich dafür sorgte, dass mit der Citibank-Tochter Targobank ein moralisch und ökologisch einwandfreies Unternehmen Trikotsponsor wurde. Ja, ich fühle, dass ich die Welt zu einem besseren Ort gemacht habe. Und am Ende bin ich noch lange nicht!

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2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Nur für's Protokoll, da es keinem der mitlesenden Astronomielehrer auffiel:
Die Sonne bewegt sich nicht um die Erde. Der Sonnenuntergang, also die Projektion des Erdschattens zum Betrachter, vollzieht sich nach Maßstäben des Alltags in Echtzeit.
Die scheinbare Bewegung der Sonne auf der Ekliptik ist der direkten Beobachtung mit bloßem Augen auch nicht zugänglich (etwa dreihundert Mal langsamer als der Stundenzeiger einer Uhr).

ppq hat gesagt…

ich würde da trotzdem eher dem jürgen vertrauen, der trägt politische verantwortung!