Dienstag, 15. Februar 2011

Nicht genug Zivilcourage

Akt zivilen Ungehorsams, tat aus Trunkenheit oder einfach zu wenig Zivilcourage? Wie das Handelsblatt berichtet, verweigert die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, die Annahme des Europäischen Kulturpreis für Zivilcourage ab. Sie werde die Auszeichnung nicht annehmen, teilte die 52-Jährige mit, nachdem PPQ gestern bereits berichtet hatte, dass Käßmann alle Termine absagt.. Grund sei, vermutet das "Handelsblatt", "die Alkoholfahrt im Februar des vergangenen Jahres". Diese Fahrt und der nachfolgende Rücktritt der von Hannover aus stets unumwunden für den Weltfrieden eintretenden Protestantin waren in einigen wenigen Medien auch als Anlass für die Preisverleihung genannt worden.

Dabei habe die Auszeichnung "in erster Linie ihrem bisherigen Lebenswerk als Seelsorgerin" gegolten und erst in zweiter Linie dem mutigen Überfahren einer roten Ampel mit 1,5 Promille. Sie habe deshalb keine andere Möglichkeit als den Preis abzulehnen, begründete Käßmann ihre Entscheidung. Gegen den Widerstand der Preisträgerin will auch die Stiftung kein Lebenswerk mehr ehren. "In diesem Klima der gnadenlosen Intoleranz vor ihrem übrigen Lebenswerk" wolle man "eine Preisverleihung nicht vornehmen."

Sonne, Sand und Socialismo: Sozialdemokraten auf Menschenschinder-Urlaub

Aber mal echt jetzt, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel. Die EU muss für Demokratiebewegung in Nordafrika mehr eintreten! Letzten Monat noch war das nicht klar, weil niemand wusste, dass sich hinter der biederen Fassade des Hosni Mubarak die hinkende Fratze eines Despoten versteckte. Aber jetzt, wo es raus ist, bietet nicht einmal mehr der SPD-eigene SPD-Reiseservice"Urlaub mit viel Spaß, guter Laune und ein bisschen Erholung vom Alltag mit vielen neuen Erfahrungen und Erlebnissen" in die vom Militär frisch demokratisierte Region an.

Die urlaubshungrige deutsche Sozialdemokratie muss ausweichen, in andere Länder, die der "Reiseveranstalter der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, ein Service für Mitglieder und Freunde der SPD" (Eigenwerbung) zu Hauf im Programm hat. So geht es etwa nach Äthiopien, wo Menschen mit dem Herz auf der linken Seite "eine faszinierende Natur: Gebirge, Krater, Grassteppen, eine vielfältige Tierwelt, Wasserfälle" erleben und "besonderen Menschen" begegnen. Menschen mit besonderem Geschmack, die dem seit 1995 regierenden Meles Zenawi 99,6 Prozent der Stimmen und 545 der 547 Parlamentssitze in Volksrepräsentantenhaus zusprachen.


Ist ja auch hübsch da, wo Homosexualität illegal ist und mit Haftstrafen von bis zu zehn Jahren bestraft wird. Zenawi ist trotzdem ein Guter, denn schon 2006 reihte er sich ein in den Kampf gegen den Terror und ließ somalische Städte, die unter der Kontrolle der Union islamischer Gerichte standen, bombardieren. dass bisschen Folterei, die 20.000 geschlachteten Gegner, Folter und Diskriminierung von Minderheiten, Duldung von Beschneidung und Kinderheirat - für nur 2195 Euro wird eine Menge geboten.

Noch billiger allerdings ist die Reise nach Kuba, einem traditionellen Herzensland der deutschen Linken, dessen Führer Fidel Castro in Deutschland ganz im Gegensatz zu Hosni Mubarak noch niemals "Despot" genannt wurde. Für 2.089 Euro (p.P. im Doppelzimmer mit anderem Genossen) gibt es hier "keine „Ferienschule der Partei" (Eigenwerbung), sondern "Sonne, Strand und Meer, Musik, Rum, Zuckerrohr, Tabak, Zigarren, Lebensfreude, Fidel Castro, Che Guevara und Ernest Hemingway". Eine wundervolle Mischung also abseits des politischen Tagesgeschäfts.

Was will man mehr? "Kaum ein anderes Gesellschaftsmodell ist mit so vielen Klischees, Spekulationen und Wunschträumen behaftet wie Kubas „socialismo tropical”, zwischen romantischer Verklärung auf der einen und aggressiver Diffamierung auf der anderen Seite", informiert das offizielle Reisebüro der deutschen Sozialdemokratie, dem zwar schwant, dass "das Kuba nach Fidel Castro gewiss in vielerlei Hinsicht ein ganz anderes werden" wird. Das sich bis dahin aber ebensowenig wie die Parteiführung mit irgendwelchen Protesten gegen äthiopische oder kubanische Diktatoren aufhält.

Lieber schnell noch mal hinfliegen, um sich "von der liebenswerten Mentalität der kubanischen Bevölkerung begeistern" zu lassen und sich dann "noch ein paar erholsame Tage an den weißen Sandstränden von Guardalavaca" gönnen. Wer weiß, wann auch hier durch irgendwelche ungeplanten Volkserhebungen rauskommt, dass Fidel, Raul und Meles Zenawi gar nicht demokratisch gewählt sind und man sich schleunigst von ihnen distanzieren muss.

Bad Bank: Abheben bei der SPD

Auch Dich haben sie schon genauso belogen

Alles Lüge, hätte Rio Reiser gebrüllt, "auch dich haben Sie schon genauso belogen", hätte Hannes Wader gewusst. Fernsehen ist nur Show, und was für eine verlogene, wie das ZDF auch zum 30. Geburtstag seiner erfolgreichsten Sendung "Wetten, dass..." zu beweisen wusste. Eine "Stadtwette" wurde der Fernsehnation verkauft, die da lautete: Wetten, dass es Halle nicht schafft, bis zum Ende der Sendung 500 Menschen zusammenzubringen, die auf Flaschen Händels "Halleluja" blasen?

Sie schafften es, natürlich, denn in den Wochen zuvor hatte der Sender alles so liebevoll organisiert, damit auch nichts schiefgehen konnte. Von wegen spontane Wette, von wegen Zeit bis zum Ende der Sendung. Die Vorbereitung auf den Blasauftritt, den zehn Millionen Zuschauer für das Ergebnis einer kollektiven Kurzzeit-Anstrengung hielten, lief schon seit Wochen. Am 5. Februar bereits verpflichtete das ZDF das Berliner Glas-Blas-Sing-Quintett als Vorbläser für die allein nicht ausreichend melodienfesten Händelstädter. Drei Tage vor der Sendung wurde dann damit begonnen, Mitarbeiter der örtlichen Behörden mit Informationen darüber auszurüsten, was in etwa gefragt sein könnte. Am Tag der Veranstaltung schließlich ließ der Sender sogar ganz offiziell wissen, welche Sorten Flaschen zum Public Viewing auf dem Marktplatz mitbringen müsse, wer an der spontanen Stadtwette teilnehmen wolle.

Ein Vorgehen mit System, denn so agiert das ZDF seit Jahrzehnten. Der Erfolg muss organisiert werden, dabei ist es egal, wer die Stadtwette gewinnt, Hauptsache, es machen viele mit. Fernsehen, das so tut, als bilde es Wettbewerb ab, das aber nur umso mehr Illusion ist: Zehn Millionen Zuschauer glauben, der Bewöltigung einer Herausforderung zuzuschauen. Und was sie sehen ist ein Theaterstück.

Schon als Halle vor fünf Jahren "Wetten, dass..."-Gastgeber war, stellte Gottschalk zu Beginn der Sendung die Aufgabe, 43 Stadträte in einer Straßenbahn zu versammeln, die zur Sauna umgebaut werden müsse. Komischerweise waren sowohl die Straßenbahn als auch der Saunaofen schon da, eine Telefonzentrale war eingerichtet, die Stadträte herbeizurufen. Halle gewann seine Wette.

Wie auch dieses Mal gewonnen wurde, was nicht zu verlieren war. Während die Zuschauer überall im Land staunten, wie musikalisch die Urenkel Händels dessen "Halleluja" nach nur wenigen Minuten Übens über die Rampe brachten, hörte der aufmerksame Zuschauer, dass das fünfköpfige Glas-Blas-Sing-Orchester vor offenen Mikrophonen trötete, die flaschenblasende Menge hingegen nur die Grundtöne lieferte. Wette gewonnen, hieß es am Ende - nur dass Thomas Gottschalk das "wohl nicht erwartet" hatte, wie die einzig wahre deutsche Nachrichtenagentur dpa meldete, darauf sollte man lieber nicht wetten.

Erregungstheater

Dass nun gerade Thea Dorn für Thilo Sarrazin in den Ring gestiegen ist, hat uns vom Harmonie-Board PPQ dann doch ein bisschen überrascht.

Montag, 14. Februar 2011

Bis zur Neige

Von wegen, Zivilcourage lohnt sich nicht. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, erhält für ihren Rücktritt nach einer betrunken absolvierten Autofahrt den Europäischen Kulturpreis für Zivilcourage. Die Kulturstiftung Pro Europa, die zuvor schon todesmutige Menschenrechtspreise an "Die friedlichen Demonstranten von Dresden" und das Königlich-Norwegisches Nobelkommitee verliehen hatte, ehrt damit den ungewöhnlichen Mut, mit dem Käßmann von ihrem Amt zurückgetrat, nachdem sie mit mehr als 1,5 Promille Alkohol im Blut am Steuer ihres Wagens gestoppt wurde.

Kurz zuvor hatte die höchste Würdenträgerin der Evangelischen Kirche in Deutschland mit ihrem Dienstwagen eine rote Ampel überfahren, daraufhin hatte ein Streifenwagen sie gestoppt. Kaum vier Tage und rund 4000 Schlagzeilen nach dem Vorfall, der durch einen Polizisten unter der Hand öffentlich gemacht worden war, zog Käßmann mit unfassbarer Tapferkeit die Konsequenzen. Sie sagte alle Termine ab (Bild oben). Später legte dann auch noch den Ratsvorsitz und ihr Amt als Landesbischöfin nieder.

Die Auszeichnung, die Anfang März in der Frankfurter Paulskirche verliehen wird, gebühre ihr, weil sie sich mangels anderer Alternativen "zu ihrer persönlichen Verantwortung bekannt" habe, loben die Preisverleiher, die alljährlich mehrere Dutzend Preise für alles und nichts in Umlauf bringen und damit nach eigener Aussage "europäische Kultur motivieren". Mit ihrer Sauffahrt habe Käßmann erheblichen Mut bewiesen, heißt es bei Pro Europa, sie sei zum Vorbild für andere Personen des öffentlichen Lebens geworden.

Das war nicht zu übersehen: Kurz nach Käßmann traten Bundespräsident Horst Köhler, der hessische Ministerpräsident Roland Koch, Tunesiens Präsident Ben Ali, der ägyptische Präsident Mubarak und der entertainer Michael Gottschalk von ihren Ämtern zurück. Käßmann, die sich ein Leben lang für eine sofortige weltweite Auflösung aller Armeen eingesetzt hatte und dabei stets forderte, man solle damit nicht bis zur Zustimmung der Taliban warten, hatte zuvor schon mehrfach den Preis für die beste Predigt gewonnen, dafür war sie dann mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Derzeit lehrt Margot Käßmann an der Ruhr-Universität Bochum Sozialethik, einen Teilbereich der Ethik, der sich vorwiegend mit den gesellschaftlichen Bedingungen des richtig guten Lebens befasst.

Ungeheuerlich: Nazis in der NPD

Es ist ein richtig dicker Hund, den die "Taz" da ausgegraben hat. Mit der Veröffentlichung tausender E-Mails aus dem internen Schriftverkehr der NPD zeigt das Blatt aus der Hauptstadt, dass kritischer Journalismus auch im Zeitalter der Häppchen-News eine Chance hat. Gleichzeitig bietet sich hier erstmals ein tiefer Einblick ins Innerste der Partei.

Und was dort zu sehen ist, erschreckt, alarmiert, ruft alle friedlichen Kräfte der Gesellschaft zu anhaltender Achtsamkeit. Denn wie die aus insgesamt mehr als 60.000 Mails aus dem internen Briefverkehr der NPD zeigen, handelt es sich bei der Partei offenbar nicht wie bislang angenommen um eine demokratische Organisation zum Hüpfburgenverleih, zu dem sich fröhliche junge Leute zusammengeschlossen haben. Vielmehr fänden sich unter den zum Teil auch häßlichen Mitgliedern nicht nur Christen, Rechtsanwälte und selbständige Handwerksmeister, sondern auch Rechtsextremisten, Rechtsradikale und sogar Neonazis.

Daran kann kein Zweifel bestehen, berichtet die Taz. Experten hätten die Echtheit der Mails, die größtenteils zwischen März 2010 und Januar 2011 verschickt worden seien, sorgfältig geprüft und für echt befunden. Unter den elektronischen Papieren befindet sich danach auch Schriftverkehr zwischen den führenden Köpfen der NPD, aber auch Anweisungen an örtliche Kader, Rechnungen, Mitgliederlisten und Darlehensverträge. In diesem sei erstmals zu sehen, dass selbst in der Führungsetage der NPD menschenfeindliche, rassistische und neonazistische Ideologie verbreitet sei. Oft gehe es auch um Geld, in anderen schreiben ist von Wahlkämpfen die Rede. Hier habe sich die NPD offenbar vorgenommen, Stimmen zu holen. Dazu wolle sie besonders dort Wahlkampf machen, wo sie ihre Chancen als gut einschätzt.

Ungeheuerlich, zumal NPD-Kader einander mit der strafbaren Formel «mit Deutschem Gruß» begrüßen oder ihre Mails mit der Abkürzung «88» beenden, wenn sie nicht gerade miteinander streiten und sich gegenseitig »Arbeitsverweigerung« und »Kindergartenniveau« vorwerfen.

Die solchermaßen bloßgestellte NPD, die jetzt nie mehr wird behaupten können, sie sei die neue linke Kraft der Mitte, hat Strafanzeige gegen den Diebstahl der Daten gestellt. Taz und "Spiegel" sind inzwischen an weiteren Enthüllungen dran: So gibt es Hinweise darauf, dass Gregor Gysi Mitglied einer Partei ist, die früher anders hieß. Erich Mielke soll zu Lebzeiten doch mit der Stasi zu tun gehabt haben. Und aus dem Mailserver des Vatikan konnten 17,6 Gigabyte Daten extrahiert werden, die vermuten lassen, dass es sich bei Papst Benedikt um einen Katholiken handelt. Experten haben die Unterlagen unterdessen geprüft und für echt befunden. Damit sei die Frage geklärt, hieß es im politischen Berlin, warum Benedikt nie zum Vorsitzenden der EKD gewählt worden sein.

Zu Gast beim Staatsfeind Nummer klein

Sonntag, 13. Februar 2011

Westernhagen bringt die Wende

Alles neu macht der Februar beim Fußball-Regionalligisten Hallescher FC. Nach einer Vorrunde, in der die Mannschaft von Trainer Sven Köhler das allmähliche Verlöschen einer Kerze auf dem Fußballplatz nachstellte, hat der kurz vor dem Nicht-mehr-ganz-unumstritten-Sein stehende Coach in der Winterpause mehr durcheinandergewirbelt als in den drei Jahren seiner Tätigkeit zuvor. Vom System mit einer Spitze und zwei stürmenden Mittelfeldspielern auf den Außen wechselte der Chemnitzer zu einer Variante mit zwei nominellen Spitzen in der Mitte. Statt des erfolgreichsten Hinrunden-Akteurs Pavel David darf der 20-jährige Selim Aydemir von Anfang an ran und anstelle des Fußballgottes Thomas Neubert startet Notkauf Alan Lekavski. Der Änderungen nicht genug: Außenverteidiger Telmo Texeira sitzt auf der Bank, für ihn spielt sein Vorgänger Philipp Schubert, der eigentlich auf einen Einsatz im Mittelfeld gehofft hatte. Dort aber darf neben Benjamin Boltze zum ersten Mal Martin Fiebiger ran, der aus dem Nachwuchs stammt.

Alles anders bedeutet freilich nicht alles besser. Der HFC hat das Spiel von der ersten Minute an im Griff, Lekavski und Aydemir aber sind so eifrig, dass der Linienrichter bis zur Halbzeit mehr als ein Dutzend Mal abseits winkt. Nicht immer liegt er richtig, so dass im weiten, bei 1200 Zuschauern halbtot wirkenden Oval wenigstens ein bisschen Stimmung aufkommt. Die wenigen Angriffe, die an Abwehr und Linienrichter vorbeikommen, landen im Toraus oder bei ZFC-Torwart Dix, dessen voluminöser Körperbau ihn nicht hindert, einige schöne Flugeinlagen zu zeigen.

Die Tordiät, die während der Hinrunde gereicht wurde, wird so auch diesmal aufgetischt. Selim Aydemir, nach einem Galaauftritt zum Rückrundenstart in Cottbus eigenem Bekunden nach schon beinahe türkischer Nationalspieler, müht sich zwar. Doch von Nebenmann Alan Lekavski kommt wenig, von Kanitz und Boltze dahinter so gut wie nichts. Immer ist noch Meuselwitzer Bein zwischen Abspieler und Anspielstation, Lindenhahn läuft sich fest, Aydemir schießt, wo er gut noch einmal abspielen hätte können. Wenigstens scheint Meuselwitz nicht mit Ambitionen angereist zu sein: Die Zipsendorfer verteidigen die Mittellinie, überschreiten sie aber nur selten. Und dann in aller Vorsicht.

Alles sieht nach einem der Spiele aus, in denen die Hallenser vor Köhlers Amtsantritt bis zur 87. Minute dominiert und geführt haben, um dann durch einen Glückstreffer des Gegners jeweils noch den Ausgleich zu kassieren. Was nach optischer Überlegenheit aussieht, verdankt sich der Unterlegenheit des Gegners, nicht eigenem spielerischen Zauber.

Zumindest bis Sven Köhler zwei seiner vier Änderungen zurücknimmt. In der 64. Minute, sechs Minuten vor der Zeit, in der er traditionell wechselt, nimmt er Lekavski und Schubert vom Platz und bringt den offensiveren Außerverteidiger Texeira und den vom Fanblock mit höhnischem Applaus begrüßten Thomas Neubert. "Jetzt wechselt er den Sieg ein", zürnt die Holztribüne, die Neubert eine gewisse Unbeholfenheit am Ball und einen Hang zu vergebenen Großchancen vorwerfen.

Die Kritiker behalten Recht. Noch keine zehn Minuten ist der linkische Lulatsch nicht zum Kopfball hochgestiegen, weil er groß genug ist, den Ball auch so nicht zu bekommen. Und auf einmal steht Aydemir nach einem Freistoß von Boltze frei und köpft den Ball aus Nahdistanz ins Netz. Es folgen zehn Minuten, in denen der HFC daran arbeitet, einen jener schäbigen Siege zu erarbeiten, an die sich später nicht einmal mehr die erinnern werden, die auf dem weg nach Hause in eine Polizeikontrolle geraten. Doch dann schlägt die Sekunde des Thomas Neubert, der im Strafraum sich und der gesamten ZFC-Abwehr so im Wege steht, dass der Ball bei Toni Lindenhahn landet. Der schießt ihn rein.

Nun geht es im Drei-Minuten-Rhythmus weiter: Gasch trifft auf der Gegenseite auf 20 Metern, nachdem die HFC-Abwehr vier Meuselwitzern die Wahl gelassen hatte, wer denn nun jetzt das Tor machen will. Noch mal drei Minuten später ist wieder Aydemir dran, der mit einem von Lindenhahn an der Mittellinie eroberten und schnell weitergeleiteten Ball 30 Meter dribbelt, Torwart Dix mit einer Körpertäuschung zu einem Hechtsprung in den leeren Raum veranlasst und dann aus spitzem Winkel ins leere Tor einschiebt. Spiel, Satz und Sieg, Aydemir geht unter Applaus ab, Pavel David darf sich den Schlusspfiff auf dem Feld anhören. "Danke, Neubi!", ruft einer auf der Holztribüne, der verstanden hat, was hier gespielt wird.

ZDF: Wunderbare Werbe-Welt

Ein großer Tag für Halle, ein großer Abend für Rolf Rateiczik, den führenden Flaschensammler der Saalemetropole. Das ZDF ist in der Stadt, angeführt von Thomas Gottschalk, neben dem früheren Führer und Reichskanzler Adolf Hitler der zweitliebste Fernsehmoderator der Deutschen. Gottschalk, der mit "Wetten, dass..." genau aller zwei Jahre Station an der Saale macht, hat Prominente mitgebracht. Das schwedische Duo Roxette, die ehemalige Boyband Take That und einen volltrunkenen Udo Lindenberg, dazu aber auch noch eine sogenannte "Stadtwette", für die Halles Einwohner auf leeren Flaschen eine Melodie des einst aus der Saalestadt nach London geflohenen Komponisten Händel blasen sollen.

Mit 20.000 Fans rechnen die Stadtverwaltung und örtliche Medien vorher, 3.000 sind dann wirklich da. Es schneit und während es dem ZDF wie stets gelingt, mehr Schleichwerbung für allerlei Produkte der Unterhaltungsindustrie in der Sendung unterzubringen als private Sender in ihre Werbepausen pressen könnten, steht vor allem die erlebnishungrige Jugend der altgewordenen Salzstadt bei Thüringer Bratwurst und Bier vor der "19-Quadratmeter-Leinwand" (dpa) und staunt, wie Männer mit Salamistückchen golfen oder Bierflaschen vor aller Augen mit dem Ohr öffnen.

Fernseh-Grundversorgung, für die kein Gebührencent zuwenig ausgegeben wird, lernt sich das Gemeinwesen doch genau in diesen Momenten kennen. Ja, jedes Land hat die Fragen zu beantworten, die es sich selbst stellt. Deshalb harren die Menschen in Kairo auf dem zentralen Platz der Stadt noch aus, obwohl Europa den durchgeführten Militärputsch zum Sturz Mubaraks einstimmig begrüßt hat. Deshalb stehen in Halle alle Münder auf dem zentralen Platz offen, als Gottschalk seinen Abschied noch vor den Neuwahlen in Ägypten ankündigt. Wieder ein Zeitalter zu Ende, zum dritten Mal nach Honecker und Kohl geht einer, der immer da war, so lange jedermann denken konnte. Und zum dritten Mal geht er nicht freiwillig. Er will auch nicht wieder kandidieren, verspricht er, eventuelle Konten in der Schweiz werden deshalb, im Unterschied zu denen Mubaraks, nicht "eingefroren" (dpa).

Jetzt aber erstmal eine unfallfreie Sendung machen! Fernsehen ohne Krankenwagen, eine Herausforderung. Doch die Stadtverwaltung hat vorgesorgt. Der Straßenbahnverkehr ist eingestellt, die Stadtmitte ausnahmsweise beleuchtet. Alles, was Beamtenbeine hat, ist im Einsatz, um den Wettgewinn zu gewährleisten, von dem - so die Überzeugung der Rathausspitze - das Ansehen der Stadt im In- und Ausland abhängt. Tage vorher schon hatte das ZDF über die "Bild"-Zeitung durchsickern lassen, mit welcher Herausforderung zu rechnen sein würde. Zeitungen bildeten die als Blasinstrumente mitzubringenden Flaschenmodelle ab, städtische Angestellte und Mitarbeiter städtischer Firmen hingen in einer Alarmkette, um sofort einzuspringen, wenn es die Wettsituation erfordert.

Sie erfordert es nicht. Die Tonregie schiebt die Regler für die fünf Vorbläser auf der Bühne einfach etwas hoch, so dass vom musikalischen Volkssturm auf dem Platz nur ein diffuses Klingeln und Tröten zu hören ist. Händels "Halleluja" ist damit selbst für Thomas Gottschalk eindeutig identifizierbar. Lächelnde Gratisfreude in der Messehalle. Glückliche Umarmungen vor der Bühne auf dem Markt. Halle hat es wiedermal der ganzen Welt gezeigt. Das macht Hoffnung auf Investoren. Die meisten Flaschen, die nun als Instrumente ausgedient haben, zerklirren auf dem schneeregennassen Pflaster, das seinerzeit aus Vietnam importiert worden war, weil es in Deutschland keine Steine mehr gibt. Den Rest sammelt dann Rolf Rateiczik ein.

Samstag, 12. Februar 2011

Hitlerbarbarei: Gemeinsam sind wir stark

Eines der vielen nie öffentlich ausgesprochenen Motti von PPQ war schon immer der am 2. September 1945 von Wilhelm Pieck begründete Grundsatz des bedingungslosen
"Stadt und Land - Hand in Hand", das der spätere Bundespräsident Johannes Rau nach fester Überzeugung der gescheiterten NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft viele Jahre später noch einmal erfunden hatte. Selten nur aber lässt sich der Anspruch, Metropole und Provinz "in einem Atemzug zu leben", wie es der Sänger Jovanotti in seinem Meisterwerk "Mi fido di te" nennt, so konsequent umsetzen wie im Kampf gegen rechts, der die Redaktion beinahe täglich auf die Barrikaden ruft. So auch kürzlich, als durch Recherchen des größten Boulevardblattes im Land einmal mehr bekannt wurde, dass es ein Kartenspiel gibt, auf dem Adolf Hitler, der frühere Führer und Reichskanzler und heutige Fernsehmoderator, frech als er selbst abgebildet ist.

Ein Vorfall, den sich die Redaktion nicht scheute, gemeinsam mit unseren Alliierten beim Internetkonzern Google, die das Erscheinen von PPQ in kalter Zeit ermöglichen, mutig anzuprangern. "Schlimm! Immer wieder dieser Hitler!", sollte ursprünglich ein längeres Dramolett werden, welches das Burgtheater in Wien als Ballett für Puppen aufführen wollte. Die aufkommende Unruhe in Kairo, die in tagelanger Ungewissheit darüber gipfelte, ob Hosni Mubarak nun zurückgetreten sei oder nur seine Macht abgegeben habe, warf dann jedoch alle Pläne zur blitzkrieghaften Demokratisierung Österreichs mit den Mitteln von Musik und Tanz über den Haufen. Das Burgtheater entschloss sich, das bereits fertige Stück "Das Begräbnis" von Thomas Vinterberg zu spielen, das Hinrich Schmidt-Henkel vorsorglich bereits aus dem Dänischen übersetzt hat.

Die aufrüttelnde PPQ-Zeile aber stellte sich virtuell in den Dienst der guten Sache, ein engagierter Beitrag des flachen Landes, um dem gerade im Vorfeld der Landtagswahlen und der "Fußballfrauen-WM" (20er) Vormarsch des Applauses von der falschen Seite "einen Riegel vorzuschieben" (Angela Merkel). Google empfiehlt sie auf entsprechende Anfragen, wie sie mit fortschreitender Faschisierung der Gesellschaft ja immer öfter gestellt werden, noch vor einem warnenden Text des Hamburger Großstadtmagazins "Der Spiegel", um wankende Demokraten zurück in die fest geschlossenen Reihen des Widerstands zu holen: Stadt und Land, zusammen gegen die Hitlerbarbarei!

Freitag, 11. Februar 2011

Ende der Durchsage

Mit 93 Jahren und dem Büchlein "Empört euch!" feiert Stéphane Hessel ab sofort auch in Deutschland große Erfolge. Okay, bei Amazon sind die von Ullstein verlegten 32 Seiten noch nicht zu haben. Doch wenn jemand gegen den "Tanz um das Goldene Kalb" wettert, ist ihm der Triumph kaum noch zu nehmen. Der greise Mahner mahnt - und das scheint zu reichen, um die Schlagzeilen zu bestimmen. Hessel nimmt die "Macht des Geldes", den "Abstand zwischen den Ärmsten und den Reichsten" sowie das "materialistische Maximierungsdenken" in die Mangel - und greift doch komplett daneben. Denn wenn man jeden beliebigen Pharao, Alexander den Großen oder auch nur Ludwig XIV. zum Maßstab erklärt, dürften Sätze wie "die Macht des Geldes" sei "niemals so groß, so anmaßend" gewesen wie heute, doch erheblich an Pathos verlieren. Einem leibeigenen Bauern sollte das einleuchten: Seinem Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel geht es tausend Mal besser als ihm selbst.

Mubarak-Rücktritt: Was wusste Karl May?

Rätsel der Wissenschaft, Grauen der Gegenwart. Offenbar verfügte der sächsische Schriftstellers Karl May bereits vor 130 Jahren über Kenntnisse der Charakterzüge des ägyptischen Despoten Mubarak, die der gesamten demokratischen Politik des Westens noch vor drei Wochen verborgen geblieben waren. May, der offiziellen Angaben zufolge nie in Ägypten war, hatte zwischen 1881 und 1888 in der Zeitschrift “Deutscher Hausschatz in Wort und Bild” entsprechende Warnungen veröffentlicht, die allerdings ungehört blieben, obwohl die von ihm eingeführte Figur des "Mübarek" unschwer als Mubarak zu erkennen ist.

Der Mübarek (Bild links Mitte) ist laut Karl May ein Mitglied der Verbrecherorganisation rund um den Schut, der der Romanreihe den Namen gab. In der kleinen Stadt Ostromdscha gibt er sich zunächst als heiliger Mann aus, der sich in der Bevölkerung durch seine „klappernden Gebeine“ Ehrfurcht verschafft. Das Volk fürchtet den Mübarek, andere Verbrecher achten ihn. In Wirklichkeit aber ist der angebliche Zauberer identisch mit einem herumlungernden Armen namens Busra, der auf Krücken geht. Wenn er von einer Rolle in die andere wechselt, versteckt er seiner Krücken unter der weiten Kutte, die unter seinem weiten Gewand klappern wie Knochen. Der Mübarek dient der Stabilität der Handlung und ist über weite Strecken nicht wegzudenken, so dass er im Kino-Film Der Schut vom österreichischen Schauspieler Friedrich von Ledebur gespielt werden musste. Moralisch ist das Handeln des Mannes jedoch fragwürdig: Im Buch versucht er mehrmals, Kara Ben Nemsi zu töten, ehe ihm schließlich mit Hilfe der ganzen Weltgemeinde das Handwerk gelegt werden kann. Der Mübarek wird dann unter großem Jubel fortgejagt, er kehrt auch nicht mehr zurück.

Verbot der Woche: Alkohol in Kneipen

Zum Kampf gegen die Alkoholsucht will die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), alkoholische Getränke aus Gaststätten verbannen und strengere Auflagen für die mehr als vier Millionen Lokale in Deutschland durchsetzen. Alkohol habe das «höchste Suchtpotential von allen Getränken», sagte Dyckmans in der «Süddeutschen Zeitung» vom Mittwoch. Deshalb müsse die Regierung hier tätig werden.

Auf viele Kneipen kommt damit nach dem Rauchverbot nun möglicherweise die nächste Einschränkung zu. Die rund 14,5 Millionen Alkohol-Verkaufsstellen, die es derzeit dort wie auch in Tankstellen, Einkaufszentren oder Flughäfen gibt, sollen nach dem Willen von Dyckmans künftig alkoholfreie Waren anbieten. Schon heute dürften Gaststättenbesucher unter 18 Jahren weder Bier noch Spirituosen trinken. Die Vorschrift wird jedoch Dyckmans zufolge «meist nicht eingehalten». Es sei kaum möglich, die Gaststätten zu beaufsichtigen und vorbeugende Maßnahmen gegen den alkoholausschank sicherzustellen. «Viele Jugendliche werden dort anfällig für den Alkohol», sagte sie. Der Grundstein für eine Sucht werde schon im Jugendalter gelegt.

Nach Angaben von Dyckmans sind bis zu drei Millionen Menschen in Deutschland dem Schnaps verfallen. Sie seien in Gefahr, viel Geld zu verlieren. Konflikte in der Familie und am Arbeitsplatz seien die Folge (Foto oben). Deshalb müsse der Staat mehr für die Prävention tun, damit die Menschen erst gar nicht süchtig werden. Bei den staatlichen Kantinen und im Bundestagsplenarsaal und ist das bereits der Fall. Die dafür zuständigen Bundesländer haben strenge Auflagen verfügt. So werden in der Bundestagskantine die Gäste namentlich erfasst. Wer süchtig nach Bier, Wein oder Korn ist, erhält deutschlandweit ein Zutrittsverbot.

Mehr aus der bürgerschaftlich engagierten Reihe Verbot der Woche
und lauter Applaus für eine saubere Zukunft bei Prauprganda.

Kairo statt Krauschwitz

Trauer, Wut und Scham weltweit, nachdem Hosni Mubarak sich geweigert hat, zurückzutreten. Der jüngste Diktator der Welt - Mubaraks despotische Methoden waren erst vor drei Wochen aufgedeckt worden - will zwar Macht abgeben, sträubt sich aber dagegen, einen von Guido Westerwelle und Barack Obama vorgeschlagenen Nachfolger zu ernennen.

Den Grund dafür decken jetzt Enthüllungen der "Bild"-Zeitung (Foto oben) auf: Wie die Reporter dort herausfanden, hat sich der zuletzt in Sachsen-Anhalt als SPD-Rebell in Erscheinung getretene Hans Püschel entschlossen, bei den anstehenden Wahlen in Ägypten als Nachfolger des demnächst zurückgetretenen Diktators Hosni Mubarak angeboten. Der umstrittene Mitgründer der SPD im westlichsten der östlichen Bundesländer wolle als parteiloser Kandidat für die erst kürzlich aus der sozialistischen Internationale ausgeschlossenen Regierungspartei NDP kandidieren, meldet das Blatt.

Experten scheint Püschel ein idelaer Übergangskandidat: Der 62-Jährige ist verglichen mit Mubarak jung genug, um schnell das Ohr der Jugend gewinnen, hieß es. Zudem habe er als Bürgermeister von Krauschwitz langjährige Regierung- und Verwaltungserfahrung.

Auch die Landesregierung in Magdeburg und gesellschaftliche engagierte Vereine wie "Miteinander" begrüßten den Umzug des kürzlich aus der SPD ausgetretenen Sozialisten von Krauschwitz nach Kairo. Damit werde "etwas Spannung aus der Landtagswahl genommen", bei der Püschel sonst wohl eine "unheimliche Anziehungskraft"(SZ) entwickelt hätte.

Donnerstag, 10. Februar 2011

Sozialdemokraten gegen Schreckensregime

Wenn das nicht wirklich mutig ist! Die Sozialistische Internationale hat die ägyptische Regierungspartei NDP ratzefatz aus ihren Reihen ausgeschlossen. Ganz demokratisch schrieb SI-Generalsekretär Luis Ayal der NDP: „Mit Wirkung vom heutigen Tag heben wir die Mitgliedschaft der NDP auf". Erst Sekunden zuvor war dem seit 1889 bestehenden weltweiten Zusammenschluss von bislang 168 sozialistischen und Parteien und Organisationen schlagartig klargeworden, mit wem man da seit immerhin 22 Jahren Tisch und Bett und Weltsicht geteilt hatte.

Mubarak ein Diktator? Das war zuvor weder der traditionell menschenrechtskritischen Zeitschrift "Zeit"
noch dem langjährigen SI-Mitglied SPD aufgefallen. Jetzt aber hatte man es eilig, die Vertreter des Schreckensregimes loszuwerden: Die NDP, die in Deutschland schon wegen ihres Namens keine Chance auf Zulassung hätte, sei raus, man bleibe "jedoch entschlossen, weiterhin mit allen Demokraten Ägyptens zu kooperieren, die einen offenen, demokratischen, inklusiven und säkularen Staat anstreben“, heißt es im Brief an die NDP-Führung.

Das gilt offenbar auch für die Mongolische Volkspartei, den Nachfolger der Ein-Parteienstaat-Partei in der Mongolei, die ehemals im Südjemen am Aufbau des Sozialismus arbeitende Jemenitische Sozialistische Partei und die 2009 von der türkischen Regierung verbotene Partei Demokratik Toplum Partisi. Schon nicht mehr mitspielen darf die Konstitutionelle Demokratische Sammlung Tunesiens (DST), von der nur drei Tage nach der Flucht des tunesischen Präsidenten Ben Ali bekanntgeworden war, dass sie seit 1987 quasi absolutistisch regierte und zuletzt 152 der 189 Sitze in der Abgeordnetenkammer für sich beanspruchte. Entschlossen und schnell handelte die Sozialistische Internationale auch in diesem Fall: Die DST wurde sofort ausgeschlossen.

Auf den Schultern der Idioten

Langsam wird ein Schuh draus, wenn auch nur ein linker. Sascha Lobo selbst, der Hohepriester der Lehre vom Iro als vermarktbarem Spezialwissen, nimmt in seiner "Spiegel"-Kolumne "Im Zweifel modern" Motive aus der PPQ-Dummheitsberichterstattung auf. Mehrfach war hier im Board bereits kritisch angemahnt worden, dass weltweit zwar Milliarden für Intelligenzforschung ausgegeben werden, die führende Rolle der Dummheit bei der Überführung der Gegenwart in die Zukunft jedoch kaum beleuchtet wird. Selbst der Duden bescheidet sich bei der Frage danach, was Dummheit ist, mit der Antwort "Abwesenheit von Intelligenz". In der neuen Ausgabe, hieß es, werde Gelb die Abwesenheit von Grün bezeichnet.

1857 waren die Menschen noch nicht so dumm, ein Grundproblem menschlicher Existenz einfach fortzuschweigen, wie es auch das Universallexikon Wikipedia tut. Dummheit sei ein Synonym für "Blödheit", heißt es dort, was grundsätzlich eher für die Dummheit des Verfassers als für die Richtigkeit seiner These spricht. 1857 wussten man noch, dass Dummheit eine "Schwäche des Verstandes ist, welche eine Unklarheit u. Verworrenheit der Vorstellungen veranlasst". Kann man nichts machen, keine Bildungspakete ändern das, keine Computerkabinette und verbesserten Förderrichtlinien. Dumm bleibt dumm, da helfen keine Pillen, sagt der Mitteldeutsche und schüttelt den Kopf, wenn er von Plänen hört, Noten abzuschaffen, um Dumme klüger zu machen.

"Dumm ist, wer Dummes tut", wusste Forrest Gump, aber der Fortschritt marschiert und unterwegs radiert er Begriffe einfach aus. Menschen sind nicht gleich groß und nicht gleich dick, aber gleich begabt, glauben nicht nur die, die es nicht besser wissen können. Lobo räumt jetzt mit dem Vorurteil auf, er geht es aus Selbstschutzgründen technisch an, entdeckt den Idioten von nebenan und feiert ihn in einer Lobeshymne: Das erste iPhone von 2007 habe aus zusammenmontierten Fehleinschätzungen, Unzulänglichkeiten und Zumutungen bestanden, das schon zwei Jahre zuvor selbstverständliche UMTS habe Apple ignoriert, genau wie die MMS, eine Videofunktion und benutzbares Bluetooth. Nicht einmal eigene Klingeltöne ließen sich installieren.

"Die brillante, weltverändernde Idee des neuen Bedienungskonzepts war zu Beginn eingesperrt in einen Käfig aus veralteten Bauteilen", findet der Kolumnist. "Trotz dieser offensichtlichen Mängel fanden sich in den ersten drei Monaten anderthalb Millionen Käufer, die so die Idee am Leben hielten." Ein Wunder? Nicht, wenn man den Menschen kennt: "Auf den Schultern dieser Idioten ruht der Erfolg der inzwischen mit 320 Milliarden Dollar wertvollsten Technologiefirma der Welt, und nicht nur Apple ist von solchen vorschnellen, unvernünftigen, werbegläubigen, unsachverständigen Idiotenkunden abhängig."

Die zweite idiotische Grundeigenschaft bildet den gesellschaftlichen Nutzen der Idioten. Es ist ihre unermüdliche, unbewusste Suche nach den jeweils dümmstmöglichen Handlungen. Ihre flache Verstandeskraft führt dazu, dass Idioten eine ständige Prüfung für die von ihnen benutzten Technologien darstellen. Fehlverwendungen, die ein Ingenieur nicht einmal unter LSD imaginieren könnte, gehen ihm ganz einfach nebenbei von der Hand, während er den leeren Akku in der Mikrowelle wieder aufladen will.

Fremde Federn: Kommando späte Reue

Es gibt sie noch, die Simmen derjenigen, die am Montag nicht vergessen haben, dass gerade noch Wochenende war. Richard Herzinger etwa hat jetzt in der "Welt" einen Kommentar geschrieben, aus dem sich Jakob Augstein Tapete machen lassen sollte.

Es geht um ein seltsames Phänomen, das den Aufständen von Tunesiern und Ägyptern wie ein Schatten folgt: Plötzlich wünschen sich alle die Einführung der Demokratie in der arabischen Welt, nicht von selbst, sondern von außen. "Das wollte auch George W. Bush, als er in den Irak einmarschierte", erinnert nun Herzinger. Damals aber habe seine Vision als "imperialistisch" gegolten.

Man traut seinen Augen und Ohren kaum. Über Nacht scheint sich die deutsche Öffentlichkeit in ihrem Abscheu vor der jahrzehntelangen Komplizenschaft des Westens mit arabischen Diktaturen einig zu sein. Unter dem Eindruck des Aufstandes in Ägypten übertreffen sich Nahost-Experten, Publizisten und Politiker gegenseitig in moralischen Verdammungen einer Außenpolitik, die aus kurzsichtigem Eigennutz bereit sei, die Prinzipien von Demokratie und Menschenrechten auf dem Altar der "Stabilität" zu opfern.

Doch wie glaubwürdig ist dieser neue deutsche Demokratie-Enthusiasmus? Hörten wir nicht gerade erst täglich von allen Seiten, es sei eine naive Illusion, in Ländern wie Afghanistan eine Demokratie etablieren zu wollen - und wir müssten uns daher darauf beschränken, dort mittels eines Kompromisses mit antidemokratischen Kräften vor unserem schnellstmöglichen Abzug eine einigermaßen "stabile" Ordnung zu hinterlassen?

"Stabilität" - dieser Begriff, der in Talkshows neuerdings nur noch mit dem Timbre tiefster Verachtung für eine "Realpolitik" ausgesprochen wird, die sich aus eigenem Interessenkalkül mit autokratischen Regimes zu arrangieren bereit ist, galt in Europa bis eben noch als oberster Wert einer "verantwortungsvollen" Außenpolitik. So einig, wie sich zahlreiche "Experten" und Kommentatoren heute in ihrer wohlfeilen Forderung sind, die westlichen Regierungen hätten das Regime Mubaraks nunmehr augenblicklich fallen zu lassen und sich bedingungslos auf die Seite der ägyptischen Opposition zu schlagen, so fest standen sie noch vor wenigen Jahren in ihrer strikten Ablehnung einer Politik zusammen, die den Völkern des Nahen Ostens demokratische Verhältnisse unzulässigerweise "aufzwingen" wolle. Wer sich diesem weitreichenden Konsens widersetzte, geriet flugs in Verdacht, mit dem ideologischen Beelzebub Nummer eins unter einer Decke zu stecken: den "Neocons".

Tatsächlich hatten die Vordenker des amerikanischen Neokonservatismus seit Jahrzehnten den Bruch mit einer "realpolitischen" Praxis des Westens propagiert, die den Teufelskreis aus Gewaltherrschaft und Extremismus in der Region zementierte. Nur durch die konsequente Demokratisierung der von Autokratie, Korruption, Unbildung und Paranoia gepeinigten arabischen Gesellschaften, so predigten sie, könne deren chronische Rückständigkeit überwunden werden.

Doch als mit George W. Bush ein US-Präsident diese Leitidee der Neocons aufgriff und in praktische Politik umsetzen wollte, war die Ablehnung der Europäer so vehement wie nahezu einhellig. Laut und deutlich hat man noch die Warnungen etwa der deutschen rot-grünen Regierung im Ohr. Bushs Kampfansage an die etablierten Mächte des Nahen Ostens könne die gesamte Region "destabilisieren" und werde dort erst recht Fanatismus und Terrorismus schüren.

Als die USA schließlich den Irak besetzt hatten, galt die gesamte Anstrengung der deutschen wie der meisten europäischen Diplomatie nicht etwa der Unterstützung eines nunmehr möglich gewordenen demokratischen Neuaufbaus im Zweistromland - für den hatten sie kaum mehr übrig als die Prophezeiung, er müsse "im Chaos" enden. Sie galt vielmehr dem Versuch, das durch den Sturz Saddam Husseins in Turbulenzen geratene Machtgleichgewicht im Nahen Osten so rasch wie möglich zu "restabilisieren".

Als die Bush-Regierung in ihrer zweiten Legislaturperiode von ihren umstürzlerischen Plänen abließ und sich dem Hofieren angestammter Despoten zuwandte, schien die Welt für die europäische Diplomatie - und die weitestgehend hinter ihr stehende öffentliche Meinung - wieder in Ordnung. Bald sah man die westlichen Führer wieder vereint die altbekannten Autokraten als verlässliche Freunde und Garanten einer Beilegung des Nahost-Konflikts preisen.

Militärische Lösungen abzulehnen ist das eine - doch nie war von europäischer Seite ein alternatives Konzept zu erkennen, wie man demokratische Veränderungsprozesse in der versteinerten arabischen Welt fördern könnte. Mit derselben rechthaberischen Nonchalance jedoch, mit der man die Chance verstreichen ließ, im Irak beim Aufbau demokratischer Strukturen zu helfen, die anderen arabischen Ländern als Vorbild dienen können, ignorieren viele der frischgebackenen Kritiker westlicher Realpolitik jetzt die negativen Lehren aus dem neokonservativen Demokratisierungsexperiment. Was die Neocons und ihre Verbündeten im Weißen Haus nämlich sträflich unterschätzt hatten, waren die enormen Mühen und die Beharrlichkeit, die eine Etablierung tragfähiger demokratischer Institutionen in Ländern ohne demokratische Traditionen kosten würden. Und ihre inbrünstige Überzeugung, man müsse eine Gesellschaft nur den Selbstheilungskräften der Freiheit überlassen, damit sie Demokratie und Wohlstand finde, ließ die gewaltigen zerstörerischen Kräfte außer Acht, die sich Bahn brechen, sind die Betondeckel einer verheerenden Despotie erst einmal weggesprengt.

So übermächtig sie die extremistischen Kräfte im Irak darstellten, um den Amerikanern dort von vornherein das Scheitern zu bescheinigen, so schönfärberisch gehen zahlreiche "Nahost-Experten" nun über die Gefahren hinweg, die in Ägypten von mächtigen, gut organisierten Demokratiefeinden wie den Muslimbrüdern ausgehen. Doch vor dieser neuen Bedrohung der Freiheit auf der Hut zu sein, drückt keine Geringschätzung der arabischen Demokratiebewegungen aus. Wer eine Politik des "regime change" stets als imperialistisches Teufelszeug verdammte, wenn sie auf antiwestliche Diktaturen zielte, nun aber einen sofortigen "regime change" verlangt, weil es ein "prowestliches" Regime trifft, kann jedenfalls kein guter Ratgeber für eine neue, vorausschauendere Außenpolitik des Westens sein.

Mittwoch, 9. Februar 2011

Wikileaks nicht mehr sicher: Kommt bald alles raus?

Das Enthüllungsportal Wikileaks ist offenbar nicht mehr sicher. Nachdem wegen des Führungsstils von Julian Assange mehrere frühere Mitstreiter das Projekt verlassen haben, warnt der ehemalige deutsche Mitarbeiter Daniel Domscheit-Berg bei n-tv davor, dass Wikileaks unsicherer geworden sei.

Wikileaks könne Geheimdokumente und Informanten nicht mehr zuverlässig schützen, weile der "Top-Programmierer" die von ihm geschaffene Software mitgenommen habe. Der Illustrierten "Stern" verriet Domscheit-Berg, der derzeit für eine eigene Enthüllungsplattform namens Openleaks auf werbetour ist, dass in der Endkonsequenz sogar eine Veröffentlichung aller Dokumente drohe, die Wikileaks besitze.

Schlimm! Immer wieder dieser Hitler!

Das darf doch nicht wahr sein! Adolf Hitler ist der „Blitztrompf“ im sogenannten „Tyrannen-Quartett“. Das makabre Quartettspiel ist bereits seit 2008 im Handel, jetzt endlich wurde die "Bildzeitung" aufmerksam, nachdem die „Abendzeitung“ einen PPQ-Exklusivbericht aus dem Juli 2008 gelesen und für gut befunden hatte.

Nun ermittle die Staatsanwaltschaft gegen die Firma „Weltquartett“, die auf den Karten keinen Vermerk angebracht habe, dass der Inhalt für Kinder und Jugendliche wenig geeignet ist. Dabei sei auf verschiedenen Karten ein Hakenkreuz zu sehen - genau wie im Film "Hindenburg" und in allen "Bild"-Berichten dazu. Die "Bildzeitung", die die Quartettkarte mit dem ehemaligen Führer und heutigen n-tv-Moderator nur verpixelt zeigt, war deshalb tagelang mit dem Warnhinweis "Achtung, nur für Erwachsene" erschienen.

Während die Zeitschrift weiter verkauft werden darf, beschlagnahmten Kripo-Beamte ein Quartettspiel auf der Nürnberger Spielemesse. Die Ermittler untersuchen, ob sich die Firma, die das Spiel herausgibt, der „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ strafbar gemacht hat.

Ein Plakat mit Adolf Hitler musste sofort vom Messestand entfernt werden, um die unmittelbar bevorstehende Errichtung eines vierten, fünften oder gar sechsten Reiches zu verhindern. Andere Diktatoren wie Saddam Hussein und Stalin durften vorerst hängen bleiben. Ihre Schuld sei einmalig und unverwechselbar, deshalb gülten ihre Gesichter hierzulande nicht als verfassungsfeindlich.

Die Macher des Spiels planen derzeit gerade eine Neuausgabe, im Quartettspiel „Tyrannen II (noch mehr üble Diktatoren)“ sollen auch neue Schlächter und Menschenverächter wie der ägyptische Despot Hosni Mubarak und sein mörderischer tunesischer Amtskollege Ben Ali aufgenommen werden.

Werben für den Ruhestandort

Unter dem beinahe stündlich wachsenden Druck Luxemburgs hat die Bundesregierung Schritte eingeleitet, um Hosni Mubarak eine Flucht in einen ruhigen Ruhestand in Deutschland zu ermöglichen. Eine bundesweite Kampagne(Foto oben, Plakat in Bremen) wirbt deshalb ab sofort für "Germany" als Ruhe-Standort. Der Umsturz in Nordafrika sei eine Chance, der Welt zu zeigen, dass es sich lohne, zwischen Schwarzwald und Rügener Kreidefelsen Quartier zu machen, sagte ein Sprecher in Berlin, wo Plakatmotive und Werbefilme für die Kampagne vorgestellt wurden. Hosni Mubarak könne zum Türöffner dieses neuen Marksegmentes im Asylbereich werden, indem er seinen Potentatenkollegen von den Vorzügen deutscher Lebensart berichte.

Mit dem Claim "Germany - where growing old feels better" ("Deutschland - wo Altwerden irgendwie besser fühlt") wolle sich die Bundesrepublik als Zuzugsort für Diktatoren, gestürzte Könige und abgewählte Präsidenten der Dritten Welt etablieren, hieß es dazu in Berlin. Das Kabinett plane, vor allem das demografisch ausgeblutete Ostdeutschland mit dieser neuen Strategie aus der Demografiefalle zu führen. Dazu habe man bei der EU Anträge auf rund sechs Millionen Euro Fördermittel für die jetzt gestartete Werbekampagne gestellt. Die Mittel kämen aus dem Infrastrukturfonds und würden von den Ländern vor allem an der "Straße der Gewalt" mit Eigenmitteln aufgestockt.

Aus der Opposition kamen lobende Stimmen. Man wolle hier "bedingungslos mitziehen", denn Deutschlands historische Verantwortung gebiete es, Verfemte und Verfolgte gleich welchen Glaubens oder Kontostands aufzunehmen.

Dienstag, 8. Februar 2011

Cyberwar: Deutschland gefällt das!



Es ist eine grundgute, es ist vor allem eine breite Koalition der Vernunft, die sich da heute zur alljährlichen "Safer Internet Day"-Medienparty auf dem größten Tatort der Welt zu Wort meldet. Der Kabarettist Mathias Richling ist dabei, der Innenminister Thomas de Maiziere, Google-Ministerin Ilse Aigner und natürlich auch die Kanzlerin Angela Merkel, sämtlichst Experten also für Facebook, Twitter und Co., die genau wissen, wovon sie sprechen, wenn sie vor "leichtfertigem Umgang" warnen. «Wir regen uns auf über die Stasiakten - aber hier legt das Volk seine eigene Stasiakte an», vergleicht Richling in einem herzhaften Anfall von geschichtsloser Umnachtung Äpfel und Birnen.

In der eingebildeten Internet-Welt der Generation Schäuble schickt Facebook-Gründer Zuckerberg morgens um vier Bewaffnete, die unschuldige Twitterer zu verschärften Verhören abholen. Für Richling, viele Jahre als heller Kopf verkannt, ein Horror: Facebook oder Wikileaks seien faszinierend, «weil wir glauben, alles wissen zu können», doch man müsse sich immer fragen: Wie kann das missbraucht werden?

Das ist die ganz große Frage. Wie missbraucht man all die Emailadressen, die Nicknames, Lieferandressen für Amazonbücher, Fotos von Parties und kleinen Youtube-Filme, auf denen außer Wackeln nicht viel zu erkennen ist? Wie menschenrechtsverletzend sind unfreiwillige empfangene Gewinnmitteilungen aus Nigeria, wie lebensbedrohend Einladungen, "Schweizer Makkenuren billich" zu kaufen und wie viel ist die Freiheit durch Kreditkartenbetrug im Netz mehr bedroht als durch Kreditkartenbetrug im echten Leben?

Dazu ist auch dem Kabarettisten offenbar auch nichts Richtiges eingefallen. Er zucke zusammen, versucht es Richling mit dem üblichen Schreckgespenst, wenn er sehe, "dass man bei Facebook mit ein paar Klicks «sofort weiß, mit wem Sie wie befreundet sind, und wen Sie alles kennen". Ching Chon aus China kann so herausfinden, dass Horst Müller aus Perleberg bei Susi Kiu aus dem Prenzelberg auf "Gefällt mir" geklickt hat. Wenn da nicht die Intimsphäre in akuter Gefahr ist.

Richling, das alte Europa unter den Humorschaffenden im elektronischen Raum, ist besorgt. Aus einer gewissen Naivität heraus werde dort «alles entblößt - und es gibt keine Geheimnisse mehr». Richling ist zum Glück nicht naiv, er behält seine Freunde im Unterschied für sich und macht nur seine Ansichten öffentlich.

Eine kluge Strategie, der auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière folgt. Sicherer so, weiß der Mann, der Ende November mit Deutschlands bisher erfolgreichster Terrordrohung bekannt wurde. 70 Tage und eine live ins Internet übertragene Entwarnung später legt de Maiziere jetzt nach.

Diesmal gelte es, vor "Cyber-Angriffen im Internet" zu warnen. Derzeit, so hat der frühere Experte für die Entsorgung von Landesbanken gezählt, werde "das deutsche Internet", eine Art in Politikergehirnen existierendes Unternetz der weltweiten "Datenautobahnen" (Helmut Kohl), "ungefähr alle zwei bis drei Sekunden" angegriffen. Ausgeführt würden die Attacken von "Privaten, Staaten, vom wem auch immer" (de Maizière), unkt der CDU-Mann, der es offenbar nicht mal annähernd genau weiß. Aber er geht vom schlimmsten aus: "von der Beteiligung von Nachrichtendiensten anderer Länder", allerdings leider "ohne es sicher beweisen zu können".

Ein unsicherer Beweis war früher, in der guten alten Zeit vor Facebook, gar keiner. Heute ist er Leitschnur staatlichen Handelns. De Maizière schliesst nicht aus, dass ganz Deutschland durch einen Angriff aus dem Internet lahmgelegt werden könnte - entgegen allem, was dagegen spricht, kann auch der höchste deutsche Warner allem Anschein nach nicht in die Zukunft schauen.

Da kommt es auf Sicherheit doppelt an. Getreu dem Leitbild seines Amtsvorgängers, der trocken formuliert hatte, das Internet sei "das neue Kommunikationsmittel und Verbrecher benutzen es" (Video oben), will de Maiziere zum Schutz vor den, was man nicht weiß, ein Nationales Cyber-Abwehrzentrum gründen. Dort sollen unter der Führung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) lauter Behörden wie der Verfassungsschutz, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, das Blogampelamt und die Landeszensurbehörden ein neues Betätigungsfeld finden. Alle abgefangenen Daten könnten, träumt de Maiziere in der "Welt", über eine "Schnittstelle zur Wirtschaft" direkt weitergeleitet werden.

Ilse Aigner, bekannt geworden durch ihren Kampf gegen das menschenverachtende Programm "Google Street View", macht indes gegen die offenbar übliche Praxis Front, "dass Onlineshops ihre Kundendaten ohne Zustimmung der Betroffenen ins Netz stellen" (Aigner), wo sie jeder sehen könne. So habe die Deutsche Telekom Millionen von Namen, Adressen und teilweise sogar Berufsbezeichnungen unschuldiger Verbraucher in sogenannten "Telefonbüchern" sowohl gedruckt als auch im Internet verfügbar gemacht. Dadurch könne jeder die Betroffenen einfach so anrufen. Aigner verlangt deshalb eine Erweiterung des Verbandsklagerechts, «damit Verbraucherschutzorganisationen auch bei verbraucherbezogenen Datenschutzverstößen gerichtlich vorgehen können».

Immer mehr Krankheiten weltweit: Schuld ist nur das Internet , für Essstörungen hingegen trägt Facebook die Verantwortung.