Mittwoch, 25. Juni 2025

Kurzer Prozess mit der Nato: Wunschkonzert für Trump

2018 Merkel belehrt Trump
Das Bild, das vor sieben Jahren um die Welt ging. Donald Trump (r.) hat daraus gelernt.
 

Er hat von der Besten gelernt. Donald Trump saß wie ein Schuljunge auf seinem Stühlchen, als ihm Angela Merkel die Leviten las. Der Mann, der als Führer der freien Welt zum G7-Gipfel nach Kanada gekommen war, sah sich unversehens einem übermächtigen Gegner gegenüber. Die Arme in Abwehr verschränkt, das Gesicht geballt und unwillig, die Führungskraft der Deutschen anzuerkennen, reiste Trump wütend ab. Der US-Präsident war sauer und wütend. Aber er hatte seine Lektion gelernt.

Ende der Diskussion 

Der Gipfel in La Malbaie, an dem an jenem historischen Tag vor sieben Jahren die USA, Deutschland, Frankreich, Kanada, Großbritannien, Italien und Japan teilnahmen, hat Trumps Verhältnis zur Welt geändert. Nicht aber das Verhältnis der Welt zu Trump. Der US-Präsident war damals in die Stadt nahe Quebec gekommen, um den G7-Partnern eine gemeinsame Zone ohne Zölle und Subventionen vorzuschlagen. "Keine Zölle, keine Barrieren. Das ist die Weise, wie es sein sollte", sagte er.

Die Idee war unter den Staats- und Regierungschef der anderen Staaten etwa so beliebt wie Trump selbst. Nicht einmal eine ablehnende Antwort bekam der Amerikaner, ehe er nach Singapur weiterflog, um sich mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un zu treffen. Kaum hatte er Kanada verlassen, gingen die übrigen Gipfelteilnehmer zur Tagesordnung über. Zölle sind doch eine gute Sache, das war Konsens. Und bei den Rüstungsausgaben sollte man es nicht übertreiben, das ist globaler Konsens von Berlin bis Tokio.

Heute ist alles umgekehrt 

Beim Nato-Gipfel sieben Jahre danach ist alles umgekehrt. Es sind die - meistenteils ausgetauschten - Staats- und Regierungschefs der 32 Mitgliedstaaten, die schon im Vorfeld eifrig Bücklinge vor dem Thron Trumps vollführten. Hat er 3,5 Prozent für Rüstung gesagt? Aber ja, gern doch. Nein, fünf will er? Auch kein Problem. Getrieben von der Furcht, die USA als Schutzmacht zu verlieren, sind alle bereit, dem Präsidenten alles zu geben: Seinen Willen, ihr Geld, Applaus und das Gefühl, sie hätten sich endgültig und aus tiefer Einsicht heraus unterworfen. "Heute Abend fliegst Du zu einem weiteren großen Erfolg", lobte der nach seinem Scheitern als niederländischer Ministerpräsident erst im Herbst neu installierte Nato-Generalsekretär Mark Rutte den US-Präsidenten.

Der Mann, der noch vor einem halben Jahr Nazi war, Faschist, der neue Hitler, der Mörder der Menschheit und Zerstörer der Zivilisation, hat seine Gegner mit der schieren Macht Amerikas an die Wand gedrückt. Die zarten Aufstandsbewegungen Europas, in dem immer wieder Politiker von einer Weltmacht EU mit eigener Armee träumen, der überall auf der Welt Respekt entgegengebracht wird, sind erstickt worden von der Wirklichkeit. 

Es folgt dem Vorbild niemand 

Brüssel kann noch so viele Pläne zur Errichtung eines Weltreiches vorlegen, sie alle scheitern am Unvermögen, 27 Staaten mit widerstreitenden Interessen auf einen Weg zu zwingen. Berlin kann noch so oft versuchen, durch Dulden, Leiden und demonstrative Zurückhaltung ein Beispiel dafür zu geben, wie sich eigene Interessen zum eigenen Schaden hinter die der Gemeinschaft zurückstellen lassen. Es folgt dem Vorbild niemand. Und Paris? Mehrfach hatte der französische Präsident versucht, Europa mit kernigen Reden aufzuwecken und unter der Trikolore zu versammeln. Seit Napoleon aber misstrauen die meisten Europäer französischer Führung. Dann lieber doch Amerika.

Für Trump ist dieser Nato-Gipfel ein Sieg auf ganzer Linie noch ehe er richtig begonnen hat. Das Abschlusspapier, das am Ende der sogenannten "Beratungen" veröffentlicht werden wird, ist glücklich vorab vereinbart. Alle früheren Streitpunkte sind ausgeräumt - Europa hat sich mit allem einverstanden erklärt, was Washington fordert. Rund um das Schloss des niederländischen Königs, in das Galadinner zum Auftakt stattfand, kursieren Gerüchte, dass die Europäer Trump im Ernstfall auch Menschenopfer gebracht hätten. Und selbstverständlich hätte ihm nach alter europäischer Tradition das "Ius primae noctis" zugestanden, wären von seinem Team entsprechende Wünsche geäußert worden.

Völkerrecht hin, Völkerrecht her 

Trump macht beim Nato-Gipfel kurzen Prozess mit der Illusion der Europäer, beim Militärbündnis handele es sich um eine Versammlung von Mitgliedern, die unterschiedliche Rollen spielen, verschieden hohe Beiträge zahlen, aber dessen ungeachtet gleiche Rechte haben. Vom Völkerrecht war vorab viel die Rede, vor allem in Deutschland, der einmal mehr am schlimmsten betroffenen Region. Statt die EU ein weiteres Jahrzehnt geduldig mit Teheran verhandeln zu lassen, während die Mullahs an ihrer Atombombe bauen, hatte Trump Bomber geschickt und dem Spuk ein - zumindest vorläufiges - Ende gemacht. Ob er das durfte, ob er das hätte wollen sollen, wen er hätte fragen müssen und wieso die gesamte europäische Wertegemeinschaft nicht einen einzigen solchen Bomber besitzt? 

All diese Fragen wurden mit Leidenschaft diskutiert, ehe Schadenfreude aufkam: Trumps mit "shock and awe" herbeigebombter Waffenstillstand halte ja nun gar nicht, freuten sie sich in der ARD. Trump wolle mit dem Auslandseinsatz von B-2 und GBU-57 von seiner schlimmen Gesamtbilanz ablenken. Nicht einmal den Krieg in der Ukraine habe er wie versprochen nach 24 Stunden beendet. Und der Zollstreit mit der EU sei auch noch nicht beigelegt, weshalb die Geldanleger die USA in Scharen fliehen und vor den "erratischen Kurswechseln Trumps" (Tagesspiegel) Zuflucht suchen im sicheren Hafen Europa.

Gefolgsleute im Gebüsch 

Kaum hatte der US-Präsident seinen kurzen Krieg mit dem Iran gewonnen, versammelten sich die Gefolgsleute wider Willen hinter ihm. Aus dem Gebüsch, in das sie sich zuvor geschlagen hatten, warnten Merz, Macron und Starmer Teheran, jetzt bloß keine "weiteren Maßnahmen zu ergreifen, die die Region destabilisieren könnten". Sonst nämlich. Die einstigen Weltmächte, in den Tagen vor der gefürchteten "Eskalation" (Tagesschau) als irrelevante Zaungäste der Weltkriegsspiele enttarnt, sehen nur einen Weg aus der Bredouille: Der Iran müsse "Verhandlungen über ein Abkommen aufnehmen, das alle Bedenken zu seinem Atomprogramm ausräumt".

Mit wem, worüber und wo der Unterschied läge zu den augenscheinlich völlig ergebnislosen Verhandlungen, die zum von der EU vermittelten großen Iran-Deal führten, den Teheran insgeheim zur Tarnung seines Atomprogrammes nutzte, beschrieben der Bundeskanzler, der Präsident und der Premierminister nicht. Ihre Erklärung diente einzig dem Zweck, im Nachhinein in eine Art Alliiertenkostüm zu schlüpfen: Kein Applaus für Trump, da ist doch zu viel Völkerrecht im Spiel. Aber doch irgendwie gut, dass er so entschlossen gehandelt hat.

Der Kampf geht weiter 

Es sind die deutschen Medien, die noch nicht aus ihrer in den vergangenen zehn Jahren antrainierten Rolle fallen wollen. Seit 2015, als die Wahrscheinlichkeit aufschimmerte, dass Donald Trump eines Tages mehr sein könnte als ein protziger Immobilienmilliardär und Showmaster mit überaus ungewöhnlichen Angewohnheiten, hängt der 79-Jährige als Zielscheibe des Volkszorns der schreibenden Zunft in sämtlichen Redaktionen. Sie haben ihn dafür gehasst, dass er als Präsidentschaftskandidat antrat, dass er die Vorwahlen seiner Partei gewann, dass er bei den Wahlen zweimal siegte und überhaupt. 

Jetzt fürchten sie ihn in einem so hohen Maße, dass die theatralisch übertriebenen  Unterwerfungsgesten der eigenen Obrigkeit nicht einmal wahrgenommen werden. Stattdessen wird nach Haaren in der Suppe gesucht, nach gebrochenen Versprechen und zurückgezogenen Zusagen. Geht es nach den deutschen Leitmedien, hat Trump im Nahen Osten einerseits ausschließlich aus innenpolitischen Gründen interveniert. Andererseits hat er sich damit schwere Probleme mit dem pazifistischen und isolationistischen Teil seiner Maga-Bewegung eingebrockt, so dass er das alles in Bälde noch bereuen wird. 

Der wahre Endgegner 

Ganze Divisionen von Militär- und Strategieexperten marschieren durch deutsche Fernsehstudios, um zu erklären, wie das alles richtig hätte gemacht werden müssen, wie vernünftig und im Einklang mit dem Völkerrecht zu erledigen gewesen wäre. 

Kein Zweifel besteht daran, wer der wahre Endgegner der Redaktionen bleibt: Unverkennbar ist die klammheimliche Freude über Nachrichten, nach denen das Atomprogramm der Mullahs nur "verzögert, nicht zerstört" sei. Ruttes Brief an Trump, der den US-Präsidenten gnädig stimmen sollte, wird zum neuen Beweis dafür, dass Trump nicht zu trauen ist. "Europa wird auf GROSSE Art und Weise Geld ausgeben, so wie es sein sollte, und das wird Dein Sieg sein", hatte Rutte dem Präsidenten geschrieben, um keine Zweifel daran zu lassen, dass in Den Haag alles für ein Wunschkonzert vorbereitet ist.

Weniger interessant scheint deutschen Medien dagegen die Analyse der Gründe zu sein, die zur dramatischen Kehrtwende der Europäer bei den Rüstungsausgaben geführt haben. Der Ukrainekrieg, das liegt auf der Hand, war es nicht: Der lief drei lange Jahre, in denen sich die europäischen Nato-Mitglieder trotzig gegen jede Überlegung wehrten, dauerhaft mit höheren Rüstungsausgaben und Wehretats auf die veränderte Situation zu reagieren. Der Nahe Osten war es auch nicht, der alles änderte. Die Drecksarbeit dort, so ist es abgesprochen und so hat es Friedrich Merz eben erst bestätigt, erledigt Israel.

Bereitwillig und dienstbar geben sich die Führungskräfte des alten Europa seit dem Besuch des ukrainischen Präsidenten im Weißen Haus. Im März hatten Trump und Vance den Trittbrettfahrern der militärischen Stärke der USA drastisch klarmachten, dass eine neue Zeit angebrochen ist. Kein Schutzschirm mehr ohne Gegenleistung. Kein Trittbrettfahren mehr für Verbündete, deren Führer es sich zur Methode gemacht haben, Amerika zu belehren, den amerikanischen Präsidenten einen "Hassprediger" oder "Irren" zu nennen und seine Vorschläge und Forderungen etwa beim Zwei-Prozent-Ziel der Nato oder zum Abbau gegenseitiger Zölle ins Leere alufen zu lassen. 

Angela Merkel musste sich vor sieben Jahren vor ihrem Haus- und Hoffotografen wie eine Feldherrin inszenieren, um den Eindruck zu erwecken, Deutschland habe Trump etwas zu sagen. Trump braucht solche Bilder nicht. Die Ergebnisse erzählen die ganze Geschichte. 

Gesichert erlaubt: Eine totalitäre Sehnsucht

Elsässer Durchsuchung Compact
Große Medienhäuser waren zur Durchsuchungsparty bei Compact-Chef Elsässer eingeladen.

Einfallsreich, unkompliziert und ohne Scheu, den Eindruck zu erwecken, die Verfassung nicht allzu ernst zu nehmen: Als die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Sommer vor einem Jahr öffentlich verkündete, sie habe erstmals seit dem"Sputnik"-Verbot in der ehemaligen DDR wieder eine Zeitschrift verboten, hielten sich die Solidaritätsbekundungen anderer Medienhäuser in Grenzen. Es war kein Beinbruch. Es traf die Richtigen. Es half allen.  

Hass und Gewalt 

Faeser begründete das Verbot damit, dass "Compact" ein "Klima von Hass und Gewalt" geschürt habe. Daher habe sie entschieden, den Machern des Magazins jede Fortführung ihrer bisherigen Tätigkeiten zu untersagen, indem der das Presseerzeugnis tragende Verein verboten wurde. Ein harter Schlag für die rechtsextreme Szene in Deutschland, zu deren "zentralem Organ" das Blatt mit seinen gerade einmal 40.000 Exemplaren Auflage umgehend ernannt wurde. 

Vor aller Augen hatte dieses "zentrale Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene" (Faeser) mit seiner "unsäglichen Hetze gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie" Straftaten begangen, erstaunlicherweise, ohne dass irgendein Staatsanwalt jemals Grund gesehen hatte, gegen die mutmaßlichen Täter zu ermitteln. Doch die Straftaten, so führt die Innenministerin aus, seien mit dem Verbot nun Straftaten, die verfolgt würden. 

Im Wahlkampfmodus 

Faeser war unverkennbar bereits im Wahlkampfmodus. Doch solidarische Medienhäuser wie der "Tagesspiegel" zeigten Verständnis. "Nancy Faeser tat, was ihr Amt von ihr verlangt", lobten die Kollegen, denn es sei ein Irrglaube, dass das Medium trotz seiner Inhalte unter dem Schutz der Pressefreiheit stehe. 

Der starke Staat lasse sich nicht so einfach austricksen. Dass die Bundesinnenministerin ein Presseorgan mit den Mitteln des Vereinsrechts zum Schweigen gebracht habe, sei zwar "ungewöhnlich". Doch die Pressefreiheit sei zu wichtig, um sie ihren Missbrauchern auszuliefern. Dass "Compact" gegen das Verbot klagen und bis zur endgültigen Entscheidung weiter erscheinen durfte, zeigte, wie stark der Rechtsstaat ist und wie sicher er war, dass Faeser richtig entschieden habe. 

"Rechtsextreme Kretins" 

"Ob in der Auseinandersetzung mit den Rechten die Innenministerin und die Demokratie als Gewinnerinnen vom Platz gehen oder die Truppe rund um Jürgen Elsässer, ist noch unentschieden", bangte die ehemals linksliberale Taz mit der Verbotsministerin. Eine Zurückweisung der Klage der "rechtsextremen Kretins" gegen den "eklatanten staatlichen Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit" sei aber wichtig. Er gebe Antwort auf die Frage, "ob die Presse- und Meinungsfreiheit, wie sie das Grundgesetz bisher garantiert, Segen oder Fluch für eine freiheitliche Gesellschaft ist – also darüber, wie viel Freiheit in Presse- und Meinungsfreiheit noch stecken soll."

Die Hoffnung lag auf möglichst wenig. Für die Generation Faeser sind die brutalen Schlagzeilengewitter, mit denen es Politiker früherer Zeiten zu tun bekamen, unerträglich. Jeder Widerspruch gilt ihnen als Hetze, jede Kritik an inhaltlichen Fehlern wird als persönlicher Angriff gewertet. In ihrer Glaubenswelt, in der sie die Grundrechte exklusiv für sich selbst reklamieren, ist es verpönt, mit Andersdenkenden zu diskutieren. Es heißt, das würde deren absurde Sichtweisen nur aufwerten. 

Damit jeder das Richtige versteht 

Gleichzeitig gibt es eine große Furcht davor, dass die eigenen faktenbasierten Argumente gegen Fake News, Aluhüte und Chemtrails den Kürzeren ziehen. Keinem einfachen Bürger aus der hart arbeitenden Mitte sei zuzutrauen oder zuzumuten, selbst zu entscheiden, was er richtig oder falsch finden will. Was Nancy Faeser dagegen vorschwebt, ist eine Art demokratische Bundesschrifttumkammer: Ein Gremium aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft, das Nachrichten kuratiert, auswählt und verteilt, damit jeder das Richtige versteht. 

Die "Tagesschau" zeigt, wie das gemacht wird. Die Welt entsteht hier Abend für Abend neu als ihr eigener widerspruchsfreier Zwilling. Die Rollen sind in Schwarz und Weiß besetzt. Was nicht passt, wird passend gemacht. Was sich nicht fügt, fliegt raus und wer stört, bekommt keine Sendezeit. Das Böse ist abgrundtief böse, es kann nur Böses tun. Das Gute hingegen kann machen was es will, es kann falsch sein oder richtig oder grundverkehrt und trotzdem wird es immer zum besten vorstellbaren Ergebnis führen. 

Eine totalitäre Sehnsucht 

Die totalitäre Sehnsucht, wie in kommunistischen oder faschistischen Diktaturen die Obrigkeit das Handwerkszeug formeller Gesetze nutzen könne, um nach eigenem Ermessen Kritiker zum Schweigen zu bringen, gehört zur Neuzeit ebenso wie der Glaube, das gesprochene oder geschriebene Wort sei im gleichem Maß bedrohlich wie die geplante oder ausgeführte Tat. Die fundamentale Bedeutung der Meinungsfreiheit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung muss hinter dem Bedürfnis zurückstehen, sie unter Kontrolle zu halten.

Nancy Faeser, bemüht, nach ihrem lange hinausgezögerten Umfallen bei der Einführung von Grenzkontrollen den Eindruck von Kompetenz zu vermitteln, ging mit dem Verbot ein hohes Risiko ein. Schon im Eilverfahren entschied der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, dass "Compact" vorerst weiter erscheinen dürfe. Ein Fingerzeig auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens. In diesem fiel dann erwartbar die endgültige Entscheidung, dass das Verbot aufgehoben werden muss. Faeser ist blamiert, kann aber nicht mehr zurücktreten. Die Fachleute beim Verfassungsschutz und im Bundesinnenministerium stehen da wie Rowdys, die nie verstanden haben, wie ein Rechtsstaat funktioniert.

"Von allergrößter Bedeutung"

Auch der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz, der Faeser gewähren ließ, wirkt im Nachhinein noch einmal wie ein Mann, den der Posten, in den er hineingescheitert war, völlig überforderte. Scholz hielt die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die Aufhebung der Pressefreiheit für angemessen. Zwar sei das Meinungsäußerungsrecht "für die Demokratie in Deutschland von allergrößter Bedeutung", verbeugte sich der Sozialdemokrat rituell vor dem theoretischen Prinzip. 

Ehe er es unter Erlaubnisvorbehalt stellte: Zur Pressefreiheit gehöre auch, "dass man viel Quatsch sagen kann, aus der Sicht aller anderen, und dadurch nicht beeinträchtigt wird." Aber es gebe eben "Meinungen, die in Deutschland verboten seien", interpretierte er den Umstand um, dass ausgerechnet Meinungen in Deutschland unter gar keinen Umständen verboten werden können. 

Niemand wiedersprach 

Denn Artikel 5 Grundgesetzt stellt nicht nur sicher, dass Meinungen, Ansichten, Auffassungen und Überzeugungen nicht verboten werden dürfen, sondern er verpflichtet den Staat sogar dazu, die zu schützen, die ihn kritisieren, beleidigen oder herabwürdigen. Scholz lag falsch. Aber er war der Kanzler. Er konnte eine Meinung äußern, die sich wie eine falsche, bewusst irreführende Tatsachenbehauptung anhörte. Und niemand widersprach.

Auch Nancy Faeser durfte sich auf die Solidarität der Medien verlassen. Als "Schnellschuss" kritisierte der Journalistenverband nicht das Verbot, sondern die durch die Art des Zustandekommens heraufbeschworene Gefaht, es könnte vom Gericht aufgehoben werden. Solange die Sozialdemokratin im Amt war, schwebte das Verfahren zwischen "Hält der gerichtlichen Überprüfung stand" und "Wird als Angriff auf die Pressefreiheit verworfen". Anfang Mai verabschiedete sich die Ministerin mit einem letzten Gruß, indem sie die neue Bewertung des Bundesamtes für Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistische Partei" bekanntgab. Seitdem ist die 59-Jährige von der Bildfläche verschwunden.

Trikottag und Notvorräte 

Sie hat sich aus dem Kampf gegen die geistigen Brandstifter zurückgezogen, "die ein Klima von Hass und Gewalt gegenüber Geflüchteten und Migranten schüren und unseren demokratischen Staat überwinden wollen". Stattdessen kümmert sie sich abseits der Öffentlichkeit um das Kulturgutschutzgesetz, den bundesweiten Trikottag und die Menge an Notvorräten, die der deutsche Durchschnittshaushalt benötigt, um kommende Notlagen hilflos zu überstehen. Auch ihre Pleite vor gericht kommentiert sie nicht.

Faeser weiß, dass sie in einer langen Traditon steht. Ihr selbstbewusst und stolz durchgeführter Anschlag auf die Pressefreiheit fügt sich nahtlos in eine Kette von Versuchen, Grundrechte mit Absicht zu missachten oder sie gar per Gesetz gezielt auszuhebeln. Alle bisherigen Regierungsparteien haben ihre Leichen im Schrank – von der Folterung des deutschen Staatsbürgers Murat Kurnaz über den Versuch, das Corona-Sondervermögen kreativ umzunutzen. Es war ein späterer Kanzlerkandidat und Bundespräsident, der Murat Kurnaz in Guantanamo leiden ließ. Es war eine von der SPD geführte Bundesregierung, die mit einem Trick versuchte, die Schulden der Vorgängeradministration zur Basis ihres Erfolges zu machen.

Was der Staat nicht darf 

Auffällig ist: Mehr als andere Parteien zeigen Sozialdemokraten einen Hang, nicht verstehen zu wollen, dass der Respekt vor den Gesetzen das Fundament eines funktionierenden Rechtsstaates ist. Bürger können versuchen, Gesetze zu umgehen oder über sie hinwegzusehen. Doch der Staat, vertreten durch Regierung und Parteien, darf das nicht. Ungeachtet dessen schleifen, sägen und feilen SPD-Politiker immer wieder an den Grundlagen der demokratischen Ordnung, weil sie wissen: Man kann Gesetze dehnen, biegen und beugen, bis sie einem passen. Das Bundesverfassungsgericht wird erst viel später eingreifen, einem die Schranken zeigen, aber keine Strafe verhängen können. 

So werden unbemerkt im Kleinen große Veränderungen herbeigeführt. Ein wunderbares Beispiel dafür ist die umfassende Neuinterpretation der Grundgesetzbestimmung "Eine Zensur findet nicht statt. Die sit so unzweideutig, dass sie ein Fünfjähriger versteht. Zensur ist nicht nur verboten, sie ist undenkbar, sie "findet nicht statt". 

Durch jahrelange Bemühungen ist es der Politik allerdings gelungen, Zensur dennoch funktionstüchtig zu machen. Als erstes wurde aus der Duden-Definition, es handele sich dabei um eine "von zuständiger, besonders staatlicher Stelle vorgenommene Kontrolle und Überprüfung", die neuzeitliche, dass Zensur nur sei, wenn sie von staatlicher Stelle vorgenommen werde.

Hausrecht schlägt Grundrecht 

Damit ist Zensur privat zulässig, obwohl das Grundgesetz nicht etwas sagt "eine staatliche Zensur findet nicht statt". Das Hausrecht schlägt nun das Grundrecht. Das Feld für private Zensur ist bestellt, sie ist nun nicht mehr verboten, weil sie keine ist. Im Falle der Zensur führte dies dazu, dass der Begriff der verschwindet: Staatliche Zensur bleibt Zensur, findet aber nicht statt. Private Zensur hingegen ist statthaft, aber keine Zensur, sonst könnte sie nicht stattfinden.

Faesers Versuch, das Verfahren auf die Pressefreiheit anzuwenden, indem sie nicht eine Zeitung, sondern den tragenden Verein verbot, hat das Gericht in Leipzig prinzipiell als zulässig bezeichnet, im Einzelfall aber durchfallen lassen. "Compact" sei schon irgendwie verfassungsfeindlich, aber nicht ausreichend verfassungsfeindlich, um nicht weiter erscheinen zu dürfen. Die Postille des vom Linksradikalen zum Rechtsextremen gewandelten Jürgen Elsässer darf feiern: Sie ist jetzt gesichert erlaubt, testiert vom Bundesverwaltungsgericht. 

Dienstag, 24. Juni 2025

Seelenmasseur der SPD: Kernig zum Konkurrenzverbot

Tim Klüssendorf, SPD-Generalsekretär, nordischer Charme, junge Wählerinnen, AfD-Verbotsverfahren, sozialdemokratische Politik, Vermögensabgabe
Kerniger Kerl: Mit nordischem Charme soll Tim Klüssendorf vor allem junge und mittelalte Frauen zurück zur SPD holen. Abb: Kümram, Öl auf Brandmauer

An der Sprache muss er noch arbeiten, auch den richtigen neutralen Eindruck vermittelt er noch nicht. Tim Klüssendorf, von Lars Klingbeil auserkoren, als nächster SPD-Generalsekretär zu fungieren, ist noch neu und nicht einmal im Amt, seine Partei wird ihn auftragsgemäß erst beim anstehenden Parteitag mit seiner neuen Verantwortung betrauen. Niemand hatte den 33-jährigen Lübecker auf dem Schirm, als Klingbeil ihn als Trumpf aus der Tasche zog: Frisches Blut für die älteste deutsche Partei, ein echter Kerl unter all den diversen, aber stets sanften Auftrittsarten.

Kernig im Auftritt 

Klüssendorf arbeitet seitdem mit einem erfahrenen Team aus Stichwortgebern, Worthülsendrehern und Politpoeten daran, sich einen Namen zu machen. Zwischen Jette Nietzard und Kevin Kühnert soll er im Regal stehen, ein wenig wild, klar im Abgang, sozialistisch, aber mit Herz. Vor allem aber kernig auf Auftritt. Es ist seine Demokratie, für die der Mann mit der Raketenkarriere steht: Wie üblich diente sich auch Tim Klüssendorf durch die Niederungen des Parteilebens nach oben. 

Der Sohn einer Lübecker Handwerkerfamilie machte Abitur, Bundesfreiwilligendienst und er studierte. Die Zeit bis zum Einzug in den Bundestag überbrückte nach den Vorgaben der Parteilehre als Mitarbeiter eines SPD-Politikers. Im Gegensatz zur üblichen Bewährung in der sozialdemokratischen Politproduktion als Gehilfe eines Landtags- oder Bundestagsabgeordneten schlüpfte Klüssendorf als Referent beim Lübecker Bürgermeister unter.

Die Parteiseele streicheln 

Den festen Blick auf das, was Menschen hören wollen, und die deutliche Sprache, die hat Tim Klüssendorf aus dem hohen Norden mitgebracht. Er nutzt sie, um sein bislang blasses Profil zu schärfen und die Seele der von Wählerflucht, Verachtung und Verratsvorwürfen malträtierten SPD zu streicheln. Klüssendorf soll mit seinem kühlen, nordischen Charme vor allem junge und mittelalte Wählerinnen zu SPD zurücklocken. Dem von Beobachtern als "germanischer Typ" beschriebenen Norddeutschen wird zudem zugetraut, im Milieu von Burschenschaftlern, ostdeutschen Handwerkern und bei der LGBTQABCDE-Szene zu punkten. 

"Für uns ist klar, dass die AfD ihre Mandate nutzt, um unser parlamentarisches System zu delegitimieren", hat der künftige Nachfolger von Lars Klingbeil und Kevin Kühnert in die zuletzt erlahmte Diskussion um ein Verbot der zuletzt kurzzeitig als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuften Partei eingegriffen. Deswegen, so Klüssendorf, wolle die SPD die Verfassungsmäßigkeit der AfD überprüfen. 

Überprüfen, nicht überprüfen lassen. Ein wichtiger Zungenschlag, der wegen der Terminierung beinahe unterging. Klüssendorf hat das tote Pferd des Parteiverbots natürlich in Ansprache mit seinem Parteichef Lars Klingbeil genau an dem Tag aus dem Stall gezerrt, an dem sein Vorgänger die Versorgung der Inflation in Deutschland mit so viel frischem Geld verkündet, dass der Geldstrom das noch vor zehn Jahren für ein Vierteljahrhundert getränkt hätte. 

Hoffnungsträger der Linken 

Doch der Hoffnungsträger der Parteilinken, als Ersatzmann für die mehr als 20 Jahre lang vollkommen unauffällig eine Bundestagshinterbank hütende Lübecker Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm ins Parlament eingezogen, drückt dem Ablenkungsmanöver seinen Stempel auf, indem er eben nicht auf Geheimdienste oder Gerichte schielt. Sondern die deutsche Sozialdemokratie selbst in der Verantwortung sieht, die so bedrohlich erstarkte Konkurrenz aus dem politischen Wettbewerb zu werfen.

Tim Klüssendorfs Überzeugung nach ist auch die durch seine Partei noch vorzunehmende Prüfung eine reine Formsache. "Aus unserer Sicht muss ein Verbotsverfahren auf den Tisch", das sei im Präsidium der Partei Konsens, die selbst schon zweimal mit großem Erfolg von den Behörden verboten worden war. Zuerst trug das 1878 von Reichskanzler Otto von Bismarck initiierte "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" dazu bei, die Reihen in der Arbeiterbewegung zu schließen.

Am 22. Juni 1933 dann wurde die SPD durch die konkurrierende NSDAP verboten, deren Parteiorgan "Völkischer Beobachter" hocherfreut das "wohlverdiente Ende der marxistischen Landesverratspartei" feierte, sich damit allerdings über den sogenannten Urchristeneffekt täuschte. 1945 war die NSDAP weg. Die SPD aber wieder da. 

Lehren aus dem eigenen Verbot 

Die einstige Arbeiterpartei hat ihre Lehren gezogen. Man "peile ein Verbot der AfD an" und werde auf dem Parteitag am kommenden Wochenende dafür "Vorbereitungen" anstoßen. Nach Klüssmanns Planungen wird eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, "über die Parteien hinweg", die Belastungsmaterial sammeln solle, das ähnlich wie das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Verfassungswidrigkeit der Bestrebungen der AfD belegt. 

Echten Prüfbedarf sieht Klüssmann schon vorab nicht mehr. "Wir sind uns sehr sicher, dass die Voraussetzungen dafür gegeben sein werden", hat der bisherige Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion bekanntgegeben.

Damit bestehe dann aus seiner Sicht "eine Pflicht für ein Verbotsverfahren", denn der Rechtsextremismus sei die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland. Tim Klüssendorf denkt dabei strategisch. Schon im Jahr 2029 steht die nächste Bundestagswahl an, das letzte Verfahren aber, das in Deutschland auf ein Parteiverbot hinzielte, dauerte mehr als vier Jahre bis zur Einstellung. 

Die Zeit wird knapp 

Schon jetzt wird das knapp. Selbst wenn es der SPD-Führung gelingt, die Koalitionspartner von der Union davon zu überzeugen, dass der Ausgang eines politischen Kampfes gegen die AfD ungewiss ist und ein Verbot der Gesamtorganisation die deutliche sauberere und gefahrenfreie Lösung, könnte die Rechtspartei in vier Jahren womöglich noch einmal kandidieren. Ende offen.

Soweit soll es nicht kommen. Ein Verbotsverfahren gehöre auf den Tisch, hat der studierte Volks- und Betriebswirtschaftler Klüssendorf den verunsicherten, von den vielen steilen Halsen der früheren Friedenspartei verblüfften Rest der einstigen Stammwähler wissen lassen. Mit Tim Klüssendorf soll alles anders werden in der zur Sicherung der weiteren Regierungsbeteiligung nach rechts gerückten früheren Volkspartei. 

Angebot an den Narrensaum 

Klüssendorf sieht sehr genau, wie die fundamentalistische Linkspartei mit ihren populistischen Parolen vom Reichtum für alle, außer für Reiche am linken Narrensaum Begeisterung erntet. Mit der Ankündigung, die immer noch hart arbeitende Mitte in Zukunft stärker zur Kasse zu bitten, weil er selbst  ja auch "in der Lage wäre, auch mehr zu zahlen", hat der erst vor zwei Jahren beim Young-Leader-Programm der Atlantik-Brücke frisch besohlte Jungfunktionär erkennen lassen, dass es ihm nicht an Fantasie fehlt, zu sehen, "wo noch deutlich mehr drin ist". 

Tim Klüssendorfs Lieblingsprojekt ist die Suche nach einer tragfähigen und glaubhaften Begründung für die Notwendigkeit der Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe. Mit der sollen die sogenannten "höchsten Vermögen in Deutschland"  an die "Bewältigung der massiven krisenbedingten Lasten finanzieren", die der Staat trotz seiner anhaltenden Rekordsteuereinnahmen nicht mehr in den Griff bekommt. 

Beim Bundesparteitag der SPD im Dezember 2023 erwirkte er gemeinsam mit den Jusos, dass seine Forderung nach einer "einmaligen Krisenabgabe" für alle, "die über die höchsten Vermögen in unserem Land verfügen" ins Politikangebot der Partei aufgenommen wurde. Wie genau die SPD "höchste Vermögen" definiert und wie hoch die "einmalige Abgabe" sein wird, soll eine Überraschung bleiben.

Der große Wurf: Geld wie Heu

Rekordsschulden für die Bundeswehr Klingbeil Olivgrün
Was beim Klima an Knauserigkeit scheiterte, wird bei der Kriegstüchtigkeit kompromisslos umgesetzt.

Es geht doch. Kaum mehr als ein halbes Jahr ist die FDP nicht mehr an der Bundesregierung beteiligt, und schon ist Geld da wie Heu. Mit der noch vom alten Bundestag bereitgestellten Kreditermächtigung über eine runde Billion Euro fiel es dem neuen Bundesfinanzminister Lars Klingbeil leicht, den ersten Haushalt der schwarz-roten Koalition aufzustellen.  

Für das laufende Jahr sind 81,8 Milliarden Euro an Schulden geplant. Im kommenden Jahr kommen weitere 89,3 Milliarden Euro dazu. Alles in allem wird Schwarz-Rot bis zum regulären Ablaufdatum im Jahr 2029 846,9 Milliarden Euro ausgeben, die die Bundesregierung nicht hat. Zusätzlich zu den 1,8 Billionen, die durch Steuern eingenommen werden.

Atemberaubende Zahlen 

Es sind atemberaubende Zahlen. Für jeden Einwohner steigt die Schuldenlast um 10.000 Euro, zusätzlich zu den 26.000 Euro, die er ohnehin schon zu schultern hat. Aufgeschlüsselt nach Steuerzahlern, die einzigen, die tatsächlich für Verbindlichkeiten geradestehen könne, wächst die bisherige Schuldenhöhe von knapp 50.000 Euro pro Kopf auf beinahe 60.000. 

Hinzu kommen allerdings noch die Spezialkredite aus den beiden Sondervermögen für Infrastruktur, Klimaschutz und Verteidigung - eine weitere Billion, die den Schuldenstand jedes Einzelnen in Deutschland um noch einmal 10.000 Euro und den jedes Steuerzahlers um rund 20.000 steigen lässt.

Zwei Jahre nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum Klimafonds, das die Ampel die Lebensader abklemmte, erscheint die Diskussion damals wie ein kleinlicher Streit um die Kaffeekasse. Um karge 60 Milliarden ging es damals, eine Menge Geld, die beim dann geplanten Haushaltsvolumen von 573,8 Milliarden Euro im Jahr 2029 aller anderthalb Monate ausgegeben werden wird. 

Die Richtung stimmt 

Die Richtung ist unverkennbar: Aus 15 Milliarden Staatsschulden im Jahre 1962 wurde in den 40 Jahren bis 2002 ein Schuldenberg von 750 Milliarden. In den zehn Jahren danach verdoppelte sich die Summe. In den drei Jahren seitdem verdoppelte sie sich erneut, mit einem großen Schnaps obendrauf, so dass jetzt 2,7 Billionen in den Büchern stehen.

Noch, aber nicht mehr lange. Der große Wurf des Lars Klingbeil, von Bundeskanzler Friedrich Merz angekündigt als durchaus verantwortbar, weil mit dem Geld jetzt doch mal das ganze Land in Schuss gebracht werde, was auch sehr gut für die sei, die eines Tages alles zurückzahlen müssen, was bis dahin zusammengekommen ist. Ende 2029, kurz vor Braunkohleausstieg, dem Erreichen der Klimaziele und der Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr, werden das dann 4,3 Billionen Euro sein. Pro Steuerzahler ziemlich genau 100.000 Euro. Wobei deren Zahl bis dahin um zwei bis drei Millionen Menschen sinken wird. 

Für den guten Zweck 

Es ist ja aber für einen guten Zweck. Wagten sich frühere Bundesregierungen nicht, für das Überlebensthema Klima richtig in die Kasse zu langen, hat die Umstellung auf Kriegswirtschaft die alte deutsche Knauserigkeit weggeblasen. Lars Klingbeil, als Generalsekretär seiner Partei vor Jahren noch galliger Kritiker der Bereitschaft der Union, sich den Wünschen Donald Trumps nach Rüstungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu beugen, diskutiert heute nicht mehr diese oder jene Null mehr oder weniger.

 "Wenn es heißt, 3,5 Prozent, dann machen wir 3,5 Prozent", hat er vergangene Woche noch Bereitschaft bekundet, nicht kleinlich zu sein. Nun werden es eben fünf - bei einem BIP von vier Billionen Euro ein hübsches Sümmchen von 200 Milliarden.

Russland wird überholt 

Den derzeitigen Planungen zufolge, in denen der Aufwuchs der Rüstungsausgaben schon recht detailliert beschrieben ist, wird Deutschland Russland beim Wehretat bereits in drei Jahren überholen: Im laufenden Jahr summieren sich die Aufwendungen für die Landesverteidigung noch auf bescheidene 70 Milliarden.  Für 2027 sind schon 93,3 Milliarden Euro vorgesehen, für 2028 136,5 Milliarden Euro und 2029 ist es geschafft: Die laut Finanzplan anvisierten 167,8 Milliarden Euro würden reichen, jedem einzelnen von Putins Soldaten 125.000 Euro Jahressold dafür zu zahlen, dass er nicht angreift.

Erfolgversprechender wäre es, aber billiger wäre es nicht. Die Aussicht aber, endlich wieder Weltmacht zu werden, ist verlockender. Mit dem Erreichen des Planzieles der knapp 170 Milliarden für die Bundeswehr würden nur die Vereinigten Staaten und China mehr Geld dafür aus, dass ihre Bemühungen, jetzt endlich mal das ganze Land in Schuss zu bringen, nicht von einem urplötzlich einfallenden Feind torpediert werden. 

Die zweitteuersten Soldaten 

Bei den Ausgaben pro Kopf jedes Soldaten und Offiziers wird Deutschland gar auf Platz zwei weltweit vorstoßen: Die USA lassen sich jeden ihrer 1,3 Millionen Armeeangehörigen um die 700.000 Euro kosten, Deutschland wird knapp dahinter bei 650.000 landen. China dagegen gibt nur 150.000 Euro aus, Russland liegt mit 120.000 Euro heute schon abgeschlagen hinter dem aktuellen deutschen Wert von 380.000 Euro.

Das Geld ist anschließend nicht weg, es hat nur ein anderer. Der Maastricht-Vertrag wird nicht gebrochen, wird nur  wieder nicht eingehalten. Völkerrecht aber ist biegsam und die Not, den US-Präsidenten gnädig zu stimmen, kennt kein Gebot. Aus der feministischen Außenpolitik ist die bellizistische geworden, aus der Schuldenbremse der Schuldenrausch. 

Montag, 23. Juni 2025

Die Völkerrechtler: Bewaffnet mit Illusionen

Völkerrecht, Urananreicherung, GBU-57, Tarnkappenbomber, Natanz, Revolutionsgarde, Atomwaffen
"Vorübergehend geschlossen": Die iranischen Atomanlage in Natanz.

Trump hat es getan, er informierte den deutschen Bundeskanzler zuvor nicht einmal. Auch die EU-Kommissionspräsidentin lag nichtsahnend im Bett, als die US-Air-Force mit einem Langstreckenflug Richtung Asien die Vorlage schuf für deutsche Fliegerromantik mit elegant gleitenden Tarnkappenbombern und Auslöschungsfantasien durch die "Tiefenbombe" GBU-57, deren prachtvolles Werk jedoch nur kurz vorbehaltlos bestaunt werden konnte.

Entsetzen und Bedenken 

Schnell waren sie wieder da, die Bedenken. Und am lautesten dort, wo  wie immer das schlimmsten betroffene Gebiet liegt: 2.000 Kilometer Luftlinie von den Anreicherungsanlagen in Natanz entfernt wuchsen die Sorgen von Kommentatoren, Völkerrechtlern und Aktivisten mit jeder Sekunde, in der sich der Staub über den Einschlagkratern nahe der Mahabad-Zavareh-Straße legte. Deutschland, gemeinsam mit seinen EU-Partnern noch 50 Minuten nach zwölf ein geduldiger, vor keinem Kompromiss zurückschreckender Partner des Mullah-Regimes in Teheran, war über die Angriffe der israelischen Luftwaffe auf die militärischen Kapazitäten der Revolutionsgarde entsetzt. Über den Angriffsbefehl des US-Präsidenten auf die Urananreichungsanlagen aber waren sie empört. 

 Eine Missachtung der Bedenken Europas, das noch wenige Stunde  vorher versucht hatte, bei einem Treffen mit dem iranischen Außenminister den Eindruck zu erwecken, zwischen "wir reichern Uran für eine Bombe an" und "wir reichern kein Uran an" gebe es eine Kompromissformel, die das eine zulässt, im gleichen Atemzug aber auch das andere garantiert. 

Getroffene Hunde 

Mit 408 Kilogramm auf 60 Prozent angereichertem Uran, wie die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) im Juni 2025 meldete, war Teheran nur noch einen kleinen Schritt von waffenfähigem Material entfernt. Dass Teheran hinter den Terrororganisationen Hamas, Hisbollah und auch hinter den Huthi im Jemen steht, zeigte sich, nachdem Israel die Hamas-Führer Ismail Haniyya in Teheran und den Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah in Beirut getötet hatte: Der Iran antwortete mit Raketenangriffen auf Israel, obwohl weder Haniyya noch Nasrallah iranische Staatsbürger waren.

Seit der Einschlag der GBU-57 den Träumen Europas von einem Alleingang ohne die Amerikaner ein Ende gesetzt haben, leidet Deutschland mehr denn je an Völkerrechtsbruch: Hätten die Israelis sich so früh schon wehren dürfen? Durften sie es überhaupt? Und wenn, dann so? Was ist mit Trump und dessen Versprechen, Amerika aus Kriegen herauszuhalten? Hat er das gebrochen? Ist das erlaubt?  Muss das Konsequenzen haben? Amtsenthebung? Haft? Müsste die UNO nicht jetzt? Der Sicherheitsrat? Oder der Internationale Gerichtshof?

Angst davor, der Nächste zu sein 

Völkerrechtler wie der bekannte ARD-Journalist Georg Restle, aber auch Friedenspolitiker der Linken, der SPD und aus anderen Parteien bis hin zur AfD haben gemeinsam gemahnt. Wer Trump diese Schläge durchgehen lasse, müsse damit rechnen, als nächster bombardiert zu werden, unkte Restle. Die moskautreue SPD-Fraktion schäumte, die revolutionäre Antifa suchte den Schulterschluss mit den totalitären Islamisten der antisemitischen Pro-Palästina-Bewegung. 

Die USA wollten verhindern, dass ein weiteres Land zur Atommacht wird, vermerkt die "Zeit" in großer Sorge, denn "Sie könnten das Gegenteil erreichen". Wäre es nicht besser gewesen, weiterhin so zu tun, als versuchten die schiitischen Islamisten im Iran nicht, sich nuklear zu rüsten, um unangreifbar zu werden? 

Natürlich dürfe der Iran nicht in den Besitz von Atomwaffen kommen. Der Weg dahin aber müssten Verhandlungen sein wie noch immer in den zurückliegenden 25 Jahren, keine Bombardements. Die Zerstörung der Nuklearanlagen in Fordo, Natans und Isfahan, so schreibt das Blatt, sei wie schon Israels Luftschläge gegen den Iran ein "Bruch des Völkerrechts" gewesen, jener heiligen Kuh der regelbasierten Ordnung, an die sich alle immer genau so lange halten, wie sie glauben, davon zu profitieren. Wechselt der Bedarf, wechselt die Akzeptanz. 

Hauptsache beliebt 

Ruft das Volk, kann alles richtig sein: Gerhard Schröder wurde dereinst zum beliebtesten deutschen Politiker, als er dem amerikanischen Präsidenten beherzt mitteilte, dass keine deutschen Soldaten an der Seite der US-Armee ausrücken werden, um den Nahen Osten zu befreien. Boris Pistorius, Obergefreiter, Osnabrücker Oberbürgermeister und niedersächsischer Innenminister, gelingt dasselbe Kunststück, indem er das Gegenteil tut. 

Bis 2029, dem Jahr, in dem Putin seine "Krüppel-Bataillone" (n-tv) Richtung Westen in Marsch setzen wird, sollen Heer, marine und Luftwaffe kriegstüchtig genug sein, um die "schwerverletzten Soldaten in Rollstühlen und auf Krücken" zurückzuschlagen, die der Kreml heute schon ohne Gnade an der Front verheizt.

Die "Drecksarbeit" wie es Friedrich Merz genannt hat, wird außerhalb erledigt. Die Anklagen werden in Deutschland formuliert. Die Weltpolitik ist aus Berlin, München und Hamburg betrachtet kein Handwerkszeug, mit dem sich Staaten im Geschäftsverkehr Vorteile zu erwirtschaften hoffen, sondern ein absolut gesetztes Recht, das zu missachten nur den Stärkeren nützt, Deutschland aber schadet. 

Verboten und erlaubt 

Seit sich eine Bundesregierung Ende der 90er Jahre legitimiert sah, das  nach Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta geltende Verbot jeder "Androhung und Anwendung zwischenstaatlicher Gewalt"  eines höheren Zweckes wegen ignorieren zu dürfen, klingt die Klage hohl, dass das Völkerrecht immer zu respektieren sei. Gleichwohl sind es die, ausgerechnet die, die den Straftatbestand der Aggression unabhängig vom Deutschlandbezug vor deutschen Gerichte verhandeln lassen, die vom drohenden Flächenbrand, dem Völkerrecht als Bollwerk der Zivilisation und der Notwendigkeit barmen, dass nun erst recht jedes Unrechtsregime der Welt nach Atomwaffen streben werde.

Vorbild sein, die andere Wange hinhalten, den Frieden vorleben, das wäre Deutschlands Weg, hätte ein grausamer Gott die wirtschaftliche, demokratische und moralische Führungsmacht der EU an einen Ort auf der Erde gelegt, an dem sie ringsum von Feinden umgeben wäre, die kein Hehl daraus machen, dass sie es als ihre historische Aufgabe betrachten, ihren Nachbarn rückstandslos auszuradieren. 

Der Traum von der Operettenarmee 

Deutschlands Regierungen würden deeskalieren, sie hätten die Bundeswehr zu einer demonstrativ wehrlosen Operettenarmee gemacht und versucht, durch ausgestellte Wehrlosigkeit zu beweisen, dass es gemein wäre, ein so hilfloses Land zu vernichten. Das Völkerrecht, das immer so lange ohne die geringste Einschränkung gilt, wie sein Verteidiger es als Angriffswaffe nutzen können, wäre Deutschland einziger Schild. Die Hoffnung, genug Mitleid zu erregen, um Gnade zu finden, sein größter Schutz.

Diesen hohen moralischen Anspruch erhebt Deutschland naturgemäß auch gegenüber anderen, wenn auch nicht gegenüber allen. Die hitzige Debatte darüber, ob Israel durfte, was es tat, und ob den Vereinigten Staaten erlaubt war, was sie unternommen haben, ist zuvorderst dazu angetan, den Mantel des Schweigens über den vielen, vielen Jahren zu belassen, in denen die Verstöße des Iran gegen das Völkerrecht achselzuckend hingenommen wurden. Die Mullahs rüsteten Terrorgruppen aus? Die Mullahs finanzierten Armeen, die ganze Staaten übernahmen? Sie organisierten Terroranschläge, sabotierten den Welthandel, paktierten mit dem Kreml und verstießen gegen Verträge, an die die EU ihr ganzes Selbstbild als  bedeutsame Kraft auf globalen Bühne knüpfte. 

Selbstgespräch in unserer Demokratie 

Empört reagierte in Deutschland niemand. Schurkenstaaten tun, was Schurkenstaaten tun. Wenn, dann war es immer das demokratische Israel, das kritisiert wurde. Jeder, der Honig aus Warnungen, Mahnungen und strategischen Hinweisen ziehen wollte, weiß zwar, dass weder in Teheran noch in Jerusalem noch in Washington irgendjemand zuhört, wenn "unsere Demokratie" ein Selbstgespräch darüber führt, was alles anders wäre, würde Deutschland endlich etwas zu sagen haben. Aber als Ablenkungsmanöver von der eigenen Irrelevanz ist ein lautes Nachdenken über Völkerrecht, die sagenhafte "regelbasierte Weltordnung" und eine dem US-Präsidenten womöglich drohende innenpolitische Krise die beste Art, im Spiel zu bleiben.

Oben, auf der Tribüne, kollidieren Doppelmoral und Ignorant mit der verrückten Vorstellung, es gebe jenseits der Macht, die aus Stärke kommt, eine Weltordnung, die auf Vertrauen in die Lauterkeit des anderen und dessen unbedingte Vertragstreue beruht. Wie noch jedes Mal, wenn die Politik an das Ende ihrer Mittel gekommen ist, übernimmt der Krieg. 

Ein Spielball für starke Teams 

Das Völkerrecht, theoretisch eine der größten Errungenschaften der Zivilisation, wird zum Spielball geopolitischer Interessen: Die UN-Charta verbietet die Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit eines anderen Staates. Artikel 51 aber erlaubt sie als Ausnahme, wenn es um die Selbstverteidigung geht. Die einen berufen sich auf dies, die anderen auf das. 

Einmal sind die US-Angriffe auf die Atomanlagen in Fordo, Natans und Isfahan ein neuer Tiefpunkt der Aushöhlung des Völkerrechts. Ein andermal zeigen sie, wie die Menschheit aus den Fehlern gelernt hat, die der britische  Premierminister Neville Chamberlain beging, als er glaubte, Hitlers Deutschland mit einer Beschwichtigungspolitik beruhigen und so einen Krieg vermeiden zu können.

Völkerrecht als Instrument 

Die 14 bunkerbrechenden Bomben, die nuklearen Kapazitäten Irans ganz oder teilweise zerstört haben - Donald Trump schwärmte von "monumentalen Schäden" und "Volltreffern" infolge der Operation "Midnight Hammer" - haben das Völkerrecht einmal mehr als ein Instrument enttarnt, das kaum mehr ist als eine Übereinkunft auf Benimmregeln für schöne Tage. Aus allen Ritzen kommen die Völkerrechtler gesprungen, die einen eklatanten Verstoß gegen die Vorschriften bemängeln. Ehemalige Bundesverfassungsrichter sirgen sich, weil präventive Angriffe völkerrechtlich kaum haltbar seien. So lange die Mullahs in Teheran es schaffen, Israel nur durch Stellvertreter anzugreifen und ihre Atombombe zu bauen, ohne dass es einen klaren Beweis dafür gebe, dass sie sie bauen, sei Selbstverteidigung nicht legitimiert.

Für Deutschland, aufgrund seiner außenpolitischen Unsichehreit einer der eifrigsten Verfechter einer regelbasierten Weltordnung, die Richtig und Falsch automatisch bestimmt, ist diese Position ein schöner Rückzugsort. Einerseits kann Bundeskanzler Friedrich Merz den Amerikanern fünf Prozent für Verteidigung zusagen. Andererseits nicht glücklich über Washingtons entschiedenes Vorgehen ohne Rücksprache mit seinen Verbündeten sein. Das Auswärtige Amt schickt vage Appelle zur Deeskalation an beide Seiten. Das Verteidigungsministerium vollendet den Kniefall vor Washington, indem es mindestens 220 Milliarden für Waffen, Soldaten und Stützpunkte zusagt - eine Summe, die etwa der Hälfte des gesamten Bundeshaushaltes entspricht.

Komplize und Gegner 

Die Bundesrepublik ist Komplize und Gegner in einem, sie liefert Waffen und warnt vor ihrer Anwendung, sie hat Verständnis und ist empört. In der traditionellen Doppelmoral des "Wehret den Anfängen" und "Nie wieder", kombiniert mit der Betonung, auch die Mullahs seien sicherlich mit vertrauensbildenden Maßnahmen vom Vorteil eines Atomverzichts zu überzeugen, fühlt sich Deutschland zu Hause und in Familie mit der EU. Bis heute haben weder Brüssel noch Berlin Irans Revolutionsgarden, die größte und mächtigste Terrororganisation der Welt, auf die offizielle Terrorliste gesetzt, aus Furcht davor, sich den Zorn der Mullahs zuzuziehen.

 

Die Macht aus der Mitte: Links, wo das Herz schlägt

Die Linke musste nicht einmal erneut ihren Namen wechseln, um endlich in unserer Demokratie anzukommen.

Alle gingen sie nach rechts, die Blauen sowieso. Schon mit dem ersten Tag ihrer Existenz war die rechte Lucke-AfD aufgebrochen, zur rechtsradikalen Petry-AfD zu werden, ehe sie die rechtsextreme Gauland-AfD wurde, um heute als Weidel-AfD vom Verfassungsschutz mit dem Warnaufdruck "gesichert rechtsextremistisch" eingeordnet zu werden. Aber auch die anderen, die demokratischen Parteien sind in die rechte Ecke unterwegs. Von der CSU, die rechts neben sich noch niemals eine andere politische Kraft dulden wollte, über die CDU, die Merz vom bewährten Merkelkurs wegsteuerte, bis hin zur deutschen Sozialdemokratie, die um des Machterhalts willen ein Bündnis mit der Partei des Brandmauerbruchs einging.

Der linke Lack ist ab 

Die Grünen galten lange als linke Kraft, auch noch nach dem Abschied ihrer alten Führung um Lang, Nouripour, Baerbock und Habeck. Das von den neuen Parteichefs Franziska Brantner und Felix Banaszak jüngst vorgelegte Manifest "Unser Küchentisch ist die Eckkneipe" zeigte allerdings, dass der linke Lack auch bei der früheren Alternative für Deutschland abblättert. Statt nach der verlorenen Bundestagswahl stabil an der so lange so erfolgreichen Strategie des umfassenden Ausbaus von Planwirtschaft und fürsorgendem Staat festzuhalten, will die führende linke Partei Bürgerinnen und Bürger künftig "ernst zu nehmen in ihren Sorgen". Und das "als Gestalterinnen ihres Lebens, nicht als Empfänger der Regierungsverkündung".

Ein großes Wagnis. In den zurückliegenden zehn Jahren hatte sich deutschlandweit etwa alle fünf Minuten ein führender Journalist in die Grünen verliebt. Die Berichterstattung von Parteitagen lief überwiegend im Fanradio. Angriffe auf grüne Entscheidungen wurden von einem nahezu undurchdringlichen Schutzschirm aus Faktencheckern, Kommentatoren und Fernsehdiskutanten abgewehrt. Ob Flüge mit der Rufbereitschaft, Filzvorwürfe oder märchenhafte Zukunftsversprechen - ein Fleischwall aus Engagierten schob sich zwischen die grünen Sympathieträger und ihrer Gegner.

Im Schatten des neuen Stars 

Im Augenblick aber ist ein Favoritenwechsel zu besichtigen. Seit mit der linken TikTok-Politikerin Heidi Reichinnek ein neuer Star am Medienhimmel aufgegangen ist, schließen die Freunde ehrlicher linker Politik eine neue Partei in ihre Gebete ein. Die Linke, vor einem Jahr noch eine glücklos gegen den Untergang kämpfende Nachfolgeorgansiation der DDR-Staatspartei SED, mauserte sich binnen kürzester Zeit zur Kraft, die die Grünen bei der Medienpräsenz überflügelt hat. Und das, obwohl noch im Herbst 2024 nur sechs Prozent der Mitarbeitenden der schreibenden Zunft gewagt hatten, sich offen zur Linkspartei zu bekennen.

Erfolg bringt Erfolg und der Sprung aus der Todeszone unterhalb der Fünf-Prozent-Grenze auf fast acht Prozent der Wählerstimmen hat die zweitälteste deutsche Partei zur Partei der Stunde gemacht. Die "Ostmulle" Heidi Reichinnek ist die beliebteste Politikerin der Republik. Mit mehr als 50.000 neuen Migliedern, eingetreten seit dem Austritt der Wagenknecht-Fraktion, schickt sich die Linke an, die lange deutlich führenden Grünen und die CSU als drittgrößte Partei zu überflügeln. 

Unter der Fahne des Sozialismus 

Wichtiger aber noch als diese erstaunlichen Fortschritte, erzielt unter der Fahne von Sozialismus, Obrigkeitsstaat und versprochener Vormundschaft, ist der Imagewandel, den den Linken in nur einem halben Jahr gelang. Bis 2014 noch vom Verfassungsschutz beobachtet, der sichere Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche und linksextremistische Bestrebungen innerhalb der in großen Teilen moskautreuen und marktwirtschaftsskeptischen Organisation entdeckt hatte, hat sich die Linkspartei  mit der Neugestaltung ihres Parteilogos einen Platz in den Herzen vieler früherer SPD- und Grünen-Anhänger sichern können.

"Die Linke erlebt einen Aufschwung und ist dabei, die Grünen als progressive Partei der Mitte abzulösen", jubelt Mariam Lau in der "Zeit", in der sie bisher für die Abwehr von brutalen Attacken auf die Grünen und Loblieder auf das grüne Spitzenpersonal zuständig gewesen war. Die in der Bundesregierung an der Realität gescheiterte Partei aber ist nicht nur mit einem Führungspersonal geschlagen, dem Charisma, Wissen und Bekanntheit fehlen. Sondern auch mit einer akuten Themennot: Bei der Friedenspolitik hat die Partei ihre Glaubwürdigkeit verloren. Bei der Transformation der Industrie zu einer klimaneutralen Wirtschaft sind ihre Baulandungen Legende. Und für die hartnäckigen Versuche, das Land von oben auf Parteilinie zu bringen, gab es bei der Wahl die Quittung.

Gefährlich still 

Inmitten von Krisen, Krieg und Chaos verlegen sich die Grünen deshalb derzeit notgedrungen auf Nebenkriegsschauplätze. Die X-Accounts der Partei- und Fraktionsvorsitzenden glühen, wenn Maja T. freigekämpft oder Israel angegriffen werden können, wo Jens Spahn vor einen Untersuchungsausschuss gezerrt werden oder "Gewalt gegen Vielfalt" als "Angriff auf die Demokratie in unserem Land" (Göring-Eckardt) angeprangert wird. "Gefährlich still" (Lau) ist aber bei den wichtigen Fragen: Der klimagemachte Zusammenbruch großer Unternehmen, die Überwachungspläne der neuen Bundesregierung oder das Zurückbleiben Deutschlands und der EU bei Kernkraft, Künstlicher Intelligenz und Einfluss auf die Weltpolitik bleiben bei allen Spitzenkräften bewusst unerwähnt.

Auch die Linke äußert sich dazu nicht, aber ihrer neuen Beliebtheit tut das keinen Abbruch. Ohne dass die im Kern nach wie vor kommunistische Partei ihr Programm ändern oder ihre Pläne aufgeben musste, bei nächster Gelegenheit ein neues Menschenexperiment zu starten, um den Sozialismus nun aber richtig aufzubauen, ist sie dort angekommen, wo gerade noch CDU, Grüne und SPD verortet worden waren. Die vielbeschworene "Mitte", der geheimnisvolle Ort, an dem zuletzt sogenannte "Mitte-Extremisten" entdeckt worden waren, wird zur Heimat eines politischen Projekts mit dem totalitären Anspruch, dem Einzelnen nicht mehr die Wahl zu lassen, wie er leben will.

Gesicht der Verwandlung 

Reichinnek ist das Gesicht dieser Verwandlung, ihr Werkzeug aber sind die Landverschiebungen, die unterhalb der Oberfläche stattfinden. Alle sind nach rechts gewandert, zurückgeblieben ist links allein die Linke. Damit, die Logik ist unbestechlich, ist die Mitte jetzt links und das politische Spektrum besteht nur noch aus zwei Polen: rechts und links daneben, dort, wo das Herz schlägt und die Mitte ist.

Es hat wieder wenig mit der Wirklichkeit, viel aber mit Liebe zu tun. Nach den Grünen, einer Wickelrockschlunzenpartei, die 2018 nach der Machtübernahme durch Annalena Baerbock und Robert Habeck plötzlich mit "Glamour" (Lau) assoziiert werden sollte, ist es jetzt die Linkspartei, der eine "wundersame Wiederauferstehung" nach-, und eine große Zukunft als Macht aus der Mitte vorhergesagt wird. 

Kein Schmuddelkind mehr

Womöglich sei die Linke "innerhalb der deutschen Parteienlandschaft nicht länger das Schmuddelkind mit SED-Vergangenheit, sondern plötzlich Teil der politischen Mitte",  mutmaßt die "Zeit". Die "Welt" verweist auf "mehr Junge, mehr Frauen, mehr Westdeutsche", Umfragen sehen die Mauerpartei in der ehemals geteilten Hauptstadt heute schon als zweitstärkste Kraft. Rascher hat noch keine Partei vom äußersten Rand Gnade gefunden, schneller ist noch nie eine eingemeindet worden in "unsere Demokratie", ohne selbst etwas anderes zu tun als ihre radikalen Forderungen nach Verstaatlichungen, Reichtumsbekämpfung und einem verstärkten Kampf für eine gesellschaftliche Spaltung zu wiederholen und weiter zuzuspitzen.

Sonntag, 22. Juni 2025

Wer hat es gesagt?

"the second was grasping the fact we are apes"

Ein Hofstaat für Scholz: Der Bescheidene

Die Unterhaltszahlungen an früherer Regierungschefs sind in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Jeder Ex-Kanzler sagt einfach, was er für angemessen hält.  

Schnell zurück zu einem straffen Volkskörper, zu schlanker Beweglichkeit und einem Staatswesen, das mit 20 Prozent weniger Personal auskommt - das war die vielleicht größte Mammutaufgabe, die sich der neue Bundeskanzler Friedrich Merz im Wahlkampf vorgenommen hatte. Grenz- und Friedensschließungen hier, Wirtschaftsrettung und AfD-Verbot her. Den zu einem alles beherrschenden Giganten gewachsenen Vater Staat auf Diät zu setzen, kaum jemand wusste das besser als der frühere Blackrock-Manager aus der CDU, würde die wahre Herausforderung sein.

Mit Bürokraten gegen die Bürokratie 

Und Merz, der öffentlich als sein eigener Außenminister auftritt, lässt nicht locker in seinem Bemühen. Sein Vizekanzler Lars Klingbeil, Chef der deutschen Sozialdemokratie und des Finanzministeriums, hat jetzt im ersten Anlauf beim Haushaltsausschuss des Bundestages, der formell das letzte Wort hat, 208 zusätzliche Planstellen beantragt. 

Die Neueinstellungen sollen helfen, den bereits unter Angela Merkel erfolgreich angeschobenen Beamtenboom fortzusetzen. Die neuen Mitarbeiter*innen werden dringend gebraucht: Bereits vor geraumer Zeit aber haben die mit Kosten von derzeit einer runden Milliarde Euro geplanten Bauarbeiten zur Erweiterung des Bundeskanzleramtes in Berlin begonnen. In Kürze werden in der dann größten Regierungszentrale der Welt 400 funkelnagelneue Büros mit emsiger Betriebsamkeit zu füllen sein - eine Aufgabe, an der die 200 Neuen mitarbeiten werden. Gemessen an den Baukosten fällt ihr Unterhalt kaum ins Gewicht, denn die Gehälter summieren sich auf nicht einmal 16 Millionen Euro im Jahr.

Gewohnheitsrecht für Scholz  

Ohnehin unumgänglich waren die acht Stellen, die sich der ausgeschiedene Bundeskanzler Olaf Scholz für sein künftiges Büro ausbedungen hat. Gesetzlich ist die Übernahme der Betriebs- und Personalkosten früherer Regierungschefs in Deutschland nicht geregelt. Gewohnheitsrecht bestimmte lange, dass die ausgeschiedenen Regierungsspitzen ihre Wünsche anmelden und sie dann entsprechend erfüllt bekommen. Diese schöne freihändige Tradition, die zeigt, wie locker und unbürokratisch Deutschland sein kann, endete abrupt, als Gerhard Schröders sattsam bekannte Russlandverbindungen aufflogen und der Ex-Kanzler nicht von seinen Friedensbemühungen abließ.

Der Bundestag verfügte die Zwangsauflösung des Schröder-Büros. Der Altkanzler klagte, unterlag aber mangels einer gesetzlichen Verpflichtung, nach Ende seiner Amtzeit weiter vom Steuerzahler unterhalten zu werden. Nach sieben Jahren im Kanzleramt, deren sogenannte "Fortwirkung" ursprünglich mit sieben Mitarbeitern hatte sichergestellt werden sollen, bekam der Niedersachse bescheinigt, dass in seinem fall von keiner öffentlichen Fortwirkung auszugehen sei. Ein Todesurteil über jeden Politiker, der auch nach getanem Lebenswerk natürlich davon lebt, gesehen, bewundert und für wichtig gehalten zu werden.

Hofstaat als Statussymbol 

Ein Hofstaat ist die Grundlage dieser Fortwirkung, ein Statussymbol, das die mit dem Wegfall des Amtes schlagartig erlöschende Strahlkaft zumindest zum Teil ersetzt. Niemand verstand das besser als Angela Merkel, die nicht nur die Rekordkanzlerin war, sondern ihren Vorgänger auch im Amt des Ex-Kanzlers in den schatten stellte. Während Schröder mit fünf Mitarbeitern auskam, ließ sich die Ostdeutsche aus Hamburg mit neun Mitarbeitern ein wahres Imperium der Nachkanzlerschaft spendieren. 

Über diesen Stab an Getreuen mischt sie eifrig mit, wenn es die Zeit erlaubt. Merkels Terminkalender 2025 liest sich wie der Fahrplan eines Popstars: 16 Termine hatte die Altkanzlerin allein in diesem Jahr bereits. Darunter war ein Gespräch mit Baden-Württemberg Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ein Treffen mit Anas Modamani, einem "Deutschen und Syrer" und ein Austausch mit Finnlands Präsidenten Alexander Stubb. 

Einmal empfing Angela Merkel junge Sternsinger in ihrem Büro im vierten Stock des Hauses, in dem zu DDR-Zeiten Volksbildungsministerin Margot Honecker residierte. Und selbst für die "Teilnahme an der Jury des Gulbenkian-Preises für Menschlichkeit in Berlin" fand sie eine Lücke im eng getakteten Zeitplan ihrer fortdauernden Fortwirkung. 

Bis die Augen zufallen 

"Und dann werde ich vielleicht versuchen, was zu lesen, dann werden mir die Augen zufallen, weil ich müde bin", hatte Merkel ihre Pläne für den Ruhestand einst grob umrissen. Geworden ist daraus nichts. Bis zu vier Termine im Moment stemmt die Ruheständlerin – eine Frequenz, die zeigt: Merkel ist überall, immer, und ihre Mitarbeiter machen’s möglich. Neun Köpfe, achtzehn Hände und viel Fleiß  arbeiten wie ein Schweizer Uhrwerk, um die frühere Kanzlerin der Herzen im öffentlichen Gespräch zu halten, während sie selbst in aller Ruhe "mal schaut", wie sie es einmal bescheiden formuliert hat. Als "Geburtshelferein der AfD" (blaetter.de) hält sie mit gutem Rat nicht hinterm Berg. 

So etwa zeigte Angela Merkel zuletzt im Januar kurzentschlossen Gesicht, als sie ihre Partei ermahnte, die von ihr mitaufgebaute Brandmauer weiterhin als tragende Wand von unsere Demokratie zu respektieren. Und stattdessen lieber mit "allen demokratischen Parteien gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg, nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts, alles" zu tun, "um so schreckliche Attentate wie zuletzt kurz vor Weihnachten in Magdeburg und vor wenigen Tagen in Aschaffenburg in Zukunft verhindern zu können." 

Die Stille nach der Abwahl 

Ein Satz, der seine neun Autoren nicht verleugnen kann. Die sprachliche Wucht, die inhaltliche Tiefe - vieles hier erinnerte Leser an Merkels biografischen Bestseller, den die Meisterin des stillen Humors ironisch "Freiheit" getauft hatte. Umso erstaunlicher erscheint die Nachricht, dass Merkels Nachfolger Olaf Scholz von seinem Recht, sich eine imposante Entourage zu wünschen, nur schüchtern Gebrauch macht. 

Acht Mitarbeiter fordert der Mann, der seit seiner Abwahl so still ist, dass mancher sich fragt, ob er seine eigene Kanzlerschaft bereits vergessen hat. Acht wären zwar drei mehr als der letzte Sozialdemokrat für sich beansprucht hatte. Aber einer weniger als Merkels Wust an bis zu vier Terminen im Monat verwalten und die gelengetlich eingehenden Briefe und Autogrammwünsche beantworten.

Es fehlt auch an Orden 

Wofür, fragen sich Beobachter im politischen Berlin, braucht Scholz acht Mitarbeiter, wenn Merkel neun hat? In der Blase der historischen Bedeutsamkeit gilt die Größe der eigenen Betreuungsmannschaft es als wichtigstes Distinktionsmerkmal - neben der Verschaffung von Ehrendoktorwürden und Großkreuzen in möglichst besonderer Ausführung. Hier liegt Angela Merkel nahezu uneinholbar vor ihrem nachfolger. Scholz ist zwar träger des "Global Citizen Award 2023 des Atlantic Council. Doch Merkel hat 21 Verdienstorden und Ehrenkreuze gesammelt, sie trägt 34 internationale Auszeichnungen vom Eugen-Bolz- bis zum Karlspreis und dazu noch fast zwei Dutzend Doktortitel.

Doch Scholz, der mit seiner Aktentasche immer demonstrativ bescheiden auftrat, ist eben Scholz. Um seine "im Bundesinteresse liegenden Aufgaben" wahrzunehmen, insbesondere im Kontext des Ukraine-Kriegs, der inzwischen offiziell als "zentrales Thema seiner Kanzlerschaft" gilt, wie  Regierungssprecher Stefan Kornelius bekanntgegeben hat, reicht dem neuen Altkanzler eine kleine Kernmannschaft. 

Team muss TikTok füllen 

Ein Büroleiter (B 6, knapp 11.400 Euro im Monat), drei Sachbearbeiter in den Besoldungsgruppen E 11 bis E 14 (bis zu 7.300 Euro), eine Sekretärin (E 8) und ein Chefkraftfahrer wären das normalerweise, um die "zu erwartende Entwicklung der nachamtlichen Tätigkeit" zu wuppen. zu den sechs standesgemäßen Mitarbeitenden kommen in Scholz' Fall nur zwei Bonusstellen, die den Status des Sozialdemokraten unterstreichen: Das "Team Scholz" wird mit ihrer Hilfe eines Tages wieder auf X posten und den beliebten TikTok-Kanal des Niedersachsen befüllen.

Die Neider brauchten dennoch nicht lange, um die Fortführung der großen Gerechtigkeits-, Friedens- und Klima-Politik des Olaf Scholz ins Visier zu nehmen. Der Bund der Steuerzahler mäkelte, die Opposition beschwerte sich, Medien mokierten sich über Scholz' angebliches "Bläh-Büro". Der Bundesrechnungshof hatte die Versorgungsregelung für ehemalige Bundeskanzler schon früher kritisiert. Demnach sei die unbefristete Bereitstellung "mehrerer Chefkraftfahrer", Büros und Mitarbeiter grundsätzlich zu hinterfragen. Die Versorgung der Altkanzler habe zuletzt "Grenzen überschritten". Anschließend beschloss der Bundestag, dass Ex-Kanzler künftig nur noch fünf Mitarbeiter zustehen. 
 

Einzigartige Expertise 

 
Doch soll es nur deshalb keine Ausnahme für Scholz geben, den ersten Kanzler, der unter der Neuregelung zu leiden gehabt hätte? Die Sicherung des Status quo der Bedeutsamkeit des bei der Bundestagswahl schwer abgestraften 67-Jährigen werde zu teuer, eine runde Million Euro im Jahr sei in Anbetracht der Lage der Staatsfinanzen keine zu rechtfertigende Ausgabe. Dabei handelt es sich bei den aufgewendeten Mittel durchweg um "Geld, das niemandem weggenommen wird, weil der Staat gut gewirtschaftet hat.", wie die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner einst treffend bemerkt hatte. 
 
Und von Olaf Scholz ist bekannt, dass er für jeden Euro Leistung liefern wird: Mag die Versorgung von Altkanzlern in Deutschland auch ein Kuriosum ohne rechtliche Grundlage sein, so ist doch klar, dass Scholz’ einzigartige Expertise zu "Wumms", "Zeitenwende" und grünem Wirtschaftswunder nur gemeinschaftsdienlich genutzt werden kan, wenn der Altkanzler, der nebenbei noch immer Bundestagsabgeordneter ist, nicht nur sein Abgeordnetenbüro, sondern auch ein zweites in seiner Funktion als  Ex-Kanzler unterhalten kann.
 

Schweigen ist Gold 

Noch hat sich Olaf Scholz selbst nicht zum Streit um seine Fortwirkung geäußtert, noch hält der kühle Stratege der lärmenden Kritik des Bundesrechnungshof an der vermeinlich allzu opulenten Versorgungspraxis schweigend stand wie es immer seine Art war. Seit Ende Mai hat der Wahl-Potsdamer sich öffentlich nicht mehr zu Wort gemeldet, bis heute gibt es keine Fortwirkungshomepage oder neue Filme auf dem Youtubekanal des so tragisch an einem Verfassungsgerichtsurteil und liberalen Heckenschützen gescheiterten Ampel-Anführers. Olaf Scholz ist damit gut beraten. So lange er die Dinge einfach laufen lässt, wird er seinen Hofstaat bekommen. 


Samstag, 21. Juni 2025

Zitate zur Zeit: Narzisstisches Ringen um Aufmerksamkeit

Greta thunberg kommt nach hamburg Tagesschau
Ihre Audienzen wurden vorher von den seriösesten Nachrichtenquellen angekündigt wie heilige Messen.

Egal ob Thunberg oder Neubauer: Es geht nur darum, wie sehr man mit dem jeweiligen Thema das Land oder – im Fall von Thunberg – die ganze Welt in Wallung versetzen kann. 

Ein narzisstisches Ringen um Aufmerksamkeit, bei dem es erkennbar nicht um das Streben nach politischer oder gesellschaftlicher Verbesserung geht, sondern allein um Dominanz der öffentlichen Diskussion. 

Diese Macht speist sich allein aus der medialen und politischen Glorifizierung der Hochzeit von "Fridays for Future".

Wolfgang Kubicki beschreibt die Wirkformel, die der Generation Greta zum Erfolg verholfen hat

Und Stalin kocht ein Ei: Grün wie Kruppstahl

Deutscher Stahl hat seine besten Zeiten hinter sich. Aber die Erfolge geben der Strategie recht.   

Sie sollte zäh wie Windhunde sein, hart wie Leder und flink wie Kruppstahl, die deutsche Stahlindustrie der Zukunft. Geschmolzen mit klimafreundlicher Energie, ausstoßfrei im Abgang und in der Anlassfarbe grün ausgeliefert, war die alte Montanbranche auserkoren, die traditionellen Hochburgen der Schwerindustrie weitere Jahrhunderte lang mit Wohlstand aus dem Hochofen zu versorgen. Zudem sollte der an der großen Klimawende zunehmend zweifelnden Welt ein leuchtendes Beispiel gegeben werden, wie sich wettbewerbsfähiger Stahl mit Hilfe eines Energieträgers schmelzen lässt, der fünfmal teurer ist als der, den die Konkurrenz benutzt.

Billig schon gar nicht 

Einfach würde es nicht werden und billig schon gar nicht. Wasserstoff aus Überstrom, wie ihn die deutschen Wind- und Solaranlagen produzieren, ist drei bis fünfmal teurer als Wasserstoff, der aus Erdgas hergestellt wird. Der wiederum ist deutlich teurer als Erdgas selbst. Eine Menge Gründe, warum die bereits im Jahre 2006 von Angela Merkel gegründete "NOW GmbH Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie" so erfolglos blieb, dass sie 2021 ihre Aufgabenbezeichnung verlor und seitdem als NOW Gmbh für alle "emissionsfreien Technologien in einem integrierten Energiesystem" zuständig ist.

Der Traum vom grünen, klimaneutralen Wasserstoff, dem "Champagner der Energiewende", lebte fort. 300.000 Euro im Jahr ließen sich die Bundesregierungen aller Farbspiele allein die Geschäftsführergehälter der Now-Chefs kosten. Dazu kommen inzwischen rund 200 Mitarbeiter, darunter Ingenieurtechnik-, Geografie-, Betriebswirtschafts-, Politik-, Sozial- und Kommunikationswissenschaftsexperten, "die Aufträge von Bundesministerien zur Umsetzung und Koordination von Förderprogrammen im Bereich nachhaltige Mobilität und Energieversorgung" annehmen. Wasserstoff sichert hier bereits viele gute Jobs: Vor fünf Jahren musste Now noch mit schmalen 30 Mitarbeitern auskommen. 

Der interessanteste Energieträger 

Aber die Erfolge geben der Strategie recht. Der "vielleicht interessanteste Energieträger" (Merkel, 2006), umweltfreundlich herstellbar, umweltfreundlich nutzbar, ein Segen ohne jede Einschränkung, der Energie speichern kann wie ein Netz und mit kostenlosem Abfallstrom gefüttert wird wie das DDR-Schwein mit Essensresten aus der Specki-Tonne, erlebte in den Ampel-Jahren ein fantastisches Comeback. Nicht das Netz würde der Speicher sein, sondern H2. Ein flüchtiger, hochexplosiver Stoff,  dessen niedriger Wirkungsgrad durch die vorgesehene mehrfache Umwandlung von Strom in Gas, Gas in anderes Gas und Gas in Strom ihn für große Aufgaben prädestinierte. 

Robert Habeck war da sehr entschieden. "Das Gas soll eine zentrale Rolle in der nichtfossilen Zukunft spielen – als chemischer Grundstoff etwa in der Stahlindustrie, als klimaneutrale Energiequelle und als Speichermedium" (Taz). Persönlich drehte der Minister 2023 einen "Wasserstoff-Hahn" (n-tv) auf. Ein Signal an die Schwerindustrie, jetzt aber mal schnell "eine echte Wasserstoffwirtschaft aufzubauen". Getreu dem alten Kinderlied: "Ein Mops kam in die Küche / und Stalin kocht ein Ei". Koste es, was es wolle.

Aus dem Fenster 

Es würde nicht das Geld der Unternehmen sein, das aus dem Fenster geworfen wird. Mit Milliarden versprachen Bund und Länder den Auf- und Umbau neuer Netze zu fördern. Ein erster Meilenstein war erreicht, als die Bundesnetzagentur im Herbst kurz vor Ampelende den Bau des deutschlandweiten Wasserstoff-Kernnetzes genehmigte. Bis 2032, so viel war klar, würde mitten in Deutschland das "größte" und absolut einzige Wasserstoffnetz Europas entstehen - ein "wichtiger Pfeiler des klimaneutralen Energiesystems der Zukunft", wie die Vereinigung der Fernleitungsbetreiber den anstehenden "Markthochlauf" im Rahmen der "nationalen Wasserstoffstrategie" (Bundesnetzagentur) euphorisch begrüßte.

Doch der Kobold liegt im Detail. Das Energiewunder aus dem Reststrom, dessen Hersteller angeblich keine Rechnung schreiben, sollte Wohnungen heizen und die Industrie antreiben, Stahl kochen und Braunkohle- wie Kernkraftwerke ersetzen. Doch genau betrachtet rechnet sich das für niemanden: Die, die den Wasserstoff verbrauchen sollen, könnten ihn gar nicht bezahlen. Und die, die ihn liefern müssten, haben keine Ahnung, woher sie die benötigten Mengen beziehen sollten. 

Arbeitsgruppe mit Indien 

Eine gemeinsame Roadmap mit Indien, abgeschlossen in der Abenddämmerung der Ampel, um den internationalen Hochlauf von grünem Wasserstoff voranzutreiben und den Champagner "langfristig wirtschaftlich rentabel" zu machen, hatte ihre Schlagzeilen. Doch danach war nie wieder von der "dauerhaften Arbeitsgruppe für grünen Wasserstoff im Rahmen der bestehenden deutsch-indischen Energiepartnerschaft" zu hören. Das Projekt Indo-German Energy Forum (IGEF) lauf Homepage bis Ende 2024. Ein offizielles Begräbnis gab es nicht, dafür eine "Felicitation Ceremony" honouring exceptional women who are driving real change in innovation, leadership, and impact.

Mit den Grünen gingen die eifrigsten Verfechter einer Technologie, die im Angesicht ohnehin hoher Energiepreise in Deutschland versprach, alles noch viel teurer zu machen. Ein Kilogramm Flüssigerdgas kostet heute 85 Cent, ein Kilo grauer Wasserstoff weniger als drei Euro, grüner Wasserstoff fünf. Die lange Herstellungskette berücksichtigt, liegt der Wirkungsgrad des Hoffnungsträgers nicht weit über dem einer  - in der EU verbotenen - herkömmlichen Glühbirne. 

Restenergie zur Nutzung 

Bei der Umwandlung der elektrischen Energie in Wasserstoff geht ein erstes Drittel der Energie verloren, bei der nächsten Umwandlung, wenn der grüne Wasserstoff verwendet wird, um daraus Strom zu machen, geht ein weiteres Drittel verloren. verschwindet ein weiteres Drittel. 80 Prozent der Energie, die ursprünglich da waren, gehen ungenutzt verloren. Nur 20 Prozent bleiben, um Stahl zu schmelzen, einen Bus anzutreiben oder eine Wohnung zu heizen.  

Dem indischen Stahlriesen ArcelorMittal sind das keine vielversprechenden Aussichten mehr. Vor einem Jahr noch hatte Robert Habeck der Unternehmensführung feierlich einen Förderbescheid über 1,3 Milliarden Euro überreicht, mit dem das "vierte große Projekt zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie durchstarten" (Habeck) sollte. Der "Meilenstein bei der Transformation unserer Industrie" zeige, sende "das klare Signal: Klimaschutz, Industrie und Arbeitsplätze können gemeinsam gelingen!", freute sich der Klimawirtschaftsminister über den Einstieg in die "Transformation der Stahlhersteller als die größten CO2-Emmitenten im Land zur CO2-Neutralität".

Riesiger Beitrag zum Klimaschutz

Ein "riesiger Beitrag zum Klimaschutz", der inzwischen verspricht, noch viel größer zu werden. Die Familie Mittal rechnete die Aussichten noch einmal durch. Und kam nicht allzu überraschenderweise zum Schluss, dass es keine Aussicht auf Profitabilität eines Versuches gibt, mit umweltfreundlich produzierten Stahl auf dem Weltmarkt zu bestehen. Eine CO2-reduzierte Stahlproduktion, wie sie für die beiden Flachstahlwerke in Bremen und Eisenhüttenstadt geplant gewesen sei, rechnet sich nicht einmal, wenn der deutsche Steuerzahler mehr als die Hälfte der Investitionskosten übernimmt.

Die beiden ArcelorMittal-Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt werden nun doch nicht auf klimaneutrale Wasserstofftechnologie umgerüstet. "Die Rahmenbedingungen ermöglichen aus unserer Sicht kein belastbares und überlebensfähiges Geschäftsmodell", erklärte Reiner Blaschek, Chef der europäischen Flachstahlsparte von ArcelorMittal. Wegen der hohen Produktionskosten und der wachsenden Konkurrenz durch chinesische Stahlkocher plant der zweitgrößte Stahlhersteller der Welt vielmehr die Verlagerung einiger seiner europäischen Geschäftsbereiche nach Indien. 

Für Deutschland ein Glücksfall

Für Deutschland ein Glücksfall. Zwar beteuern die drei anderen großen deutschen Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel, Salzgitter und die Stahl-Holding-Saar (SHS) störrisch, sie würden den "eingeschlagenen Weg der Transformation hin zur Produktion von CO2-reduziertem Stahl" fortsetzen: Die Börsenkurse der früheren Weltkonzerne allerdings versprechen, dass es dazu nicht kommen wird. Thyssenkrupp erwirtschaftete im letzten Geschäftsjahr einen Verlust von 1,5 Milliarden Euro gemacht, Salzgitter 300 Millionen und Saarstahl kam laut des letzten Geschäftsberichtes im Jahr 2023 auf minus 75 Millionen. 

Deutlich höher ist daher die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland seine größten CO2-Erzeuger trotz des neuen "Stahl-Bosses" (Bild) Heiko Maas in Kürze ganz los ist. Entsprechende Überlegungen hat  Grünen-Chef Felix Banaszak schon öffentlich gemacht. Der neue Kurs der Grünen soll härter zufassen und klarer kommunizieren. "Wer von der Zerstörung des Klimas profitiert und bislang kaum an den Kosten beteiligt war, muss in die Verantwortung gezogen werden", kündigte der Eckkneipengänger in der Süddeutschen Zeitung klare Kante gegen Konzerne "mit fossilen Geschäftsmodellen und immensen Gewinnen" an.

Konturierter und schärfer 

Glück für die Stahlkocher, dass sie keine haben und absehbar nie wieder welche haben werden. Banaszak distanzierte sich damit erneut deutlich vom Kurs des Grünen-Kanzlerkandidaten Robert Habeck, der das Thema Klimaschutz im Bundestags-Wahlkampf aus Furcht vor den Wählern kaum mher erwähnt hatte. 

Banaszak will die Grünen wieder "konturierter, schärfer" auf industriellen Rückbau ausrichten und um unweigerlich auftretende höhere Belastungen nicht mehr herumreden. Seine Partei dürfe keine Angst davor haben, "mit der ehrlichen Benennung der ökologischen Wirklichkeit Menschen zu verprellen", sagte der Grünen-Chef. Man müsse sich nicht zwischen inhaltlicher Klarheit und breiten Mehrheiten entscheiden.

Das Geld ist noch da 

Die Mehrheiten sind für den Moment ohnehin utopisch, der Wunsch, mit Wasserstoff und Überstrom  Volkspartei zu werden, wird mit jedem abgesagte Großprojekt und jeder aufgegebenen "Keimzelle für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft" unerreichbarer. 

Das Gute daran: Die 1,3 Milliarden Fördermittel sind diesmal noch da, die übrigen 4,3 Milliarden, die Salzgitter Thyssenkrupp und SHS zugesagt bekommen haben, noch nicht verbaut. Wenn ArcelorMittal seine deutschen Werke schlösse, profitiert das Weltklima  mehr als teuren Umstellung aus emissionsfreien Stahl. Schließen sich die drei anderen Unternehmen an, fiele der Effekt noch größer aus. Frei werdende Fachkräfte könnten dann nach dem Vorbild der freiwerdenden Mitarbeiter der großen Autokonzerne in die Rüstungsindustrie wechseln.