Sonntag, 6. September 2020
Doku Deutschland: Der Tag, an dem die AfD verschwand
Der Tag, an dem die AfD verschwand, begann wie ein ganz normaler Tag. Die Sonne ging auf und sorgte für einen gewissen Optimismus, was die Stromversorgung anbelangte. Menschen machten sich auf den Weg zur Tafel, zu einem der Ämter, die Ausreiseanträge bearbeiteten oder in eine der unzähligen Redaktionsstuben, die noch ein einigermaßen gesichertes Auskommen boten.
Dort fand sich an diesem Morgen bei der Sichtung der neuesten Agenturmeldungen erstmalig keine einzige Nachricht über, oder auch von der Alternative für Deutschland. Auch von Reichsbürgern und Ostdeutschen war kaum noch Nennenswertes zu berichten. Dies war umso erstaunlicher, als dass die vergangene Nacht - wie jede vorherige auch - ein paar Dutzend Mord- und Vergewaltigungsopfer gezeitigt hatte. Darüber hinaus standen Steuererhöhungen an. Strompreise und Rundfunkbeiträge hatten sich seit Jahresanfang nahezu verdoppelt. Der Bitcoin stand vor der Zwanzigtausend-Euro-Schwelle und Katharina Fegebank in den Umfragen für die Kanzlerschaft auf Platz Eins. Vorgänge also, deren etwaige Instrumentalisierung durch Populisten und Neurechte es in den eigens eingerichteten Kolumnen und Sondersendungen einzuordnen galt. Aber so sehr man auch die News durchsuchte, es wollte kein rechtes Lüftchen aufkommen.
Vollends verunsichernd wirkte die Tatsache, dass auch telefonisch niemand von der AfD zu erreichen war. Sämtliche Anrufversuche endeten mit der Information, dass die Nummer entweder nicht vergeben, oder der Teilnehmer nicht erreichbar sei. Gleiches galt für den Mailverkehr. Schließlich landeten selbst Bemühungen, Statements oder Kontaktadressen der AfD in den sozialen Netzwerken zu finden, in schlichter Ratlosigkeit. Die einschlägigen kritischen Webseiten und Blogs, sonst verlässliche Lieferanten für die Berichterstattung, zeigten eine einzige Zahl: 404. Die AfD war nicht nur vom Erdboden verschluckt sondern gleichzeitig von den Bildflächen verschwunden.
Einer kurzen Phase des Triumphes unter den Medienvertretern folgte eine gewisse Unruhe, die alsbald in regelrechtes Entsetzen mündete, als die ersten Volontäre, die man mit dem Auftrag losgeschickt hatte, AfD-Mitglieder zu Hause aufzusuchen, am Handy vermeldeten, dass die angegebenen Adressen scheinbar nie existiert hatten. Befragte Nachbarn, zumeist linke Wohngemeinschaften, Angehörige der LBGTQ-Gemeinde oder Familien mit Migrationshintergrund gaben durch Laute und Handzeichen zu verstehen, niemanden mit dem erwähnten Namen zu kennen und von einer AfD nie etwas gehört zu haben. Hielt man dies anfangs noch für einen unglücklichen Zufall, so verdichteten sich doch die Anzeichen, dass irgendetwas da draußen passiert sein musste, das sich der rationalen Wahrnehmung der Medienschaffenden entzog.
Was immer man in den folgenden Tagen versuchte, es gelang weder ein Kontakt zu jemandem von der Parteiführung noch zu irgendeiner sonstigen lokalen Größe oder einem, der gern interviewten alten weißen Wutbürger von der Straße. Auch die Versuche, die bekannten AfD-Verbündeten im Ausland zu erreichen scheiterten kläglich. Eilends wurden Redaktionskonferenzen einberufen, in denen man sich gegenseitig vergewisserte, noch bei Verstand zu sein. Es war ein kurzer, ein schwacher Trost, der aus dem Zusammensein in den Funkhäusern und Schreibstuben erwuchs, aber bald war das Gefühl übermächtig, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Einige Tage noch wurden die für Meldungen aus dem antidemokratischen Sektor freigehaltenen Spalten, Sendeplätze, Sonderausgaben und Dokumentationen noch mit Betrachtungen darüber gefüllt, was das Aussterben der Menschheit nun anstelle der Verschwundenen bewirken würde - der nächste Dürresommer oder aber eine ultimativ multiresistente Virenmutation, aber schließlich brachen, was die Umsätze, Einschaltquoten und Leser anging, alle Dämme. Dürren und Krankheiten ohne Bildhaftes von den letzten Endes dafür verantwortlichen Rechtspopulisten erwiesen sich als kaum verkäuflich. Politologen, Demoskopen, Parteien- und Extremismusforscher, ja sogar Redakteure wurden auf Kurzarbeit gesetzt und schließlich entlassen, als den meisten klar wurde, dass die AfD entweder nicht mehr auftauchen würde oder schlimmer noch - nie existiert hatte.
Den obsolet gewordenen medialen Spezialisten folgte (die Rundfunkgebühren sicherten nur noch einen Bruchteil des erforderlichen Budgets) schon bald weiteres Fußvolk. Moderatoren, Korrespondenten, Feuilletonisten, Kolumnisten, Talkmaster, Kameraleute, Tontechniker, Beleuchter, Mitarbeiter von Maske und Kantinen. Die Meteorologen hielten sich noch eine Weile, aber als auch die Temperaturen immer weniger mit den vulkanrot eingefärbten Wolkenbildern korrespondierten, gerieten auch sie unabänderlich ins Schlingern. Als schließlich bekannt wurde, dass einige Gletscher begonnen hatten zu wachsen, war ihr Schicksal besiegelt.
In der Folgezeit diffundierten hunderttausende Geschichtenerzähler gemeinsam in eine, ihnen bis dato völlig unbekannte Realität. Sie fanden sich in den Vorstädten wieder, in denen unbefristet geltende Ausgangssperren durch streng überwachte Freigangszeiten in gesicherten Korridoren unterbrochen wurden. Urbanisationen, von denen aus sich einige Wenige gelegentlich durch die Landschaften mit verrostenden Windparks hindurchwagten, in denen lokale Aktivisten immer wieder Straßensperren errichteten.
Wer durchkam, hatte gute Chancen, gegen einen freilich satten Betrag in einer der wiederum streng bewachten Kommunen hinter meterhohen Stahlbetonwänden einige Tage in friedlicher Atmosphäre aufzutanken. Allerdings wurden diese wenigen Ausbrüche seit geraumer Zeit von den IT-Zentralen der bundesdeutschen sozialistischen Einheitspartei als unsolidarische Dekadenz angeprangert. Wer als sogenannter Altjournalist jeglichen Geschlechts beim Nutzen von derartigen Privilegien entdeckt wurde, lief Gefahr, im Scoring Tableau in den sogenannten Stay-Status zu rutschen. Eine Art Lockdown-Ranking, von dem bekannt war, dass man nur schwer wieder herausfand.
Abends, wenn der Strom ein zweites Mal zugeschaltet wurde und die Joints kreisten wie in alten Zeiten, stritten die ehemals Deutungsbefähigten in ihren kathartischen Wohngemeinschaften noch lange darüber, ob es die AfD nun gegeben hatte oder nicht.
Klima-Gerechtigkeit: Was Enkel ihren Opas schulden
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Svenja Prantls Opa ist noch nie geflogen und er trägt eine Manchesterhose stets zirka zehn Jahre lang. Ein Vorbild, findet seine weitgereiste Enkelin. |
Opa ist noch nie geflogen. Er wird auch nicht mehr fliegen. Er fährt nie in den Urlaub. Niemand in seiner Familie hatte ein Auto, als er Kind war. Opa besitzt kaum Dinge, die er nicht benutzt. Seine Wäsche hat seine Frau fast ein ganzes Leben lang mit der Hand gewaschen. Gebadet haben sie im Waschkessel, einmal im Monat. Opa ist jetzt 91 Jahre alt und er lebt in Ehrenzipfel, einem Dorf im Erzgebirge. Nach Breitenbrunn, so etwas wie eine Stadt in der Nähe, sind es fünf Kilometer. Opa ist das sein Leben lang mit dem Fahrrad gefahren.
Eine persönliche Betrachtung der Klimaschlacht von PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl.
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Svenja Prantl verdankt ihrem Opa ein gutes Klimagewissen. |
Als Opa 23 war, lag der letzte Weltkrieg gerade sechs Jahre zurück. Opa war aus der Gefangenschaft zurück, er hatte Glück, er war beim Amerikaner gelandet, wie er später immer erzählte. Er begann sofort, zu arbeiten, in einem Erzbergwerk in der Nähe, für den Russen, sagte er. Er war kein Bergmann, sondern Tischler, er musste nicht einfahren, bekam aber Grubenschnaps. Darauf war er stolz, denn damit ließ sich handeln.
Als ich 23 gewesen bin, nahm ich ein Sabbatjahr und flog nach Benin, um mit von der Lage in Afrika ein Bild zu machen. Es war ein freiwilliges soziales Jahr, gewürzt mit viel Exotik und ein wenig Erotik. Wie Opa feuerten wir dort mit Holz, wir wussten es nicht besser und Kohle gab es kaum. Wenn ich heute über die Klimakrise nachdenke, denke ich auch an Opa und die Männer, die damals zu ihm kamen, wenn ich zu Besuch war. Walter, Hans und Herwig, Kurt, den sie Kutte nannten, und Rolf mit dem fehlenden Finger.
Ich hatte das Privileg, nach dem Abi nach Benin zu gehen. Ich habe mich für das "weltwärts"-Programm beworben und wurde genommen. Meine Beurteilungen waren gut, ich galt als sicherer Kandidat für eine Rückkehr. Ich würde später noch mein Scherflein zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Man machte sich dort nicht tot, wie Opa sagen würde, statt Grubenschnaps tranken wir Tequila. Zwei Jahre später bin ich nochmal dorthin geflogen – weil ich es konnte. Laut dem Rechner auf der Seite von Atmosfair verursacht der Flug von München nach Cotonou und zurück etwa 2,2 Tonnen CO2. Das ist etwas mehr, als einem Menschen pro Jahr zur Verfügung stünde, wenn wir alle gleich viel verbrauchen würden und die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollten. Opas Klimabilanz lässt mich ziemlich dumm aussehen: Er heizte mit Holz, er trug dieselbe Manchesterhose über Jahrzehnte und er wusch sich mit Waschsand.
Lauf Klimarechner des Umweltbundesamtes ist Opas CO2-Fußabdruck nur ein Zehntel so groß gewesen wie meiner: 0,25 Tonnen im Jahr. Wenn ich darüber nachdenke, scheint es mir, als habe Opa nicht mal richtig geatmet.
Opa verbrauchte nach dieser Rechnung viel weniger CO2 als ihm zusteht, im Sinne der Logik von Malu Dreyer (SPD). Ich dagegen liege weit drüber, bei 16 oder 17 Tonnen im Jahr und da sind Cannabisanbau, Latte Macchiato und Fitnessstudio im Grunde noch nicht berücksichtigt.
Für Opa gab es kein Sabbatjahr nach dem Krieg, kein Stipendienprogramm, um ins Ausland zu gehen. Er hatte nicht mal einen Pass, aber auch gar nicht das Geld, um einen Flug zu bezahlen, mal abgesehen davon, dass er wahrscheinlich kein Visum bekommen und auch gar nicht gewusst hätte, was er irgendwo anders überhaupt soll.
Im Moment liegen also nüchtern betrachtet die gesamte Schuld für die Erderwärmung und den Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation im Klimanotstand bei mir: Ich habe das Geld, die Umwelt zu vernichten, die Bildung, mir etwas auf meine Freiheit einzubilden, die internationalen Beziehungen, rücksichtslos über die Belange anderer Generationen hinwegzufliegen, und die Chuzpe, meinen Opa vorzuschieben, der, so sehe ich das, mit seinem bescheidenen Klimaleben eine Art Klimasparkonto für mich angelegt hat: Der Durchschnittsdeutsche verbraucht nach Malu Dreyer im Jahr knappe 12 Tonnen CO2. Großvater kam in seinen 91 Jahren mit insgesamt knapp 25 Tonnen aus.
Er hat mir also ein Guthaben von über tausend Tonnen vererbt.
Das spielt meinem Lebensstil in die Hände, denn selbst nach den geplanten Pro-Kopf-Verbrauchsrechten für CO2, die die Bundesregierung nach dem Plänen von Christian Felber, dem Begründer der Gemeinwohlökonomie-Bewegung, als ökologisches Menschenrecht einführen wird, läge ich damit super im Rennen. Wenn Unternehmen dann dazu verpflichtet sind, einen ökologischen Preis für jedes Produkt auszuweisen, der auf das eigene Lebenslimit für CO2 angerechnet wird, startete mein Ökokonto dank Opa mit einem Saldo, das mich das hektische drumherum und die Angst vor einer Überziehung des eigenen Emissionskontos bei den meisten Mitbürgern gelassen betrachten lassen wird.
Es ist natürlich nur ein Gedankenspiel, aber was würde passieren, wenn man jetzt sofort so ein Verbrauchsrecht einführen würde? Wahrscheinlich würde sich ein Markt entwickeln, in dem diejenigen die Macht haben, die so wenig verbrauchen, dass sie unter der Grenze von zwei Tonnen pro Jahr liegen: Opa müsste vielleicht nicht einmal mehr arbeiten, denn er könnte das CO2, das er nicht verbraucht, auf dem Markt verkaufen, wo Besserverdiener, Vielflieger, Spekulanten und Manager stolze Summen dafür bieten würden.
Es wäre ja für alle ein Zwang, zusätzliche CO2-Rechte für sich zu kaufen, bis wir alle in kleine WG-Zimmer gezogen sind oder wieder zu unseren Eltern, bis alle auf vegane Ernährung ohne Auto, Urlaubsverzicht und Klamottenbeschaffung in der Fundgrube der Awo umgestellt haben, um ihren CO2-Fußabdruck auf das Maß, das ihnen zusteht, herunterzuschrauben.
Es lohnt sich sicherlich, über diese Idee nachzudenken. Wer keine Macht hat, bekäme sie dann, denn er wäre der Verkäufer auf einem neuen Markt, der das Leben der gesamten Menschheit bestimmen würde. Opa selbst hat die Diskussion darüber übrigens mit einer Handbewegung weggewischt. Der Quatsch interessiere ihn nicht, sagte er und fuhr damit fort, mit einem 40 Jahre alten Spaten ein Beet umzugraben, auf dem er in diesem Jahr Kartoffeln säen will.
Wenn alle Menschen so leben würden wie Opa, dann gäbe es gar keine Klimakrise. Und es wüsste niemand, was ihm entgeht.
Samstag, 5. September 2020
PPQ: Die Antworten des Lebens
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PPQ ist keine Frage. PPQ ist die Antwort. |
Das Leben stellt keine Fragen. Das Leben gibt Antworten, die niemand hören will.
PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl durchlebt eine Lebenskrise.
Braunkohleausstieg: Angola, das Land Übermorgen
Beispielhaft für die Welt: Angola, eine Präsidialdiktatur in Afrika, ist bereits seit Jahrhunderten vollkommen braunkohlefrei. |
Deutschland hat sich immerhin auf den Weg gemacht, nach Jahrzehnten der konzentrierten Klimavernichtung durch Wohlstandsschöpfung. Nun soll die Braunkohle ebenso wie das Atom fort, ein Energieausstieg hin zu natürlichen Quellen wie Wind, Sonne und Wasser, die nachhaltig sind und grün, nicht günstig, aber moralisch vertretbar für ein Volk, das in der Vergangenheit schon soviel Tod und Verderben über die Welt gebracht hat.
Wie aber soll das gehen, sticheln die Kritiker. Was wird uns wärmen, voranbringen, unsere Finanzämter, Behörden und Jobcenter, die riesigen Gewerbegebiete und die Elektrobusbahnhöfe beleuchten? Zweifel werden geschürt, Hetze gegen Windräder betrieben und die Kohle als unerlässlicher Bestandteil der deutschen Energieversorgung propagiert.
Doch ausgerechnet ein Land im tiefsten Afrika zeigt, wohin die Reise geht: Angola, in den dunklen Tagen der klimaschädlichen Vergangenheit Gegenstand rassistischer Witze, marschiert beim Kohleausstieg schon seit Jahrzehnten, Jahrhunderten voran. Selbstbewusst und kohlefrei, so präsentiert sich das ehemals von europäischen Kolonialherren unterjochte Land. Aber das wird gezielt nirgendwo berichtet, nicht einmal in Davos war es jetzt ein Thema.
Daber müsste der fremdenfeindliche Schulhofscherz, in dem Klein-Fritzchen gebeten wurde, einen Satz mit Angola zu bilden, woraufhin er "An Cola könnte ich mich totsaufen" antwortet, Kritikern des einstigen Reiches der Khoisan, die ab dem 13. Jahrhundert weitgehend von einwandernden Bantu-Volksgruppen verdrängt wurden, im hetzerischen Halse steckenbleiben. Dazu müssten sie nur auf das schauen, was die Präsidialdiktatur von Maputo seit dem Abzug der letzten deutschen Siedlerfamilien neben der reichsten Frau Afrikas noch hervorgebracht hat.
Ein kohlefreie Wirtschaft, die bereits fast ganz auf nachhaltige Wasserversorgung setzt. Der angolanische Gesamtverbrauch von 9,04 Milliarden Kilowattstunden elektrischer Energie pro Jahr wird zu zwei Dritteln aus Wasserkraftwerken bedient. Ein Drittel speist sich derzeit noch aus Erdgaskraftwerken. Damit steht jedem einzelnen Einwohner des Landes, das 2017 zu den Gründungsstaaten der Allianz für einen schnellen Braunkohleausstieg gehörte, ein Stromkontingent von rund 293 Kilowattstunden zur Verfügung. Und Angola hat sogar noch Kapazitäten, Strom zu exportieren.
Beispielhaft, gerade mit Blick auf den Umstand, dass Europäer rund 32 mal so viel Strom verbrauchen und nur ein Drittel davon umweltfreundlich erzeugen. Angola dagegen, das vor seinem Ausstieg aus der Braunkohle vor zwei Jahren noch nie über ein Braunkohlekraftwerk verfügte, erzeugt 14,65 Milliarden Kilowattstunden Strom für seine Bürgerinnen und Bürger per Wasserkraft, nur 7,78 Milliarden Kilowattstunden kommen derzeit noch aus der Erdgasverfeuerung, die nach Atom, Kohle und Öl als nächste auf der weltweiten Ausstiegsliste stehen wird.
Statt diesem Beispiel umgehend nachzueifern, streitet Deutschland um Ausstiegstermine, Zeitkorridore und Tauschgeschäfte mit Kraftwerken in Ost und West. Kleines Karo, die alte deutsche Krankheit, wenn nicht gerade Großmannssucht Herzen und Hirne beherrscht. Dass selbst Greta Thunberg bei ihrer letzten wegweisenden Rede in Davos das Land Übermorgen namens Angola nicht einmal in einem Halbsatz erwähnte, spricht Bände über die Arroganz der westlichen Welt, die bis in Kreise reicht, die von sich selbst behaupten, dass sie es besser wissen.
Freitag, 4. September 2020
26 Wochen später: So gesund war Corona wirklich
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Der Kampf geht weit. |
38.000 waren es nach Polizeiangaben, die am Wochenende in Berlin gegen die notwendigen Maßnahmen der Bundesregierung Front machten und am Ende sogar bis fast in die "Herzkammer unserer Demokratie" (Steinmeier) stürmten. Es war ein Gipfeltreffen nicht nur der Coronaleugner, Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Menschen mit Dreadlocks, Trommelgruppen, Rechtsextremen, Reichsbürger, grünen Stadträte, rechten Esoteriker, identitären Wutbürger, Rechtsradikalen, Virusleugner, SUV-Fahrer, Maskenmuffel, Merkelrausrufer, AfD- und NPD-Fans, Ausländerfeinde, Klimaleugner und GEZ-Boykotteure, sondern auch eine Ballung an Viruslast, die bis dahin kaum ihresgleichen kannte: Nach den aktuellen Zahlen des RKI befanden sich unter den knapp 40.000 Demonstranten etwa acht aktive Corona-Fälle.
Ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotential, das sich aus der Hochrechnung der derzeitigen deutschlandweiten Infektionszahlen ergibt. Danach sind im Moment 0,029 Prozent der Bürgerinnen und Bürger mit Corona infiziert, laut Tagesreport des Divi-Intensivregisters befinden sich davon 228 in intensivmedizinischer Behandlung. Corona-Patienten belegen damit etwa ein Prozent der in Deutschland verfügbaren Kapazität an Intensivbetten. 67,7 Prozent werden im Augenblick für Patienten mit anderen schweren Erkrankungen benötigt.
Zum Glück nur 67,7 Prozent, denn seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich deutlich weniger Menschen mit schweren Krankheiten in Krankenhäuser einweisen lassen als üblich. Nach einer Auswertung der Krankenkasse DAK Gesundheit, die 5,6 Millionen Versicherte zählt, gab es eine "regelrechten Corona-Delle bei den Aufnahmen im Frühjahr", die abgeschwächt bis heute anhält. So wurden im März 26,6 Prozent weniger Patienten mit einem Herzinfarkt aufgenommen als im selben Vorjahreszeitraum. Im April waren es noch 22,2 Prozent weniger, im Mai 13,8. Im Juni lagen die Herzinfarkt-Einweisungen dann zwar leicht über dem Niveau des Vorjahres (plus 4 Prozent), doch der von vielen Ärzten erwartete Nachholschub im Juli folgte nicht. Stattdessen gingen die Zahlen wieder leicht zurück.
Auch Krankheiten wie Schlaganfall oder Hirnblutungen wirkte Corona auf geheimnisvolle weise heilsam. Im ersten Seuchenmonat März gab es hier einen Rückgang im Vergleich zum Vorjahr von 12,7 Prozent, im Shutdown-Monat April wuchs die Corona-Delle auf 20,2 Prozent. Im Mai betrug das Minus immer noch 9,6 Prozent, im Juni gab es ein kleines Plus von 2,6 Prozent und im Juli rutschte die Zahl der akuten Fälle mit minus 6,7 Prozent wieder in den Keller. Bei Klinik-Aufnahmen wegen psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Schizophrenie und Alkoholmissbrauch, denen zu Beginn der Pandemie atemberaubende Wachstumsraten vorhergesagt worden waren, zeigt sich das gleiche Bild: Im März ein Rückgang um 14,8 Prozent, im April minus 23,1 Prozent, im Mai minus 16,4 Prozent.
Macht Corona eine kranke Gesellschaft also in Wirklichkeit gesund? Hat die Übersterblichkeit, die Statistiker im April feststellten, als zehn Prozent mehr Menschen als im langjährigen Mittel starben, am Ende gar Leben gerettet? Schon im Mai lag die Zahl der Gestorbenen in Deutschland mit 75 600 ebenso wie im Juni mit 71 700 und Juli mit 72 700 im Bereich der Durchschnitte der Vorjahre.
Ist das die Todesseuche, vor der die Horrorschriftsteller immer gewarnt haben? Oder zeigt sich hier nur ein weiteres Mal die gestaltende Kraft einer Regierungspolitik, die spätestens seit Mitte Februar stets die genau richtigen und dringend notwendigen Maßnahmen zum exakt alternativlosen Zeitpunkt getroffen hat? Mit insgesamt 242.820 liegt die Zahl der mit Corona-Infizierten immer noch unter einer Viertelmillion, die Zahl der sogenannten "aktiven Fälle" steht im Moment bei etwa 17.350. Die "zweite Welle" (Karl Lauterbach) entspricht damit in etwa der Zahl an Menschen, die sich Ende März binnen dreier Tage ansteckten.
Eine von etwa 5.000 Deutschen ist damit im Moment infektiös, in einer Konzerthalle wäre es ein Besucher, in einem Fußballstadion wären es vier bis zehn Personen. Umso weitsichtiger war es, dass Politik und Medien von Anfang an alles Augenmerk auf die Aufsummierung aller jemals Covid-Infizierten gelegt haben und damit sicher gingen, dass die öffentlich täglich präsentierten Zahlen immer nur steigen und niemals wieder sinken können. Galt anfangs noch als gesichert, dass Deutschland gut vorbereitet ist, hieß das Ziel auf dem Höhepunkt der "größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg" (Angela Merkel), eine Überforderung des Gesundheitswesens zu verhindern, um "Bilder wie aus Italien" zu vermeiden.
Inzwischen ist das unterforderte Gesundheitswesen als Gewährleister des vergleichsweise milden Verlaufs der Pandemie ausgemacht worden. Es ist nicht Corona selbst, sondern es sind die Intensivbetten, die nicht benötigt werden, die die Nation gesundhalten.
Idiokratie: Was das Kunstwort "Mund-Nasen-Schutz" über den Geisteszustand der Gesellschaft verrät
Als sich herausstellte, dass Masken allen Unkenrufen zum Trotz vielleicht doch etwas nützen könnten im Kampf gegen das Corona-Virus, stellte sich der deutschen Kernmacht EU-Europas eine fast unlösbare Aufgabe. Man durfte nicht "Schutzmaske" zu dem sagen, was wie eine Schutzmaske aussah und auch wie eine wirken sollte, denn das Bundesamt für die Amtsbezeichnung Richtiger Medizinischerhilfsmittel (BfARM) hatte hier ein klare Meinung. Da Schutzmasken ohne amtlich bestätigen Schutzfaktor nachweislich nicht schützen, macht sich jeder strafbar, der ein nicht-schützende Maske unter der Bezeichnung "Schutzmaske" in den Verkehr bringt.
Ausgebremste Wachstumsindustrie
Das konnte niemand wollen. Das ganze Land nähte zu jener Zeit schon Masken in einem Maße, dass die kleine, feine Hinterhofindustrie binnen weniger Tagen um mehrere tausend Prozent wuchs. Nur ein Name für die Baumwolllappen musste her, ein Name, der auch dünne Vliestücher mit Riemchen, aus T-Shirt-Stoff gearbeitete Designerstücke und selbst hergestellte Community- oder DIY-Masken“ (BfARM) einschloss. Und medizinische Gesichtsmasken sowie partikelfiltrierenden Halbmasken nicht aus.
Die Bundesworthülsenfabrik in Berlin (BWHF) empfahl anfangs den Begriff "Symbolmasken", der nach Ansicht der Worthülsendreher ausreichend sein sollte, das bedrohliche Bezeichnungsdefizit zu beheben, ohne die Bevölkerung zu verunsichern oder das Deutsche Patent- und Markenamt auf den Plan zu rufen. Doch die Bundeskanzlerin, die sich über Monate hinweg geweigert hatte, Bilder von sich mit Maske an die Medien durchzustecken, entschied anders. Die bis dahin geltenden Normen für Schutzmasken wurden aufgehoben. Eine neue Fachbezeichnung trat in Kraft.
"Mund-Nase-Schutz" sollte die neue Produktkategorie heißen, der Wunderwirkungen zugeschrieben werden. Im neuen Namen sei der für die Menschen im Land wichtige beruhigende Begriff "Schutz" enthalten, der den Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit vor Corona vorgaukele. Dennoch könne das BfARM nicht remonstrieren, weil der Fantasiebegriff "Mund-Nase-Schutz" selbst nicht geschützt sei, hieß es im politischen Berlin.
Eigenleben und Stille-Post-Evolution
Eine kluge Entscheidung, wie sich seitdem gezeigt hat. In den vergangenen Monaten wurde der eigentlich sinnfreie Begriff "Mund-Nasen-Schutz" zum Goldstandard der Corona-Bekämpfungsberichterstattung. In den Medien und der Bevölkerung wurde das neue Kunstwort gern und begeistert angenommen. Nach und nach entwickelte es sogar ein beeindruckendes Eigenleben, das zu einer Verwandlung führte, die wie sinnbildlich für Deutschland im Corona-Jahr 2020 steht: Aus dem anfangs bundesweit empfohlenen "Mund-Nase-Schutz" wurde durch Abschleifung, spontane Buchstabenaddition und Stille-Post-Evolution das heute fast durchweg gebrauchte "Mund-Nasen-Schutz" (Grafik oben).
Dessen Bedeutungstiefe reicht weit über die hinaus, die der Begriff allein aus sich heraus und als Name für einen Corona-Ausrüstungsgegenstand hätte erlangen können, auch wenn der nach Angaben des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder "das Einzige" ist, was "wir gegen Corona haben".
Nein, "Mund-Nasen-Schutz" steht in seiner fantasievollen Inhaltsleere als Beispiel für die Gefolgstreue, die deutsche Disziplin bis heute hervorzubringen in der Lage ist: Mag auch vom Verstand nicht greifbar sei, wie eine Maske den "Mund" des Trägers im Singular, seine "Nasen" aber im Plural schützen könnte, so ist der Begriff "nun mal da", wie Angela Merkel vielleicht formulieren würde.
Und dann muss er eben auch benutzt werden, ohne immer zu hinterfragen. Ist doch gut, wenn eine Maske, die nach Angaben der BfARM keinerlei nachgewiesene Schutzwirkung hat, dem Namen nach verspricht, nicht nur den einen Mund des Trägers, sondern darüberhinaus auch noch Nasen in kleineren oder sogar größeren Mengen zu schützen.
Einer Erklärung bedarf das rätselhafte Phänomen nicht, es gilt als ebenso große Selbstverständlichkeit wie die Meldung, dass vier von zehn auf dem Höhepunkt der Maskenpanik im März von der Bundesregierung in China bestellten Schutzmasken "mangelhaft" (Spiegel) sind und keine oder nur eine eingeschränkte Schutzwirkung haben.
Ersteres war bei der Bestellung eingepreist, wusste der Gesundheitsminister doch schon im Januar, dass "Masken keinen zusätzlichen Schutz" bieten. Letzteres dagegen wäre vor diesem Hintergrund ein riesiges Wunder von Technik und Wissenschaft: Masken mit einer wenigstens eingeschränkten Schutzwirkung, obwohl doch die Experten des Robert-Koch-Institutes von Anfang der Seuche an "keine hinreichende Evidenz dafür" hatten finden können, "dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes das Risiko einer Ansteckung für eine gesunde Person, die ihn trägt, signifikant verringert".
Donnerstag, 3. September 2020
PPQ für Kinder: Wie man Artikel erkennt, die behaupten, man könne Verschwörungstheoretiker am Aluhut erkennen
Schon länger behaupten im Internet als relativ seriös bekannte Portale, dass es bestimmte äußerlich erkennbare Merkmale gebe, anhand derer sogenannte Verschwörungsnarrativisten (früher: Verschwörungstheoretiker) problemlos erkannt werden können. Eine These, der jetzt auch das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" wieder Futter gibt, indem ein Text in sogenannter leichter Sprache direkt an Kinder gerichtet verspricht, zu erklären "Wie man Verschwörungstheorien erkennt".
Da das Erkennungsgenre ebenso wie der Teilbereich des "Faktencheckens" mittlerweile zu einer eigenen wirkungsmächtigen Branche der Medienindustrie gewachsen ist, die insbesondere immer wieder direkt auf Heranwachsende zielt, zeigt PPQ nachfolgend, wie man Artikel erkennt, die etwa behaupten, man könne Verschwörungstheoretiker am Aluhut und Coronavirusleugner an der Russenflagge erkennen.
Solche Beiträge wirken im ersten Moment schlüssig, sie beruhen jedoch ganz auf dem Versuch, einfache Erklärungen für komplexe Fragen zu finden. Auf Kosten einer semantischen Spaltung der Gesellschaft in klare Gruppen - hier die zuweilen auch "Verschwörer" genannten Anhänger von Verschwörungstheorien, dort die Realisten, die dank regelmäßiger Information durch seriöse Zeitungshäuser und Gemeinsinnmedien wissen, was wirklich läuft - wird der Eindruck erweckt, kein Mensch könne Teil beider Teilmengen sein.
Deshalb erfahren Geschichten, die über Verschwörungstheorien aufzuklären vorgeben, in jeder Krise besonderen Auftrieb. Weil sie versprechen, das Chaos mit einfachen Erklärungen lichten zu können - selbst wenn die Aufzuklärenden von den meisten Verschwörungstheorien erstmals durch die Aufklärung über deren gesellschaftszerstörendes Potenzial erfahren.
Doch in einer Zeit, in der alle Gewissheiten von rechts auf links gekrempelt werden, scheint es für viele Menschen besonders verlockend, einem Narrativ zu folgen, das den oder die Schuldigen kennt: Der "Verschwörungstheoretiker" ist an allem schuld, was falsch läuft. Er muss bestraft, aus der gesellschaftlichen Diskussion ausgeschlossen und geächtet werden.
Aber warum ist das so gefährlich? Weshalb sind Verschwörungstheorien über Verschwörungstheorien überhaupt erlaubt? Was tun Behörden und Bildungseinrichtungen, um Kinder und Jugendliche davor zu bewahren, auf falsche Gedanken zu kommen?
Was ist überhaupt eine Verschwörung?
Manchmal schließen sich Leute heimlich zusammen, um gemeinsam eine böse Tat zu begehen, eine regierungsfeindliche Lüge in die Welt zu setzen oder ganz allgemein anderen zu schaden. Ein bekannter historischer Fall ist der des römischen Senators Brutus, der seinen Kaiser erstach - im Auftrag und mit Wissen einer ganzen Verschwörergruppe. Ähnliche Zusammenschlüsse hat es in der Geschichte immer wieder gegeben - der langjährige DDR-Chef Honecker kam durch eine Verschwörung ins Amt, er wurde später auch durch eine Verschwörung gestürzt. Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl aber zum Beispiel entkam Verschwörern, die von seinem eigenen Generalsekretär Heiner Geißler geführt wurden, und blieb im Amt.
Gerade erst gab es in Mali einen Putsch von Verschwörern - das ist also ein recht häufiges Ereignis. Deshalb vermuten Menschen manchmal auch dort eine Verschwörung, wo gar keine ist.
Diesen Glauben, dass hinter den augenscheinlichen Tatsachen eine verborgene Wahrheit steht, nennt man eine Verschwörungstheorie. In der kritischen Medienanalyse hingegen spricht man wissenschaftlich von "Verabredungstheoremen", gemein sind damit Absprachen, die man aufgrund ihrer Wirkung vermuten kann. Zum Fakt werden sie, wenn ihre Auswirkungen öffentlich oder aber entsprechende Akten bekannt werden.
Was war falsch an der flächendeckenden Überwachung?
So war auch der Fall der flächendeckenden Überwachung Deutschlands durch ausländische Geheimdienste. Dass diese Praxis existiert, galt als extrem unwahrscheinlich, weil so ein Geheimnis kaum jahrelang gewahrt werden kann - schon weil so viele Leute als Verschwörer an der Planung und Durchführung einer allgemeinen Überwachungspraxis hätten beteiligt werden müssen. Aber die Idee hält sich hartnäckig. Menschen glauben daran und sagten am Telefon unter anderen "nicht am Telefon", wenn es in der Leitung knackte.
Völlig zurecht, denn wie sich im Zuge der Snowden-Enthüllungen herausstellte,
Warum gibt es Verschwörungstheorien?
Verschwörungstheorien bieten die Chance, möglicherweise real existierende Verabredungen, zumeist in verschwiegenen Hinterzimmern getroffen, ganz einfach zu Blödsinn zu erklären. Als zu Beginn der Corona-Pandemie viele Menschen verunsichert waren, weil die Bundespolitik trotz weltweit anderer Erfahrungen erklärte, es bestehe keinerlei Notwendigkeit, eine Maske zu tragen, geschah das, weil sich das politische Berlin verabredet hatte, den durch eigene Versäumnisse entstandenen Maskenmangel im Land durch diese Erklärungen längstmöglich zu verbergen, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden.
Eine schwierige Situation, auch für die Medien, die wochenlang eine falsche Botschaft transportierten, ohne später je geraderücken zu können, warum das notwendig war. Aber natürlich keine Verschwörung, auch wenn sie das eine oder andere Leben gekostet haben mag. Viele der Opfer wären sowieso gestorben und im Nachhinein ist es ohnehin nicht möglich, wenn man jemanden für das Corona-Chaos verantwortlich machen könnte. Selbst wenn der Schuldige öffentlich benannt würde, könnte man ihn im Nachhinein nicht mehr stoppen, und die Krise wäre damit auch nicht vorbei.
Welche Verschwörungstheorien gibt es aktuell?
Es gibt viele, und das auch schon sehr lange, aber immer wieder kommen neue dazu. Derzeit erregt vor allem die Verschwörungstheorie vom "Sturm auf den Reichstag" großes Aufsehen. Sie erzählt die Geschichte von einer mehrhundertköpfigen Menge an Nazis und Faschisten, die sich mit Reichsflaggen, "schwedischen" (ZDF) Fahnen und einem Trump-Banner verschworen hatten, das deutsche Parlament zu missbrauchen. Dazu sollen sie "eine Absperrung" (DPA) überwunden, dann aber von "drei mutigen Polizisten" aufgehalten worden sein.
Da viele Zeitungen, Fernsehsender und Magazine im Internet gleichlautende Nachrichten - oft von der Agentur DPA - in Umlauf bringen, verbreiten sich solche Verschwörungstheorien viel leichter und schneller als früher. Auch im Fall der "Sturm"-Theorie funktioniert das, obwohl auf Videos des Vorfalls ein anderes Geschehen zu sehen ist. Danach läuft ein Pulk aus Menschen mit russischen, ukrainischen ("schwedisch"), portugiesischen und Flaggen der Weimarer Republik bzw. des Kaiserreichen, gemischt mit Regenbogen-Bannern und spanischen Fahnen tatsächlich durch einen hüfthohen Absperrzaun auf die frei zugängliche Außentreppe des Reichstages. Dort bleiben die vom Ereignisablauf offenbar selbst überraschten "Stürmer" jedoch stehen und beginnen Parolen wie "Freiheit" und "Widerstand" zu rufen.
Wer verbreitet dennoch Verschwörungstheorien?
Ernsthafte Versuche, die Glasfront des Reichstages zu durchbrechen oder die drei mutigen Polizisten vor den Glastüren körperlich anzugreifen, sind auf keinem Video zu erkennen. Dennoch stellte sich medial binnen Stunden der Konsens her, dass es sich um eine Art zweiten Reichtagsbrand handele, der nun neue Reichstagsbrandgesetze erfordere. Ob die Leute, die diese Darstellungen verbreiten, wirklich daran glauben, steht nicht fest, dass sie andere Menschen zu dieser Überzeugung bekehren wollen, hingegen schon. Es soll damit einerseits ein politisches Ziel erreichen werden, andererseits wird mit Werbung rund um sensationell aufgemachte Berichte über einen vermeintlichen "Sturm auf den Reichstag" Geld verdient, ohne dass Mittel für eigene Recherchen ausgegeben werden müssen.
Welche Verschwörungstheorien stellten sich als wahr heraus?
Zuletzt war es die seit Jahren herumschwirrende Behauptung, der deutsche Vorzeigekonzern Wirecard verfüge über kein ernsthaftes Geschäftsmodell, sondern nur über geschickte Methoden der Täuschung. Die "Luftpumpe der Illusionen" (PPQ) war mehrfach mit schweren Vorwürfen konfrontiert worden, immer aber kamen die von ausländischen Medien und nie griffen deutsche Medienhäuser die zum Teil detailliert vorgetragenen Vorwürfe auf. Die Bundespolitik schaute weg, denn Wirecard galt als Deutschlands erster Kandidat, einen Internetkonzern von Weltgeltung zu schaffen. Die Bundesbehörden gingen gegen sogenannte Shortseller vor, die die Wirecard-Aktie in Erwartung einer platzenden Blase verkauft hatten, die Deutsche Börse beförderte den vor allem in Asien angeblich überaus erfolgreichen Konzern in den Aktienindex Dax und namhafte Politiker hielten ihre Hand über den hoffnungsvollen Namen, bis das Medienmärchen vom neuen Multimilliardenkonzern aus München platzte. Wirecard, das ist inzwischen bestätigt, bestand zu 99,2 Prozent aus heißer Luft.Warum aber immer die Verschwörungstheorie mit dem Aluhut?
Ein Hut aus Alufolie kam vor vielen Jahren in einer Science-Fiction-Geschichte vor, damals war das als Persiflage auf Menschen gemünzt, die schon vorab an die später offenbar gewordene Verabredung aus den geheimen Verträgen zur Überwachung der Bevölkerung glaubten, ohne Beweise dafür zu haben. Obwohl die Beweise später auftauchten, haben sich Medien bundesweit darauf geeinigt, am Sinnbild des "Aluhut-Träger" festzuhalten, um Teile der Bevölkerung lächerlich zu machen, die glauben, es gebe geheime Abmachungen zwischen Politiker, Politikern und Wirtschaftsmanagern oder auf zwischen staatlicher Ebene, die dazu führen, dass etwa der russische Regimekritiker Alexeij Nawalny binnen Stunden vor Nachstellungen gerettet wird, während der amerikanische Dissident Edward Snowden keinerlei Chance hat, Asyl in Deutschland zu erhalten.
Das Aluhut-Bild folgt also einer Verschwörungstheorie, in Wirklichkeit tragen Menschen, die überzeugt sind, Corona sei vorbei ebenso wie Menschen, die am Telefon nicht über ihr Sexualleben sprechen, niemals Aluhüte. Medial aber löst der Aluhut das Problem der Bebilderung von aufklärenden Texten (oben) über Verschwörungstheorien, das wird als sehr komfortabel empfunden.
Woher kommt der Name Verschwörungstheorie?
Erfunden wurde der Begriff im Jahr 1957 in einer Londoner Außenstelle der heutigen Bundesworthülsenfabrik (BWHF) durch den Philosophen Karl Popper, der davon ausging, dass eine anlasslose Vermutung, wie sie viele Verschwörungsverabredungen als erste Außenwirkung zeigen, eine "Theorie" genannt und bis zum wissenschaftlichen Nachweis ihrer Richtigkeit auch so behandelt werden sollte. Medien sind heute der Ansicht, dass Verschwörungstheorien lieber als Verschwörungs-Idee oder Verschwörungs-Erzählung bezeichnet werden sollen, weil schon zu viele Verschwörungstheorien sich als richtig herausgestellt haben, so dass dem Begriff eine Art potenzielle Seriosität vorauseilt.
Wie kann man unterscheiden, was stimmt und was nicht?
Leider steht auf vielen Medienseiten nicht der Warnhinweis "Achtung, nicht selbst recherchiert" neben irreführenden Behauptungen. So verbreiten sich dann Verschwörungstheorien über Menschen, die Desinfektionsmittel trinken, über besonders tödliche Todesarten und den Unterschied zwischen "gutem" und bösem" Zucker nahezu ungehindert. Stets werden Tatsachen mit komplett ausgedachten Behauptungen kombiniert und flächendeckend gleichlautend veröffentlicht. Das macht jeden Versuch vergeblich, Tatsachen darzustellen.
Deshalb ist der erste Weg zu gucken: Auf welcher Website desinformiere ich mich gerade? Wer könnte ein Interesse daran haben, mir Quatsch als Wissen zu verkaufen? Jeder kann heutzutage alle Texte aus dem Internet nehmen, so dass der Eindruck entsteht, Walter Steinmeier habe niemals etwas mit der NSA gekungelt. Das Gute daran ist: Es gibt immer noch eine Quelle, meist sogar mehrere.
Deshalb: immer noch mal nachschauen, nichts gleich glauben. Nicht alle noch nie gehörten Behauptungen sind falsch, viele warten nur auf die Zeit, in der sie richtig sein werden. Aber man darf nicht alles glauben, was man irgendwo liest - auch nicht, wenn es vom "Spiegel", von der "Zeit", von SZ, Taz, ARD, ZDF, RTL, PPQ oder RT kommt, die man toll findet.
Fünf Jahre Zustrom: Wie wir Syrien geschafft haben
Es war Not, es war Bürgerkrieg, es begaben sich Menschen auf eine gefährliche Flucht ins Ungewisse. Von dort hatten Verwandte angerufen. Macht mal den Fernseher an. Staunend sahen die Menschen in Damaskus den Anfängen dessen zu, was als "Willkommenskultur" Deutschlands funkelnagelneuen Ruf in der Welt begründen sollte. Offene Arme, keine offenen Beine! Ein Herz am linken Fleck, nicht rechts, wo der Hass wohnt. Für 15 Euro konnte der Neuankömmling sich bei "H&M" ausstatten wie "bei uns zu Hause der Bürgermeister". Ein Selfie im Jugendmode-Anzug. Schnell zu den Lieben daheim geschickt. Kommt doch auch! Etwas Besseres als den Tod im Bürgerkrieg findet ihr überall. "Und die 15 Euro für den Anzug, die haben sie mir hier geschenkt."
Die verrückten Tage vor fünf Jahren
Es waren verrückte Tage, damals, vor fünf Jahren, als Deutschland auf Friedensmission ging. Der Nahe Osten mit dem mörderischen Assad war - die Älteren erinnern sich - das größte Problem der Republik, die kurz davor stand, den 25. Jahrestag des Anschlusses der Ostgebiete zu feiern. Wer von den Alliierten so beschenkt wird, der hat auch selbst Verantwortung. Jahrelang hatte die Bundesregierung bis dato schon versucht, Polen, Tschechen, Dänen, Russen, Chinesen und vielen, vielen andere Staaten mehr oder weniger vorsichtig beizubringen, wie man zu leben, zu regieren und zu wirtschaften hat. Allein das Interesse blieb dünn. Selbstsüchtig beharrten selbst viele EU-Partner darauf, selbst entscheiden zu müssen.
Als in Syrien nun der Krieg zwischen dem gewählten Diktator Assad, islamistischen Terrorgruppen des Islamischen Staates und versprengten Demokratiefreunden ausbrach, sah sich Deutschland zuallererst in der Verantwortung für die vor Krieg, Hunger und Not fliehenden Menschen. Offene Türen und Tore erwarteten die Flüchtenden, die das als Einladung nahmen: Eine Million strömte nach Norden. In der UNHCR-Grafik (oben) ist der sogenannte Merkel-Knick deutlich zu sehen, der verursacht wurde, als sich in Syrien herumsprach, dass Deutschland seine Grenzen gar nicht schließen kann, weil sie so lang sind, dass das vollkommen unmöglich ist.
Unklar, was genau geschafft werden sollte
Die Kanzlerin, die ihre Anweisungen angesichts ihrer historischen Erfahrung mit Schabowskis kleinem Zettel nirgendwo schriftlich hinterlassen hat, tröstete mit ihrem inzwischen selbst historisch gewordenen "Wir schaffen das". Freilich ohne je zu erwähnen, was genau geschafft werden sollte. Der Zustrom wurde jedenfalls untergebracht, beköstigt und integriert, so gut er wollte. Mit großem Engagement diskutierte die Politik anfangs auch die Notwendigkeit, nun aber langsam auch mal "Fluchtursachen zu bekämpfen".
Als die Heimatfront zu kippen drohte, weil nicht einmal die Mehrzahl der Teddybärenwerfer sich vorstellen konnte, dass auch ein zweites, drittes, fünftes und zwölftes oder 20. Jahr mit jeweils einer Million "Neuankömmlinge" (SZ) zu schaffen sein würde, wurde stattdessen das Flüchtlingsaufhalteabkommen mit der Türkei geschlossen. Ein Menschen-gegen-Geld-Vertrag, der den türkischen Machthaber Erdogan zum Oberaufseher aller vor Krieg und Gewalt Flüchtenden machte, die von Deutschlands Versprechen, es sei Platz genug für alle da, zum Aufbruch motiviert worden waren.
Das Verschwinden des Gesamtproblems
Nun waren sie halt nicht mehr da. Und nun verlor sich auch die peinigende Dringlichkeit des Gesamtproblems. Assad schien nicht weggehen zu wollen, er gewann nach und nach sogar den Bürgerkrieg. Trump tauchte auf, die AfD, eine Versammlung recht fürchterlicher Gestalten, wurde zum parlamentarischen Mahnmal der Merkeljahre. Syrien, immer noch ein Land im Ausnahmezustand, verlor an Interesse (Grafik oben). Deutsche Zeitungen berichteten nicht, deutsche Gemeinsinnsender mieden das Thema zusehends. Die vielen Parteien, die vielen Interessen. Die Russen, die Türken, die Amerikaner, die Jesiden, die Kurden, die Israelis, die Islamisten, die Freie Armee. Und unsere Avacs obendrüber und keiner weiß, warum.
Syrien verschwand fast rückstandsfrei aus der medialen Wahrnehmung. Gelegentlich meldeten Auslandsmedien noch bizarr erscheinende Neuigkeiten von einer "Regierungsbildung" in Damaskus. Im Internet zeigen private Reisende unerhörte Szenen. Im Allgemeinen aber hat Deutschland sich das ehedem brennende Problem auf die altbekannte Art vom Leib geschafft: Aus den Medien, aus den Augen. Aus dem Sinn, Jedes Thema stirbt, wenn das Publikum beginnt, sichtliche Anzeichen von Langeweile zu zeigen.
Der ganze Assad-Kram, der Bürgerkrieg, das "menschliche Leid" (Merkel), all das spielt nicht einmal in den zahllosen Kaisergeburtstagsbeiträgen eine Rolle, die zum 5. Jubiläum der Grenz
Mittwoch, 2. September 2020
Untersuchungsausschuss: Im Schulterschluss mit den Faschisten
Den künftigen Wunschkoalitionspartner in Bedrängnis bringen, die erste schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene gefährden, wegen ein paar fragwürdiger Kontrollausfälle rund um die frühere deutsche Hoffnungsfirma Wirecard? Lange zögerte die Spitze der Grünen, ob ein Untersuchungsausschuss im Bundestag, so gut er sich im Wahlkampf auch machen wird, sich wirklich so abwickeln lassen könnte, dass kein Flurschaden dabei entsteht. Doch als sich dann die Chance ergab, gemeinsam nicht nur mit der Linken und der FDP, sondern auch mit der extremistischen AfD für die Einberufung zu stimmen, zögerte die Ökopartei nicht länger: Nach AfD, FDP und Linker entschied sich auch Bündnis90/Die Grünen dafür, den Wirecard-Skandals politisch aufarbeiten zu wollen, wie der Grünen-Abgeordnete Danyal Bayaz nach einer Sondersitzung des Finanzausschusses in Berlin sagte. 
Für die Bundesrepublik der Ära nach 2015 bedeutet das eine Zäsur. Erstmals schließen sich die vier im Bundestag vertretenen Nicht-Regierungsparteien zusammen, um gemeinsam Front gegen die Politik der Großen Koalition zu machen. Keine sieben Monate nach dem Demokratieunfall in Thüringen zerfällt die von Kanzlerin Angela Merkel geleitete Anti-Hitler-Koalition. Und Bürgerliche, Linke und Grüne scheinen bereit, mit den Erben Hitlers ins Bett zu springen.
Bei der AfD, der durch Corona zuletzt die Umsturzdynamik verloren gegangen war, reibt man sich die Hände. Man habe auch ohne die Rechtspopulisten "die nötige Stimmenzahl für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses", teilten die drei kleinen Oppositionäre mit. Der Vorsitz im Ausschuss ginge dennoch an die Gaulands, Meuthens und Weidels, aber daran dürfe "ein Untersuchungsausschuss nicht scheitern", sind sich Florian Toncar von der FDP und Fabio de Masi von der Linken grundsätzlich einig.
Die bürgerliche Mitte erodiert, selbst die ehernen Lippenbekenntnisse, niemals mit den Feinden der Demokratie zusammenarbeiten zu werden, verstummen schneller als der Bundespräsident den Rassismus-Bann vom deutschen Polizeiapparat zu nehmen vermochte. Der gemeinsame Feind, eine überaus erfolgreich agierende Bundesregierung, die Deutschland besser durch die Corona-Krise brachte als sämtliche anderen Staaten der Welt das schafften, schweißt die Antipoden zusammen.
"Politisch nicht gerade schön, wenn die AfD diesen Vorsitz führe", sei es, heißt es nur, auch habe der "flüchtige frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek enge Verbindungen zur FPÖ in Österreich, die der AfD verbunden ist", weiß die Linke. Aber ehe die Chance vergeben wird, die Kanzlerin, ihren Wirtschaftsministerin und allerlei andere Wirecardlobbyisten im Wahlkampf vor sich herzutreiben, muss man die braune Kröte eben schlucken.
Vielleicht findet sich aber auch noch ein Zwischenweg, der den demokratischen Gepflogenheiten Rechnung trägt, den Kampf gegen rechts aber trotzdem nicht außer Acht lässt. Wie bei der Wahl des Bundestagsvizepräsidenten, bei der es den demokratischen Parteien seit nunmehr drei Jahren gelingt, von der AfD benannte Kandidaten scheitern zu lassen, könnte auch beim Vorsitz des Wirecard-Ausschusses klug taktiert und jeder rechtsextreme Vorschlag wegen fehlender "charakterlicher Eignung" abgelehnt werden, wie de Masi vorschlägt.
Für die Demokratie wäre das zweifellos ein Gewinn, der die vergleichsweise überschaubare Schadensumme durch die Wirecard-Pleite weit überwiegen würde. Nicht einmal zwei Milliarden Euro fehlten dem bayrischen Unternehmen nach 13 Jahren erfolgreicher internationaler Expansion. Nach Medienangaben entspricht diese Summe nicht einmal der halben Maskenrechnung des Bundesgesundheitsministeriums aus den vergangenen sechs Monaten.
Eine Zäsur für die Republik
Für die Bundesrepublik der Ära nach 2015 bedeutet das eine Zäsur. Erstmals schließen sich die vier im Bundestag vertretenen Nicht-Regierungsparteien zusammen, um gemeinsam Front gegen die Politik der Großen Koalition zu machen. Keine sieben Monate nach dem Demokratieunfall in Thüringen zerfällt die von Kanzlerin Angela Merkel geleitete Anti-Hitler-Koalition. Und Bürgerliche, Linke und Grüne scheinen bereit, mit den Erben Hitlers ins Bett zu springen.
Bei der AfD, der durch Corona zuletzt die Umsturzdynamik verloren gegangen war, reibt man sich die Hände. Man habe auch ohne die Rechtspopulisten "die nötige Stimmenzahl für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses", teilten die drei kleinen Oppositionäre mit. Der Vorsitz im Ausschuss ginge dennoch an die Gaulands, Meuthens und Weidels, aber daran dürfe "ein Untersuchungsausschuss nicht scheitern", sind sich Florian Toncar von der FDP und Fabio de Masi von der Linken grundsätzlich einig.
Die Mitte erodiert
Die bürgerliche Mitte erodiert, selbst die ehernen Lippenbekenntnisse, niemals mit den Feinden der Demokratie zusammenarbeiten zu werden, verstummen schneller als der Bundespräsident den Rassismus-Bann vom deutschen Polizeiapparat zu nehmen vermochte. Der gemeinsame Feind, eine überaus erfolgreich agierende Bundesregierung, die Deutschland besser durch die Corona-Krise brachte als sämtliche anderen Staaten der Welt das schafften, schweißt die Antipoden zusammen.
"Politisch nicht gerade schön, wenn die AfD diesen Vorsitz führe", sei es, heißt es nur, auch habe der "flüchtige frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek enge Verbindungen zur FPÖ in Österreich, die der AfD verbunden ist", weiß die Linke. Aber ehe die Chance vergeben wird, die Kanzlerin, ihren Wirtschaftsministerin und allerlei andere Wirecardlobbyisten im Wahlkampf vor sich herzutreiben, muss man die braune Kröte eben schlucken.
Fehlende charakterliche Eignung
Vielleicht findet sich aber auch noch ein Zwischenweg, der den demokratischen Gepflogenheiten Rechnung trägt, den Kampf gegen rechts aber trotzdem nicht außer Acht lässt. Wie bei der Wahl des Bundestagsvizepräsidenten, bei der es den demokratischen Parteien seit nunmehr drei Jahren gelingt, von der AfD benannte Kandidaten scheitern zu lassen, könnte auch beim Vorsitz des Wirecard-Ausschusses klug taktiert und jeder rechtsextreme Vorschlag wegen fehlender "charakterlicher Eignung" abgelehnt werden, wie de Masi vorschlägt.
Für die Demokratie wäre das zweifellos ein Gewinn, der die vergleichsweise überschaubare Schadensumme durch die Wirecard-Pleite weit überwiegen würde. Nicht einmal zwei Milliarden Euro fehlten dem bayrischen Unternehmen nach 13 Jahren erfolgreicher internationaler Expansion. Nach Medienangaben entspricht diese Summe nicht einmal der halben Maskenrechnung des Bundesgesundheitsministeriums aus den vergangenen sechs Monaten.
Explodierende Geldmenge: Euro-Bürger immer reicher
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Niemals, nie im Leben! Das ist einfach ausgeschlossen. |
Dank Corona und den neuen Rettungspaketen geht das sogar immer schneller: Im Juli konnte das Wachstum der Geldmenge sich weiter beschleunigen und das höchste Tempo seit Mitte 2008 erreichen. Nach Angaben der Europäischen Zentralbank explodierte die sogenannte Geldmenge M3 binnen von 31 Tagen um 10,2 Prozent. Bereits im Monat davon hatte das Wachstum 9,2 Prozent betragen. Das bedeutet nichts anders, als dass den Euro-Zahlern ein entprechendes Mehr an Zahlungsmitteln zur Verfügung steht.Das IW konnte jetzt erstmals Effekte nachweisen: Nach einer "ehrlichen Rechnung" unter Beiziehung der Vermögen, die durch die permanente Geldflut geschaffen wurden, besteht "keineswegs Geldnot. Und Seniorinnen und Senioren stehen mit durchschnittlich 3574 Euro im Monat an der Spitze der Wohlstandsskala.
So gut ist es, wenn die Geldmenge explodiert
Die gute Nachricht: Das ist noch nicht alles. Die Geldmenge M1, die Bargeld und kurzfristige Einlagen bei Kreditinstituten umfasst, wuchs mit 13,5 Prozent sogar noch schneller - und das nach einem Wachstum im Juni um 12,5 Prozent. Auf den Sparkonten der Europäer, die das Glück haben, auf den Euro als gesetzliches Anlagegeld zurückgreifen zu können, sammelt sich immer mehr Geld in immer höherer Geschwindigkeit.
Zu sehen ist die segensreiche Wirkung der Unionswährung, der mittlerweile 19 von 27 EU-Staaten vertrauen, auch bei den Wirtschaftsdaten: Beim Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) gelingt es der Euro-Zone stabil bereits seit zehn Jahren, im Vergleich zu den Nicht-Euro-Staaten der EU gebremste Raten aufzuweisen, die die eng miteinander verwobenen Wirtschaftsnationen vor einem Überschießen der Konjunktur über die kritische Marke von 2,5 Prozent bewahren.
Vermögen werden schon gar nicht mehr gebraucht
Das dämpft auch die gefürchtete Geldentwertung, so dass der tagtäglich und in nahezu jeder Nacht in den gigantischen Geldfabriken der EZB neugeschaffene Reichtum komplett in die Vermögensbildung fließen kann. Die Preisentwicklung bei Aktien, Immobilien und Gold zeigt beispielhaft, wie der Euro im Handumdrehen große Vermögen schafft: Zum Zeitpunkt der Euro-Einführung reichte das durchschnittliche Monatseinkommen eines deutschen Arbeitnehmers, um fünf Goldmünzen mit einem Gewicht von je einer Unze von seinem Monatsgehalt zu kaufen. Wer das getan hat, hat die angelegte Summe dank des Euro bis heute etwa verdreifacht. Wer auch nur eine einzige Münze pro Monat kaufte, sitzt auf einem Vermögen von knapp 400.000 Euro.
Heute reicht das Jahresgehalt eines durchschnittlichen Arbeitnehmers in Deutschland nur noch für etwas mehr als eine Unze Gold, wenn es komplett angelegt wird. 2000 Euro von 1999 waren noch beinahe 200 Gramm in Gold wert, heute langen sie eben so, um 40 Gramm zu bezahlen. Dafür aber profitieren alle, die ohnehin kein Geld zum Kauf von Vermögenswerten haben, von den entschlossenen Ankäufen der EZB von Staatsanleihen und der Ausweitung der bedingungslosen Versorgung der Euroraum-Banken mit kostenlosen Langfristkrediten.
Dienstag, 1. September 2020
Im Konformitätsrausch: Der mediale Minskausbruch
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Achtelbuschers Institut analysiert seit Jahren das Themensterben in den deutschen Medien. |
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PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl hat Achtelbuscher befragt. |
Achtelbuscher gilt als eine Art menschliches Fieberthermometer der Corona-Realität in Funk, Fernsehen und Zeitungen, die, wie er sagt, "ausschnittartig wie ein Karl-May-Roman Projektionen eines Lebens darstellt, das ausschließlich zwischen Plenarsaal, Kanzlerrunde und Virologenseminar spielt."
PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl hat Achtelbuscher in sicherem Abstand getroffen, um ihn ein halbes Jahr nach Ausrufung der Corona-Pandemie zur aktuellen Lage zu befragen. Was ist heute wichtig? Und warum? Was wurde aus anderen priorisierten Krisen? Und wohin sind sie verschwunden?
PPQ: Lieber Herr Achtelbuscher, unsere Lesenden kennen Sie ja als kritischen Geist, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es nicht sein muss. Sagen Sie uns doch zuerst einmal, wie haben Sie die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg persönlich überstanden? Das wird viele Leserer interessieren.
Achtelbuscher: Vielen Dank für die liebe Nachfrage. Ich kann nicht klagen. Wie Sie sicher wissen, befindet sich unser Ans-Institut ja dank der finanziellen Unterstützung durch Braunkohleausstiegsvorbereitungsmittel inzwischen in einer großzügig geschnittenen früheren Fabrikantenvilla am schönen Geiseltalsee, direkt am Wasser, an frischer Luft, im Grunde würden Sie es wohl Ammerseeatmosphäre nennen, was wir da haben. Ich lebe dort mit meiner kleinen Familie in einem großzügigen Loft, das von Alters her als Dienstwohnung des Institutsleiters gilt. Unsere Forschungen, das wissen Ihre Leser:innen, sind überwiegen analytischer, also virtueller Natur. Wir konnten also auch während der exponentiellen Phase immer Abstand halten und kritisch nachfragen.
PPQ: Dafür sind Sie unseren Leserinnen und Lesern ja nicht zuletzt bekannt. Viele fragen sich aber gerade im Moment, ob ihre eigene Wahrnehmung der schlimmsten Krise, die Sie gerade erwähnt haben, überhaupt richtig sein kann, wenn in der amtlichen "Tagesschau" ganz zu Beginn lange Meldungen über ein Land stehen, das es nach Auffassung vieler vor sechs Wochen nicht einmal gab.
Achtelbuscher: Auf den Punkt. Sie sprechen vom sogenannten Belarusdemfrüherenweißrussland, das derzeit in der Tat medial als eine Art alternatives Unterhaltungsangebot zum ewigen Corona-Stoff angeboten wird. Wie einige aufmerksame Mediennutzer bereits selbst bemerkt haben, startete das mit einer demonstrativen Neubenennung des Staates, der irgendwo hinter oder neben Polen liegt, das weiß niemand so genau. Aus dem traditionell ins Deutsche übersetzten Weißrussland wurde signalhaft "Belarus" und gleichzeitig startete das Thema auf eine Weise durch, dass mittlerweile kaum noch ein Zweifel daran besteht, dass sich das Schicksal der gesamten Menschheit wohl in Minsk entscheiden wird. Es ist ja so, dass Belarus tatsächlich mehr Aufmerksamkeit absorbiert als das neuartige Lungenvirus Covid-19!
PPQ: Ist denn das angemessen? Hat nicht die Bundeskanzlerin selbst Corona zur größten Herausforderung der vergangenen 75 Jahre erklärt? Können da Medien einfach so ausscheren und alle Kraft auf einen Staat konzentrieren, der flächenmäßig recht groß ist, aber kaum mehr Einwohner als die indische Stadt Begaluru hat, von der man nie erfährt, wie die Situation dort ist?
Achtelbuscher: Nun, die Tagesschau ist auf 15 Minuten begrenzt, der "Spiegel" hat eben nur noch schmale 130 Seiten minus die 40 Seiten Werbung, auf denen für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren geworben wird. Da heißt es immer auswählen - und wenn aus der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) eine Handreichung wie die kommt, dass Weißrussland jetzt Belarus genannt werden soll, dann wird das schon verstanden und entsprechend priorisiert.
PPQ: Steckt dahinter eine objektive Notwendigkeit oder handelt es sich, wie Verschwörungstheoretiker vielmals anprangern, um den Versuch, von Problemen abzulenken, etwa bei der Neubesetzung der Parteispitze der CDU oder bei der gerechten Verteilung von Impfstoffen?
Achtelbuscher: Das wird man erst reminiszent wirklich sagen können. Im Moment verraten uns die Zahlen nur etwas über den Kampagnencharakter des medialen Minskausbruchs, der aus meiner Sicht sicher auch etwas damit zu tun hat, dass sowohl Medienmacher als auch Medienkonsumenten sich nach sechs Monaten, in denen nahezu ausschließlich Politiker, Virologen und junge Unternehmer, die sich durch die Corona-Krise nicht unterkriegen lassen, die Berichterstattung dominiert haben, arg nach alternativen Themen sehnen. Sie werden vielleicht sagen, gut, da gäbe es genug, wir haben bis heute kaum etwas von Corona-Patienten gelesen, keine einzige Reportage aus einer Fabrik in Myanmardemfrüherenburma gesehen, in der die neuen Volksmasken genäht werden, die inzwischen besser als "Mund-Nasen-Schutz" bekannt sind. Aber das sind eben alles unangenehme Dinge, viel zu praktisch. So eine Farbenrevolution in Belarusdemfrüherenweißrussland hat mehr Entertainmentcharakter, weil da ein greifbarer Bösewicht besetzt werden kann, eine schöne Frau als Rebellin, wackere Volksmassen und so weiter.
PPQ: Viele Medienkonsumenten verblüfft die Einheitlichkeit, mit der Themen immer noch ziemlich schlagartig umgruppiert werden können. Welcher Wirkungsmechanismus steckt denn aus ihrer Sicht dahinter?
Achtelbuscher: Immer noch? Mein liebes Kind, das ist eine Falschwahrnehmung, die ich ihrem ja doch recht jugendlichen Alter zuschreibe. Aus den Aufzeichnungen früherer Jahre, aus den Archiven und unseren eigenen Analysen wissen wird, dass die Einheitlichkeit - wissenschaftlich bezeichnen wir sie als E - seit Jahrzehnten zunimmt. Wir haben dazu eine Formel entwickelt, nach der medial - bei uns abgekürzt m - eine sogenannte confirmity - abgekürzt c - zum Quadrat ausdrückt, wie hoch der Grad der jeweiligen Übereinstimmung der Einstimmigkeit der Berichterstattung ist. Wir liegen da im Moment bei 77! Das klingt nicht hoch, ist aber das Zehnfache dessen, was zum Beispiel Ende der 90er Jahre als konform galt.
PPQ: Wie genau ist diese Zahl zu verstehen?
Achtelbuscher: Sie ist ein wissenschaftlicher Wert, der die Äquivalenz von medialer Masse und gleichartigem, sich selbst bestätigendem - auf Englisch confirm - Ergebnis bezeichnet, die nach der Formel E = mc² berechnet wird. Das ist also nichts für den Endverbraucher, der profitiert nur von hohen Werten in diesem Bereich, weil sie es ihm ersparen, lange nachzudenken, welches Medium er konsumieren möchte, um bestimmte Informationen zu erlangen. Über 50 E bedeuten in der Regel, dass die Wahrscheinlichkeit über 1 liegt, dass es vollkommen gleichgültig ist, weil überall dasselbe steht.
PPQ: Das sind ja eigentlich gute Nachrichten gerade in Zeiten, in denen im Internet so viel gepöbelt, gehetzt und gezweifelt wird wie nie.
Achtelbuscher: Ja, das kann man so sagen. Zumal dieser Konformitätsdruck ja keineswegs von oben verordnet wird, wie das in totalitären Regimen Sitte und Brauch ist. Nein, der Gleichklang stellt sich von selbst, also nach marktwirtschaftlichen Regeln her, ganz automatisch, und straft damit viele frühere Versuche Lügen, Medien an die Kandare zu nehmen und sie zu etwas zwingen zu wollen. Das ist, so wissen wir Medienforscher heute, nicht notwendig.
PPQ: Unser heutiges politisches System ist also viel besser in der Lage, ein natürliches Einverständnis der Medienarbeiter und damit letztlich auch der Bürgerinnen und Mitbürger mit dem notwendigen und klugen Handeln der Verantwortungsträger herzustellen?
Achtelbuscher: So ist das. Die Funktionsweise ist ebenso einfach wie in ihrer natürlichen Eleganz schön. Wir wissen, dass unerwartete Ereignisse das Belohnungszentrum im Gehirn aktivieren - daher speichert es solche Eindrücke besser ab und drängt danach, sie zu wiederholen. wer also einmal für die CDU gestimmt hat, die dann bei einer Wahl gewinnen konnte, der tut das wieder, weil er erwartet, wieder bei den Gewinnern zu landen. Diese Hypothese konnten Neurowissenschaftler des Bundesblogampelamtes (BBAA) im mecklenburgischen Warin jetzt in einer Patientenstudie bei 2.134 Internetnutzern bekräftigen: Wenn die Probanden gezwungen wurden, sich Bilder einzuprägen, die nicht zu einem bestimmten Konzept passten, war das Belohnungszentrum im Gehirn aktiver als bei den herkömmlichen Bildern.
PPQ: Ereignisse werden also dann besonders gut abgespeichert, wenn das Gedächtniszentrum starke Signale aus dem Belohnungszentrum erhält?
Achtelbuscher: Das ist das Prinzip, mit dem wir in der Werbung, aber auch in der politischen Propaganda arbeiten. Das ist nicht nur bei tatsächlich belohnungsrelevanten, sondern auch bei
unerwarteten Ereignissen offensichtlich der Fall. Die Aktivität von zweier Gehirnregionen - dem Nucleus accumbens und dem Hippocampus - müssen von außen so stimuliert werden, dass sie sich an das Unvorhergesehene hinterher besser erinnern. Ich sage nur "das König der Biere" oder "wir schaffen das" - das bleibt hängen, weil es eben ein bisschen schräg ist.
PPQ: Ein Tag wie alle anderen, ohne medialen Minskausbruch, ohne Zuspitzung der Corona-Krise und ohne ARD-Brennpunkt dagegen verschwindet schnell aus dem Gedächtnis?
Achtelbuscher: Exakt. Stellen Sie sich vor, Sie stehen morgens auf und alles passiert wie immer, Sie kaufen sich einen Kaffee, fahren zur Arbeit und setzen sich an den Computer - dann ist es unwahrscheinlich, dass Sie sich später noch an viele Details erinnern. So kann politische Kommunikation nicht funktionieren, zumal ja derzeit nahezu alle Parteien dieselben Botschaften an den Mann, die Frau und alle anderen Geschlechter bringen wollen. Geschieht allerdings etwas
Unerwartetes - egal, ob positiv oder negativ - sieht das gleich ganz anders aus: Wenn Sie sich Kaffee über die Hose schütten oder einen Kaffee geschenkt bekommen, dann ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass Sie sich später noch daran erinnern.
PPQ: Unerwartet kamen zuletzt die Billionen, wo viele Menschen nur mit Milliarden gerechnet hatten. Aber ist es das denn wert?
Achtelbuscher: Es geht immer um den Augenblickseffekt, das schon länger bekannt. Bisher war aber unklar, welche Kosten das wirklich rechtfertigt, denn niemand wusste das Gehirn auf Zahlen reagiert, die es gar nicht mehr begreifen kann. Es gab aber die Hypothese, das Summen, die unvorstellbar hoch sind, auch ein unvorstellbar hohes Sicherheitsgefühl erzeugen können. Und das hat sich als richtig herausgestellt. das heißt im Gegenzug, dass jeder finanzieller Aufwand gerechtfertigt ist, zumal ja feststeht, dass keiner der heute lebenden Menschen die Kosten wird tragen müssen.
PPQ: Mir scheint das aber ungerecht gegenüber nachfolgenden Generationen, oder?
Achtelbuscher: Das scheint Ihnen nur so, rein reflexhaft. Aber bedenken Sie, dass jede nachfolgende Generation es ebenso halten kann. Niemand muss irgendwann irgendwo seine Rechnung bezahlen, wenn alle für immer am Kneipentisch sitzen bleiben - so erkläre ich es meinen Studenten immer. Im Gehirn ist das bekannt: Dort überprüft der Hippocampus, ob das eingetroffene Ereignis mit der Erwartungshaltung übereinstimmt und gibt diese Information an den Nucleus accumbens weiter. Daraufhin wird der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet, und zwar umso mehr, je stärker das Ereignis von der Erwartungshaltung abweicht. Je mehr Dopamin ausgeschüttet wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass der Hippocampus das Ereignis ins Langzeitgedächtnis überschreibt - das Wissen darum, dass es möglich ist, Geld in unendlicher Größenordnung zu erzeugen, wird also nicht mehr verschwinden, das bleibt als Entdeckung unserer Generation - ein Geschenk an nachfolgende, dessen Wert im Grunde unschätzbar kostbar ist. Die sollten uns dafür sehr dankbar sein - und ich schätze, sie werden es eines Tages auch werden.
Faschismus als Farce: Heil, Praktikerin!
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Organisierte das Stürmchen auf den Reichtags: Heilpraktikerin Tamara. |
400 Mann auf der Reichstagstreppe, Frauen darunter, Heranwachsende und Kinder, Partypeople und Influenzer mit gezückter Kamera. Der "Sturm auf den Reichstag", der am Tag danach langsam wieder zum "Ansturm" oder Treppenwitz zu schrumpfen versuchte, weil zu viele Youtube-Videos letztlich doch zu viele alternative Fakten zeigten, wird zum Fanal: Eine dreadlockige Heilplraktikein aus der Eifel soll zur Eroberung des Hohen Hauses aufgerufen haben. Indem sie aufrief, "die Treppen zum Reichstag hochzusteigen". Der Bundespräsident war außer sich, alle Ministerpräsidenten kondolierten, die mediale Gewalt uferte über Stunden aus. Die "Schande" (Seehofer) schien geeignet, Deutschland stolzes Ansehen in der Welt nachhaltig und endgültig zu zerstören.
Von der Rolle gerutschter Film
So leicht geht das. Im sechsten Corona-Monat scheint der Pandemiefilm von der Rolle gerutscht und durch eine Monthy-Python-Satire ersetzt worden zu sein. Das große Drama, kleines Karo. Laschet in NRW beendet die Maskenpflicht in Schulen, Söder in Bayern ruft sie im selben Moment aus. Alle Bundesländer nehmen jeztzt einheitliche Maksenbußgelder, nur in unterschiedlicher Höhe. Auper Sachsen-Anhalt, dort gilt die Maskenpflicht sowieso. Corona legt sich, so viel scheint sicher, langsam von der Lunge aufs Hirn.
War Hitler eben noch ein hessischer Sangesbruder, der dann kurzfristig von einem veganen Nazikoch ersetzt werden musste, weil Uwe Steimle auch nicht wollte, Dieter Nuhr sowieso, Lisa Eckhardt verhindert und Sarrazin nun nicht mehr in der SPD, hockt nun eine Esoterikerin auf der Besetzungscouch und ruft die Revolution aus. Die Frankfurter Rundschau recherchiert jener "Tamara K." flugs hinterher und findet "nur zwei positive Bewertungen bei Google". Schreibt das Blatt, das selbst nur eine hat. Nicht gut, denn "Online-Bewertungen gelten als neue Währung" (FR)!
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Riefen "Wahnsinn" und missbrauchten damit eine Parole von 1989. |
"Genau so muss Journalismus" freut sich ein Leser im Kommentarbereich des Onlineauftrittes, dessen aktuelle Schwerpunkte Agenturtexte über Donald Trumps Vergehen, Versäumnisse und Verbrechen und eine große Enthüllungsgeschichte über die Weigerung einer Friedberger Apothekerin sind, den Namen ihrer „Hof-Apotheke zum Mohren“ auf Wunsch der AktivistInnen einer Gruppe namens „United Colors Of Change“ zu ändern.
Nun also kehrt auch der Faschismus als Farce zurück, mit Dreadlocks und Regenbogenfahnen, der Parole "Wahnsinn" aus Mauerfallzeiten, den Flaggen des Norddeutschen Bundes und "gewalttätigen Ausschreitungen" (DPA) von einem solch epochalen Ausmaß, dass weder im Gemeinsinnfunk noch in den privaten Medien auch nur eine Sekunde oder Zeile Platz bleibt für das, was in Schweden gerade geschieht.
Clowns und Helden überall
Clowns und Helden überall, Polizisten, die allein "400 Chaoten" abwehren, dabei aber womöglich auch zulangen mussten. Der Bundespräsident räumte seinen Terminkalender frei, zum Glück ist im Bellevue genügend Platz für Abstandshaltung bei der Audienz. Gekniet hat er nicht vor den Heroen. Aber es fehlte wohl nicht viel.
Der Treppenwitz vom Reichstagssturm gewinnt so heute schon historisches Gewicht. Der Ort, an dem frei gewählte Abgeordnete 87 Jahre zuvor mit dem "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" einen Freibrief für Adolf Hitler ausstellten, ist heute dank seiner transparenten Mütze die "Herzkammer unserer Demokratie". Die eifernde Eifeler Krebsheilerin der Staatsfeind Nummer 1. Die eben noch rassistisch durchseuchte Polizei der stockschwingende Retter des Abendlandes. Und die Treppe des Bundestagsgebäudes die Mauer von Helms Klamm, Schauplatz der gewaltigen Schlacht gegen die Untotenarmee der Corona-Sarumans mit ihren Kaiserflaggen und wehenden Regenbogenbannern.
Gerade noch mal gutgegangen. Gerade noch mal von der Schippe gesprungen. Aber so knapp ist es noch nie gewesen.
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