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Der 1. FC Lokomotive Leipzig ist der 2003 neugegründete Nachfolger des FC Lok aus DDR-Zeiten. |
Havel-was? Ein Dorf bei Hannover, keine 3.000 Seelen, ein Fußballplatz namens Wilhelm-Langrehr-Stadion, das 500 Plätze mehr hat als Havelse Einwohner. Die frühere TSV-Kampfbahn an der Hannoverschen Straße, erst vor wenigen Jahren zu Ehren eines örtlichen Bäckermeisters umbenannt, ist zum Ort der großen Niederlage des ostdeutschen Fußballs geworden.
Mit einem deutlichen, verdienten und am Ende ein, zwei Tore zu niedrig ausgefallenen 3:0 im Relegationsrückspiel sicherte sich der TSV den Aufstieg in die 3. Liga. Der 1. FC Lokomotive Leipzig, nach eigener Lesart Ex-Meister, Ex-Pokalsieger und Ex-Europacupstarter, bleibt zurück in Liga 4.
Zurück in Liga 4
Nicht nur geschlagen und nicht nur blamiert, sondern vorgeführt wie der gesamte Fußballosten. Dort wiegen sich Vereinsführungen, Fans und Medien traditionell im Gefühl, für Liga 4, rein technisch gesehen die oberste deutsche Amateurliga, sei viel zu schlecht für sie. Von Jena über Erfurt, Chemnitz bis Cottbus, den BFC Dynamo in Berlin, die 2003 unter dem Namen des Vorgängervereins neugegründete Lokomotive aus Leipzig, deren Ortsrivale Chemie und der Hallesche FC, überall glauben sie, dass mindestens Liga 3, eher aber doch Liga 2 als dauernder Aufenthaltsort für den eigenen Wettspielbetrieb angemessen sein.
Dass das Gros der Oberligavereine aus DDR-Zeiten heute dennoch in der vierten Liga herumdümpelt, eine Spielklasse, in der sich weiter westlich Größen wie Wiedersbrück, Rödinghausen und Drochtersen/Assel oder Jeddeloh II tummeln, gilt als sportliche Ungerechtigkeit, die der Übermacht westlicher Verbandsfunktionäre zu danken ist. Obwohl im Osten der bessere Fußball gespielt wird, professionell, in fast durchweg nahezu nagelneuen modernen Stadien, mit Vollprofis als kickendes Personal und einer prallvollen Fankurve, in der Ultragruppen mit Feuerwerk, Nebeltopf und Quarzhandschuh jede irre Verwirrung nachspielen, die sich der großen Fußballbühne abgucken lässt, lasse eine Übermacht an Westvereinen den armen Osten einfach nicht hochkommen.
Ostdeutsche Unterrepräsentation
Keine Chance. 35 Jahre nach dem Ende des DDR-Fußballs ist die Lage schlimmer als im Bundeskabinett, schlechter als an den deutschen Universitäten, fürchterlicher als in allen Vorstandsetagen der großen Firmen. Dass mit Union Berlin und RB Leipzig nur noch anderthalb Vereine aus den ehemals neuen Bundesländern in der ersten Liga spielen, beklagte schon kaum mehr jemand. Immerhin gab es ja in der 2. Bundesliga noch Magdeburg.
Unter den 36 besten Fußballclubs Deutschlands hielt sich der Anteil der Vertreter Ostdeutschlands damit zuletzt hartnäckig bei fast zehn Prozent, deutlich weniger als in guten Jahren, deutlich mehr als in den ganz schlechten. In der 3. Liga warteten aber mit Aue, Rostock, Cottbus und Dresden gleich vier Ostvereine auf die Chance, nach oben zu kommen. Und diesmal gelang es Dresden sogar, den Unfall von 2022 wiedergutzumachen und in die 2. Liga zurückzukehren: Den Meistertitel in Liga 3 holte sich zwar Bielefeld, ein Westverein. Doch Platz 2 reichte zum Aufstieg.
Scheitern hat Tradition
Lok Leipzig dagegen scheiterte in der Relegation, einer Hürde, die den Meister der heute unter dem Namen "Regionalliga Nordost" firmierenden Ex-DDR-Oberliga immer wieder am großen Sprung nach oben hindert. Zehnmal haben Vertreter der selbsternannten stärksten Staffel der 3. Liga versucht, sich in einem direkten Kräftemessen mit dem Meister einer anderen Staffel durchzusetzen. Nur fünfmal gelang es. Abgesehen von den Ligen der RLSW Regionalliga Südwest GmbH, in der ehemals große Namen wie Offenbach, Stuttgarter Kickers und FSV Frankfurt herumdümpeln, ist die Bilanz keiner anderen Liga so schlecht.
Und aus keiner anderen kommen deshalb seit Jahren immer lauter werdende Rufe, die Relegation, in der die eigenen Vertreter so oft scheitern, gehöre abgeschafft, denn "Meister müssen aufsteigen". Dabei handele es sich um eine Art Naturgesetz, dem vom Verband zur Geltung verholfen werden müsse. Nur weil die Fußballverbände drüben im Westen mehr Mitglieder haben und es dort mehr Vereine gibt, dürften die Regionalligen jenseits der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze nicht erwarten, mehr Vertreter in den Profifußball entsenden zu können. Das sei nicht fair, heißt es von Rostock bis Aue und Cottbus bis Halle, die Ostvereine mehr Zuschauer anzögen, professioneller geführt seien und in den moderneren Stadien zu Hause.
Nur die Ansprüche sind groß
Sportlich steht die Überlegenheit auch kaum infrage. Im Gegensatz zu Jeddeloh II, einem Club aus einer Bauerschaft Jeddeloh II in der Gemeinde Edewecht im niedersächsischen Landkreis Ammerland, der in der Haskamp-Arena mit einer Kapazität von 2000 Plätzen spielt, oder dem SV Eintracht Hohkeppel, dessen größter Erfolg bisher ein Jahr in der 3. Liga war, sind die Ansprüche im Nordosten andere. Vereinschefs jonglieren hier mit Millionenetats, Städte veranlassen ihre örtlichen Sparkassen und kommunalen Unternehmen zumeist, die sportlichen Aushängeschilder zu finanzieren. Das Treiben der heimischen Ultra-Gruppierungen gilt als Teil originärer ostdeutscher Sportkultur. Jede Prügelei, jedes fast gesprengte Spiel ist ein Argument mehr dafür, dass die provinzielle Bühne viel zu klein ist für die großen Ansprüche.
Die sind mittlerweile politisch. 17 Vereine der Regionalliga Nordost starteten Anfang des Jahres eine gemeinsame Initiative, um die vermeintliche Benachteiligung des Ostens durch die aktuellen Aufstiegsregelungen zu beenden. Eine Ligareform soll die 4. Spielkasse so neu aufteilen, dass alle Meister aus allen Staffeln aufsteigen - für den Osten wäre das ein Gewinn, für den Westen ein Minusgeschäft. Dass es so kommt, scheint damit eher unwahrscheinlich.
Schlechte Verlierer
Und wie schon 2020, 2022 und 2023, als sich der Meister der Regionalligastaffel Nordost in Relegationsspielen gegen Meister anderer Staffeln hätte durchsetzen müssen, um aufzusteigen, klappte es auch diesmal nicht. Der FC Lok schaffte daheim ein mühsames 1:1. Im Rückspiel dann wurden die Sachsen, ausgestattet mit einem Etat von angeblich drei Millionen Euro von der Provinztruppe aus Niedersachsen förmlich vorgeführt: Die Mannschaft des TSV, der seine Saison mit 200.000 Euro finanziert hat, siegte nicht nur klar und deutlich mit 3:0. Die Lok-Elf brach auch mental zusammen, Spieler verloren komplett die Nerven und lieferten das peinliche Schauspiel eines schlechten Verlierers.
In den Gesichtern der Männer in Blau war zu sehen, wie sehr sie selbst an alles geglaubt hatten, was ihnen erzählt worden war. Bessere Liga. Professionellere Bedingungen. Bessere Spieler. Meister müssen aufsteigen. Müssen sie nicht, zumindest nicht, wenn sie sportlich nicht die Qualität mitbringen, sich gegen andere Meister durchzusetzen. So tragisch das Scheitern in einer Relegation ist, nach zahllosen Ligaspielen, die einen Verein am Ende zum Meister gemacht haben, so wenig tröstlicher ist die Lösung, die Zahl der Meister zu reduzieren, um sie automatisch aufsteigen zu lassen. Die Chancen auf den Aufstieg werden dadurch zwar für die einen größer, dafür aber die anderen kleiner. Und insgesamt gibt es für alle weniger davon.