Donnerstag, 28. März 2013

NSU: Gericht ohne Raum


Die beengten Verhältnisse beim NSU-Prozess in München werden immer mehr zum Problem. Im Verfahren um die NSU-Mordserie lässt der Senat des Münchner Oberlandesgerichts inzwischen gar kein Fettnäpfchen mehr aus. Nachdem bekannt wurde, dass es keine einzige feste Akkreditierung für türkische Medien gibt, obwohl acht der Mordopfer "türkischstämmig" (Tagesschau) waren, stellte sich jetzt auch heraus, dass keine griechischen Zeitungen eingeladen wurden, obwohl eines der Opfer Grieche gewesen ist. Zudem ist durch die Vergabe von sieben der 50 Medienplätze an gebührenfinanzierte Staatssender wie BR, MDR, WDR, SWR, NDR und ZDF und Deutschlandfunk und die Besetzung weiterer 50 Plätze mit Nebenklägern und Nebenklageanwälten nun offenbar auch direkte Konsequenzen für die Anklage: Nach einem Bericht der Ombudsfrau der Opferfamilien, Barbara John, ist durch die Überbelegung mit Zuschauern, Medienvertretern und Nebenklägern im Saal kein Platz mehr für die Hauptangeklagte Beate Zschäpe.

Die Akkreditierungen seien "strikt nach der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs vergeben" worden, entschuldigte das OLG sein Vorgehen. Durch den Andrang der Öffentlichkeit, unter anderem hatte sich der türkische Botschafter angekündigt, sei der Platz im Gerichtssaal nun ausgeschöpft. Der kleine Hochsicherheitsglaskasten, der für Zschäpe aufgebaut werden sollte, nehme einfach zu viel Raum in Anspruch, hieß es in München. Beate Zschäpe, der "rassistisch motivierte Morde an neun ausländischen Kleinunternehmern sowie an einer Polizistin" (Focus) zur Last gelegt werden, könne das Verfahren in den Medien verfolgen, so lange diese berichten. "Später", sagte ein mit den Planungen vertrauter Mitarbeiter, "wird ja das Interesse schnell nachlassen, dann ist auch wieder Platz für die Angeklagte im Saal."

"Es wäre besser gewesen, den Prozess in einen größeren Saal zu verlegen", kritisierte Barbara John. Das Gericht sei selbstverständlich völlig unabhängig und es stehe natürlich niemandem zu, den Richtern Ratschläge zu erteilen. Sie hätte sich aber einen Schauprozess im Münchner Olympiastadion gewünscht, bei dem die Zuschauerplätze über das Ticketssystem des FC Bayern München belegt worden wären. "Dauerkarten der Bayern hätten aber keine Gültigkeit gehabt", heißt es in München. Bei den Grünen macht sich Cem Özdemir immer noch Gedanken um die größtmögliche weltweite Öffentlichkeitswirkung. Das Gericht sei selbstverständlich völlig unabhängig und es stehe natürlich niemandem zu, den Richtern Ratschläge zu erteilen. Aber "die Welt zu Gast bei Freunden" sei das richtige Motto, "um internationale Transparenz herzustellen". Ob man den gesunden Menschenverstand eingeschaltet habe, da mache er doch ein sehr großes Fragezeichen dahinter, sagt Özdemir der staatlichen Danachrichtenagentur dpa.

Auch der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), kritisierte das Vorgehen. Das Gericht sei selbstverständlich völlig unabhängig und es stehe natürlich niemandem zu, den Richtern Ratschläge zu erteilen. "Ich habe die Entscheidung des Gerichts selbstverständlich zu respektieren, aber ich halte sie für ungut." Gegen ein Netzwerk aus 129 Tätern könne nicht mit nur 50 Pressevertretern vorgegangen werden. Vorbild für einen richtigen Prozess müsse die Türkei sei, die seinerzeit eigens für den Prozess gegen Apo Öcalan ein Gerichtsgebäude auf der Insel Imrali südlich von Istanbul ausgebaut hatte. Ergebnis war damals ein Todesurteil, über das auch deutsche Medien hatten zufrieden berichten dürfen.

Bereits die Entscheidung, gegen Zschäpe in München und nicht wie sonst in Naziprozessen üblich in Nürnberg zu verhandeln, sei falsch gewesen, hieß es in der Opposition. Dass sämtliche türkischen Medien den Prozess gegen die NSU nicht wichtig genug fanden, um sich pünktlich anzumelden, wollte derzeit noch niemand kritisieren. Heribert Prantl sieht in der Süddeutschen Zeitung das Gericht in der Pflicht. Hier sei eine Vorrangregelung anzuwenden, die die Abstammung der Opfer in den Mittelpunkt rücke und rassische Merkmale bei der Sitzplatzvergabe beachte. Das Gericht sei selbstverständlich völlig unabhängig und es stehe natürlich niemandem zu, den Richtern Ratschläge zu erteilen. Der "Horror der Richter vor einem Schauprozess" sei aber unangebracht. Deutschland sei ein demokratischer Staat, hier gebe es keine Schauprozesse. Wenigstens eine Live-Übertragung der Verhandlung in einen weiteren Saal sei deshalb nötig. Eine Fernsehjury - eventuell mit Dieter Bohlen, Prantl selbst und den Tokio-Hotel-Zwillingen als Ostexperten - könne von hier aus live kommentieren, benoten und testweise vorverurteilen.

Sebastian Edathy bat mit Blick auf andere Pünktlichkeitsvorstellungen in anderen Ländern um Nachsicht. "Es war ein völlig legitimer Wunsch, an dem Verfahren teilzunehmen. Es wäre eine angemessene Geste gewesen, diesem Wunsch zu entsprechen." Das Gericht sei selbstverständlich völlig unabhängig und es stehe natürlich niemandem zu, den Richtern Ratschläge zu erteilen. Aber Deutschland habe hier eine Bringepflicht, das müsse der Senat beachten.

Ein Land schreibt einen Thriller:
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NSU: Nun auch auf dem linken Auge blind
NSU: Die Welt ist klein
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28 Kommentare:

Thomas hat gesagt…

Ganz große Rhetorik! Das Gericht ist selbstverständlich völlig unabhängig und es steht natürlich niemandem zu, den Richtern Ratschläge zu erteilen, aber es steht doch zweifelsfrei fest, wer den besten Kommentar geschrieben hat!

Die Anmerkung hat gesagt…

Anklagevolk ohne Raum, sozusagen?

Anonym hat gesagt…

Natürlich ist das Gericht völlig unabhängig und der Ausgang des Verfahrens offen. Klar ist jedenfalls, daß sich deutsche Richter einen irgendwie gearteten Erwartungsdruck nicht beugen. Das haben sie aus der Geschichte gelernt.

ppq hat gesagt…

volksgericht ohne raum. war zu dicke

Cordt hat gesagt…

Gegen ein Netzwerk aus 129 Tätern könne nicht mit nur 50 Pressevertretern vorgegangen werden ist humoristisch mein Zentralsatz. Nürnberg, Prantls rassische Merkmale bei der Sitzplatzvergabe und Edathys Blick auf andere Pünktlichkeitsvorstellungen in anderen Ländern rangieren knapp dahinter.

Zum Thema möchte ich bemerken, daß, bevor das Gericht einen Fehler macht und am Volkswillen vorbei entscheidet, ein echt demokratisches Urteil zum Beispiel durch eine Telefonabstimmung gewährleistet werden könnte. Natürlich dürfte jeder nur ein Mal anrufen. Das müßte dann schon kontrolliert werden. So hätte vielleicht auch das viel gescholtene Todesurteil eine Chance und könnte dann, mit Hinweis auf die besondere historische Situation, zur Bewährung ausgesetzt werden.

ppq hat gesagt…

genaugenommen geht der rassismus der richter ja soweit, dass sie von 1000 großen zeitungen, zeitschriften, radio- und fernsehsendern nur 50 reinlassen wollen - das ist nur jedes 20. medienhaus!!

950 zeitungen usw. allein aus deutschland werden einfach ausgeschlossen, weltweit geht die zahl sogar in die zehn- und hunderttausende!!! granatensauerei!!!

Die Anmerkung hat gesagt…

Die Dunkelziffer ist vermutlich noch viel höher.

Anonym hat gesagt…

kauft nicht bei der gez

Anonym hat gesagt…

Wenn schon ein Prozess im Stadion, dann nicht in der Allianz-Arena. Das größte Stadion Deutschlands steht in Dortmund. Aüßerdem könnte man weitere tausende Besucher in die nicht weit entfernte Arena "Auf Schalke" verfrachten und ein Publik-Viewing über den dortigen Videowürfel durch eine Liveschaltung veranstalten.

Mensch Leute. Ihr müßt einfach in größeren Dimensionen denken.

Oels hat gesagt…

Konnte denn PPQ als anerkanntes NSU-Fachboard einen der begehrten Plätze ergattern ? Dürfen wir gar auf einen Live-Ticker vom GröPaZ hoffen ?

Volker hat gesagt…

Die Sache mit der Pump-Gun fehlt in der Liste "... einen Thriller".

Volker hat gesagt…

Bundesregierung mahnt Gericht

Anonym hat gesagt…

Selbstverständlich ist das Gericht völlig unabhängig und der Ausgang des Verfahrens völlig offen. Aber natürlich geht es nicht an, dass das Gericht die gesamte Bundesregierung bloßstellt und den türk. MP Erdogan brüskiert, indem es nach streng rechtsstaatlichen Gesichtspunkten abwägt und urteilt. Wo kämen wir denn da hin?

Volker hat gesagt…

Ich glaube auch nicht, dass der Staat viele Vorgaben macht.
Das Gericht ist vollkommen frei bei der Wahl der Mittel zur Produktion des politisch korrekten Urteils.

eulenfurz hat gesagt…

Am besten eignet sich ein weitläufiger Marktplatz, auf dem die vereinten Pressevertreter dem Rauschen der Guillotine andächtig lauschen können. Das allein wäre transparent und demokratisch und somit rechtsstaatlich!

Anonym hat gesagt…

Nun ja, dass das Gericht bisher nicht eingeknickt ist, ist ja ein gutes Zeichen. Ich habe gewettet, dass sich das Gericht nach der öffentlichen Meinung richtet (und habe einen Kasten Bier verloren - ich bezahle den aber ohne Murren - ich freue mich eher, dass ich diese Wette verloren habe). Offenbar ist der Karl Huber noch ein Richter, der sich nicht reinreden lässt. Finde ich klasse, dass es doch noch solche couragierten Leute gibt!

Tolotos hat gesagt…

Warum nicht die Fan-Meile vor dem Brandenburger Tor wieder aufbauen? Dann könnte man jeden Abend noch gleich einen Fackelzug zur Andacht an die Opfer machen.

apollinaris hat gesagt…

OLG-Präsident Huber und auch der Senatsvorsitzende Götzl werden sich wundern, wenn - dann zu gegebener Zeit - die insoweit zuständige Steuerfahndungsstelle Kempten bei Ihnen privat vorstellig werden wird, um nach dem Rechten zu sehen. Die glauben wohl tatsächlich noch, das Seehofer-Bayern sei ein Strauß-Bayern - arme Narren. Wir wünschen viel Spaß bei der Rechtsstaats-Simulation. - Ceska-Pistolen zu Lebkuchenmessern äh Pflugscharen.

Volker hat gesagt…

@ letzter Anonymus

Die tun so, als würde es rechtsstaatlich laufen.
Wird es aber nicht.
Huber und Gloetzl tun so in der Nebensache. In der Hauptsache werden sie pflichtgemäß das politisch korrekte Urteil liefern - wie es in Deutschland Brauch ist seit 1933.

Normalerweise ist man ja rechthaberisch. Aber in diesem Fall hätte ich nichts dagegen, widerlegt zu werden. Und das wäre mir durchaus mehr wert als ein Bierkasten.

eulenfurz hat gesagt…

@Anonym
Also ein paar Flaschen würde ich mir aus dem Kasten wieder rausnehmen:

http://www.tagesspiegel.de/politik/die-medien-und-der-nsu-prozess-journalisten-duerfen-sitze-nun-doch-an-kollegen-abgeben/8001402.html

Wieso sitzen von der ARD 5 Leute im Gerichtssaal? Müssen sich dort die Tauben, Blinden und Lahmen die Arbeit teilen?

ppq hat gesagt…

kontrolle! jeder muss jeden kontrollieren. und alle dürfen nur soviel wissen, wie für die erfüllung ihrer aufgaben unbedingt nötig ist

derherold hat gesagt…

Die ganze Farce wird doch nur inszeniert, um zu verkleistern, daß es überhaupt keine internationale Berichtersttaung gibt.

Während eine (angebliche) Hakenkreuz-Schmiererei im tiefsten South Carolina sofort eine Berichterstattung auf SEITE 1 des Guardian nach sich zieht, haben wir es hier mit dem größten Naziverbechen seit 1945 zu tun ...

... und keiner berichtet. :-))

ppq hat gesagt…

wenn du da mal nicht irrst! nach der US-ausgabe von googlenews haben in den letzten vier tagen immerhin außer hyrriet auch die weltmedienmächte wie greek reporter, bianet, global post, die chicago tribune, irish times und sogar die agentur reuters über den streit zwischen den deutschen medien und dem gericht berichtet ;-)

Volker hat gesagt…

Ach nö, PPQ, so geht das nicht.
Sind wir etwa nicht mehr das wichtigste Deutschland in der Welt?
Nu sag bloß noch, dass sich keine Sau für unsere Energiewendevorreiterrolle interessiert.

derherold hat gesagt…

Es geht wohl um eine Gleichschaltungsvorreiterrolle.

New York Times&Co. könnne sich gar nicht erlauben, zu berichten, weil sonst ein Dutzend *right wing blogger* fragt, wie man eine Mordserie ohne Spuren und Zeugen hinlegen kann.

Kurt hat gesagt…

Der Weg ist das Ziel.
Da das Urteil schon von Anfang an feststand, muß jetzt der Weg bis zur amtlichen Urteilsverkündung entsprechend zelebriert werden.
Es ist völlig verständlich, daß keiner der Journalisten um den Lohn seiner Arbeit (am Urteil) gebracht werden möchte und bei der amtlichen Urteilsverkündung dabei sein möchte. Sie befürchten offensichtlich, daß das amtliche Urteil vielleicht nicht gilt, wenn einer der ehrenamtlichen Richter bei der Verkündigung(sic!) fehlt.

Anonym hat gesagt…

Die Entscheidung des OLG München ist dumm und zeugt von Beschränktheit, die für den Verlauf des Prozesses nichts Gutes erahnen läßt: http://mosereien.wordpress.com/2013/03/31/nsu-prozess-noch-ein-sitzplatz-frei/

Karl_Murx hat gesagt…

Ich habe gewettet, dass sich das Gericht nach der öffentlichen Meinung richtet (und habe einen Kasten Bier verloren - ich bezahle den aber ohne Murren - ich freue mich eher, dass ich diese Wette verloren habe). Offenbar ist der Karl Huber noch ein Richter, der sich nicht reinreden lässt. Finde ich klasse, dass es doch noch solche couragierten Leute gibt!

Ich würde Dir ähnlich wie eulenfurz raten, noch ein paar Flaschen Bier mehr aus Deinem Kasten zu nehmen. Hier mal ein Blog zum unabhängigen Richter "Gnadenlos" Götzl:

https://killerbeesagt.wordpress.com/2013/02/22/manfred-gotzl/