Montag, 25. Juli 2011

Buchenholz als Botschaft

Ist das Julian Assange? Oder Anders Breivik? Führt die Spur des Attentats von Oslo nach Deutschland? Oder handelt es sich um eine zufällige Ähnlichkeit zwischen dem Mörder und dem Motiv der jüngsten Kachelung des bekanntesten halleschen Künstlers Kachel Gott?

Fest steht: Der Fliesenkünstler, dessen imposantes Gesamtwerk PPQ gemeinsam mit dem Internetriesen Google in einer formschönen Online-Galerie präsentiert, ist auf dem Weg zurück zu den Wurzeln.

Statt kalter Keramik, die der große Unbekannte aus der Metropole an der "Straße der Gewalt" über Jahre als Arbeitsgrundlage wählte, wechselte er für sein neues Werk zum warmen, weichen Holz. Gelegentlich hatte der Kachelkünstler zwar auch in der Vergangenheit schon zu nachwachsenden Rohstoffen gegriffen, vor allem seine berkannte "Käfer"-Serie entstand durchweg auf Buchenholz. Porträthafte Arbeiten wie die von Breivik/Assange zeigt der Kunstschaffende, der sich bis heute vor der Öffentlichkeit versteckt hält, aber erstmals auf Holz.

Ein Statement zum Atomausstieg? Ein Plädoyer für Sonnenenergie? Oder Protest gegen den medialen Umgang mit dem Waldsterben? Wie stets in seiner langen, erfolgreichen Karriere als Kachelkünstler verweigert der stille Star die Mitarbeit an der Erklärung seiner Motive - und macht sein Werk, das auf die Neuverkachelung der kompletten Innenstadt zielt, damit noch unfassbarer, noch schöner.

Mehr Kachelkunst: Kleine Stadt, große Kunst

Sonntag, 24. Juli 2011

Waffen nur für Wölfe

Das Muster ist immer dasselbe, ob in Erfurt, Winnenden oder norwegischen Insel Utøya: Ein Mann gegen viele, Waffen gegen Wehrlose. Auch das Ergebnis der Rechnung bleibt gleich: Auf Dutzende Tote folgt eine ebenso traditionelle wie durchritualisierte Diskussion um die Verschärfung des Waffenrechts und ein Verbot von Ballerspielen.

Calimero geht die Frage in seinem Blog andersherum an - und folgt damit einer bei anderer, fürchterlicher Gelegenheit aufgestellten PPQ-These. Der Friede muss bewaffnet sein, hieß es zugegebenermaßen zugespitzt, als ein 17-jähriger mit der geklauten Pistole seines Vaters ausgezogen war, die Welt zu dem schlimmen Ort zu machen, der sie für ihn offenbar schon immer gewesen war.

Wie der Wolf fiel der damals über seine Mitschüler her, die ebenso wie die Opfer des norwegischen Massenmörders Anders Breivik. "Lämmchen", nennt Calimero die Opfer, Abgesandte einer Welt, in der sich der Arglose durch Wehrlosigkeit schützt. Die aber hilft nicht, so lange Wahnsinnige aus welchen Motiven heraus auch immer auszuziehen, um ihren Namen mit Blut in die Geschichtsbücher zu schreiben.

Natürlich, nichts hilft gegen einen Mann, der über Monate und Jahre plant, andere Menschen zu ermorden. Was aber, wenn Amokläufer damit rechnen müssten, auf Gegenwehr zu stoßen? Wenn Überraschungseffekt und Bewaffnung ihnen nicht mehr die totale, sondern nur noch eine zeitweilige Überlegenheit verspräche?

Amokläufer sind feige, das hat auch Anders Breivik bewiesen, der gut im Töten war, aber schlecht im Sterben. Wäre er auch über die Schülerinnen und Schüler auf Utøya hergefallen, wenn er hätte fürchten müssen, nach den ersten fünf Morden vom sechsten, siebten und achten Opfer unter Feuer genommen zu werden?

Eine Frage, die so interessant wie untersagt ist in mitteleuropäischen Diskussionen über die Ursachen von Untaten wie die des norwegischen Gewalttäters. Schon im Oktober 1954 stellte der Strafsenat des Bezirksgerichtes Gera für die DDR klar, welche "große Gefahr, die jeder unkontrollierte Waffenbesitz für die staatliche Ordnung und das Leben unserer Bürger darstellt". Wo Menschen Waffen haben, können sie sich wehren, nicht nur gegen Amokläufer, sondern im Zweifelsfall auch gegen den Staat.

Will das wer in der alten Welt? Wo doch, so heißt es, das in den USA immer noch geltende Recht, eine Waffe zu tragen, jedes Jahr Tausende das Leben kostet?

Nein. Obwohl die Geschichte zeigt, dass ein Land, das privaten Waffenbesitz erlaubt, noch nie zur Diktatur geworden ist, während alle Diktatoren des 20.Jahrhunderts den Besitz von Waffen für Zivilisten sofort verboten, wird auch nach den Anschlägen von Norwegen wieder alles laufen, wie es immer lief. Waffen bekommen nur die Wölfe, die Lämmchen wehren sich mit Lächeln, Betteln und Gebeten.

Dass die Schweiz, nicht die USA, das Land mit den meisten privaten Schußwaffen pro Kopf der Bevölkerung sind, beileibe aber kein Amokland, dass wird nirgendwo stehen.Denn die Zahl der Amokläufe dort ist niedriger als hier. Ebensowenig wird der Umstand erwähnt werden, dass die Neuseeländer pro Nase mehr Gewehre und Pistolen als die US-Amerikaner und die Kanadier genausoviele. In beiden Ländern sterben dennoch kaum mehr Menschen durch Schußwaffengebrauch als in Deutschland.

Ein amerikanisches Sprichwort sagt “Waffen sind gefährlich, noch gefährlicher ist es nur, keine besitzen zu dürfen.” Die Kinder und Jugendlichen, die auf Utøya zuschauen mussten, wie der irre Breivik ihre Freunde ermordete, werden zustimmen. Deutsche Politiker dagegen werden jede Vorlage nutzen, um die übliche Diskussion zu führen.

Meinungsterror zum selben Thema

Kleiner Mann ganz groß

Ein Star, aber nicht dumm. Ein Mann, aber mit mittellangem Haar. Ein Deutscher mit Wohnsitz im Ausland. Ein gern gesehener Gast im Staatsfernsehen. Der dieser Tage vielleicht nicht gern an lange zurückliegende Prophezeiungen erinnert werden möchte.

"In unserer fremdbestimmten Gesellschaft bedienen sich Leute in den obersten Rängen ohne alle Skrupel, die schicken mit einem Wimpernschlag 20.000 Leute auf die Straße, zerstören deren Existenzen und lassen sich dafür auch noch belohnen. Aber diese Kaltschnäuzigkeit, Arroganz und Brutalität beginnt mit Worten, mit einigen wenigen Leuten, die mit der Ängstlichkeit anderer kalkulieren und spielen. Es wird, da bin ich sicher, irgendwann eine Gegenwehr geben.

Und was passiert dann? Eines Tages wird jemand sich nicht länger demütigen lassen und mit einer Knarre vor so einem Ignoranten stehen und ihn schlicht exekutieren. In der Politik ist das schon oft genug passiert. Da wird einem die Verletzung zu groß geworden sein, vor der ihn weder Staat, noch Gesellschaft beschützen, und dann richtet er eben selbst. Eine schreckliche Eskalation."

Samstag, 23. Juli 2011

Aus weniger wird mehr

Viel verkannt, oft missverstanden und mindestens ebenso häufig falsch ausgelegt: Jahrelang konnte wir von PPQ getreu unseres Mottos "Wir sprechen verschiedene Sprachen, meinen aber etwas völlig anderes" schalten und walten, wie wir wollten. Nun aber hat der Deutschlandfunk in unserer erfrischenden Schreibtischreportage zur unreflektierten und kritiklosen Weitergabe frischausgedachter neuer Horrorzahlen zur ewiglichen Gefahr der rechten Unterwanderung des Internets "bissige Kritik insbesondere auch an der medialen Rezeption des Jugendschutz.net-Berichts" ausgemacht.

Für "weit übertrieben" halte PPQ das in der letzten Woche von mehr als 220 deutschen Zeitungen und Zeitschriften gleichlautend laut beklagte "Problem", dass 24 Millionen deutsche Mitglieder von sozialen Netzwerken im vergangenen Jahr schon rund 6.000 rechtsextreme und rechtsradikale Einträge bei Facebook und Co. hinterließen.

Unser Argument, dass Zuwächse bei rechten Webseiten schon seit Jahren nirgendwo ins Verhältnis zum Wachstum des Netzes insgesamt gesetzt worden seien, wie der Deutschlandfunk anführt, ist allerdings inzwischen ohnehin obsolet geworden: Obwohl die "Welt" sich aus den Zahlen von jugendschutz.net fantasiereich einen "Rechtsruck im Netz"gebastelt hat, der "Focus" gar schon "Das braune Netz" entdeckt und die Fachleute von npd-blog.info in 0,0042 Prozent rechter Beiträge in sozialen Netzwerken einen massiven Missbrauch des Web 2.0" sehen, ist die Zahl der rechten Webseiten ja innerhalb des letzten Jahres von 1872 Websites auf 1708 gesunken - ein Rückgang um neun Prozent. Die Anzahl aller Websites stieg im währenddessen um 21,4 Millionen auf nunmehr 255 Millionen. Damit sind laut jugendschutz.net nunmehr 0.00066 Prozent aller Internetseiten rechtsextrem oder -radikal.

Wer schummrige Schlagzeilen wie
"Hass im Netz: Rechtsextreme Beiträge im Web 2.0 verdreifachen sich" da nur für "weit übertrieben" und nicht für zusammengelogen hält, kann nicht zählen, nicht rechnen und hat nie verstehend lesen gelernt.

Von all dem und allem anderen

Die Band heißt Minor Majority, das Lied "Three Hours" stammt von Nick Drakes Album "Pink Moon". Nick Drake war Amerikaner. aber er wurde in Myanmar, dem früheren Burma und späteren Birma, geboren. Das Lied heißt "Three Hours" und es handelt von all dem. Und von allem anderen. Die Band Minor Majority kommt aus Norwegen.

Three hours from sundown
Jeremy flies
Hoping to keep
The sun from his eyes
East from the city
And down to the cave
In search of a master
In search of a slave.

Three hours from London
Jacomo's free
Taking his woes
Down to the sea
In search of a lifetime
To tell when he's home
In search of a story
That's never been known.

Three hours from speaking
Everyone's flown
Not wanting to be
Seen on their own
Three hours is needed
To leave from them all
Three hours to wonder
And three hours to fall.

Three hours from sundown
Jeremy flies
Hoping to keep
The sun from his eyes
East from the city
And down to the cave
In search of a master
In search of a slave.

Fremde Federn: Chilling Effect

In der amerikanischen Rechtsprechung zur Redefreiheit gibt es den Begriff des „chilling effect“. Vage Umschreibungen des Unsagbaren durch die Autoritäten senken die Gesprächstemperatur und führen auch ohne ausdrückliche Redeverbote dazu, dass ein Untergebener seine Zunge hütet.

Wer das sagt, steht hier.

Freitag, 22. Juli 2011

Wer hat es gesagt?

Die nächste Katastrophe ist uns immer die liebste, zumal uns alle Apokalypsen bisher schwer enttäuscht haben.

Ein Stern, der deinen Namen trägt

Seit Jahren schon sind Diktaturenvergleiche in Sachsen-Anhalt per Regierungserlass streng verboten, um nicht Wasser auf die falschen Mühlen zu leiten und dafür Applaus aus der falschen Ecke zu bekommen. Ausgerechnet der junge Landesvater Reiner Haseloff aber hat nun gegen diesen Grundkonsens aller Demokraten verstoßen: Im MDR-Jugendfunk Sputnik verglich der Christdemokrat die von Grünen und Linken geforderte Kennzeichnungspflicht für Polizisten im Einsatz mit dem Judenstern im Dritten Reich.

Haseloff wandte sich ganz entschieden auch gegen Namensschilder für Aldi- und Media-Markt-Verkäuferinnen und gegen die in Krankenhäusern geltende Sitte, das Mitarbeiter ihren Namen an der Dienstkleidung tragen. “Auch aus der deutschen Geschichte halte ich eine Kennzeichnungspflicht für Menschen schlicht und einfach für unerträglich und unakzeptabel”, stellte Haseloff klar. Schon die politische Forderung danach, legte der besonders wegen seiner Auftritte im Videoportal Youtube witzigen beliebte Wittenberger fest, sei "nicht hinnehmbar".

Neu im Regal: Facebook-Faschismus

Schade, schade, schade. Nach jahrelangem Kampf um immer neue Rekordzahlen bei rechten Internetseiten streckt jetzt auch die Süddeutsche Zeitung die Waffen. Ja, angesichts der vom staatlichen Internet-Überwachungsamt Jugendschutz.net gelieferten Zahlen hilft alles Rechnen und Doppeltzählen nichts mehr: "Die Zahl der eigenständigen rechtsextreme Websites im Netz ist gesunken", bilanziert das Qualitätsblatt maulig. Von 1872 Websites, die 2009 noch reichten, die SZ-Fachredakteur Jan Bielicki fantasieren zu lassen, dass "Rechtsextreme die Möglichkeiten des Internets, um ihre Propaganda zu verbreiten", immer stärker nutzten, blieben nur noch 1708 - ein Rückgang um neun Prozent.

Da nützt es auch nicht mehr, den Zuwachs an rechtsextremen Seiten grundsätzlich unabhängig vom Wachsen der Teilnehmerzahl am Netz insgesamt zu betrachten. Ersterer war schon seit 2005 hinter letzterem zurückgeblieben. Die Zahl der rechten Seiten war so zwar absolut gewachsen, ihr prozentualer Anteil an den Internetseiten insgesamt aber beständig gesunken.

Nein, nun muss sich der Blick auf andere Brennpunkte richten. Hoffnung auf den Erhalt aller Arbeitsplätze bei jugendschutz.net, einer dem Bundesblogampelamt in Warin zugeordnetem Zensurbehörde, kommt aus den Sozialen Netzwerken. Hier, hat Bielicki aus den Statistiken von jugendschutz.net getreulich abgetippt, haben sich die "rechtsextremen Beiträge verdreifacht". Alles wird immer schlimmer! "Tendenziell verlagern sich die Aktivitäten von Neonazigruppen auf die Mitmachplattformen des Web 2.0", bilanziert jugendschutz.net unter Verweis auf den von "Spiegel", "Rolling Stone" und "Zeit" protegierten Rapper Tyler, the Creator, der in seinen Videos (Screenshot oben) besonders raffiniert Nazisymbole versteckt, um die deutsche Jugend zu unterwandern.

Eine völlig neue Dimension rechtsradikaler Gewalt. Musste Michael Wörner-Schappert, Rechtsextremismusexperte bei "jugendschutz.net", in der SZ vom vergangenen Jahr noch konstatieren, dass "Extremisten ihre Hass-Botschaften auf den Plattformen und Netzwerken des Web 2.0 leichter und schneller verbreiten" können, hat die versammelte Qualitätspresse jetzt zu Protokoll genommen: "Videoclips sind im vergangenen Jahr zu zentralen Trägern rechtsextremer Botschaften geworden".

Diese Entwicklung habe sich "dramatisch zugespitzt", ist der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, ganz aufgeregt. Krüger war einst bekanntgeworden als "ehrliche Haut" im Adamskostüm, jetzt warnt er voller Angst vorm dem Wegbrechen eines ganzen Betätigungsfeldes für seine Behörde: "Wir dürfen den Rechtsextremisten und der Hasspropaganda nicht das Feld überlassen".

Die Situation, da sind sich n-tv ("Lage dramatisch - Rechtsextreme unterwandern das Netz"), Spiegel, FAZ und taz einig, ist ernst wie noch nie. Jetzt schon habe die Initiative jugendschutz.net "etwa 6000 rechtsextreme Beiträge für soziale Netzwerke" gefunden. Bei derzeit nur 26 Millionen Deutschen, die bei Facebook und Co. angemeldet sind, kommt damit schon auf jedes 4300. Facebook-Mitglied ein Hakenkreuz oder Hitlergruß. Das ist nach Angaben von Krüger drei Mal so viel wie 2009 und nach Berechnungen von Historikern sogar 300000 bis 30 Millionen Mal soviel wie 1944, als es Facebook und Youtube noch nicht gab.

Vor allem die lose organisierten "Autonomen Nationalisten" köderten die jungen Menschen mit modernen und professionellen Angeboten, auf denen sie Action, Kommunikation und Multimedia bieten, hat Thomas Krüger herausgefunden. So sei es etwa der NPD gelungen, mit coolen Videos voll bierbäuchiger, mittelalter Männer mit fettem Haar, die dummes Zeug labern, auf der Videoplattform in nur einem Jahr bis zu 600 Zuschauer zu erreichen. Das sei alarmierend, weil rund dreimal so viel wie Sachsen-Anhalts onlineaffiner Ministerpräsident Reiner Haseloff mit seiner fetzigen Kultshow "Videobotschaft - Ferienziel Sachsen-Anhalt" erzielen konnte. Tyler, the Creator schaffte sogar das tausendfache: Nach Empfehlungen beinahe aller großen deutschen Qualitätszeitschriften schaffte es der rappende Rassist und bekennende Frauenfeind aus den USA allein mit seinem Hakenkreuz-Song "Bastard", mehr als eine halbe Million Zuschauer zu fesseln.

Die ehrliche Haut merzt bizarre Sexualpraktiken aus
Die Anmerkung zu Rudelsabbern gegen Rechts

Donnerstag, 21. Juli 2011

Die längste Rettung der Welt

Ach, es ist doch immer wieder schön, wenn etwas bleibt, wenn etwas über den Tag hinausreicht, wenn Dinge Gültigkeit behalten über die "Stunden hektischer Krisendiplomatie" (SZ) hinaus. Im Mai 2010, als eine endlose Kette von erfolgreichen Rettungsunternehmen für den "schwächelnden" (Spiegel) und manchmal auch "kriselnden" (FAZ) Euro seinen Anfang nahm, schilderte eine PPQ-Fernreportage die Dinge ein für alle Mal.

Wenig müsste heute begradigt werden, denn die Gesichter auf den Bildern aus den Fluren der Rettungskonferenzen sind dieselben wie damals, ebenso wie die Sprüche der Kommentatoren und die Ratschläge der Opposition dieselben sind. Verschwunden sind einzig und allein die sagenumwobenen "Spekulanten", denen Fachblätter wie die Süddeutsche Zeitung noch vor einem Jahr alle Schuld am griechischen Drama zugewiesen hatten. Zur Erinnerung an gewisse "ernste Attacken" aber, mit denen namenlose Europafeinde angeblich kaltherzig einen ganzen Kontinent bedrohten, soll auch diese Passage stehenbleiben. Bis zur nächsten Rettung jedenfalls, die nicht lalnge auf sich warten lassen wird. Nun los, zurück in der Zeit:

So muss Egon Krenz geschaut haben, als er gerade die Sozialistische Einheitspartei der DDR vor dem Untergang gerettet hatte. Auch Gorbatschow sah so aus, nachdem es ihm gelungen war, Mütterchen Rußland aus den Klauen von Bürokratie, Alkohol und Korruption zu reißen: Der Mund siegesgewiss verspannt, die Augen mutig zusammengekniffen, das Haar kampflustig verstrubbelt.

So treten auch Angela Merkel und Nikolas Sarkozy vor die Kameras, nachdem sie in "Stunden hektischer Krisendiplomatie retten konnten, was von der Idee Europa übrig ist. Wenn zuviel Gemeinsamkeit die europäische Einigkeit bedroht, braucht es noch mehr Gemeinsamkeit, um sie zu bewahren. Unbedingt noch bevor in der Nacht zum Montag die Börsen in Fernost öffnen, musste ein Rezept geschrieben werden für die Heilung dessen, was am Freitagmittag noch als kerngesundes Opfer dubioser Spekulanten ausgegeben wurde: Die Euro-Zone, vor zehn Jahren in einem politischen Großversuch zusammengekleistert, steht über Nacht im "Endspiel um den Euro", es geht "längst nicht mehr um die Griechen, es geht um den Euro als solchen" (FAZ), und damit um alles, was den Kontinent zusammenhält.

Problematisch bislang, dass die europäischen Regierungen jede "Krisenhilfe" vor ihrem jeweiligen Staatsvolk zu rechtfertigen haben. Kredite für Griechen wecken den Volkszorn und kosten Wählerstimmen, keine Kredite für Griechen führen in den Abgrund - und kosten Wählerstimmen. "In der Not", analysiert die FAZ, "opfert die Europäische Union heilige Prinzipien der Währungsunion". Natürlich fand sich - wie immer übers Wochenende - ein wunderbarer Ausweg: Die Anonymisierung der Krisenhilfe durch eine Verlegung der Kreditaufnahme in die Verantwortung der EU-Kommission, die keinem Wahlvolk Rechenschaft pflichtig ist.

"Die Teilnehmer des Sondergipfels waren sich einig, dass der Euro durch eine ernste Attacke von Spekulanten bedroht wird", schreibt die SZ in einem Anflug von Gemeinschaftseuphorie, "die Euro-Zone müsse sich mit einem Gemeinschaftsinstrument dagegen wehren", folgt das Blatt der klassischen Argumentationslinie, die schon Egon Krenz im Herbst 1989 mächtige anonyme Gegner hinter den zunehmenden "Angriffen des Feindes auf die DDR" (Krenz) hatte entdecken lassen. Die Fachbegriffe sind andere, der Satzbau ist derselbe: Der Gegner wolle "uns so eine zerstörerische Diskussion aufzwingen", meinte Krenz, sein Ziel sei, "dass der Sozialismus weltweit von seinem Kurs abgeht". "Es geht hier um eine weltweit organisierte Attacke gegen den Euro", findet der sieht das der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker zwei Jahrzehnte später nicht viel anders: "Wir sind der Auffassung, dass nicht nur Griechenland, Spanien, Portugal und Italien unter Angriff stehen, sondern die gesamte Eurozone bedroht wird."


Schon mit der Beschreibung einer "ernsten Attacke" wird das Thermometer fürs Fieber verantwortlich gemacht: Gab es Spekulation bisher erfolgreich nur dort, wo es etwas zu spekulieren gibt, wird jetzt so getan, als sei Spekulation der einzige Grund für Spekulation. So als zeige erhöhte Temperatur auf dem Fieberthermometer keine Krankheit, sondern die dringende Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes aller Ärzte, Pfleger und Gesundheitspolitiker gegen die Thermometerindustrie.

Noch ehe das Bundesverfassungsgericht eine endgültige Entscheidung über die Zulässigkeit der Griechenland-Hilfen getroffen hat, ist das Urteil obsolet geworden. "Die EU-Kommission selbst wird in Zukunft Geld am Kapitalmarkt aufnehmen können, um Ländern in Not zu helfen - mit einer expliziten Garantie der Mitgliedstaaten", heißt es bei dpa. Bürgen dürfen dabei weiter die Mitgliedsstaaten und deren Steuerzahler, verantworten müssen deren gewählte Volksvertreter die Kreditaufnahmen nicht mehr.

Noch mäkelt die SZ "griechische, portugiesische und spanische Staatsanleihen sind die Subprime-Kredite 2010", denn "die global eng vernetzten Banken und Börsen" hätten "überhaupt nichts gelernt". Aber bald richtet sich die EU-Kommission eine EU-eigene Ratingagentur ein, in der dann altgediente Politiker die von ihren noch aktiven Kollegen ausgegebenen Staatsanleihen endlich "objektiv" bewerten werden. Auch Papiere aus Griechenland werden dann endlich wieder etwas wert sein.

Die Rettung von heute

Humor ist, wenn man trotzdem sagt

Kein Preis für Putin, kein Kreuzberg für Sarrazin, kein Preis mehr für Broder. Nur 48 Stunden, nachdem das demokratische Deutschland wie ein Mann gegen eine vom Staatssender ZDF geplante Hetzsendung mit dem früheren Sozialsenator Thilo Sarrazin mitten aus dem Berliner Stadtteil Kreuzberg aufgestanden ist, hat sich der seit Jahren wegen unbotmäßiger Äußerungen in der Kritik stehende Kolumnist Henryk M. Broder vom Journalistenpreis des Deutschen Kulturrates trennen müssen. Broder hatte die Auszeichnung für seine im Spätabendprogramm versteckte Satiresendung "Deutschland-Safari/Entweder Broder" erhalten, die seinerzeit nach Ansicht des Kulturrates "gesellschaftspolitische Fragen wie Integration, Religionszugehörigkeit und kulturelle Vielfalt in Deutschland thematisiert" hatte.

Etwas, das Thilo Sarrazin nie gelungen ist. Weshalb der Kulturrat es "mehr als peinlich" fand, dass das Kulturmagazin "Aspekte"Sarrazin unter sichtbarer filmischer Beobachtung durch Berlin-Kreuzberg und Neukölln schickte, um mit den absehbaren wütenden Reaktionen einen "vorhersehbaren Eklat zu inszenieren".

Eine Botschaft, die beim starrköpfigen Broder nicht anzukommen scheint. Er hält es für durchaus nicht peinlich, mit Sarrazin nach Kreuzberg zu fahren, denn er habe bei seiner Deutschland-Safari eigentlich nichts anderes getan. "Peinlich ist nur Ihre unsägliche Stellungnahme, mit der Sie sich auf die Seite des Pöbels stellen, der in Teilen von Kreuzberg mittlerweile das Sagen hat", wettert der Humorist, der im übrigen der Meinung ist: "Selbst wenn Sarrazin und das ZDF vorgehabt hätten, einen Eklat zu inszenieren, so ist das in einer funktionierenden Demokratie, die nicht von Kulturräten verwaltet wird, ein legitimes Mittel, auf Umstände, Missstände und Zustände aufmerksam zu machen, deren Existenz gerne geleugnet wird."

Nazialarm in der No-Go-Area

Ein Schiff wird kommen

Es war natürlich nicht alles schlecht. Hitler hatte ein Reisebüro mit eigenen Hotel und Schiffen, Honecker hatte ein eigenes Reisebüro mit Ferienheimen und einem Schiff - nur die deutsche Sozialdemokratie musste sich bisher damit bescheiden, über den eigenen Partei-Reiseservice Reisen zu Diktatoren in aller Welt anzutreten. Mit dem "Service für Mitglieder und Freunde der SPD" (Eigenwerbung) ging es zu Hosni Mubarak und nach Äthiopien, wo Menschen mit dem Herz auf der linken Seite ein Land kennenlernen durften, in dem die Regierungspartei 99 Prozent aller Stimmen bei jeder Wahl bekommt. Und man besuchte natürlich im Kreise Gleichgesinnter Kuba, das traditionelle Herzensland der deutschen Linken, dessen Diktator Fidel Castro hierzulande noch niemals "Despot" genannt wurde.

Seitdem die befreundeten Arbeiterrepubliken aber von Revolutionen dahingerafft werden, wird es eng und enger bei revolutionären SPD-Reiseservice. Der geht deshalb jetzt Offshore, weg vom Land, raus auf die See, wo die Gedanken noch frei sind. Mit einem ganz im Stil der Arbeiterbewegung vom Frachter zum Kreuzfahrtschiff umgebauten eigenen Traumschiff sticht die SPD demnächst in See: Das clevererweise steuer- und abgabensparend in Madeira registrierte Kreuzfahrtschiff MS "Princess Daphne", teilte Schatzmeisterin Barbara Hendricks mit, werde etwa die Menschenrechtshochburg Sankt Petersburg und die befreundete Türkei ansteuern.

Bohnen von der Bananenstaude

Mit seinen überaus empörenden kruden Thesen zu allen Basken, die bestimmte Gene teilen, ebenso wie alle Juden bestimmte Gene teilen, stellte sich der ehemalige Bundesbanker Thilo Sarrazin vor Jahresfrist außerhalb der menschlichen Gesellschaft. Die SPD verzichtete am Ende zwar großzügig darauf, den Hetzer auszuschließen, doch über mehrere Therapiesitzungen bei Will, Kerner und Ilgner konnte genübergreifend Konsens darüber hergestellt werden, dass die Frage der Gene allgemein sowieso überschätz wird und ansonsten niemand irgendetwas Genaues darüber weiß, warum manche Menschen groß, andere aber klein, manche schwarz und manche weiß sind.

Fest stand nur, es liegt an der Erziehung. Wenn aus der Bohne keine Bananenstaude wachsen will, hat die Schule versagt. Gelüstet es den Löwen immer wieder nach Fleisch, bedarf es weitergehender Integrationsbemühungen der Antilopengemeinschaft.

Dem widersprechen jetzt jedoch Wissenschaftler von der Kinderstation der Universität von Montreal. Deren Forschungen zufolge teilen nun doch viele Menschen außerhalb Afrikas zwar nicht Gene, aber einige der menschlichen X-Chromosomen. Das entsprechende Stückchen Bauplan stamme vom Neandertaler und sei ausschließlich bei Menschen außerhalb Afrikas zu finden, behaupten die Forscher in der Juli-Ausgabe von "Molecular Biology and Evolution".

Den Grund dafür sieht Labuda im zeitlichen Ablauf der menschlichen Geschichte. Die Neandertaler verließen Afrika vor etwa 400.000 bis 800.000 Jahren, um sich ein neues Leben auf dem Gebiet der heutigen Staaten Frankreich, Spanien, Deutschland und Russland aufzubauen. Der frühe moderne Mensch folgte ihnen vor 80.000 bis 50.000 Jahren, traf die Neanderthaler dann und kreuzte sich über fast 20.000 Jahre mit ihnen, wie ein Stück Neanderthaler-DNA beweist, das in Angehörigen von Völkern auf allen Kontinenten gefunden wurde.

Mit Ausnahme von Afrika südlich der Sahara, wie die Forscher mitteilen. Nach ihren kruden Testergebnissen, die von "SZ", "Tagesspiegel" und "taz" bereits vor Jahren widerlegt wurden, teilen damit alle Menschen ein Gen, abgesehen von Afrikanern, denen dieses Gen bis heute trotz harter Auflagen der EU vorenthalten wird.

Mutmaßungen der kanadischen Wissenschaftler, nach denen der angebliche Gen-Austausch dazu beigetragen habe, den modernen Menschen auf der ganzen Welt erfolgreich zu machen, wies die demokratische Presse schweigend zurück. Nur der "Focus" und die Augsburger Allgemeine
sah sich wegen der sexuellen Komponente der Nachricht veranlasst, über die Mensch/Neandertaler-Kreuzung zu informieren. Alle anderen Qualitätsmedien entschieden sich laut Google News gegen eine Verbreitung der kruden These, wonach die Gene der physisch stärkeren Neandertaler eine Bereicherung gewesen, die den Menschen vorangebracht habe.

Fakt: Türken gründeten Derenburg

Mittwoch, 20. Juli 2011

Die arme, arme Politik

Frech oder dumm? Dreist oder doof? Franz Müntefering kann sich immer noch nicht entscheiden. Der frühere SPD-Vorsitzende, unter seinem Vorgänger Gerhard Schröder mitbeteiligt an der Deregulierung des deutschen Finanzmarktes, an der Zulassung von Verbriefungen und der Expansion der Landesbanken ins Ausland, hat für die Euro-Krise "eine verhängnisvolle Zurückdrängung der Politik durch Märkte und Spekulanten" verantwortlich gemacht. Nach Münteferings Auffassung haben nicht Regierungen wie die griechische, die irische oder die portugiesische durch überbordende Schuldenmacherei dafür gesorgt, dass ihre Länder nun vor der Pleite stehen und Europa wankt und wackelt. Nein, Schuld ist eine vom greisen Arbeiterführer wie immer nicht näher bezeichnete "Finanzindustrie", die in wie immer nicht näher bezeichneten "informellen internationalen Verbünden organisiert" sei und sich dort "durchsetzungsfähiger als die Politik und ziemlich skrupellos" zeige, wie Müntefering unter Auslassung aller Tatsachen analysiert.

Die arme Politik. Weiß nichts. Kann nichts machen. Jaja, so Achselzucken und "haltet den Dieb" rufen, das kann er immer noch perfekt, der große alte Mann aus dem Sauerland. Dass die Verluste der deutschen Privatbanken sich gemessen an denen der von Politikern geführten Landesbanken ausnehmen wie Peanuts, schert Müntefering ebensowenig wie der Umstand, dass er und seinesgleichen quer über alle Parteigrenzen hinweg über Jahre wegschauten, wenn Athen Fantasiezahlen nach Brüssel meldete oder eine Landesbank wie die von Sachsen oder eine Regierung wie die von Sachsen-Anhalt mit außerbilanziellen Zweckgesellschaften im Ausland Steuern im Inland zu sparen versuchte.

Müntefering hält sich an die Legende, die sein früherer Pop-Beauftragter und nunmehriger Parteichef Sigmar Gabriel einstmals in den Satz fasste "da muss der kleine Mann wieder für die Sünden der Spekulanten und Banken aufkommen". Sie, die Poltiker, die in Nordrhein-Westfalen die Rücklagen für Beamtenpensionen vorsorglich in griechische Staatsanleihen packten, in Sachsen mit Verbriefungen die schnelle Mark machen wollten und mit der Bayern LB versuchten, mit den Formel1-Rechten zu schachern, waren eigentlich nie da.

Nicht, als die Kreditanstalt für Wiederaufbau ihren Großanlegern über eine Tochterfirma namens "KfW International Finance" in Wilmington im US-Staat Delaware dabei half, den Fiskus zu umgehen - unter den Augen des Verwaltungsrates, der vollgestopft ist mit CDU- und SPD-Politikern. Nicht, als die halbstaatliche IKB ihr Steuersparvehikel "Rhineland Funding" im US-Steuersparbundesstaat Delaware betrieb oder sein Parteifreund Jens Bullerjahn höchstselbst eine Zweckgesellschaften namens "Stichting" in Amsterdam gründete, um mit Hilfe des terrornahen "Islamrat" in London "scharia-konforme" Anleihen zu vertreiben.

Franz Müntefering weiß natürlich, welche Konsequenzen gezogen werden müssen. Notwendig seien weltweit bessere Sanktionsmöglichkeiten, um den Vorrang der Politik zu garantieren, sagt er.

Sie wollen gar nicht wissen, was sie tun

Kurze kühle Hitze

Scheißkälte da draußen, leere Freibäder und verregnete Urlaubstage - "trotz alledem aber und alledem" (Hannes Wader) - der Deutsche Wetterdienst meldet zuverlässig viel zu warme Temperaturen. Auch für den Juni konnten die staatlichen Wetterberichterstatter alle die Lügen strafen, die aufgrund eigener Erfahrungen der Meinung waren, früher sei es irgendwie wärmer gewesen, zumindest im Sommer.

Nein, auch wenn es anders wirkte, der Juni war 1,2 Grad zu warm und damit schon der sechste zu warme Monat in Folge, stellte der DWD
in seinem amtlichen Monatsbericht endgültig klar. Die Klimaerwärmung, die sich im Alltagsleben kaum noch nachweisen lässt, bleibt zumindest auf dem Papier der Wetterbeobachter eine feste Größe.

Nun, ein bisschen Mühe macht es schon, sie nachzuweisen, denn auch dem DWD ist aufgefallen, dass der zu warme Juni eigentlich nicht warm, sondern "vor allem recht wechselhaft" (DWD) war. "Vor allem" bedeutet ja nun eigentlich so etwas wie "überwiegend", folglich war der "zu warme" Monat eigentlich überwiegend vor allem "zu wechselnhaft". Finde auch der DWD: "Nur in der ersten und letzten Dekade konnten sich die Bürger über wenige sommerliche Tage freuen", schreiben die Experten, die offenbar schon davon ausgehen, dass Menschen sich über möglichst kalte Sommertage zu freuen haben.

"Nur in der ersten und letzten Dekade" bedeutet allerdings bei einem Monat, der naturgemäß nur aus drei Dekaden besteht, dass zwei Drittel des Monats nicht sommerlich, sondern nichtsommerlich ausfielen.

Wo kam denn dann die Wärme her? Der DWD hilft auch hier: Erst "ab dem 27. Juni bescherte eine kurze, aber heftige Hitzewelle Deutschland die bisher höchsten Temperaturen des Jahres", gesteht der Monatsbericht.

Der 27. lag drei Tage vor dem 30., mit dem der Juni dann auch schon wieder endete - nur nicht beim DWD, der die dramatischen Tage nach der "kurzen, heftigen Hitzewelle" (DWD) am 27. Juni so schildert: "Im restlichen Monat überwog eine sehr unbeständige, zeitweise auch etwas kühlere Witterung, in deren Verlauf örtlich extreme Wetterereignisse wie Gewitter, Starkregen, Hagel und orkanartige Böen auftraten."

Zusammengerechnet haben wir also zweimal zehn Tage, in denen sich "Bürger über wenige sommerliche Tage freuen" konnten. In dieser Zeit meldete Worpswede-Hüttenbusch nördlich von Bremen mit 1,0 °C in der Luft und -2,8°C am Erdboden die bundesweit tiefsten Werte. Es folgte nach DWD-Protokoll eine "kurze schwülwarme, teilweise auch heißen Periode mit Temperaturen örtlich über 30°C", dann aber gleich wieder "eine sehr unbeständige, teilweise auch kühle Witterungsphase", die kurz vor Monatsende für 48 Stunden wärmer wurde.

Aber Glückwunsch, immer noch warm genug, um den ganzen verkorksten Monat ins Klimaziel zu bringen: "Mit 16,6 Grad Celsius lag die durchschnittliche Temperatur im Juni 2011 bundesweit um 1,2 Grad über dem vieljährigen Klimawert von 15,4°C", ziehen die Wetterforscher ein denn doch noch zufriedenes Fazit.

Kauft nicht beim Sarrazin!

Oder wie soll ich das und das anders verstehen?

Berlin handelt: No-Go-Areas endlich ausgeschildert
Nazialarm in der No-Go-Area

Dienstag, 19. Juli 2011

Fremde Federn: Ratingagenturen braucht man nicht

"Ein Rettungspaket ist dazu da, faktische Kreditunwürdigkeit zu kaschieren und künstlich den Zugang zur Geldleihe offenzuhalten. Wird diese Taktik durchschaut, gelingt sie nicht. Sie zu durchschauen, ist freilich leicht. Die Ratingagenturen braucht man dafür eigentlich gar nicht. Und darum wird ersatzweise auch gern auf die Spekulanten geschimpft, die sich einen Spaß daraus machen, unsere Gemeinschaftswährung zu zerschießen, den Euro, das teure Stück."

Nimm Du ihn, ich hab ihn

Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde Deutschland zum viertgrößten Rüstungsexporteur der Welt vermeldet der "Freitag" etwas verspätet, aber aus aktuellem Anlass. Ein großer Erfolg der Regierung Schröder-Fischer, von dem heute leider niemand im grünen Lager mehr etwas wissen will. Waffen gingen damals - wie schon vorher unter Helmut Kohl - auch nach Saudi-Arabien, eine verbündete Ordnungsmacht noch vor einigen Jahren auch nach Ansicht des damaligen Außenministers Walter Steinmeier. Der spielte bei einer Serie von Auswärtsspielen der deutschen Autoren-Nationalmannschaft gegen saudi-arabische Kulturschaffende gern den Schirmherren.

"Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Saudi-Arabien sind freundschaftlich und spannungsfrei", vermeldete das Auswärtige Amt noch vor einem Jahr voller Freude. Immerhin seien die gegenseitig engen Beziehungen schon "durch den Freundschaftsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Hedjaz sowie der zugehörigen Gebiete bereits 1929 formalisiert.

Seitdem stehen beide Länder für schöne Geschäfte zum beiderseitigen Vorteil: Saudi-Arabien und der Oman geben gemessen am Bruttoinlandsprodukt weltweit das meiste Geld für Rüstungsgüter aus, im Gegensatz zu Angola, das knapp dahinter liegt, drei Viertel seines Bruttoinlandsprodukts aus Entwicklungshilfe bezieht, eben aber trotzdem für einen dreistelligen Millionenbetrag seine Marine in Deutschland neu ausrüsten lässt, kann Saudi-Arabien seine Rüstungsimporte aus Deutschland selbst bezahlen. Ähnlich sind sich die beiden Kunder der deutschen Rüstungsindustrie nur im rein rechtlichen: Homosexualität gilt hier wie dort als „Verstoß gegen die öffentliche Moral“, ist illegal und wird bestraft.

Nazialarm in der No-Go-Area

Eine unglaubliche Frechheit, die sich das angebliche ZDF-Kulturmagazin "Aspekte" da geleistet hat. Finanziert aus Gebührengeldern, reiste die Redaktion frech und unverfroren nach Berlin-Kreuzberg, um dem ehemaligen Bundesbanker Thilo Sarrazin dort eine neue Plattform für seine "kruden Thesen" (Der Spiegel) zu bieten. Die bürgerschaftlich-engagierte Nachbarschaft verhinderte das durch beherzten Einsatz, der Dreh endete mit "Hau ab!"-Rufen, eine Art Lynchmob fand sich nationenübergreifend zusammen.

Logisch, dass die einzige wahre staatliche Nachrichtenagentur dpa jetzt für das frühere Sarrazin-Vorabdruckmagazin "Spiegel" Stimmen zusammengetragen hat, die das ungeheuerliche Vorgehen des Staatssender ZDF kritisieren. Seit Uwe-Karsten Heye vor fünf Jahren öffentlich vor No-Go-Areas im Osten gewarnt habe, so der Deutsche Kulturrat, sei bekannt, dass Angehörigen von Minderheiten in bestimmten Regionen Deutschlands mit Intoleranz und offenem Hass begegnet werde. "Der provokante Dreh in dem Berliner Stadtteil, in dem viele türkischstämmige Menschen leben, entfacht die Diskussion um Sarrazin rechtspopulistische Thesen zu Einwanderung und Integration aufs Neue", analysieren die Regierungsdichter in der dpa-Redaktion.

Das aber hätte nicht sein müssen, ja, nicht sein dürfen. Es sei "wirklich mehr als peinlich, wenn "Aspekte", ein renommiertes Kulturmagazin, es offensichtlich nötig hat, einen solch vorhersehbaren Eklat zu inszenieren", assistiert der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann. "Wer Thilo Sarrazin unter sichtbarer filmischer Beobachtung durch Berlin-Kreuzberg und Neukölln schickt", der müsse mit "wütenden Reaktionen" rechnen. Das sei ganz normal.

Auch der renommierte "Türkische Bund Berlin-Brandenburg" bezeichnete den Kreuzberg-Besuch Sarrazins als "Provokation". "Wenn so einer samt
Fernsehteam jetzt plötzlich nach Kreuzberg kommt, um angeblich einen kulturellen Dialog zu führen, dann will er wahrscheinlich bald ein neues Buch veröffentlichen", erklärte TBB-Sprecher Hilmi Kaya Turan. Das dürfe man nicht zulassen.

Dem stimmt der Berliner Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele vollinhaltlich zu. Ströbele zeigt Verständnis für die Wut der Sarrazin-Gegner und deren Unwillen, mit dem umstrittenen Autor zu diskutieren. "Herr Sarrazin hat auch mir gegenüber schon eine Diskussion seiner diskriminierenden und beleidigenden Thesen verweigert und zeigt sich völlig uneinsichtig", sagte Ströbele. Deshalb müsse man Gleiches mit Gleichem vergelten und Gespräche natürlich verweigern.

Sarrazin könne ja noch von Glück sagen, dass ihn niemand nach Nazibrauch zusammengeschlagen und getreten habe, wie das an der berühmten Straße der Gewalt üblich sei. Dennoch plant der Berliner Senat jetzt, auswärtige Provokateure an den Grenzen der integrierten Hauptstadt-Bezirke mit einer Beschilderung vor dem Betreten bestimmter Kieze zu warnen. Entsprechende Schilder mit dem Aufdruck "Sperrgebiet - Unbefugten ist das Betreten verboten" fänden sich noch in ausreichender Zahl im Archiv der Straßenbauamtes.

Abriss-Exkursionen: Ende der Ewigkeit

Am Ende ging alles ganz schnell. Jahrelang hatten Stadt und Land und Universität darum gestritten, wo ein neues geisteswissenschaftliche Zentrum seinen Standort finden solle. Weit draußen am Stadtrand? Oder am Marktplatz, wo ein gewaltiges klaffendes Loch von der Unfähigkeit der Stadtoberen kündet, auch nur die Ortsmitte besiedelt zu halten?

Die Wahl fiel folglich auf das Gelände der traditionsreichen landwirtschaftlichen Fakultät der Martin-Luther-Universität, gelegen im Hinterhof des halbzentralen Steintor-Platzes. Im April 1863 hatte Julius Kühn hier begonnen, einen Lehrstuhl für Landwirtschaft zu errichten, geisteswissenschaftlich insofern, als er das unter der Oberhoheit der Philosophischen Fakultät tat. Kühn kaufte Land, entwarf und verwirklichte eine universitätseigene Feldversuchsstation und startete den Dauerversuch "Ewiger Roggenbau".

Der Campus der landwirtschaftlichen Sparte der Uni, die kurz nach Hitlers Machtergreifung den Ehrennamen Martin-Luther-Universität verliehen bekommen hatte, ist heute ein verwirrendes Labyrinth von Ställen, Baracken, Laboren und verwinkelten Bürogebäuden. Es riecht nach Dung und Mist, in dunklen Kellern lagert Fachliteratur über Kartoffelzucht, die noch aus DDR-Zeiten stammt, daneben trocknen seit Jahren Maiskolben im Wind, die inzwischen völlig mumifiziert sind.

Vor allem die Luft im Hauptgebäude schmeckt nach menschenverachtenden Experimenten. Stapel vermoderter Fachzeitschriften, ein Dutzend Computerbildschirme und Giftgasschutzduschen - ein Hauch von Area 51 weht durch die seit langem verlassenen Säle, die Sprayern als Atelier dienen. Denkmalgeschützt sind die Gebäude, aber abgerissen werden die meisten nun dennoch, denn das Geld für den geplanten Neubau eines Campuskomplexes für fast alle Geistes- und Sozialwissenschaften der Uni Halle reicht hinten und vor nicht und schon gar nicht für aufwendige Sanierungen.

Dafür warnt der Studentenrat schon, dass "die entstehenden Gebäude in jeder Hinsicht zu klein" sein werden. Es gebe kaum Seminarräume, zu wenig Büros, keine Aufenthaltsorte und die Bibliothek werde "so klein, dass viele Bücher weggeworfen werden müssen".

Ein großer Schritt für das abgelegene Stadtviertel, ein kleiner für ehrwürdige Uni. "Trotz erheblicher Investitionssummen wird der geplante Bau keinem der anvisierten Zwecke gerecht", orakeln Kritiker angesichts des 52 Millionen Euro teuren Bauvorhabens, an dessen Ende eine "prekäre Situation" zu stehen verspricht.

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Montag, 18. Juli 2011

Gemeiner Angriff auf Fetischfreunde

Gigantischer neuer Datenskandal auf dem größten Tatort der Welt! Nach Angriffen auf das Pentagon, den deutschen Zoll und das BKA haben Hacker jetzt die Tier- und Fußballbildersammelbörse der Discountkette Rewe ins Visiser genommen. Wie ein Konzernsprecher gestand, haben Computerdiebe sensible Geheimdaten wie Namen, Passwörter und E-Mail-Adressen von Freunden der hochwertigen Bildchen abgeschaut. Die Zahl der Betroffenen, die jetzt fürchten müssen, dass Fremde um ihre verstörend wirkende Sammelleidenschaft wissen, liege im "mittleren Zehntausender-Bereich".

Rewe hatte nach einer Mitteilung der amtlichen deutschen Alarm-Agentur dpa am Sonntagabend bekanntgegeben, dass die geheimen Sammelbild-Daten einsehbar gewesen seien. Da war die pikante Sicherheitslücke bereits wieder geschlossen worden. Alle Fußballsammelbilderfetischfreunde wurden dennoch aufgefordert, ihre Passworte, Namen und E-Mailadressen zu ändern, um zu verhindern, dass die Hacker an ihre Fußballsammelbildersammlung herankommen.

Hacker gegen Menschheitsfeinde: Webseite von Lady Gaga geknackt, Fan-Namen gestohlen!

Abfuhr für den Aufwiegler

"Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht", legte Bert Brecht dereinst in Auswertung der Vorgänge im III. Reich fest - und im Unterschied zu seiner Wahlheimat DDR handeln die Menschen inzwischen nach seiner Maxime. Das durfte jetzt auch Thilo Sarrazin, vor einem Jahr Erfinder "kruder Thesen" (Der Spiegel) zur Einwanderung, bei einem Besuch im hauptstädtischen In-Viertel Kreuzberg erfahren. Hier, wo immer noch zahlreiche Leser seines Buches "Deutschland schafft sich ab" leben, hatte der ehemalige Finanzsenator das einjährige Jubiläum seiner Karriere als Gründer und Galionsfigur der AG Hetzer in der SPD feiern wollen.

Doch bei den Einheimischen biss Sarrazin da auf Granit. Statt Applaus zu spenden, weil Sarrazin den Grundwertekatalog der deutschen Sozialdemokratie um einige spannende Aspekte erweitert hat, und seine Ansichten inzwischen Verteidiger auch im Bundeskabinett finden, schlugen dem Vordenker einer Integration, an der sich die zu Integrierenden auch selbst ein bisschen beteiligen, Wut, Zorn und Ablehnung entgegen. "Die einen zogen sich zurück und wollten gar nichts sagen", berichtet Sarrazin selbst in der "Morgenpost". Anderen hätten "aufgedreht", sie hätten "die Arbeitsleistung der Türken in Deutschland gepriesen" und sie "klagten mich an, Vorurteile zu wecken".

Am Ende stand ein klarer Sieg deutscher Diskussionskultur, wie sie die Sarrazin-Debatte von Anfang an bestimmte. "Versuche zum sachlichen Diskurs blieben weitgehend wirkungslos", konstatiert der vom Schriftsteller Thomas Lehr längst als "bösartiger Wahrheitsverdreher" enttarnte Autor, dessen Leserschaft sich in ihrer Altersstruktur nach Recherchen der SZ "deutlich von der Gesamtbevölkerung" unterscheidet.

Wie auch das Publikum, das Sarrazin in Kreuzberg empfängt. Szenen von bizarrer Authentizität schildert der Ex-Banker, Szenen, die haarscharf an denen von einem bürgerschaftlich-engagierten Lynchmob vorbeischrammen. Deutschland, 2011, international befreite Zonen, verteidigt von einem Heimatschutz, mit dem Sarrazin wohl nicht gerechnet hat, wie seine Erzählungen aus der Kampfzone belegen:

"Beim Aussteigen sah mich ein junges, gut gekleidetes Paar offenbar türkischer Abstammung. Der Mann trug eine Sonnenbrille. Die Frau war sehr schlank und auf etwas anämische Weise intellektuell wirkend. Es entspann sich folgender Dialog, vom Mann mit höchster Lautstärke gebrüllt:

Mann: Das ist ja der Sarrazin. Dieser Mann hat die Menschen beleidigt. Sarrazin raus aus Kreuzberg.

Frau: Sie sind ein Rassist.

Ich glaube, Sie beleidigen mich gerade.

Mann: Sie haben die Leute beleidigt und jetzt laufen Sie hier. Das ist unglaublich. Sarrazin raus aus Kreuzberg!

Frau: Sie haben hier nichts zu suchen.

Eine vernünftige Diskussion war nicht möglich. Wir gingen schließlich Richtung Restaurant. Das junge Paar verfolgte uns, der Mann dabei brüllend „Da kommt Sarrazin, der Rassist“. Als wir das Restaurant betraten, flippte er fast aus vor Empörung. Die Frau rief laut ins Lokal: „Ich als Kreuzbergerin möchte nicht mehr in diesem Laden essen gehen, da er so verpestet ist nach dem Besuch von Sarrazin mit seinen Thesen. Ich werde Freunde anrufen.“ Ein Kellner antwortete auf Türkisch, er habe vom Chef Anweisung, mich zu bedienen, und könne nichts dafür.

Der Mann brüllte ununterbrochen weiter, zog sein iPhone hervor und sprach in den Brüllpausen ins Telefon. Das Gebrüll, das er durch das offene Fenster in das Lokal hinein fortsetzte, zog allmählich einen Menschenauflauf zusammen."

Der Rest vom Integrationstest

Sonntag, 17. Juli 2011

Durchgriff bis Deutschland

Mit einem Machtwort in der "Rheinischen Post" hat der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Walter Steinmeier sich im Rennen um die nächste Kanzlerkandidatur zurückgemeldet. Als Konsequenz aus der Euro-Krise fordere er jetzt mal "die Schaffung eines europäischen Finanzministers", sagte Steinmeier. Pünktlich drei Jahre nach seiner Forderung, die deutsche Automobilindustrie brauche wegen Opel eine europäische Lösung schloss sich Steinmeier damit den Stimmen an, die den Ausweg aus der Krise in einer verstärkten Verschränkung der Einzelstaaten der EU sehen.

"Wir brauchen nicht nur eine bessere Koordinierung, wir brauchen auch Institutionen, die solche Krisen in den Griff bekommen können", glaubt Steinmeier. Er denke an einen "europäischen Finanzminister, der auch Durchgriffsmöglichkeiten" auf die Staatsausgaben aller EU-Länder haben müsse und in einem Fall wie dem Griechenlands dann direkt deutsche Steuereinnahmen nach Athen umlenken könne.

Dass die Väter des Grundgesetzes die Grundgesetz die Finanzhoheit beim Bundestag ansiedelten, sei ein "durchaus schnell korrigierbarer Fehler", hieß es in Berlin. Zwei, drei Lesungen, wenn die Öffentlichkeit gerade über was anderes diskutiert, schon könne das erledigt sein. und nach einer solchen kurzen, knappen und im Nachhinein auch keineswegs mehr grundgesetzwidrigen Grundgesetzänderung könne auch Deutschland dann direkt von Brüssel aus regiert werden.

Zusätzliche Einnahmen, um noch drastischer als bisher sparen zu können, verspricht sich die im Nebenberuf als Luftballonverkäufer Carl Fredricksen auch in Hollywood erfolgreiche (Bild oben) frühere Schneeeule der deutschen Sozialdemokratie von einer neuen Steuer auf "Finanzmärkte". Keiner wisse, um wen oder was es sich dabei genau handele, so dass jeder bereit sein werde, einer solchen neuen Steuer begeistert zuzustimmen. Letztes Jahr sei er zwar noch der Meinung gewesen, dass "wir glauben, dass eine Finanzmarkt-Transaktionssteuer eine der Möglichkeiten ist, den Risikohunger der internationalen Spekulanten zu hemmen". Dieses Jahr aber habe er eine neue Begründung gefunden: "Die Finanztransaktionssteuer ist nötig, um Einnahmen zu erzielen, aus denen Investitionspakete für Länder in Notlagen gestrickt werden", erläuterte Steinmeier.

Wofür wir gern werben: Lücke oder Implantat?

Schon lange gab es den Verdacht, dass der Internetsuchriese Google seine Ergebnislisten nach einem bestimmten Algorhythmus manipuliert. Nun endlich konnte "Welt"-Qualitätsautorin Ileana Grabitz auch Belege dafür liefern. In ihrem epochalen Text "Verleger blasen zum Angriff" prangert die Expertin die "Schieflage im hiesigen Mediensystem an". Der US-Konzern agiere nach dem Motto "Google first", zitiert Grabitz den Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Zeitungsverleger Dietmar Wolff.

Jeder könne das mit einem einfachen Test nachvollziehen: Auf entsprechende Anfragen leite Google Internetnutzer direkt zu "konzerneigenen Seiten wie Google Earth oder Google Books" (Wolff), statt auf die entsprechenden Angebote der einheimischen Zeitungshäuser "Verleger Earth" und "Verleger Books". Der Konzern agiere damit als ein "Quasi-Monopolist", prangert "Welt"-Fachautorin Ileana Grabitz an, nach deren Analyse es sich bei "Google Earth" nicht um eine Software, sondern um eine Internetseite handelt. Hier lägen die "Defizite der in Folge der Digitalisierung gewaltig veränderten Medienordnung", durch die "Werbung zulasten der Verlage abgezogen" werde, was natürlich "wettbewerbswidrig" sei.

Verziert ist der "Welt"-Beitrag im Verlegernetz selbstverständlich mit einer wettbewerbswidrigen Google-Anzeige für "Lücke oder Implantat? - TÜV geprüfte Qualität - Note gut!"

Mehr aus der buchhalterischen PPQ-Serie "Wofür wir gern werben"
Schlimme Szenen aus Belgien: Google beklaut Verleger nicht mehr

Samstag, 16. Juli 2011

Trinkmilch aus Kimmelquell

Die Zeit, sie rennt, die Stunden rasen, keine Schlagzeile hält länger als ein ausgestreckter Arm und noch jeder Weltuntergang musste sich am Morgen danach darüber belehren lassen, dass neue, akute Gefahren ihn auf die hinteren Seiten der Gazetten befördert haben. Eben noch Atomtod, nun schon Krebsgefahr aus dem Ozonloch, das sich dem rekordkalten Winter verdankt, der Folge der Erderwärmung ist.

Mitte März meldete die ideologisch unverdächtige Rote Fahne exklusiv, dass der Ozontod kommt. Nicht mal einen Monat später wussten es schon alle Blätter, alle Sender: "Forscher warnen vor wachsender Sonnenbrandgefahr in Europa".

Was ist dagegen die wachsende Gefahr, bei zunehmender Informationsverdünnung immer dümmer zu werden? So lange es geht, geht es gut, so lange die Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung von der Minderheit ausgehalten wird, gilt es für jede politische Partei, im Trüben der gesellschaftlichen Teilhabe am Fleiß der Minderheit zu fischen. Logischerweise wetteifern nun schon fünf sozialdemokratische Parteien um die Gunst der weniger Begüterten, zu denen unterdessen alle zählen, die weniger haben als irgendwer.

Die Grünen sind dabei die "neue FDP", die alte FDP schmückt sich mit einem neuen, im grünen Stil für nachhaltige Mildtätigkeit eintretenden Vorsitzenden. Die neue Linke holt ihren alten sozialdemokratischen Vorsitzenden aus dem Ruhestand, das sozialdemokratische Original verschwindet fast vor der von der Christdemokratie gespielten Kopie aus Haushaltsaufblähung, Wohlfahrtspflege auf dem Wege des Gnadenerlasses und einheitsstaatlicher Europapolitik. Der Euro, das Symbol des Traumes vom Ende der europäischen Geschichte in einem satten Superstaat, wird seit einem Kurs von 1,19 zum Dollar gerettet.

Er steht unterdessen bei 1,41 und muss immer weiter gerettet werden - wohl bis er bei vier Dollar steht. Damit würde wenigstens das Benzin auch für die Ärmsten der Armen wieder bezahlbar. Und die Retter-Posten müssten nicht abgeschafft werden.

Die Umwälzungmaschine, die in Gang gehalten werden muss, gleicht dem Anfang der 70er Jahre von Ephraim Kishon in seinem Grundsatzwerk "Der Fuchs im Hühnerstall" beschriebenen Milchverteilungsmechanismus im Örtchen Kimmelquell: Um das Volk milde zu stimmen für seine Regierung, beschließt der Ortschaftsrat eine kostenlose Trinkmilchversorgung für alle Kinder im Dorf. Zur Finanzierung werden alle Bauern herangezogen, die Kinder haben - jeder muss, so heißt es zuerst, jeden Tag eine Tasse Milch im Gemeindebüro abgeben, auf dass der Gemeindediener es als soziale Leistung der Regierung wieder austrage zu jedem Kind.

Die Realität erfordert jedoch, dass die Pläne noch ein wenig begradigt werden: Wegen unvermeidbarer Verschüttverluste legt der Rat letztlich fest, dass jeder Bauer zwei Tässchen Milch abzugeben hat. So reicht die Milch dann auch genau, jedem Kind ein Tässchen kostenlos zu geben. Und die Welt, die die seltsamerweise französische Band Iris Corporation in ihrem operettenhaften Stück "Highest Love" besingt, das unser eilig dahinflatterndes Timelapse-Video oben unterlegt, ist ein Stückchen besser geworden.

Freitag, 15. Juli 2011

NDR-Werbepause

Werbepause beim Norddeutschen Rundfunk. Nachdem das TV-Aufsichtsblog ppq über ein Werbebanner des NPDlers Sven Krüger auf der Internetseite des dritten ARD-Programms aus dem Norden berichtet hatte, wurde die Krüger-Werbung jetzt abgeschaltet.

Wie aus gut informierten Fernsehanstaltskreisen verlautete, habe man nach mehrstündigen Gesprächen mit der Anzeigenleitung beschlossen, nicht weiter für das Abriß-Unternehmen des geständigen Hehlers zu werben. Grundsätzlich sei egal, woher das Geld für den Sender komme. Hauptsache, es sei genug, so der NDR. Bei den jährlichen Gebühren-Einnahmen von 974.763.069,32 Euro (2008), könne man in diesem einen Ausnahmefall auf die Braunkohle verzichten.

Wer hat es gesagt?

Es ist eine deutsche Eigentümlichkeit, welche in dem chronischen Regiertwerden ihren Grund haben mag, dass wir uns so schwer zu einer Tat entschließen, weil wir, indem wir uns alle Konsequenzen derselben austüfteln, irgendeine entfernte Wirkung für bedenklich halten; so bleiben wir gewöhnlich bei den Übelständen stehen, die uns drücken und quälen, weil sich ja aus einer Abhülfe irgendein ungeahntes oder wahrscheinliches Übel später ergeben könnte. Gewiss, Übelstände werden sich überall wieder ergeben, außer den erwarteten auch unerwartete; das scheint das Los der Dinge an sich, oder unseres Urteils über dieselben zu sein; deshalb aber darf man auch nicht glauben, Übelständen überhaupt entgehen zu können.

Deine Fliese ins Waffenverzeichnis

Nicht heißer Sommer und nicht kühler Landregen, nicht die Ignorarnz von Unesco und Kunstfreunden und nicht der Vernichtungsfeldzug anatolischer Haussanierer können den Kachelmann von Halle davon abhalten, seine große Vision einer komplett neuverkachelten Altstadt zu verfolgen. Auch wenn der nach neuen Erkenntnissen der Kacheologie von ihm verwendete Fliesenkleber Ceresit in den zurückliegenden kalten Sommerwochen schon beim Einstreichen der kunstsinnigen Kleinwerke zu trocknen begann, hat der von Freunden und Verehrern nur ehrfürchtig "Kachel Gott" genannte Genius konsequent weitergearbeitet an seinem großen Werk.

In seiner "Mutter Courage"-Serie kommentiert der Kultkünstler, den PPQ
im großen Kachelverzeichnis ein Denkmal gesetzt hat, seit Jahren die zunehmende Armut in Deutschland, ein Phänomen, das für den normalsichtigen außerhalb des politischen Berlinkkaum wahrzunehmen ist. Hier aber springt dem Kunstfreund das Elend der Kindern ins Auge, die ohne Frühstücksbrot in die Schule müssen, der Kummer der Mütter wird gezeigt, die keine Kinder mehr bekommen wollen, und die Väter werden vorgestellt, bei denen das Geld oft nicht reicht, um Haus und Hof beim staatlichen Lotto zu verspielen. Der Atem der Geschichte, gebrannt in kalten Stein. Eine Fliese fürs Waffenverzeichnis.


Das große PPQ-Kachelwatchblog
Kachelisation
Kanonen auf Kacheln
Kachelland ist abgebrannt
Das einzige Kleben
Vernichtungsschlag gegen Fliesenprojekt
Nichts gilt der Fliesenleger im eigenen Land
Niedergang der Fliesenkultur

Donnerstag, 14. Juli 2011

Wofür wir (oder andere) gerne werben: Abriß Krüger

Er heißt Sven Krüger, ist Abriss-Unternehmer, ehemaliger NPD-Abgeordneter im Kreistag von Nordwestmecklenburg, und hat jetzt vor dem Schweriner Landgericht ein Geständnis abgelegt, schreibt der Norddeutsche Rundfunk. Der 36-jährige Abrissunternehmer aus Jamel (Kreis Nordwestmecklenburg) habe zugegeben, dass er gewusst habe, dass die hochwertigen Werkzeuge und Baumaschinen, die er teils selbst nutzte, teils weiterverkaufte, aus Straftaten stammten.

Er habe zum Teil schon Schadenswiedergutmachung geleistet und Zahlungen an Geschädigte überwiesen. Nach dem Verlesen der Anklageschrift habe Krüger dem Gericht zunächst noch erklärt, sich zu den Vorwürfen nicht äußern zu wollen.

Damit aber sein Geschäft weiter laufe, habe er überall im Land Anzeigen geschaltet. Und so prangt sein Logo auch am Rande der Berichterstattung des NDR. Nun ist auch klar, wie sich das kleine dritte Programm der ARD einen Gerichtsreporter vor Ort leisten konnte.

Klampfen ohne Kühlschrankkette


Leiser kann niemand laut sein als Kevin Devine, dessen epochales Talent hier schon beinahe traditionell gewürdigt wird. Vergebens, selbstverständlich, und das macht einen großen Teil des Reizes aus. Während Lady Gaga mit Billigpop zu 99 Cent ganze Serverfarmen zum Zusammenbrechen bringen kann und Dieter Bohlen gleich gar nicht mehr selbst singen muss, weil es reicht, dass er es nicht tut, fabriziert Devine ganz allein unsagbar einfache und unsagbar schöne Stücke wie "She Stayed as Steam".

Lyricfluten wie beim jungen Dylan, Gitarrengehacke auf drei Saiten. Gäbe es noch die guten alten Zeiten, als Musik erst in zweiter Linie die Kunst war, Bilder von sich zu produzieren und einen Vertrag mit einer großen Kühlschrankhandelskette zu unterschreiben, wäre Kevin Devine wohl sogar ein bisschen berühmt.

all that music in your mouth
rivers rushing to your teeth
surging streams through wading valleys
flooded language tributaries
connect and cover over me
tensing jaw & cork screw eyelids
as if you couldn't bare to see
all that water roaring from you
collecting clouds inside the ballroom
over people who don't know you
but darling i do

you trance yourself back towards the city
blood not moving to your feet
automatic listless shuffle
your foot falls tentative and muffled
your sidewalk scatter brain, cry uncle
you settle back into your corner
and look for her on your tv
it's friday night and i am hungry
for a hand, a mouth, a body
a love i wouldn't have to carry

some stitch in my mouth
and i'm untying now
a concrete canal
in a bomb border town
an echo in the rafters
reminding you there was a sound
but you killed her in waves
she stayed a steam to hiss at you now

cause he killed her in waves
but that's not today
so you breathe through your mouth
you calm yourself down
and hold what you found
so sweet and profound

she can hover and hurt or dissolve to dirt
some prayer in you mouth
or she might stay a steam
soak into the beams
let you figure her out

Sätze für die Ewigkeit IV

Ein deutscher Rapper, auf Twitter:

Wenn Fahrradfahrer rechts abbiegen wollen sieht das aus wie ein Hitlergruss
.

Zur PPQ-Serie Sätze für die Ewigkeit

Mittwoch, 13. Juli 2011

Milliardär aus eigenem Anbau

Fünfzehn Mann auf des reichen Mannes Kiste - und das Komische an der Liste der größten Geldsäcke der Welt ist, dass sie fast alle mal ganz arm angefangen haben. Ganz im Gegensatz zum gefühlten Wissen, dass die Welt seit alters her beherrscht wird von Menschen, die reich geboren, mit dem goldenen Löffel im Mund aufgezogen und später vom Papa an die Spitze ein geldspeienden Firmenuniversums gesetzt werden, zeigt die Hitparade der Weltwohlhabensten
ein ganz anderes Bild.

Es sind die selbstgemachten Milliardäre, die die größten Geldhalden gesammelt haben. Bill Gates, Warren Buffet, der Mexikaner Carlos Slim Helú, der schwedische Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, Stahlgigant Lakshmi Mittal - die fünf Geldgiganten schlechthin waren sehr normale vermögende Männer, als sie begannen, auf eigenen Beinen zu stehen. Gates war zwar Sohn eines Rechtsanwalts, aber eher wohlhabend als reich, Buffett entstammt der Familie eines Brokers, verdankt seinen Reichtum aber nicht dem Erbe des Vaters, sondern dem eigenen Ehr- und Geiz. Helu ist der Sohn eines Libanon-Flüchtlings, der in Mexiko ein kleines Vermögen anhäufte. Groß machte es der Sohn, der zur richtigen Zeit in die richtigen Geschäfte investierte. Wie Ingvar Kamprad, der Sohn einer Thüringer Bauernfamilie, dessen Billigmöbel die Welt eroberten und ihren Erfinder reich machten.

Nein, es ist kaum altes Geld in diesen Charts. Sheldon Adelson wurde als Sohn jüdischer Einwanderer in Boston geboren und verdiente sein erstes Geld wie Buffett mit Zeitungsaustragen. Amancio Ortegas Laufbahn begann mit 14 Jahren als Handlanger in einem Bekleidungsgeschäft in La Coruña. Li Ka-shing aus Hongkong flüchtete als Jugendlicher vor den japanischen Besetzern aus Südchina. Seine erste Firma gründete er mit 19, er verkaufte künstliche Blumen aus Plastik und investierte die Gewinne vor allem in Häfen und Immobilien, aber auch in die deutsche Drogeriekette Rossmann, die ihm heute fast zur Hälfte gehört.

Immerhin steht auf Nummer 10 ein reicher Erbe: David Thomson übernahme die Thomson Corporation von seinem Vater, war also von Hause aus reich. Ganz im Gegensatz zu seinem Milliardärskollegen Larry Ellison, der unehelich geboren wurde und bei einer Tante aufwuchs, weil seine minderjährige Mutter ihn nicht ernähren konnte. Ellison verließ die Uni ohne Abschluß, gründete Oracle und wurde reich - im Gegensatz zu Liliane Bettencourt, die den Kosmetikkonzern L’Oréal erbte und damit die zweite Vertreterin von altem Geld in der Hitparade der Reichsten ist.

Viel mehr werden es aber auch nicht. al-Walid ibn Talal Al Saud aus Saudi-Arabien begann mit lächerlichen 15.000 Dollar und einer Villa im Wert von 1,5 Millionen Dollar, die ihm sein Vater als Startkapital spendierte. Die restlichen 20,28 Milliarden, die Al Saud heute zum 13-reichsten Menschen der Welt machen, spekulierte er sich selbst zusammen. Auch der Inder Mukesh Ambani übernahm die heutige Milliardenfirma Reliance von seinem Vater, baute sie allerdings selbst erst zum Weltkonzern aus.


Ähnlich wie die Letzten in der Liste, die allerdings doch noch etwas etwas mehr Arbeit hatten. Karl und Theo Albrecht wuchsen in bescheidenen Verhältnissen im Haushalt eines Bäckers auf, der als Bergmann arbeiten musste, ehe er sich 1913 als Brothändler in Essen selbstständig machteKolonialwaren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernahmen die beiden Brüder 1946 das elterliche Lebensmittelgeschäft und bauten es bis 1950 zu einer Kette mit 13 Geschäften aus. 1960 hatten sie dann schon 300 Aldi-Märkte, 2010 schon 20 Milliarden Privatvermögen. Damit steht es dann 13 zu 2 von neuem Geld gegen altes - ein Verhältnis, das mehr als deutlich gegen die These spricht, das kapitalistische System sei auf seine Art eine Kastengesellschaft, die nach oben wenig durchlässig ist.

Über die gegenwärtigen Schurken

Wollen Sie damit sagen, ich dürfte die Regierung nicht kritisieren? Auch wenn sie einen Fehler gemacht haben? Wenn ich weiß, dass sie einen Fehler gemacht haben?"

Natürlich dürfen Sie. Stechende Viehbremsen sind notwendig. Aber man tut gut daran, sich die neuen Schurken anzusehen, bevor man die gegenwärtigen Schurken hinauswirft. Demokratie ist ein armseliges System. Das Einzige, was man zu seinen Gunsten anführen kann, ist, dass es achtmal so gut ist wie jede andere Methode. Sein schlimmster Fehler ist, dass seine Führer das Niveau ihrer Wähler besitzen. Das ist ein niedriges Niveau, aber was kann man anderes erwarten? Deshalb sehen Sie sich den Präsidenten an und überlegen Sie, dass er in seiner Unwissenheit, Dummheit und Selbstsucht seinen Mitmenschen ähnelt, doch einen oder zwei Punkte über dem Durchschnitt steht. Dann sehen Sie sich den Mann an, der ihn ersetzen wird, wenn die Regierung stürzt.

Man hat da keine Wahl.

Man hat immer eine Wahl! Diese besteht zwischen "schlecht" und "schlimmer" - und die ist viel einschneidender als die zwischen "gut" und "besser".

Sie bringen mich zum Erbrechen!

Bitte nicht ins Gras. Benutzen Sie ihren Hut.

Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf

EU-Justizkommissarin Viviane Reding hat die Ratingagenturen scharf kritisiert und gesagt, es dürfe nicht sein, «dass ein Kartell dreier US-Unternehmen» über das Schicksal von Volkswirtschaften entscheide. Vielmehr müsse das dem Kartell der EU-Bürokraten vorbehalten bleiben.

Dienstag, 12. Juli 2011

Gesänge fremder Völkerschaften: Grunzrock von der Unstrut


Wo man singt, da lass Dich ruhig nieder, doch wo man grunzt, da schweigen alle Lieder. Das ist dann das letzte Kapitel, das aufgeschlagen wird, wenn gar nichts mehr geht und auch die sprichwörtliche "Straße der Gewalt" nur noch aus Schlaglöchern besteht. Nehmen wir die doch als Partitur, dachten sich die wackeren Mannen der aus dem nordthüringen Süd-Sachsen-Anhalt stammenden Kapelle Last Chapter, deren röhrender Betonmischersound ältere Musikliebhaber unwillkürlich an die legendäre Rumpeltruppe MCB Meter erinnert, die den ausgedürsteten Motörhead-Fans des Ostens in grauer Vorzeit eine Ahnung von Heavy Metal kredenzte.

Last Chapter sind schon die übernächste Generation, Musikanten, aufgewachsen in einer Ära, in der Finanzminister sich zum Lemmy Kilmister-Fantum bekennen und Beamte mit ihrem Motorrad zum Motörhead-Konzert fahren. Dort ist es dann immer noch laut, nicht annähernd so stimmungsvoll aber wie bei Last Chapter-Auftritten. Bei denen sammeln sich Fahranfänger und Friseusinnenfreunde, Body-Builder und Berufsschüler, um zu unterirdischen Tönen gemeinsam in die Luft zu springen. So äußert sich Gemeinsinn in den mental ausgetrockneten Gebieten längs von Saale, Pleiße und Mulde, so singt der Ostdeutsche, so er denn kein Sachse ist. Erstmals dokumentiert wird das hier in unserer grenzkulturkritischen Reihe "Gesänge fremder Völkerschaften", ein Stückchen Weltkulturerbe, das es an emotionaler Kraft leicht mit den zerstörten Buddha-Statuen von Bamian aufnehmen kann. Spielen sie erstmal, dann hört man nicht mehr viel. Sonst hätte einem jemand sagen können: Wenn der Tod einen Klingelton hat, dann geht er so ähnlich.

Mehr Gesänge fremder Völkerschaften:
Blasen in Steueroasen
Pogo in Polen
Hiphop in Halle
Tennessee auf Tschechisch
Singende Singles

Schon wieder Ärger auf der Zickenwiese

Diesmal sind es geklaute Baupläne, die die Berliner Zickenwiese wieder einmal in die Schlagzeilen der ehemaligen Nachrichtenmagazine und derzeitigen Verlautbarungsorgane heben. Der geheimste Geheimbau der Welt ist bestohlen worden. Von Deutschlands sicherster Baustelle sollen Pläne abhanden gekommen sein, die Auskunft über den geheimsten Teil vom künftigen Hauptquartier des Bundesnachrichtendienstes geben, berichtet das ehemalige Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".

Die Nachrichtenmanufaktur dpa weiß indessen genauer, um welchen geheimsten Teil des 1,5-Milliarden-Euro-Hauses es sich dabei handelt: Aus den geklauten Darstellungen ließen sich die Lage der Räume und im Besonderen die Lage der Toiletten genau ablesen. Was natürlich eine besondere Brisanz besitzt. Schließlich ist ein BND-Geheimagent, das weiß jedes Kind, nirgendwo angreifbarer als auf dem Klo. Keine Hand frei für die Waffe und mit heruntergelassener Hose auch nicht eben gerade schnell.

Doch mit dem verschwundenen Kloplänen steht der BND auch nur in der langen Reihe der Diebstähle, die immer wieder die Bauten auf der "Zickenwiese" (Volksmund fürs Walter-Ulbricht-Stadion) in ihren Grundfesten erschütterten.
Die ersten Klau-Skandale reichen ins Jahr 1929 zurück. Damals entstand dort das Berliner Polizeistadion. Der Bericht des verantwortlichen Poliers schockte die ganze Baubranche. Aus der Poliers-Baubude verschwanden an einem Freitag im April die Brotbüchsen der drei leitenden Architekten sowie das für die Mittagspause bereits vorgekühlte Bier.

Weiter gings auf dem Klau-Bau 1950. Beim Umbau zum Walter-Ulbricht-Stadion verschwanden laut Volkspolizeibericht vom 5. März 1950: 270 gebrannte Ziegelsteine, 10 Doppelfenster, 76 Quadratmeter Parkett, 17 Dachlatten sowie drei Rollen Dachpappe. Täter konnten nie ermittelt werden. Es ging aber das (böse) Gerücht, das Material sei erst gar nicht auf der Baustelle angekommen. Sondern irrtümlicherweise nicht ins Walter-Ulbricht-Stadion sondern zur Walter-Ulbricht-Villa am Majakowskiring geliefert worden.
Mit einem weiteren brisanten Diebstahl mussten sich Fußballfunktionäre und Volkspolizei 1983 befassen. Beim FDGB-Pokalendspiel zwischen der SG Dynamo Dresden und dem FC Karl-Marx-Stadt (4:0) am 4. Juni 1983 verschwand aus der Dresdner Mannschaftskabine eine Sporttasche. Was nicht weiter von Belang gewesen wäre. Doch es handelte sich beim Diebesgut um die Sporttasche von Stasi-IM "Dresdner Stolle". Und so verschwanden mit der Tasche alle seine Aufzeichnunegn über Spieler, Trainer und Betreuer nebst Live-Mitschnitten auf Tonband. Die Tasche wurde nie gefunden und auch IM "Dresdner Stolle" verschwand auf ewig.

Wie wahrscheinlich auch die Klo-Pläne des BND. Doch die geheimen Geheimarchitekten haben bereits eine Lösung gefunden. Wie ppq aus gut unterrichteten Geheimdienstkreisen erfuhr, wird jetzt das Haus innen spiegelverkehrt umgebaut. So bleibt die Außenansicht die gleiche, nur das Klo rechts neben der Treppe ist dann links daneben.