Donnerstag, 31. Juli 2025

Klimawandel: Ein symptomloser Sommer

Mitte Juni stand noch alles zum Besten. Vorhersagen sahen einen extrem heißen, lang anhaltenden  Dürre-Sommer in Deutschland kommen.

Warm, kalt, trocken oder nass, es ist inzwischen piepegal. "Dieser deutsche Sommer ist auch ein Zeichen des Klimawandels", schreibt die FAZ, ein in den düsteren Zeiten der Ernsthaftigkeit früherer Tage seriöses Medium. Mittlerweile ist das Blatt angekommen beim halbstaatlichen Werbeportal T-Online", das mit "Dieser Hitzesommer tarnt sich gut" den Spagat zwischen dem Hokuspokus eigener Erwartungen an die Fähigkeiten der Wissenschaft und der folgenden Enttäuschung über deren komplettes Versagen bündig zusammenfasst.

Korrekte Prognosen 

Zweifellos: "Die Prognosen waren korrekt – nur das Wetter hat nicht mitgespielt", wieder einmal und wie so oft. Selbstverständlich wird der EU-Klimawandeldienst Copernicus trotzdem in wenigen Stunden vermelden, wie viel es zu warm war und wie sehr zu trocken und das zum wievielten Mal schon hintereinander. Im  Moment jedoch gilt noch die Zusammenfassung der FAZ, verbunden mit einem Trost an alle Enttäuschten: Der Sommer  sei "bescheiden warm und in einigen Regionen sehr feucht". Aber auch das sei "eine Folge des Klimawandels, denn der verspricht nicht monatelangen Sonnenschein" und jahrelange Dürren, wie bis Mitte Juni noch angenommen. "Sondern extreme Niederschläge."

Klimawandel bedeutet auch, dass sich die Erklärungen wandeln. Vor zwölf Monaten noch stand felsenfest, dass der heißeste jemals gemessene Sommer (Copernicus) verursacht worden war durch die menschengemachte Vergiftung der Atmosphäre mit dem Spurengas Kohlendioxid. Milliarden Messungen von Satelliten, Schiffen, Flugzeugen und Wetterstationen auf der ganzen Welt zeigten, dass die globale Durchschnittstemperatur 0,69 Grad höher als die Durchschnittstemperatur im Referenzzeitraum von 1991 bis 2020. In Europa, ursprünglicher Stammsitz der Schuldigen,  war der Unterschied noch deutlicher: Den Messungen zufolge lagen die Durchschnittstemperaturen auf dem Kontinent um 1,54 Grad höher als in der guten alten Zeit.

Immer heißer, immer trockener 

Für immer würde das nun so weitergehen. Immer heißer, immer trockener. Die Forschung war sich sicher, dass ein neues Dürrejahr droht. Extrem warm, extrem trocken, so standen die Aussichten. Trotzdem waren auch zwei Jahre nach der Ankündigung der nationalen Wärmeplanung keine vier Prozent der Vorhaben aus dem nationalen Hitzeschutzplan (NHSP) umgesetzt. 

Die Kühlinseln, die kommunale Sonnenschirmversorgung, der beschleunigte Umstieg Deutschlands auf Elektromobilität und die Bildung von schnellen Eingreiftruppen aus Vertretern von Pflege, Ärzteschaft, Kommunen, Politik, Ländern, Sozialverbänden und anderen Experten stockt. Selbst als der Frühling 2025 mit einem historischen Niederschlagsdefizit neue Rekorde auf der Messlatte markierte, erklärte der neue Bundeskanzler Friedrich Merz das Wetter nicht zur Chefsache. 

Keine große Lösung 

Seine Gesundheitsministerin Nina Warken ruderte trotz beängstigender Sommerprognosen sogar zurück. Von der großen Lösung eines gigantischen geostationären "Sunshield" im Weltall über Europa war nicht mehr die Rede. Selbst das engmaschige Netz aus Trinkbrunnen, Sonnensegeln und Eincremestationen, mit dem Vorgänger Lauterbach auf die zunehmenden Sommer hatte reagieren wollen, spielten schlagartig keine Rolle mehr. 

Warken sagte, sie wolle für eine "Sensibilisierung bei Hitze" werben, um "mehr Verständnis und Sensibilität in der Bevölkerung" zu erreichen. Menschen müssten verstehen, dass alle Warnungen, Tipps oder Empfehlungen öffentlicher Institutionen gut gemeint seien. Schon allein deshalb dürften sie nicht "nicht ganz ernst genommen" oder "als Bevormundung verstanden" werden. Wichtig sei, so Warken, dass jeder Einzelne rechtzeitig über den Hitzeschutz nachdenke, "und zwar bevor die Temperaturen über eine kritische Marke stiegen". 

Örtlich bis zu 40 Grad 

Ende Juni war es endlich soweit. Mit "örtlich bis zu 40 Grad" verabschiedete sich ein Juni, der gemessen am vorgeschriebenen Klimadurchschnitt "zu heiß, zu sonnig und zu trocken" gewesen war.  Im fünften Jahr in Folge beklagten Beobachter Rekord-Sonnenschein und Regenmangel, der Deutsche Wetterdienst hatte 3,1 Grad mehr Temperatur gemessen als im langjährigen Mittel, das immer genau in der Mitte zwischen allen tieferen und allen höheren Temperaturmessungen liegt. Schon viele Jahre lang gelingt es dem Wetter kaum mehr, jeden Tag, jeden Monat oder wenigstens jedes Jahr auf der Mittellinie zu bleiben. 

Immer ist irgendetwas zu zu: Zu warm, zu trocken, zu nass oder - bedingt allein durch die Nordatlantische Oszillation - auch mal zu kalt. Der Erwartungshorizont von Wissenschaft, Politik, Medien und Publikum ist inzwischen so fest auf Extreme fixiert, dass unter ihm überhaupt kein normales Wetter mehr existiert. Deutschland ist ein Glutofen, Europa eine Bratpfanne, die Welt kocht oder sie "brennt" (Luisa Neubauer) sogar. Alternativ zeigt sie sich komplett ausgedorrt oder von Fluten weggeschwemmt, wie es sie in den alten Tagen der grünen Wetterkarten nie gegeben hat. 

Die absolute Ausnahme 

Damals, so erklärten die, die nicht dabeigewesen waren, denen, die sich noch erinnern können, seien Temperaturen über 30 Grad die absolute Ausnahme gewesen. So war es jetzt wieder, nur ist das nun nicht mehr normal. Mitten im Anthropozän, jenes geochronologischen Zeitalters, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktoren für die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist, tut der Planet, als interessiere ihn das nicht.

Alles, selbst ein Juli, der ein deutscher Durchschnitts-Juli ist, gilt da als Vorbote eines beschleunigten Klimawandels. Nichts, was einen gigantischen Graben zwischen apokalyptischen Vorhersagen und gewöhnlichem Sommeralltag in Mitteleuropa zeigt, lässt sich nicht mit denselben Mitteln der Wissenschaft erklären, die Tage zuvor noch das Gegenteil erklärt hatte. Das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (EZMWF), eine Institution, die wirklich existiert und schon seit 1975 mit 270 Mitarbeitern im Auftrag von 34 Staaten Vorhersagen fertigt, hatte am 10. Juni einen "extrem heißen, lang anhaltenden und trockenen Sommer" für Deutschland vorhergesagt. 

Alles nur anders 

Und im Grunde ist das genau so eingetreten, nur anders. Aus Temperaturen von bis zu drei Grad über dem Durchschnitt, einer weitverbreiteten Dürre und einer Vielzahl von Tropennächten wurde ein Sommer, der nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung" gar "kein Sommer ist".  Das wechselhafte und unbeständige Wetter verwandle das Land in eine "Goretex-Bundesrepublik",  "in Woche 3" einer Abkühlung, die für die Generation der Klimasensiblen überraschend kommt wie weiße Weihnacht,  attestiert sich eine Friederike Zoe Grasshoff, dass sie "langsam unruhig" werde. Viele noch nicht so lange hier Lebende fragen sich beim Blick aus dem Fenster wie sie: "Was ist das hier, ein Herbst im Sommer, ein Sommer oder ein Herbst?" 

Jedenfalls kein Sommer wie im Backofen, kein Sommer mit "mehrfachen Höchstwerten von 35 Grad" und einem "erhöhten Risiko für 40 Grad". Auch die Prophezeiungen des Wettermodells SEAS5 für eine "extreme Trockenheit", die die Böden ausdörren und die Landwirtschaft belasten wird, sind nicht eingetroffen. Ebenso wenig gab es die sogenannten tropischen Nächte, in denen die Temperaturen nicht unter 20 Grad sinken. Dass auch andere Klimamodelle einen schrecklich heißen Sommer vorhersagten, weil sie die Erwartungen von SEAS5 auf eine lange Hochdruckphase mit stabiler Hitze teilten, vermag das hämische Lachen in der Leugnerecke nicht zu dämpfen.

Blamierte Prognosen 

Die Realität blamiert die Prognosen nach Strich und Faden. Die Juli-Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zeigen, dass der Hochsommermonat Juli mit 189 Sonnenstunden deutlich unter dem langjährigen Mittel von 211 Stunden lag. Dafür lieferte der Monat mit 114 Litern Regen pro Quadratmeter deutlich als das Mittel (78 l/m²). Es gab keine Tropennächte und keine extreme Trockenheit, auch die Idee eines "lang anhaltenden" Sommers mit stabilen Hochdrucklagen entpuppte sich als ausgewürfelte Annahme. Niemand, so heißt es, konnte doch mit einer "Trogwetterlagen mit kühleren Phasen" rechnen, wenn die Modelle alle die "durchgehende Hitzeglocke" auswarfen.

Eine Trefferquote, die die KI Grok auf nur 41,25 Prozent richtige Vorhersagen taxiert, zeigt dass auch kurzfristige Langfristprognosen durch hochgelobte Klimamodelle ein reines Glücksspiel sind: Wer halb danebenliegt, liegt völlig falsch. Wer das Wetter nicht einmal für einen Zeitraum von vier Wochen halbwegs zuverlässig prognostizieren kann, müsste eigentlich damit rechnen, dass seine Ankündigungen wie die jeder Wahrsagerin oder Kartenlegerin mit großer Vorsicht behandelt werden

In Wasser gefallen 

Das aber müssen die Ankündiger von Hitzeglocken und extremem Hitzesommer nicht fürchten. Dieselben Adressen, die ihre Panikmeldungen verbreitet haben, üben sich jetzt darin, die Fehlprognosen glattzubügeln. Nichts ist gekommen wie vorhergesagt, aber alles war fast genau so prognostiziert:  "Der Ferienmonat fiel buchstäblich ins Wasser", konstatiert die "Tagesschau". Aber zu warm sei es doch gewesen. Auch das ZDF sieht sich im Grunde bestätigt. Ja, es war nicht trocken, sondern zu nass. Ja , es gab zu wenig Sonne. Aber: Trotz Starkregenphase war es zu warm

Gut so, denn der regenreiche Juli gleicht Trockenheit der Vormonate aus und zahllose Leben werden auch gerettet. Überstieg die Zahl der Hitzetoten in Europa einer Analyse der von der "Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit gegründeten Lobbygruppe Centre for Planetary Health Policy (CPHP) die Zahl der Verkehrstoten noch im Klimasommer 2023 um mehr als das Doppelte, konnte der Juli 2025 "die stille, aber tödliche Gesundheitsgefahr" vermutlich bannen. Wie viele der 2023 in den 27 EU-Staaten hitzebedingt verstorbenen 44.600 Menschen genau gerettet wurden, ist noch unklar. 

Fakt ist langfristig, was die Prognosen zeigen: Ohne wirksame Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen wie Trinkbrunnen, Sonnensegel, Hitzebeauftragte und Grillverzicht könnten bis 2050 jährlich über 120.000 Menschen in Europa an den Folgen extremer Hitze sterben, wenn es zu extremer Hitze kommt.

Wiedermal ein Wachstumsknick: Die Hoffnung stirbt zuerst

Je länger die Rezession, desto näher der große Aufschwung.

Nun war es doch das R-Wort. Der Begriff, über Jahre peinlich gemieden wie seine Brüder N-Wort und Z-Wort, macht auf einmal die Runde. "Deutsche Konjunktur: Die Rezession war viel stärker als bislang gedacht", gruseln sich die Kommentatoren. Es ist wieder passiert und noch schlimmer als immer.  
Die deutsche Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal um 0,1 Prozent geschrumpft, "leicht", wie das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" ausbrechende Ängste vorsorglich gleich abmoderiert. Aber: Rezession ist Rezession. Keine "technische" mehr, kein "Schwächeln", kein "Rückgang". Keine der dringenden Empfehlungen der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin  wird mehr umgesetzt.

Etwas im Rutschen 

Das kommt etwas ins Rutschen. Der Glaube schwindet, selbst in den tief in den Boden gegrabenen Schreibmaschinengewehrstellungen der Leitmedien. Dort hatte zuletzt die Zuversicht übernommen, Friedrich Merz werde es richten, vielleicht mit haltlosen Versprechen, vielleicht mit gebrochenen Zusagen. Auf jeden Fall aber mit neuen Milliarden an "frischem Geld" (DPA).

Bis zum Sommer, hatte der neue Kanzler ein Versprechen seines gescheiterten Vorgängers neu terminiert, werde der Stimmungsumschwung kommen. Die ersten Schwalben flogen schon und bei der ersten Generaldebatte, bei der Merz als Regierungschef im Bundestag sprach, konnte der 69-Jährige schon "Erfolge der Politik der CDU-geführten Bundesregierung" vorstellen.

Wende eingeleitet 

Die Wende in der Wirtschaftspolitik war eingeleitet, die von der Bundesregierung finanzierten Wirtschaftsforschungsinstitute assistierten dem Suizid mit Gefälligkeitsgutachten, in denen "erste Anzeichen für eine konjunkturelle Erholung" dargelegt wurden. Umso grausamer ist die aktuelle Erkenntnis: Kein anderer könnte die Gefühlslage besser ausdrücken als der Satz, dass "die seit Monaten erhoffte Erholung wackelt", den nicht irgendwer gedruckt hat, sondern die früher eher ernstzunehmende FAZ.

Aber das ist die Situation. Nach jenen "Monaten der Hoffnung auf eine sich beschleunigende Konjunktur", für die es schon allein deshalb keinen Grund gab, weil "Konjunktur" die gesamtwirtschaftliche Lage meint und eine Lage höchstens besser werden, sich aber keinesfalls "beschleunigen" kann, ist nun wieder die Rede vom "deutlichen Dämpfer", von der drohenden "dritten Rezession in Folge", womit offenbar das dritte Rezessionsjahr in Folge gemeint ist, und von einer "Rezession", die "schwerer als bislang angenommen" sei. So elegant umschreibt es die "Tagesschau", die bisher gar keine Rezession angenommen hatte.

"Wachstumsknick" und "Stagnation" 

Dabei war sie immer da. Nur ist die deutsche Wirtschaft in den vergangenen beiden Jahren nicht nur um  0,1 und  0,2 Prozent geschrumpft, sondern um 0,7 und 0,5 Prozent. Dieses Schrumpfen und Sinken, das Zurückgehen, der "Wachstumsknick" und das bisschen "Stagnation", sie waren nie da und sind es nun doch gewesen. Eine symptomlose Krise, denn der Staat brummt, die Steuereinnahmen steigen und die Sondervermögen schießen aus dem Boden wie Klappklingen in den  Messerverbotszonen. Das Positive überwiegt: Schon im Januar war die noch von der Ampelregierung eingeleitete Wirtschaftskrise länger an als jede vor ihr.  

Drei Jahre ohne wirtschaftliches Wachstum: Das hatte Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt. Jetzt sind es dreieinhalb, aber ein Grund zur Beunruhigung ist das nicht mehr. Der Laden läuft doch bestens. Die Sonne scheint. Die Geschäfte blühen. Wäre Trump nicht mit seinen Zöllen gekommen, ginge es allen noch mehr Gold. 

Aufschwung in der Fehlertoleranz 

Die nominale BIP-Entwicklung seit 2020 zeigt, wie schnell es aufwärts geht. Im Pandemiejahr lag das Bruttoinlandsprodukt noch bei mageren 3,44 Billionen Euro, 2021 kletterte es auf 3,67 Billionen, 2022 auf 3,95 Billionen, 2023 lag es bei 4,18 Billionen und im vergangenen Jahr bei 4,3 Billionen.  Dass der Sachverständigenrat der Bundesregierung für die letzten fünf Jahren nur auf ein reales Wachstum von 0,1 Prozent errechnen konnte, ein Aufschwung im Bereich der Fehlertoleranz, geht auf falsche Vorgaben zurück. Die Inflation beiseite gelassen, sähe alles sehr gut aus.

Allerdings mit abnehmender Tendenz. Hatten 2021 und 2022 die Pandemieverluste von 2020 noch aufgeholt, lagen 2023 und 2024 stabil im Negativbereich. Trump war damals, im Unterschied zu Wirtschaftsminister Robert Habeck und Wumms-Kanzler Olaf Scholz, noch nicht einmal im Amt. Der Krieg in der Ukraine samt Inflationsschock eingepreist. der transformative Umbau der Wirtschaft nebst Ausstieg aus fossiler Energieversorgung und Schließung ungeliebter Altsparten galt als Erfolgsmodell für die ganze Welt.

Dass niemand in Deutschland am anhaltenden Elend schuld war,  sondern ungeliebte Ausländer wie die Russen, die Chinesen und die - obgleich damals noch befreundeten - Amerikaner, stand trotzdem außer Zweifel. Beim ehemaligen Exportweltmeister, bei dem einstudierter Germanist nicht nur das globale Überlebensthema Klima managte, sondern mit der anderen Hand auch noch die Wirtschaft führte,  die das alles bezahlen sollte, war die Entscheidung gefallen, die Wirklichkeit einfach nicht mehr wahrzunehmen.

Unter Gebirgen aus Bürokratie 

Bessere Zeiten, sehr gute sogar, blieben unabwendbar, solange das R-Wort vermieden werde, hieß es. Wie im Märchen vom Rumpelstilzchen würde erst die Benennung des Bösen es in die Welt bringen. Verantwortungsvolle Politik wie verantwortungsvolle Medien hätten die staatsbürgerschaftliche Verpflichtung, die Menschen im Land vor der grausamen Wahrheit zu schützen, dass Deutschland nicht mehr konkurrenzfähig war. Zu unbeweglich unter Gebirgen von bürokratischen Vorschriften. Gefesselt von Lieferkettensorgfaltsgesetzen und Datenschutzaufbewahrungsregeln. Gegängelt aus Brüssel, geschubst aus Washington, gestolpert in die selbst aufgestellte Falle, allein berufen zu sein, die Menschheit vor dem Klima zu retten.

Die Rezession seit 2022 ist nicht nur die längste, die Deutschland jemals erlebt hat, sie ist auch die, die am wenigsten Aufsehen erregt hat. Kaum lag mal ein Hauch von Wachstum in der Luft lag, wurde es zu "recht robust" verklärt. Kaum zeigte sich der Hauch einer "positiven Entwicklung" (SZ), galt sie als Startschuss für einen Gipfelsturm zurück in die Wirtschaftswunderjahre. Die größte Sorge, die deutsche Medien plagte, war die vor einer "Trumpcession", mit der der neue Präsident die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten mutwillig in einen Abgrund stützen würde. Sieben Wochen nach dessen Amtseinführung warnen Ökonomen vor einem Negativwachstum der größten Volkswirtschaft der Welt. 

Stärker als erwartet 

Zwölf Wochen später ist die US-Wirtschaft stattdessen "etwas stärker gewachsen als erwartet", die deutsche hingegen etwas stärker geschrumpft. Im zweiten Quartal stieg das Bruttoinlandsprodukt in Amerika im Vergleich zum Vorquartal nach der deutschen Berechnungsmethode um 0,75 Prozent. 0,76 Prozent mehr als das deutsche. Verantwortlich waren gestiegene Konsumausgaben und ein - von Trumps Zöllen ausgelöster - starker Rückgang der Importe, der sich auch auf der anderen Seite des Atlantik zeigt.

Aber spiegelbildlich: Das "recht robuste" deutsche Wachstum im ersten Quartal hatte sich noch vorgezogenen Exporten nach Übersee verdankt. Als das wegfiel, schlugen die Investitionen in Ausrüstungen und Bauten, die nicht mehr getätigt werden, durch. Auf dem Bau, einem Gefechtsfeld, das die Veronika Hubertz mit mehr Wohnungsbau in leeren Büros, auf Supermarkt-Dächern und in neuen Plattenbausiedlungen für Arme beleben will, die jetzt "serielles Bauen" heißen, stürzen die Umsätze geradezu ab. 

Paket aus Kosmetik 

Mit einem Päckchen ähnlich kosmetischer sogenannter "Maßnahmen" geht die neue Bundesregierung die alten Probleme an. Für die weitere Abwicklung der Geschäfte lässt sich die Bundesregierung vom Haushaltsausschuss des Bundestags 208 neue Beamtenstellen genehmigen. Das Personal wird gebraucht, um den versprochenen Personalabbau in den auf inzwischen 17 Ministerien zu organisieren. 150 neue Stellen bekommt das Digitalministerium, von dem sich Kanzler Friedrich Merz einen Wachstumsschub erhofft. 

40 zusätzliche Beamte genehmigt sich der Regierungschef selbst, acht bekommt sein Vorgänger Olaf Scholz, dessen Hofstaat zur Durchführung seiner "nachamtlichen Tätigkeit" damit drei Stellen über der Grenze liegt, die der Bundestag 2019 für die Versorgung künftiger Ex-Kanzler beschlossen hatte. 

Nur Kleingeld


Doch der Arbeitsmarkt wird zunehmend eng und die riesigen Milliardenlöcher im Bundeshaushalt lassen es völlig belanglos erscheinen, ob nur eine kleine Kernmannschaft aus Büroleiter (B 6, knapp 11.400 Euro im Monat), drei Sachbearbeitern (Besoldungsgruppen E 11 bis E 14, bis zu 7.300 Euro), eine Sekretärin (E 8) und ein Chefkraftfahrer den früheren Regierungschef im Ruhestand betreuen oder zwei, drei oder zehn mehr. 

Das Geld ist da, der Staat hat gut gewirtschaftet  und ehe es irgendwo verschwendet wird, ist es in einem Ausbau des Wasserkopfes gut angelegt. Die schwarz-rote Koalition hat ja zusätzlich weitere durchgreifende Beschlüsse gefasst, die eine Wirtschaftswende je wahrscheinlicher machen, je länger länger die Rezession andauert. E-Autos, die Firmen sich anschaffen, werden künftig von Kleinverdienern steuerlich bezuschusst. Der Strompreis wird für Großkonzerne gesenkt, großzügig und solidarisch zahlen Wählerinnen und Wähler weiter den deutschen Fantasiepreis. 

Die eigentlich von SPD und Union vereinbarte Senkung der als "Luftverkehrsabgabe"  bezeichneten Fantasiesteuer, die nur Nutzer von Privatfliegern nicht zahlen müssen, bleibt erhalten, die Finanzierung der Zivilgesellschaft durch die Ministerien ebenso, dazu auch das erfolgreiche Heizungsgesetz mit den Vorgaben zur kommunalen Wärmeplanung. Erst von 2028 soll es dann auch Steuersenkungen geben, dann fängt ja auch der Wahlkampf an. 

Wie immer wird alles aber schon vorher viel besser, wenn auch vielleicht noch nicht gleich gut: Dieses Jahr wird es noch nichts, aber wie immer dann nächstes. Dann soll der Aufschwung wieder kommen, den einst der "Wumms", später der "Doppelwumms" und zuletzt der Investitionsbooster auslösen sollten. 

Mittwoch, 30. Juli 2025

Abgang aus der Politpuppenstube: Rente mit 26

Jette Nietzard geht schon  mit 26 in die verdiente Politrente. Abb: Kümram, Buntstift auf Zigarettenpapier

"Es waren immer die Frauen, und vor allem die jungen, welche die fanatischsten Anhänger der Partei waren, die Parolen nachplapperten, die Amateurspione und Aufspürer von Unorthodoxien waren." George Orwell, 1984 

Sie war kaum da, unverhofft aufgestiegen aus der vierten Reihe, als die erste sich im Zorn verabschiedete. Schnell zeigte sich ihr großes Talent, sich einen Namen zu machen. Jette Nietzard gelang es wie von Zauberhand, sich im Wolfsgehege der politischen Puppenstube einen zu machen, der wie Donnerhall durch die Gazetten klang.  

Wo die studierte Erzieherin aus Leverkusen auftauchte, war roch es streng nach Skandal. Obgleich erst 26  und nur mit der entsprechend geringen Lebenserfahrung ausgestattet, strahlte sie neben den übrigen Neueinstellungen der Berliner Soap wie eine Talgkerze neben kaputten Temu-Leuchten.

Ein Jahr in der Selbstdarstellerliga 

Und nun, nach nicht einmal einem Jahr in der ersten Selbstdarstellerliga, kündigt die Frau mit der übergroßen Brille und dem übergroßen Sendungsbewusstsein an, bei den anstehenden Vorstandswahlen  bei der Grünen Jugend nicht noch einmal antreten zu wollen. Nietzard, formell ohne richtiges Amt bei den Grünen, in der grünen Fraktion oder im Parlament, gibt Privilegien auf. Reporter der Leitmedien, die wissen wollten, "wie die tickt", empfing sie im Bundestag. 

Als Chefin der angeblich 18.000 grünen Jugendlichen sprach sie im Namen aller, die unter 30 sind. Jette Nietzard ließ ihrem Hass auf die, die "den Staat am laufen halten" (Lars Klingbeil) bei jeder Gelegenheit freien Lauf. Cops waren Bastards, Reiche nur gut dazu, besteuert zu werden bis es quietscht.

Während ihr Vorstandkollege Jakob Blasel den besonnenen gab, spielte sie die Abteilung Attacke einer Vereinigung, die längst aus dem Jugendalter heraus ist. Die Grüne Jugend, 1994 gegründet als eine Art Stachel im Fleisch der sich langsam etablierenden Partei,  sind heute eine Nachwuchszuchtanstalt. Aus der Reihen der Jungen, die den linken linken Flügel der Linkspartei mit dem Sonnenblumenlogo bilden, kommen traditionell sämtliche Führungskader der Grünen. 

Schleichend an die Macht 

So "Schleichend an die Macht", wie Vize-Fraktionschef Andreas Audretsch mal ein Buch genannt hat, haben sich die Langs, Banaszaks, Marquardts und Dzienus in die Positionen manövriert, die ihnen Sitz und Stimme in allen Talkshows sichert. Selbst ohne herausragendes Amt über sie noch Einfluss aus. Der Marschallstab bliebt immer im Tornister, denn jede Blamage ist kurzfristig peinlich. Langfristig aber dient sie der eigenen influence.

Nietzard hatte das von Anfang an verstanden wie sonst vielleicht nur ihr sozialdemokratischer Kollege  Philipp Türmer, der mit ähnlichem Aplomb auftritt. Immer ganz oben, immer voll drauf, weinerlich und kampfbereit zur gleichen Zeit und von faktenbasierter Weltbetrachtung so weit weh wie Ursula von der Leyen von der Chance, mit Donald Trump auf Augenhöhe zu verhandeln.

Verhältnisse beim Tanzen 

Jette Nietzard ist nicht nur eine der, sondern sie ist die Infantile, die für eine ganze Generation an Jungpolitikern steht, die glauben, dass Wünschen die Welt verändert. Der Mühen der Arbeit sind sie abhold, der Kenntnisse weitgehend frei, mit welcher Melodie sie die Verhältnisse zum Tanze bringen können, spüren sie allerdings instinktiv. 

Ihre Sache ist nicht der Zwischenton, sich verabscheuen das lange, leise Denken. Wo Nietzard auftaucht, plautzt allenfalls ein Halbgedanke heraus. Sie zieht es zum Schrillen hin, zur Grenze des Vernünftigen, dorthin, wo das Zuhören und Hinschauen wehtut. "Ich spalte gerne die Gesellschaft", hat die grüne Hoffnungsträgerin in einer romantischen Nachstellung früheren Rebellentums geschrieben, als ihre still nach rechts schleichende Eckkneipen-Partei gerade gar nicht wollte, dass das jemand Krawall macht.

Etwas anderes aber kann die Expertin für die Professionalisierung in der frühkindlichen Bildung aus einer kapitalismuskritischen Perspektive nicht. "Der Spalt geht nur nicht zwischen Geflüchteten und Deutschen, sondern zwischen Milliardären und allen anderen."

Jette Nietzard wird von denen geliebt, denen Spektakel als Politikersatz ausreicht. Und sie störte die Kreise derjenigen, die dorthin wollen, wo die Steuerräder stehen. Jetzt ist die Skandalnudel der Grünen ihre eigene Rolle leid. Sie werde im Oktober nicht noch einmal antreten bei der Vorstandswahl, hat Nietzard in der Gewissheit verkündet, dass die Spitze der Grünen ohnehin alles getan hätte, um ihre Wiederwahl vorbeugend zu verhindern. 

Die linke Stimme der Linken 

Sie habe versucht, eine linke Hoffnung und eine linke Stimme in den Grünen zu sein, entschuldigte sie sich einem Video bei der Meta-Tochter Instagram, gekleidet in ein T-Shirt mit dem versöhnlichen Aufdruck "Mehr Liebe" . Dass aus dem Versuch, "Aufmerksamkeit auf linke Themen und auf Ungerechtigkeiten zu lenken", eigener Ruhm wurde, war nicht beabsichtigt. Voller Selbstmitleid und Selbstgerechtigkeit quengelt sie noch zum Ende hin: "Bei den Grünen sind meine Gedanken nicht immer auf Gegenliebe gestoßen". Mal sei sie "in Fraktionssitzungen ausgebuht, mal von Realo-Spitzenpersonal angeschrien oder von Ministerpräsidenten oder solchen, die es werden wollen, ihr Rücktritt gefordert" worden. 

Ungeheuerlich. Statt sie bedingungslos zu lieben, die junge Frau ohne Bildungshintergrund, haben sie sie gemobbt. Gemobbt in einer Partei, die überraschenderweise "Realo-Spitzenpersonal" hat und, ja, Nietzards böser Abschiedsgruß liest sich so, in internen Diskussionen auftritt wie eine misogyne Hooligantruppe auf Auswärtsadrenalin.  Was genau Jette Nietzard in Fraktionssitzungen getan hat, welcher Rang, welches Amt oder welche Funktion ihr die Anwesenheit in einer Runde gewählter Volksvertreter erlaubte, verrät sie nicht. Ein Funktionsgeheimnis der Grünen. Der Jugend Vertrauen und Verantwortung.

Passiert ist passiert. Niemand kann etwas dafür. Als George Orwell, nach seiner Rückkehr aus dem Spanischen Bürgerkrieg immer noch ein Ultralinker, sich unter dem Eindruck des Hitler-Stalin-Paktes  zur Mitte bewegte, fielen ihm Gestalten wie Nietzard erstmals ins Auge. Diese "Intelligenzija", Orwell benutzte den in Russland gebräuchlichen Begriff, habe sich von der gemeinsamen Kultur der Nation getrennt. "Sie nehmen ihre Küche aus Paris und ihre Ansichten aus Moskau. In dem allgemeinen Patriotismus des Landes bilden sie eine Art von Insel abweichenden Denkens", schrieb er in "The Lion and the Unicorn" über "Intellektuelle, die sich ihrer Nationalität schämen". 

Die Scham der Intelligenzija 

Sein Testat, dass man "in Linkskreisen glaubt, dass es ein wenig schandbar ist, Engländer zu sein, und dass es eine Pflicht ist, sich über jede englische Institution lustig zu machen, vom Pferderennen bis zum Nierenpudding", lässt sich umstandslos auf die Nietzards übertragen: "Es ist eine merkwürdige Sache, aber es ist zweifellos wahr, dass fast jeder englische Intellektuelle sich mehr schämen würde, bei , God Save the King'aufzustehen, als etwas aus der Armenkollekte zu stehlen." 

Mit seinem Satz über "gerade dieses Mädchen", das ihm den Eindruck vermittelte, "noch gefährlicher zu sein als die meisten", könnte Jette Nietzard gemeint sein, die eine "Atmosphäre von Hockeyfeldern und kalten Bädern und Gemeinschaftswanderungen und allgemeiner Sauberkeit" mit sich "herumzutragen wusste".

Ideologie ersetzt Denken 

Ideologie ersetzt eigenes Denken, immer diese "fanatischsten Anhänger der Partei, die Parolen nachplapperten", in Orwells Nähe kamen, spürte er "ein mit Angst als auch Feindseligkeit gemischtes seltsames Unbehagen in sich". Eine Aura, die Nietzard selbst in der Fernwirkung umgibt, gemischt aus Selbstgerechtigkeit, Halbbildung und dem Bemühen, um jeden Preis aufzufallen. Verachtung für Andersdenkende ist inklusive.

Bis zuletzt hat Jette Nietzard festgehalten an dieser schrillen Strategie, die Demokratie als etwas zu verstehen, das ihr allein gehört, anderen aber nicht. Gefangen in einer Blase aus Fehlwahrnehmungen ist sie in großer Sorge darüber, dass Demokratie auch dann noch als funktionierend verstanden werden könnte, wenn ihr das Ergebnis einer Wahl nicht gefällt. "Wie vorbereitet ist unsere Zivilgesellschaft, wie vorbereitet sind unsere Parteien darauf, dass 2029 eine gesichert rechtsextreme Partei in Deutschland regieren könnte?", hat sie zum Abschied in einem Audio-Podcast der ARD gesagt. "Wir" müssten doch heute schon darüber nachdenken, wie Widerstand in so einem Fall aussehen kann: "Wäre der nur intellektuell? Oder müssten wir auch zu den Waffen greifen?"

Zollkriegstreiber: Lieber auf Knien sterben

Zollkriegstreiber: Lieber sterben als zahlen
Vor lauter Aufregung geriet dem "Merkur" die Grammatik außer Kontrolle.


Sie saßen schon in den Zollschutzbunkern und Handelsgranatstellungen und sortierten die Munition. Der Verteidigungswille der europäischen Eliten kannte kaum Grenzen, ihr Einfallsreichtum bei der Ankündigung, was sie den amerikanischen Zollkriegern alles antun würden, lenkten die nicht schleunigst ein, kein Vertun.

Gegenzölle. Neue Abgaben für Digitalkonzerne.  Ein genereller Ausschluss von US-Konzernen bei der Vergabe der besonders lukrativen Aufträge zur Umsetzung von großen EU-Programmen wie Green Deal, Digital AC und KI Act. Die Fantasie der Eurokraten kannte keine Grenzen. Amerika würde sehen, wer hier Koch und wer Kellner ist. Heulen und Zähneklappern hörten erfahrene Weltpolitiker wie der deutsche EU-Handelsausschusschef Bernd Lange in Washington. Niemals würde sich Europa ergeben. "Kein Deal zu US-Bedingungen!", rief der sozialdemokratische gelernte Lehrer aus Oldenburg. Der christdemokratische Kanzler pflichtete ihm bei. Schnell solle es gehen, aber fair müsse es sein.

Auf die Handelsbarrikaden! 

Die Drohkulisse hätte wirken sollen, sie hätte wirken müssen. Sie hätte zweifellos auch gewirkt, wäre alles andersherum gewesen. Doch während die politische Klasse den angeschlossenen Abspielstationen noch Geschichte vom Taco-Präsidenten erzählte - "Trump always chickens out" schrieben sie wie ein Mann auf einmal alle -  kniff der US-Präsident keineswegs. So empört, dass den Protokollanten die Grammatik entgleiste, trieb er "die Zoll-Eskalation" voran: "Trump beharrt auf seine Zölle" formulierte der ehemals eher konservative "Münchner Merkur", der heute als Schwesterzeitung der über Jahre radikalisierten ehemals linksliberalen "Frankfurter Rundschau" automatisch die dort verfertigten tiefgründigen Analysen übernimmt.

Doch es gab kein Biegen und kein Brechen. Eine feste Brandmauer stand zwischen Europa und dem Eingehen auf Trumps ungeheuerliche Forderungen. 15 Prozent auf alles! Das sind vier Prozent weniger als die EU jahrzehntelang auf amerikanische Importe erhoben hat! Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld? Europa dann ja nicht mehr, denn mit dem Ende des geliebten Systems des milliardenschweren Handelsungleichgewichts fehlt es dem Erfolgskontinent absehbar noch mehr als bisher an Finanzmitteln.

Bislang bezahlte Amerika  

Bernd Lange: Ein Gynasiallehrer gegen Trump.
So viele fällt aus. Sagenhafte 250 Milliarden Dollar Kredite mussten die USA im vergangenen Jahr aufnehmen, um sich mit Waren aus EU-Europa einzudecken. Hübsch abgeschirmt durch hohe Zölle, exportierte allein Deutschland, das außer Puste geratene Zugpferd der lahmenden EU-Wirtschaft, doppelt so viel in die USA, wie es dort bezog. Das viele, viele Geld konnte zum weiteren Aufbau von Bürokratie und Verwaltung genutzt werden. Es stärkte die Demokratie und die Zölle darauf  "bedeuten Einnahmen", lobte die EU die sprudelnde Geldquelle, aus der sie 14 Prozent ihrer Ausgaben deckt. 

Dass Trump das für Europa so segensreiche System ändern will, kam gar nicht gut an. Die wertebasierte Ordnung sei in Gefahr, wenn man selbst Zölle zahlen müsse, wie der andere sie bisher gezahlt habe. Man dürfe sich nicht beugen, ließ sich der französische Präsident vernehmen, der schon seit Jahren darauf dringt, die EU strenger vor schädlichen äußeren Einflüssen durch ausländische Waren, Dienstleistungen und Konzerne abzuschotten. 

Die EU-Vorsitzende Ursula von der Leyen, ins Amt gescheitert, als der Kommissionsvorsitz ausschließlich repräsentative Aufgaben mit sich brachte, schlüpfte ins Kettenhemd einer Zollkriegerin: Kein Fußbreit dem Faschisten, der, so hatten es alle europäischen Ökonomen ausgerechnet, allen schaden würde, vor allem aber seinen Amerikanern.

Europas Sorge galt den Amerikanern 

Denen galt, so seltsam es wirkte, Europas ganze Sorge. Trumps Wähler, barmten sie, würden doch für die verrückten Ideen ihres Präsidenten "bezahlen" müssen! Neue Zölle seien wie eine höhere Steuer,  hieß es. Jeder Aufschlag auf jeden Import lande am Ende auf der Supermarktrechnung eines einfachen Amerikaners. Alle werden verlieren, warnte ein vielstimmiger Chor. Die Inflation in den USA werde anziehen. Amerikaner würden ihre Jobs verlieren, Europäer ebenso. Der Welthandel komme zum Erliegen, wenn die für Europa so vorteilhafte "regelbasierte Handelspolitik" (Taz) künftig nach neuen Regeln betrieben werden müsse. 

Die sind einfach zu verstehen: Statt der angedrohten Strafzölle von 30 Prozent auf alle Importe aus der EU gibt es einen Standardzoll von 15 Prozent, der für nahezu alle Waren gilt, darunter Fahrzeuge, Halbleiter, Maschinen und Pharmaprodukte. Für einige Produktgruppen ist ein beidseitiger Zollsatz von null Prozent vereinbart, darunter Luftfahrtkomponenten, Chemikalien, einige Agrarprodukte, Generika und strategisch wichtige Rohstoffe. Nur auf Stahl und Aluminium bleibt es bei bis zu 50 Prozent. US-Firmen dürfen im Gegenzug für die höheren Zölle, die EU-Firmen beim Import in die USA zahlen, künftig zollfrei in die EU exportieren.

Frackinggas aus Amerika 

Andreas Bouverschulte: Ein ürgermeister gegen Trump.

Wie von Anfang an abzusehen war, bekam Trump, was er wollte. Um um sich dafür zu bedanken, verpflichtet sich die EU, in den kommenden drei Jahren jährlich US-Frackinggas, andere fossile Energieträger und Waffen im Wert von 250 Milliarden US-Dollar zu kaufen. Und, die EU-Kommission traut sich offenbar zu, das zu veranlassen, private europäische Unternehmen werden 600 Milliarden Dollar in den USA investieren - etwa so viel wie die große "Made for Germany"-Initiative der neuen Deutschland AG dem Bundeskanzler kürzlich in die Hand versprochen hatte.

Andreas Bovenschulte, als Bremer Bürgermeister Chef eines ganzen Bundeslandes, kam es bitter an "zu sehen wie die EU dabei ist vor Trump den Schwanz einzuziehen". Die habe "keine Ehre im Leib" und betreibe eine "Politik des Appeasement", die zum Scheitern verurteilt sei, "weil sie die andere Seite ermutigt immer weiter zu machen". Kommata hat der Sozialdemokrat nicht gelernt, Geschichte schon; Die Briten gaben Hitler Österreich und das Sudetenland, von der Leyen gibt Trump das Versprechen, "25.000TWh Flüssiggas", das "mind. 5Mrd.t CO2 verursachen wird" zu kaufen, wie derf Berliner Klimaprofessor Volker Quaschning errechnet hat.

Ein mieser Deal 

"Ein mieser Deal für unsere Kinder!", schreibt Quaschning. Ein gutes Geschäft für Donald Trump. Auf den ersten Blick so gut, dass die Kritiker von EU-Verhandlungsführerin Ursula von der Leyen die Messer wetzten. "Unterwerfung" rief es in Paris, von einem "schlechten Deal" schrieben führende Hauptstadtkorrespondenten. Wirtschaftsverbände äußerten Sorge, wie es nun wohl um die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Produkte bestellt sein werde. Wirtschaftsweise errechneten flugs, warum nun doch wieder nicht werden wird mit dem Aufschwung. 

Die einzige Hoffnung, das Unheil noch abzuwenden und aus dem Zollstreit einen richtigen Zollkrieg zu machen, liegt in den komplizierten europäischen Beschlussmechanismen. Von der Leyen kann viel versprechen, Stimmen nicht alle Regierungen zu, wird es nichts. Normalerweise ist da Einverständnisverfahren war Formsache. Wenn es sich doch einmal hinzieht, dann bekommen die, die pokern, in der Regel so lange Sonderbonbons, bis sie doch zustimmen.

Ein schwarzer Tag 

Hier aber hat Frankreichs Premierminister François Bayrou schon einen "schwarzen Tag" ausgerufen und vor politischen und wirtschaftlichen Folgen gewarnt, die deutsche SPD knirscht, der Ungar Orban hat die Chance genutzt, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Trumps Frühstück zu bezeichnen und Frankreichs Europaminister Benjamin Haddad äußerte scharfe Kritik, weil die USA vor, wirtschaftliche Erpressung zum Mittel ihrer Politik gemacht hätten - und Europa sich habe erpressen lassen. 

Wie der Franzose fürchtet auch der deutsche Ökonom Nikolas Blome um das Wohl der amerikanischen Verbraucher. Die müssten für den Zoll-"Sieg" Donald Trumps über die EU zahlen, "in Gestalt höherer Preise", warnt der bekannte Journalist, der damit genau das framing der Europafeinde bedient. Statt das Positive zu sehen - durch den künftig zollfreien Import von amerikanischen Waren sinken die Preise in der EU - verlegt sich der angesehene Hauptstadtreporter auf billiges EU-Bashing. 

Ein hervorragendes Verhandlungsergebnis 

Das hervorragende Verhandlungsergebnis, das die EU in künftigen Krisenwintern mit Freiheitsenergie versorgt, den Nachschub an modernen Waffen sichert und unnötige Handelsschranken bei Luftfahrtkomponenten, Chemikalien, einige Agrarprodukte, Generika und strategisch wichtigen Rohstoffen ganz abbaut, wird kleingeredet. Aus dem stattlichen Erfolg, den die EU dank ihrer glaubwürdigen Drohkulisse erringen konnte, wird die Behauptung, wirtschaftliche Zugeständnisse seien "ohne Gegenleistung" (Haddad) gewährt worden und der EU drohe deshalb jetzt ein "Bedeutungsverlust auf der Weltbühne".

Gerade letzterer Vorwurf  ist geradezu absurd. Längst genießt die Europäische Union weltweit einen ähnlich erfolgreichen Ruf wie das kubanische Wirtschaftsmodell. Dass die europäische Bevölkerung sich von Brüssel abwenden könnte, wie der Franzose Benjamin Haddad warnt, weil die Kommissionspräsidentin und ihr immerhin im Moskau der kommunistischen Ära ausgebildeter  Handelskommissar Maroš Šefčovič im Ringen mit Trump steuerfreie Importe herausgehandelt haben, erscheint bizarr. 

Beliebt wie nie 

Die Zustimmungswerte zur EU, die die Kommission selbst ermitteln lässt, sind auf einem Rekordwert angekommen. Die erreichten Erfolge jetzt zu torpedieren, indem das gefürchtete EU-Instrument gegen wirtschaftliche Erpressung (auf EU-isch "Bazooka") in Stellung gebracht wird, spielt nur dem Herren im Kreml in die Hände, der darauf spekuliert, dass sich die Nato-Alliierten im Streit ums Geld entzweien. Überzeugte Europäer wissen das. Weder Von der Leyen noch Freidrich Merz noch der zu harten Widerstand entschlossene Sozialdemokrat Bernd Lange haben nach der Verkündung des Zoll-Deals noch einmal mit digitalen Sondersteuern oder dem gezielten Marktausschluss von US-Konzernen  gedroht.

Vom Eis ist die Kuh jedoch noch nicht, denn der Widerstand gegen von der Leyens Deal reicht vom rechten bis zum linken Rand. In Deutschland stehen AfD, Linkspartei, Grüne und BSW gemeinsam gegen das Abkommen, das in Frankreich als "Europäische Abhängigkeitserklärung" verhöhnt wird. Obwohl die Vereinbarung nur deutlich macht, wo der Hase immer schon langläuft, werden seine Vorzüge gezielt schlechtgeredet und seine Schönheitsfehlerchen betont.

Ein fatales Signal 

Die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge, immerhin studierte Volkswirtin, hatte den Handelsdeal ein "fatales Signal", der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Roloff, nutzte die Gelegeneheit sogar, um von einer "schwachen Position§ der EU im "internationalen Welthandel"zu flunkern. Achim Post, einer der vielen stellvertretenden SPD-Chefs, bangte ein weiteres Mal demonstrativ um die heimische Stahlbranche, statt sich zu freuen, dass eine der klimaschädlichsten Industrien unter den neuen Voraussetzungen deutlich schneller abgewickelt werden dürfte als bisher geplant.

Von Nius bis ND, von Junger Welt bis FAZ sind alle empört und dagegen. Bouvenschulte, Mitglied einer Partei, deren Politik seit Jahren darauf abzielt, die alten deutschen Industrien abzuwickeln, hat traurig die drohenden Arbeitsplatzverliuste in Automobil- und Stahlundustrie zusammengerechnet. Der grüne Geschäftsführer, eine Spitzenkraft in einer Partei, deren Starminister sich für den Kauf von fossilem Frackinggas feiern ließ, hat die EU beschuldigt, sich "Trump unterworfen" zu haben, statt zu den Waffen zu rufen. Marine Le Pen vom Rassemblement National bezeichnete das Abkommen als "politisches, wirtschaftliches und moralisches Fiasko"

Alle Hoffnungen richten sich nun darauf,  dass die 27 EU-Mitgliedstaaten dem Abkommen doch nicht zustimmen. Statt eines schlechten deals gäbe es dann einen guten Zollkrieg.

Dienstag, 29. Juli 2025

Reiches neue Ruhestandspläne: Rente mit 59

Katherina Reiche Rentenpläne

Katherina Reiche hat angekündigt, dass eine Erhöhung des Renteneintrittsalters für die nicht infrage kommt, die schon  40 Jahre gearbeitet haben.

Endlich kommt Bewegung in die große Rentendiskussion. Nach Boomer-Soli und Zwangspflichtjahr für Senioren hatte sich die Debatte in eine Richtung verirrt, die drohte, immer mehr Ältere und Alter für ihre engagierte Lebensleistung zu bestrafen. Länger Arbeiten im Alter? Die hart arbeitende Mitte, die seit Jahrzehnten malocht hat, um den Laden zumindest bis vor fünf, sechs Jahren am Laufen gehalten haben, sollten Überstunden machen bis ans Lebensende, auf den Dächern Solaranlagen installieren, bis die Hüftgelenke streichen und in Ämtern Akten sortieren bis zum jüngsten Tag der Digitalisierung. 

Protest der Ruheständler 

Niemals. Der Protest der Ruheständler und derer, die glaubten, es bald werden zu können, grollte durchs Land. Zwar hatten sich die Medien bemühte, den Plan zur Boomer-Sondersteuer weitgehend geheim zu halten. Bis heute wissen mehr als 70 Prozent der Generation Boom nicht, dass ihnen künftig nur noch ein boomersteuerfreier  Freibetrag von 1.048 Euro zustehen soll und alle überschießenden anderen Einkünfte mit zehn Prozent Sonderabgabe belegt werden. 

Auch die Idee des Soziologen Klaus Hurrelmann, der für ein Pflichtjahr am Ende des Arbeitslebens eintritt, weil niemand das Recht habe, nach einer langen beruflichen Laufbahn mit 65 oder 63 "nur noch ein Leben in Freizeit führen" zu möchten, ist kaum einer größeren Anzahl Betroffener bekannt geworden. Hurrelmann, der auch mit 81 Jahren noch an der Universität in Bielefeld für seine  selbstausgedachte  Sozialisationstheorie krumm macht, will mit seinen Zusatzschichten für alle das "Solidaritätsgefühl zwischen den Generationen" stärken. Die Generationen aber wollen nicht. Die einen keinen Wehrdienst, die anderen kein soziales Pflichtjahr für Greise. Schließlich, sagen viele, hätten sie ja einst schon bei NVA und Bundeswehr ihren Teil zur Friedenssicherung beigetragen.

Vertiefte Spaltung 

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche hat der Diskussion, die drohte, die gesellschaftliche Spaltung weiter zu vertiefen, deshalb jetzt auch kurzerhand für beendet erklärt. Auf besonders geschickte Art: Vordergründig forderte die 52-Jährige, dass die Deutschen mehr und noch mehr und noch länger arbeiten. Versteckt in ihrem Vorstoß, den ihre eigene Partei reflexartig ablehnte, fand sich aber ein klarer Hinweis auf einen größeren Plan. 

Der Reiche-Satz, es könne "jedenfalls auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen" ist von großer Weisheit, aber auch von mathematischer Klarheit. Nach der aktuellen Lebenserwartung der Deutschen, die laut Statistischem Bundesamt für Frauen bei 83,5 Jahren und bei Männern bei 78,9 Jahren liegt, wäre ein deutsches "Erwachsenenleben" bei Frauen 60,5 Jahre lang, bei Männern nur 55,9. Katherina Reiches Rechnung ist einfach: Um mehr als zwei Drittel ihres Erwachsenenlebens gearbeitet zu haben, müssen Männer nur 37 Jahre arbeiten. Bei Frauen sind es aufgrund der längeren Lebenszeit 38.

Das Recht auf Renteneintritt 

Mit ihrer Ankündigung, die Lebensarbeitszeit der Deutschen müsse steigen, zeigt die Bundeswirtschaftsministerin in eine Richtung. Doch sie meint eine ganz andere. Im Augenblick noch muss die hart arbeitende Mitte auf ihr Recht zum Renteneintritt warten, bis sie zweierlei geschafft hat: Jeder Rentenanwärter muss mindestens 45 Jahre lang gearbeitet haben. Und er muss derzeit wenigstens 66  Jahre alt sein, in Bälde sogar 67. Auch das Recht auf einen früheren Eintritt hängt an vorgeschriebenen Arbeitszeiten und muss zusätzlich durch den Verzicht auf Rentenzahlungen gekauft werden.

Mit Reiche wird das anders werden. Die CDU-Politiker hat offenbar durchrechnen lassen, dass es reicht, wenn Menschen etwas mehr als zwei Drittel ihres Erwachsenenlebens mit Erwerbsarbeit verbringen. Für Männer, die schon vor dem Erreichen der gesetzlichen Erwachsenenschwelle - etwa als Azubi oder Lehrling mit 16 Jahren - berufstätig waren, wäre die sogenannte Reiche-Schwelle bereits mit 43 Jahren erreicht, nicht wie bisher mit 45. Bei Frauen liegt sie weiterhin genau dort. Eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters käme nicht infrage. 

Ernsthafte Brotberufe 

Mehr und länger arbeiten - Reiche hat mit dieser "ideologischen Phrase", wie sie die Grünen genannt haben, einen Paradigmenwechsel angekündigt. Wer sei Leben wie Klaus Hurrelmann mit Jahrzehnten unablässiger Ausbildung verbracht hat, ohne je einen ernsthaften Brotberuf zu ergreifen, kommt in der Tat nicht um eine längere Erwerbstätigkeit herum. Anderen aber bleibt "mehr Schufterei" (Die Linke) erspart. Statt wie Beschäftigten in den USA 1.800 Stunden pro Jahr zu arbeiten, wird es in Deutschland bei den aktuellen 1.340 Stunden bleiben, die sich allerdings mit der verlängerten Lebensdienstzeit häufiger wiederholen, um die sozialen Sicherungssysteme vor der Überlastung zu retten. 

Keine Deutschinnen: Das Land, das sich nicht gendern kann

Elf Deutschinnen sollt ihr sein: Das DFB-Team bei der EM der Frauenfußballspielerinnen litt spürbar darunter, dass es als einzige Mannschaft ohne eine weibliche Bezeichnung seiner Aktiven auskommen musste.

Sie waren alle da, die Engländerinnen, Spanierinnen und Französinnen, natürlich auch die Schweizerinnen, zumindest eine Zeit lang. Die Europameisterschaft im Frauenfußball, eine herabsetzende Bezeichnung, die aber gleichwohl den Sprung in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden hat, zeigte eine moderne Sportwelt, wenn gleich sie nicht ganz so modern war wie frühere Turniere. Die Regenbogenbinde erregte kaum mehr Aufsehen. Die englischen Fußballerinnen weigerten sich erstmals seit den großen Tagen von "Black Lives Matters", vor jedem Spiel rituell niederzuknien. doch es wurde auch kaum von "Damen" gesprochen, früher ein gängiger Terminus.  

Ein Tabu neben dem Platz 

Auch der offenkundige Mangel an farblicher Vielfalt ausgerechnet im Team des DFB blieb tabu - statt hier, bei den sichtlichen Mängeln im Bereich Integration auf die Suche nach dem Scheitern schon im Halbfinale zu gehen, verlegten sich Kommentatorinnen und Analystinnen auf Begriffe aus der Beckenbauer-Ära: Auch den Frauenfußballspielerinnen wurden die großen deutschen Sekundärtugenden zugeschrieben. Wille, Kampf, Mentalität. Nicht genannt, aber gemeint waren Helmut Schmidts "Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Standhaftigkeit", jene deutschen Eigenschaften, die der spätere SPD-Chef Oskar Lafontaine einmal die Voraussetzung nannte, "auch ein KZ zu betreiben." 

Streitbar und feministisch in einem so selbstverständlichen Sinn, das Deutschland größtes Gleichstellungsproblem nicht ein einziges Mal auf die Tagesordnung geriet. Denn zwischen all den Waliserinnen, Norwegerinnen, Isländerinnen und Polinnen und Däninnen, vom Männerverein Uefa wie selbstverständlich "Teilnehmer" genannt, klafft ein sprachlicher Abgrund, mit dem die Kommentatorinnen einmal mehr heftig zu kämpfen hatten. Deutschland, ein Vorbild für die Welt, was Gendersprache anbelangt, erwies sich als unfähig, seine eigenen Fußballerinnen zu gendern. 

Eine verdrängtes Problem 

Öffentlich ist das Problem kaum bekannt. Bisher wurde es vom Medien, Wissenschaft und Politik totgeschwiegen. Die Frauenfußball-EM aber verdeutlichte einmal mehr: Es gibt weder "Deutschinnen" noch "Deutschländerinnen" in der deutschen Sprache. So wenig diese eigentümliche Sprache einen Reim auf "Mensch" kennt, so wenig lässt sie auch 700 Jahre nach dem Abschied vom Mittelhochdeutschen zu, dass Frauen mit einem eigenen Wort als Staatsbürgerinnen respektiert werden.

Es ist eine Peinlichkeit sondergleichen. Ausgerechnet in der deutschen Sprache, die mehr als viele andere die Möglichkeit gibt, Berufe, Rollen und soziale Funktionen geschlechtsspezifisch zu markieren, fehlt es an einer Formulierung, die Frauen endlich auch als Staatsbürgerinnen - etwa im Sportdress - ihren männlichen Kollegen gleichstellt. 

Am Designation Gap 

Vom designation gap spricht die Gebärdendolmetscherin Frauke Hahnwech, die sich bereits seit Jahren für die Neuschaffung eines entsprechenden Begriffes starkmacht. Sie verweist auf langjährige Traditionen: Während im Englischen ein "doctor" sowohl männlich als auch weiblich sein kann, kennt das Deutsche den Arzt und die Ärztin, den Lehrer und die Lehrerin. Diese sprachliche Präzision habe in den letzten Jahrzehnten eine intensive Debatte über geschlechtergerechte Sprache ausgelöst, die in Formulierungen wie "Bauarbeiter:innen" oder "Studierende" gipfelt. Mit denen sei versucht worden, die sprachliche Ungerechtigkeit zu neutralisieren, sagt Hahnwech. 

Doch während Deutschland wegen dieser Bemühungen in Sachen Gendern weltweit als Vorreiter gilt, sei ein besonders sensibler Bereich auffällig unberührt geblieben. "Wir haben bis heute keine Bezeichnung für weibliche Staatsangehörige", klagt Frauke Hahnwech. Es geb Engländerinnen, Spanierinnen, Französinnen – aber keine Deutschinnen. Die auf Live-Übersetzungen aus dem Politischen spezialisierte Mitteldeutsche ist es leid. "Denn ein Blick in die Sprachgeschichte zeigt doch, warum diese Lücke besteht und welche Hürden einer Einführung im Wege stehen." 

Versäumnisse in der Historie 

Die historische Wurzel hat Hahnwech in jahrelangen Forschungen in einem Versäumnis in der Historie gefunden, das weit zurück liegt.  Schon im Althochdeutschen seien Berufe oder soziale Rollen oft durch Suffixe wie "in" für Frauen markiert worden. Diese Praxis setzte sich mit dem Übergang zum Mittelhochdeutschen fort und sie sei im Neuhochdeutschen weiter verfeinert worden. "So entstanden Bezeichnungen wie Königin oder Bäuerin, die klar das Geschlecht der Person anzeigten." Weil es damals aber noch kein Deutschland im Sinne des heute weltweit hochanerkannten Staates gegeben habe, sei die Bildung einer Bezeichnung für weibliche Staatsangehörigen wohl schlicht vergessen worden. 

Hahnwech ist sicher: "Es entwickelte sich eine andere Dynamik, Deutsche schauten auf andere Länder und begannen zwischen weiblichen und männlichen Staatsangehörigen zu unterscheiden, indem sie sie mit den üblichen Suffixen versahen. Neben dem Engländer entstand die Engländerin, zum Russen gesellte sich die Russin. Für Deutsche aber blieb es bei einem Wort: Der Deutsche ist bis heute auch die Deutsche. Eine spezifisch weibliche Form wie Deutschin kennt weder die Umgangssprache noch der  Duden oder der Rat für deutsche Rechtschreibung.  "Der Grund liegt in der historischen Entwicklung des Begriffs Deutscher, der zu einer Zeit Mode wurde, als die Gesellschaft stark patriarchalisch geprägt war." 

Definition durch den Mann 

Staatsbürgerschaft und nationale Identität seien damals primär über den männlichen Bürger definiert worden. Das Wort "Deutscher" war somit nicht nur eine Bezeichnung für die Nationalität, sondern auch ein Symbol für den männlichen Staatsbürger, der politische Rechte und Pflichten trug – "Frauen waren in dieser Zeit weitgehend von politischer Teilhabe ausgeschlossen, niemand benötigte eine weibliche Form wie Deutschin."

Nicht einmal diese grammatische Ableitung, mit der deutsche Muttersprachler heute selbstverständlich Frauen aller anderen Nation bezeichnen, fand auf die Hälfte der deutschen Staatsbürger Anwendung. "Und dabei ist es aus Gewohnheit geblieben - oder eben, weil männliche Vorgaben immer noch den Sprachgebrauch bestimmen." Deutsche Frauen sind dadurch bis heute die einzigen weiblichen Wesen weltweit, die ohne eine eigenständige sprachliche Identität auskommen müssen. "Während deutsche Muttersprachler andere weibliche Landsleuten die weibliche Formen wie Engländerin oder Französin zubilligen, um sie dadurch zu integrierten, muss die deutsche Frau mit einer de facto männlich konnotierten Form leben."

Der Deutsche als Standard 

Unwidersprochen gilt der Begriff "Deutscher" bis in engagierte Genderkreise als selbstverständlicher  Standard für alle Geschlechter. Die Forderung nach einer weiblichen Form wie "Deutschin" oder "Deutschländerin" wird nicht einmal dort aufgemacht, wo experimentell nach genderneutralen Benennungen für Varianzen gesucht wird, die oft nicht einmal im univesitären Mileus usus sind.

Zwar hat die Genderdebatte die deutsche Sprache in den letzten Jahren nachhaltig verändert und die Gesellschaft entlang des sogenannten *-Grabens gespalten. Doch seit der Einführung des Gendersternchens ("Bauarbeiter*innen“", des Binnendoppelpunkts ("Radfahrer:innen") oder der Binnen-I ("LehrerInnen") stockt die Entwicklung. So konnte sich das Partizip Präsens, etwa in "Studierende" als vermeintlich geschlechtsneutrale Form etablieren, geopfert wurde dabei jedoch die sprachliche Akkuratesse: "Studierende" bezeichnet eigentlich Menschen, die gerade studieren, nicht die Gruppe der Studenten insgesamt. Zu Kollisionen kommt es, wenn Stapelverarbeitungen notwendig sind. Ein Student konnte früher durchaus auch ein Radfahrer sein. Ein Studierender aber ist niemals zugleich ein Radfahrender.

Ausdruck eines Wandels 

Diese Entwicklungen sind ein Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels, der Frauen und nicht-binäre Personen sichtbarer machen will, dabei aber das Wichtigste vergisst: Den Begriff "Deutscher" mitzunehmen in den Sprachwandel. Er wird nicht nur als Nationalitätsbezeichnung, sondern auch als Symbol für die Nation verstanden. Ohne einen Begriff wie Deutschinnen kann keine sprachliche Einheit der Nation erreicht werden. "Die Deutschen als Bezeichnung für eine Mannschaft aus Frauen ist unterirdisch", urteilt die Sprachexpertin.

Deutsche Frauenfußballspielerinnen finden sich in dieser Situation ebenso als "Deutsche" abgewertet und unsichtbar gemacht wie ein Frauengruppe aus Schwerin, die im Auslandsurlaub als "die Deutschen dahinten" maskulinisiert wird. In einer Zeit, in der nationale Identität ohnehin kontrovers diskutiert werde, erscheine eine Veränderung dringend geboten, sagt Frauke Hahnwech. "Dass wir alle glauben, dass die Bezeichnung Deutsche auch für eine Frau bereits grammatikalisch korrekt ist, bedeutet nicht, dass sich als inklusiv wahrgenommen wird."

Die Sprache hat alle Möglichkeiten 

Die deutsche Sprache gibt der Gesellschaft aus ihrer Sicht alle Möglichkeiten, die "Deutschin" komplementär zu "Polin" und "Ukrainerin" morgen einzuführen. "Das Deutsche ist durch seine Flexionsvielfalt komplex, aber auch dynamisch", sagt die Sprachexpertin. Die Einführung einer neuen Form wie "Deutschinnen" würde nicht nur die Sprachgewohnheiten verändern, sondern sie könnte auch in alle bestehenden Texte, Gesetze und Dokumente eingeführt werden, ohne die bei vielen ungeliebten Gendersternchen oder ungelenke Formulierungen wie "Studierende" bemühen zu müssen. "Wir sprechen von Schwedinnen und Türkinnen, warum also nicht von Deutschinnen?"

Dass ein solcher Sprachwandel, den der neue Kultusminister Wolfgang Weimer anschieben sollte, auf Widerstand in traditionalistischen Kreisen treffen würde, schreckt Hahnwech nicht ab. "Ich weiß, dass die Einheitsbezeichnung "Deutscher" für manchen ein unverrückbares Symbol ist, das durch eine geschlechtsspezifische Aufspaltung entwertet würde." Doch die mediale Berichterstattung zu Frauen-EM der Fußballerinnen habe gezeigt, wie sehr deutsche Sportlerinnen zurückgesetzt würden: "Jeden Tag ging es um Engländerinnen, Spanierinnen und Französinnen, dagegen wurden unsere deutschen Spielerinnen konsequent nur als Deutsche bezeichnet, als seien sie Männer."

Es geht um Gerechtigkeit 

Es gehe nicht um Geschmack, es gehe um sprachliche Gerechtigkeit, sagt Frauke Hahnwech. Die Einführung der Begriffe "Deutschin" und "Deutschländerin" sei nicht nur eine dringend erforderliche sprachliche Konvention, sondern auch ein Zeichen dafür, dass die Genderdebatte im Bereich der Nationalitätsbezeichnung angekommen sei. 

Die Medien, die oft als Treiber gesellschaftlicher Debatten fungierten, dürften sich nicht länger scheuen, neue Formen wie "Deutschinnen" zu verwenden, weil sich  befürchteten, ihre Leserschaft zu verprellen oder als zu progressiv wahrgenommen zu werden. "Die  Einführung der Deutschin in unsere Sprache wäre ein machvolles Zeichen dafür, dass die Angst vor einer weiteren sprachlichen Spaltung den Fortschritt nicht aufhält."

Montag, 28. Juli 2025

Nach gellendem Kampfgebrüll: Der Kotau der EU

Von der leyen Trump Turnberry Kotau
Vorgeladen ins schottische Turnberry: Ursula von der Leyen (l.) hatte sichtlich Mühe, beim Vortrag des US-Präsidenten nicht in ein eifriges Dauernicken zu verfallen.
 

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Noch zwei Stunden vor dem Finale sitzt Ursula von der Leyen hochgespannt und übernervös auf einem Ohrensessel in Schottland, Golfplatzambiente hinter sich vor dem Fenster, auf dem Tischchen in Griffweite ein Trauergesteck und eine Mappe mit Unterlagen, die sie ihrem Gastgeber Donald Trump unbedingt noch zeigen will. Vielleicht überzeugt ihn das, haben sie sich in Brüssel gesagt. Auch die Petition der Kerzenmacher hat schließlich einiges erreicht, wenn auch nicht das, was sie erreichen sollte.

Vorgeladen nach Schottland 

So ist es auch hier in Schottland, hoch oben in Brexitland, in einer Gegend, von der EU-Mächtigen zeitweise gehofft hatten, sie würde sich noch einmal für unabhängig erklären wie damals oder Bonnie Prince Charlie  und dann hinüberwechseln in die Gemeinschaft der Festlandseuropäer. Trump, aus einer deutschen Familie stammend und als US-Präsident jederzeit in der Lage, die europäischen Partner zu Gesprächen auf Augenhöhe nach Washington einzubestellen, hat Schottland natürlich bewusst gewählt, um die mächtigste Frau der Welt zu treffen. Es ist eine Vorführung, eine Blamage, ein Duell zwischen Selbstbewusstsein und Angst.

Von der Leyen, aus längst vergessenen Gründen an die Spitze der EU-Kommission gescheitert und durch die Unmöglichkeit, ohne allergrößte Not einen anderen Kandidaten zu finden, dort bis zum Ende ihrer zweiten Amtszeit festgeschweißt, spielt selbst gern die Rolle der Löwin. Hier ist sie der Bettvorleger. 

Unterdrücktes Dauernicken 

Trump spricht, sie schweigt. Trump erklärt die Welt, sie hat sichtlich Mühe, ein Dauernicken zu unterdrücken. Als der Präsident über die schädlichen Folgen von Windkraftanlagen für Kühe und Landschaftsbild spricht, fährt sie ihm nicht in die Parade. Als er eine Zwischenbilanz seiner Migrationspolitik zieht - "wir hatten keine Einreisen mehr" - und einen fröhlichen Blick hinüberwirft, widerspricht sie nicht. Ursula von der Leyen ist gekommen, alles zu schlucken und  allem zuzustimmen, wenn sie nur am Ende des Abends wird sagen dürfen, dass es die Sache wert war.

So kommt es denn auch. Seit Donald Trump im April erklärt hatte, dass er beabsichtige, die für die Vereinigten Staaten bisher unvorteilhaften Welthandelsgewohnheiten zu ändern, hatte die EU sich auf die Brust getrommelt. Wer die Axt an ein System setze, in dem US-Firmen, die nach Europa exportieren, hohe Zölle bezahlen müssen, EU-Firmen, die Waren in die USA verkaufen, hingegen wenig, der müsse mit harter Gegenwehr rechnen, tönten sie in Brüssel, Paris und Berlin. 

Im Ursprung eine Zollunion 

Kein Wunder, denn im Ursprung war die EU bei ihrer Gründung im Jahr 1968 eine Zollunion. Sie zielte anfangs darauf, Unternehmen in ihren Mitgliedsstaaten den Handel durch harmonisierte Einfuhrabgaben zu erleichtern, indem Zölle auf Waren aus Nicht-EU-Ländern einheitlich abkassiert wurden. Bis heute sind die Zollbehörden der EU-Länder stolz darauf, "wie eine einzige Behörde zusammenzuarbeiten". Mögen EU-Staaten auch unterschiedliche hohe Umsatz- und Einkommenssteuertarife haben: Auf Waren, die aus Drittländern außerhalb der EU in ihr Hoheitsgebiet eingeführt werden, wenden sie einheitlich die gleichen Zolltarife an. 

TTIP, das über Generationen verhandelte Freihandelsabkommen mit den USA, fiel am Ende auch durch, weil die EU Zölle als politisches Erziehungsinstrument nutzt. Wer sich ihren Regeln und Vorschriften unterwirft, der darf auf Milde bei der Einfuhrbesteuerung rechnen. Wer an seinen eigenen Vorgaben festhalten will, der bekommt kein "Transatlantic Trade and Investment Partnership"Sondern, China weiß ein Lied davon zu singen, Strafzölle, Handelskrieg und die Androhung, wenn nicht, dann aber.

Der Schwanz und der Hund 

Donald Trump hat bei den Lektionen gut aufgepasst, die die Europäische Union in Asien an den Mann bringen wollte. Allerdings hat der US-Präsident aus dem Scheitern des europäischen Versuchs, als Schwanz mit dem Hund zu wedeln, seine Lehren gezogen. Je länger der Zoll-Deal mit Werteeuropa  in der Schwebe blieb, je mehr Abkommen die USA mit anderen Handelspartnern wie Großbritannien, Japan, China, Indien, Vietnam und Indonesien schlossen, desto größer wurde der Druck. Und unter dem standen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr noch im kommunistischen Moskau ausgebildeter Handelskommissar Maroš Šefčovič, denn die 27 für die eigenen handelsangelegenheiten nicht mehr zuständigen Mitgliedsstaaten verlangten, dass irgendetwas geliefern wird, das sich als Erfolg verkaufen lässt.

Trump ließ die Europäer zappeln. Ausgerechnet dort, wo die Zollschranken seit Jahren höher und höher gezogen werden, schwollen Jammer und Zähneklappern orkanisch an. Natürlich hatte die EU zuletzt immer wieder die Bagatellgrenzen für steuerfreie Importe von Privatleuten erhöht.  Natürlich wurden  neue EU-Regel verabschiedet, mit denen die Gemeinschaft der 27 der Globalisierung Grenzen zieht und sie vor dem Weltmarkt abschottet. Natürlich sind die 19 Prozent Einfuhrumsatzsteuer ein Zoll, der nur anders heißt. Und natürlich wird alles noch teurer, wenn erst die neue Grenzausgleichsabgabe aufgerufen wird, die Güter, die dank der Arbeitsteilung in anderen Weltgegenden günstiger hergestellt werden können, aus der Gemeinschaft heraushalten soll, um die Restindustrie grüner zu machen.

Titanenkampf gegen Unvernunft 

Die Geschichte, die die EU-Kommission erzählt, das Echo hallt zuverlässig durch alle deutschen Medien, ist die eines Titanenkampfes gegen Unvernunft. Wenn zwei dasselbe tun, ist es das Gleiche. Aber wenn einer es gut meint, dann muss man ihm dankbar sein. Der dagegen, der Böses im Sinn hat, dem darf nicht nachgegeben werden.  

Über Monate fütterte die Kommission ihre Abspielkanäle mit Nachrichten über in Arbeit befindliche Zoll-Listen, die Amerika treffen würden wie ökonomische Atombomben. Man arbeitet an "Gegenmaßnahmen", die sich gewaschen würden. Man strickte Woche für Woche weiter an Sanktionsideen, mit denen dem Weißen Haus Mores gelehrt werden würde. Erste originelle Überlegungen zielten darauf ab, die Überproduktion der europäischen, speziell der deutschen Industrie, künftig einfach woandershin zu verkaufen, wenn die USA nicht einlenken. 

Pläne in der Schublade 

Ein raffinierter Plan, den nun aber in der Schublade bleiben kann.  Aufrecht sitzend und die eine Hand furchtsam an die andere geklammert, hat Ursula von der Leyen soll nach drei Monaten einen  Zollhandel erreicht, der die tief in der Rezession steckende deutsche Wirtschaft nicht retten wird. Ihr zumindest aber auch keine zusätzlichen Lasten aufbürdet. 

Das Ganze kostet die USA keinen Cent, jeden einzelnen EU-Bürger aber auch nur etwa 2.500 Euro. Importeure müssen ab 1. August einen Basiszoll von 15 Prozent für Waren aus der EU zahlen, die sie in die Vereinigten Staaten einführen. Dazu hat Ursula von der Leyen dem US-Präsidenten versprochen, dass europäische Firmen in den USA Investitionen im Umfang von 600 Milliarden Dollar tätigen werden. Und europäische Firmen Energie und Rüstungsgüter im Wert von 750 Milliarden Dollar von den Vereinigten Staaten kaufen.

Das ist kein "Kompromiss" (Tagesschau), sondern ein Kotau. Das ist kein "Deal", sondern das, was Donald Trump von Anfang an wollte: Die 250 Milliarden, die bisher Jahr für Jahr aus den USA nach EU-Europa flossen, weil die Europäer mehr in die Vereinigten Staaten verkauften als umgekehrt, werden repatriiert. In dreimonatigen Verhandlungen mit Backenaufblasen und Brusttrommeln hat die EU damit deutlich schlechtere Konditionen erstritten als sie Trump Großbritannien eingeräumt hat

Das Geschäft ist sogar teurer als das, das die USA vor einigen Tagen mit Japan geschlossen haben. Und selbst ein Sahnehäubchen gibt es nicht: Die Zölle für Stahl und Aluminium, seinerzeit von der EU als neue Waffe im Kampf auf dem Weltmarkt eingeführt, bleiben bei 50 Prozent. 

Stahl ist sowieso vorbei 

Angesichts des Zustandes der deutschen Stahlbranche ist das kein Beinbruch. Noch vier, fünf Jahre vielleicht, dann hat es sich ohnehin ausgekocht am letzten Hochofen. Der Rest des Erreichten entspricht allem, nur nicht den Erwartungen, die das Kriegsgeheul aus Paris und Brüssel zuletzt noch einmal hochgeschraubt hatte. Emmanuel Macron, Präsident eines Landes, das im transatlantischen Handel keine Rolle spielt, hatte die EU-Kommission aufgefordert, "die Entschlossenheit der Union zu bekräftigen, die europäischen Interessen entschlossen zu verteidigen". Von der Leyen versprach, darauf zu dringen, dass die Sonderzölle für einzelne Branchen wie die Autoindustrie sowie die Pharma-, Chemie- und Stahl- und Aluminiumindustrie abgeschafft würden. 

Halb ist das gelungen, halb nicht. Doch als Ursula von der Leyen vom Berg zurückkam, jubelte sie über ein  "gutes Abkommen", ehe noch die ersten Kritiker ihr Versagen vorwerfen konnten. "Wir sollten nicht vergessen, wo wir herkommen", rief die 69-Jährige in Erinnerung: Im April noch hatte sie in einer Kurzschlussreaktion Vergeltungszölle angekündigt, ohne zu bedenken, dass der, der mehr importiert, einen Zollkrieg mit dem, der exportieren muss, immer gewinnt. Jetzt grient sie zufrieden, das Gemecker der Kritiker kann ihr nichts anhaben, denn die Börsen steigen. 

Kein Aufschwung in Sicht 

Die Einigung mit den USA wird der schrumpfenden deutschen Wirtschaft nicht zum erhofften Aufschwung verhelfen, zudem fällt mit "Trumps Zölle" eine beliebte Ausflucht als Erklärung für die seit drei Jahren anhaltende Rezession weg. Doch nach der Einigung mit den USA steht die Einigung darauf, "eine für beide Seiten akzeptable Einigung" (Macron) erzielt zu haben und nun wenigstens sicher planen zu können. "The biggest deal ever made", wie Trump seinen Geschäftsabschluss mit der EU lobt, steht nur bei denen unter Beschuss, die im Märchenpalast der Illusionen leben, dass Kunden den Bäcker dringender bräuchten als der Bäcker die Kunden.

Zehn, 15 oder 30 Prozent, es spielt letztlich keine Rolle. Zölle schaden der Wirtschaft immer nur, wenn sie geändert werden. Sind sie eingepreist, verändern sich die Warenströme. Haben sie sich erst geändert, freuen die einen sich über Gewinne, die anderen lecken ihre Wunden oder sie sind einfach nicht mehr da.

Ganz ohne Einfluss von außen und große Zollauseinandersetzungen hat sich die Europäische Union in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten ein umfangreiches Knowhow in diesem Bereich zugelegt: Vorschriften, Regeln und Anforderungen, Steuern, Abgaben und Preise für Versorgungsgüter wurden nach und nach so verändert, dass eine Branche nach den anderen verschwand. Hinter Nokia bis Qcells kam nichts mehr nach und da wird auch nichts mehr kommen, so laut die neue Deutschland AG auch von Milliardeninvestitionen trompetet.

Der große Deal, er rettet nicht Europa, er rettet auch nicht deutschlands Wirtschaft. Er rettet nur Ursula von  der Leyen. 

Queers for Killers: Don't cry for me Palästina

Kümram Ölgemälde queers for Palestine
Der junge Maler Kümram hat eine typische Liebeserklärung an das rigide Terrorregime der Hamas in Öl gemalt: In den deutschen Bionade-Vierteln lebt der Traum, dass selbst brutaler Steinzeit-Islamismus besser sei als Demokratie und Marktwirtschaft.

Devot und dienstbar zeigt die Staatsmacht ein weiteres Mal ihr hässliches Gesicht. Während im Gaza-Steifen nun schon seit fast zwei Jahren kein Wasser mehr fließt, kein Treibstoff mehr vorhanden ist und die Menschen wegen der Hilfsgüterblockade der israelischen Streitkräfte hungern müssen, hat die Polizei in Berlin sich deutlich auf die Seite des Aggressors gestellt: Eine queere Demo, deren Teilnehmer sich im Stadtbezirk Kreuzberg solidarisch mit dem antiimperialistischen Befreiungskampf der Hamas und den Bemühungen der palästinensischen Autonomiebehörde zur Anerkennung Palästinas als vollwertigem Terrorstaat erklärten, wurde kurzerhand aufgelöst.  

Queer Pride for Killers 

Die Polizeiführung begründete die Maßnahme mit angeblichen Angriffen auf Beamte und antisemitischen Parolen, die aus der Versammlung unter dem Titel "Internationalist Queer Pride for Liberation" heraus gerufen worden seien. Trotz mehrmaliger Aufforderungen habe die Versammlungsleitung nicht auf die Teilnehmenden eingewirkt, so dass es keine Alternative zur frühzeitigen Beendigung der vorschriftsmäßig als "propalästinensisch" angemeldeten Konkurrenzveranstaltung zum parallel laufenden großen Christopher Street Day gegeben habe. 

Das Zeichen aber, dass queere und linke Menschen in Deutschland fest an der Seite der von Israel über Gebühr angegriffenen und bekämpften Terrororganisation Hamas und ihrer Wählerinnen und Wähler stehen, ging schon um die Welt. Knapp die Hälfte der Menschen in Gaza und im Westjordanland hatte bei der letzten demokratischen Wahl im früheren britischen Mandatsgebiet für die Abgeordneten von "Wandel und Reform" gestimmt, wie sich die "Ḥarakat al-muqāwama al-islāmiyya" (Islamische Widerstandsbewegung) anlässlich ihres ersten Auftritts als Demokratiebewegung nannte. 

Die Partei der Terrorarmee 

Auf Anhieb eroberten die Islamisten die absolute Mehrheit im "Legislativrat", wie sich das Operettenparlament der Palästinensergebiete nennt. Mit 76 der 132 Sitze verwies die frischgegründete Partei der Terrorarmee die traditionell herrschende Fatah-Bewegung auf Platz zwei. Nach einem blutigen Machtkampf mit den Einheiten der moderaten Islamisten der früheren Arafat-Bewegung übernahm im Gaza-Streifen erstmals seit der ersten Machtergreifung der Taliban in Afghanistan wieder offiziell eine terroristische Organisation die Regierungsverantwortung in einem Land, das zwar längst nicht von allen, aber von der Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten anerkannt wird.

Dass in einer Weltstadt wie Berlin 10.000 queere und queersolidarische Menschen zusammenkommen, um mit "antisemitischen Parolen" und Flaschen- und Farbbeutelwürfen auf Polizeibeamte für das totalitäre Herrschaftssystem der Terrororganisation zu werben, zeigt die Anziehungskraft der Idee, dass selbst brutaler Steinzeit-Islamismus besser sei als Demokratie und Marktwirtschaft. 

Wie die großen demokratischen Parteien mit Blutprinzen schmusen und mit Schweinehunden ins Bett zu gehen bereit sind, wenn es ihren Zwecken dient, ist der Nachwuchs der Bionade-Viertel willig, sich für Vertreter einer menschenverachtenden Ideologie einzusetzen. Sie muss nur geeignet erscheinen, gegen den eigenen Hauptfeind in Stellung gebracht werden zu können. 

Dass die Hamas ihre militärischen Anlagen wie etwa Raketenstellungen oder Kommandozentralen am liebsten in zivilen Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Schulen errichtet, um Israel die Schuld für zivile Opfer zuschieben zu können, spielt keine Rolle. Großmütig schaut die in selbst ausgedachtes Palästina der antikolonialen Emanzipation verliebte revolutionsromantische Linke auf das blutige Werk der Islamisten. 

Die Liebe der Linken 

Die heiße Liebe der Linken zum Islamismus ist dabei nicht neu. Schon die antikapitalistischen Mörder RAF pilgerte zu den Waffenbrüdern in den Nahen Osten, um sich von palästinensischen Freiheitskämpfern Bomben und Schießen beibringen zu lassen. Schon im Kalten Krieg statteten die sozialistischen Regime die Gegner Israels mit Munition, Maschinenpistolen, Minen und Granaten und Jagdflugzeugen aus. Der Hass auf den Imperialismus, der mit seinen wirtschaftlichen Erfolgen und einem individuellen Wohlstandsversprechen für jeden Milliarden von seiner Überlegenheit überzeugte, 

Der Feind meines Feindes ist mein Freund, und ein erbitterterer Feind der modernen israelischen Demokratie als die Hamas, die Hisbollah und den Iran lässt sich nicht finden. Die internen Gebräuche im Umgang mit Andersliebenden sind hart.  Erwischten Homosexuellen drohen im Gazastreifen Auspeitschen oder gar der Tod, obwohl für einvernehmliche homosexuelle Handlungen nach dem dort weiterhin geltenden Abschnitt 152(2) der Verordnung 74 des Strafgesetzbuches aus britischer Mandatszeit von 1936 "nur" Strafen von bis zu zehn Jahren Haft vorgesehen sind. 

"Verpönt" in Gaza 

"Mal halbe Stunde offen queer sein im Hamas-kontrollierten Gaza-Streifen – gute Reise", hatte der - homosexuelle - CDU-Politiker Jens Spahn denen empfohlen, die das nicht wissen wollen. Doch wo die Liebe hinfällt, verzeiht sie alles. "Homosexualität ist in Palästina verpönt - wer sich outet, riskiert sein Leben", kritisierte der "Spiegel" sanft. 

Dabei ist offen queer leben in Gaza ist wie der Versuch eines Schneemanns, auf der Oberfläche der Sonne zu existieren. Doch vor die Wahl gestellt, sich für die Verteidigung einer freiheitlichen Demokratie wie Israel einzusetzen oder für ein Regime, das auf der grundsätzlichen Verweigerung dieser und zahlloser anderer Grundrechte beruht, muss die Einheitsfront der Propalästinenser nicht lange überlegen. 

Der "kleine Satan" (Shaytân-e Kuchak) Israel ist immer für große Empörung gut, erst recht, wenn der Judenstaat seine Feinde nicht ausreichend mit Hilfsgütern versorgt. In normalen Zeiten war der Blick auf die Konfliktparteien immer einer, nur einen  Verantwortlichen kannte. An den richteten sich die rituellen Aufforderungen zur Mäßigung, dessen Agieren war falsch. Das der anderen Seite musste wie ein Naturereignis hingenommen werden - allenfalls konnte versucht werden, ihn mit Hilfslieferungen und Geld zu beschwichtigen. 

Frieden soll nur einer schließen 


Wenn Europas Zivilgesellschaft Anstrengungen unternahm, den Konflikt zu befrieden, sollte immer Israel geben. Wenn es nicht folgte, folgten Boykotte und - im Angedenken an den Holocaust - auch mal ein Aussortieren von Juden nach Abstammung. Links von der Mitte wurde Solidarität großgeschrieben, man fühlt sich verbunden mit denen, die sich als Opfer inszenieren, nicht mit denen, die sich weigern, noch einmal Opfer zu werden. Mit Warnungen an Israel verbrachten deutsche Außenminister einen Großteil ihrer Zeit. Annalena Baerbock mühte sich bei zahlreichen Besuchen in Jerusalem und Tel Aviv unablässig, das angegriffene Israel zu einem Kompromissfrieden mit den Massakermännern der Hamas zu bewegen.

Es hätte auch nichts genützt. So überzeugt die deutsche Linke davon ist, dass Bomberharris es noch einmal tun sollte, diesmal, um die AfD und ihr Gefolge auszuradieren, so entschieden unangenehm ist ihr der Gedanke, dass auch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg nicht mit ihren Flächenbombardements aufhörten, als Hitler nur noch das Berliner Regierungsviertel regierte. Die "Queers for Palestine" sind der Endpunkt einer Idee, für die der islamistische Totenkult der wirksamste Gegenentwurf zu Freiheit, Gleichheit und Individualismus ist.

Tod oder Leben lieben 

Mit dem Satz "Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod" hat der Islamwissenschaftler Olivier Roy einmal den Grundunterschied zwischen dem religiös verbrämten Kollektivismus der islamischen Ideologen und dem laizistischen Fortschrittsglauben des Rests der Welt beschrieben. Ein Video einer als "palästinensische Mutter" vorgeführten Frau zeigt, wie unterschiedlich die Sichtweisen sind: Während  aufgeklärte, in guten Schulen ausgebildete Westeuropäer das Sterben in Gaza als "Genozid" bejammern, erklärt die Muslimin stolz, dass alle ihre vier Söhne als Märtyrer gestorben seien. Sie habe nun  keine Kinder mehr. Doch wenn sie noch welche hätte, so ihre Botschaft an Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, würde sie auch die nur allzugern opfern.

Diese Religion, die aus ihrem Herrschaftsbereich nahezu sämtliche Andersglaubenden, Andersliebenden und Anderslebenden vertrieben hat, erscheint den Greta Thunberg, Jan van Aken und Queers for Palestine als das einzig wahre Zukunftsversprechen. Ihre Anhänger müssten dringend vor weiterer Bekämpfung geschützt werden, heißt es bei der Linken, bei den Grünen und der SPD, aus denen regelmäßig Forderungen nach einer Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit Israel, einem Stopp aller der Waffenlieferungen oder gar der Verhängung von Wirtschaftssanktionen kommen. 

Sozialismus mit Schahāda (arabisch شهادة,), Kommunismus mit Kufiya. Vielfalt unter Burka, Hijab und Nijab, diesen textilen Frauengefängnissen. Der "antikoloniale, antirassistische, antikapitalistische Freiheitskampf" (Taz) findet in den entschiedensten Feinden von Freiheit und Demokratie seine besten Freunde und Verbündeten. Als würden sie darum betteln, an den Kränen des Koran gehenkt zu werden, reihen sie sich ein in die Front der fanatischen Antisemiten. Als die Polizei die "Internationalist Queer Pride" in Berlin auflöste, jene "eine palästinasolidarische Demonstration, die eine antikapitalistische und antikoloniale Alternative zum offiziellen CSD sein will" (Taz), endet der Versuch in "Polizeigewalt". Selbst "Se­nio­r:in­nen im Rentenalter" werden verhaftet.

Diese eine Fahne geht 

Sie, die keine Fahne außer der mit dem Regenbogen gelten lassen, schwenken die des palästinensischen Fantasiestaates, ideologisch befeuert von Politikern und Präsidenten und dem Menschenrechtskommissar des Europarats. Derzeit ist das ein Ire, der als erster Grundrechte auf das Problem der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung angewandt hatte.